Samstag, 29. Mai 2010

AVATAR



Als ich das erste mal von "Avatar" gehört habe, war ich euphorisch. Nicht nur das Cameron wieder dreht, nein, er dreht sogar einen Sci-Fi-Film, eines meiner Lieblingsgenres. Dazu kam die Ankündigung eines Opus Magnum des 3D-Kinos, einer "Revolution", wie Cameron es selbst beschreibt. Das schürt Erwartungen, die bei 2 Jahren Wartezeit gut gedeihen konnten. Camerons Kino ist wie für Sci-Fi gemacht. Seine besten Arbeiten waren Sci-Fi-Filme ("Aliens", "T2", "Abyss"). Titanic war zwar nicht monumental, aber monumentalistisch, der Versuch eines Hollywood-Groß-Epos der alten Tage für die Millenium-Generation. Alter Inhalt, neue Form, Gigantismus, das Versenken eines echten Schiffes, jeder ging in diesen Film, ich auch, doch im Laufe der Jahre blieb da nicht viel hängen, was erzählenswert oder filmgeschichtlich wichtig wäre, außer vielleicht der Box-Office-Rekord und die Effekte. Den Weg, den Cameron mit "Titanic" einschlug, geht er nun mit "Avatar" konsequent weiter.

Ich habe ja von meiner vorherigen Euphorie geschrieben, die sich steigerte, zu dem erwartete ich von Cameron den ersten wieder richtig guten Sci-Fi-Film seit Jahren, mit einer guten Story versteht sich. Wunder, habe ich nicht erwartet, aber ich weiß, dass er es kann. In "Aliens" hat er der Figur der Ellen Ripley unglaublich viel Tiefe gegeben. Er hat es verstanden Actionkino, Dramaturgie und Figurenentwicklung in Einklang zu bringen. Weaver wurde für ihre Leistung für den Oscar nominiert. Und wieder steigerte sich meine Erwartung als ich hörte, dass die Weaver auch bei "Avatar" mit dabei ist.

Erste Ernüchterung trat ein als ich einen kurzen Abriss der Story las. Schon das las sich wie Öko-Kitsch nach alter Rezeptur, doch ich vertraute auf Camerons Talent als Drehbuchautor und sprach immer wieder zu mir: "Aliens! Aliens! Aliens!"
Der nächste Dämpfer kam mit dem ersten Trailer, wo ja für viele das Grübeln begann. Die Schlümpfe störten mich zwar nicht, aber das präsentierte Effekt-Gewitter sah mehr wie das Videospiel einer Mischung aus Star Wars und Herr der Ringe aus. Ich blieb trotzdem am Ball, ging absichtlich nicht zur Promo-Clipschau ins Kino, und schob die Videospiel-Optik auf die schlechte Kompression des Internetvideos.

Im Dezember 2009 war es dann soweit und nachdem die von mir gewünschte Vorstellung im Cinemaxx, wegen technischer Probleme, ausfiel, wir unser Geld zurück und Freikarten für die 9 Uhr Vorstellung bekamen, fiel ich in den Sessel, setzte mir die "Brille" auf und fing an zu staunen.

Am Anfang war das Staunen. Wirklich! Die ersten 30 Min kriegt man kaum die Kinnlade hoch. 3D, dass oftmals noch wie gestaffelte Pappaufsteller im Raum aussah, ist hier erstmals richtig plastisch. Jedes Objekt hat eine wirkliche Tiefe, eine Form. Der Kamerablick wird zum eigenen Blick, trotz Brille. "Avatar" fesselt allein schon dadurch, dass er den Zuschauer "zu sich" holt, in die eigene Welt, ihn vereinahmt und vielleicht auch ein wenig überfordert.

Die eigentliche Revolution findet statt, im Kontext des 3D-Films, rein technisch, versteht sich. In diesem Sinne hat der Film nur sich selbst als Thema. Die "neuen" Bilder, die wir zu sehen bekommen, reizen unsere Sinne mehr als es davor der Fall war. Diese sogenannte Revolution kann auch als Rückschritt angesehen werden, denn ruckzuck fühlt man sich wie im 19.Jh. als das Kino noch Jahrmarkts-Attraktion war und die Leute begeistert in kleine Gucklöcher starrten und sich inhaltlose Bewegungsloops ansahen. Die Form als Attraktion, wir sind wieder am Anfang, beim Oberflächenkino, bei Georges Melies - dafür werde ich gelyncht, ich weiß :) - und Michael Bay. "Avatar" ist eine Rummelattraktion der alten, neuen Tage.
Von der Geschichte und den Charakteren kann man das nicht behaupten. Die begeistern vielleicht noch 10jährige, aber das wars dann. Zynisch gesehen, hat Cameron vielleicht die Story extra so flach gelassen, damit man nicht noch davon überfordert wird. Dafür ist die 3D-Technik schließlich ja schon da. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum Cameron eine Story verfilmt, die mehr Staub angesetzt hat als der Andromeda-Nebel. Alle Vergleiche mit Winnetou und Pocahontas sind mehr als berechtigt. Inwieweit man schon von Diebstahl sprechen kann, muss jeder für sich entscheiden. Andererseits sind die Handlungsmuster, der Gut-und-Böse-Konflikt und die Figuren an sich schon zu reinen Klischees geworden, so dass das Urheberecht für diese ausgetretenen Wege garnicht mehr greift, denke ich.
Nun könnte man die Story als unerheblich betrachten, wie das manche euphorische Stimmen hier tun. Wer soweit ist, hat schon verloren. Denn das traurige ist, dass Cameron das alles ganz schön ernst nimmt. Das tut weh. Als hätte er die letzten 20 Jahre verschlafen und denkt er würde uns was neues erzählen.
Was das Drehbuch vermurkst, bekommen natürlich auch die Figuren zu spüren. Worthington kommt da noch ganz gut weg. Weaver dagegen ist ein wandelndes Klischee. Genauso wie Michelle Rodriguez, aber die scheint auch nur immer die selbe Rolle zu spielen. Ribisi und Lang sind unfreiwillig komische Abziehbildchen, schlechte Kopien von typischen Cameron-Figuren. Die Nav'i-Wesen dagegen "spielen" beeindruckend gut, dafür dass sie aus dem Computer kommen. Dieses neue Motion-Capturing-Verfahren macht schon ein wenig Angst vor den zukünftigen Filmen ohne Schauspieler. Ich hoffe doch das Publikum ist so intelligent und will weiterhin echte Schauspieler sehen.

60% des Films sind CGI. Bringt mich das zum Staunen oder zum Weinen? Die Qualität der Bilder ist erwartungsgemäß High-End. Das anfängliche Videospiel-Gezweifle war schnell verflogen. Lag allerdings bestimmt auch an dem überwältigenden 3D-Effekt.
Technisch ist der Film ein Triumph, überwiegend. Die immer noch gravierenden Nachteile digitaler Kinematografie konnte auch Cameron nicht lösen. In den vielen Verfolgungsjagden geht die Übersicht oftmals durch die hohe Bewegungsunschärfe verloren. Das ist zwar nicht ganz so schlimm wie "Public Enemies", aber die langsamen CMOS-Sensoren der DigiCams sind immer noch keine Konkurrenz für den guten alten 35mm-Film.

"Avatar" ist ein zweifelhaftes Vergnügen. Trotz der unverdienten Länge, der schwachen Story und den langweiligen Figuren, unterhält der Film, zum einen durch den 3D-Effekt, zum anderen durch die überwältigende Welt, die hier virtuell erschaffen wurde. Auch die finale Schlacht, à la Militär-Porno-Parade, fickt die Sinne. Die Frage ist nur will man gefickt werden? Cameron hat mich gefickt. Es tat weh, aber es sah auch gut aus, zu gut.

Die synthetische Welt in "Avatar" hat nur blühende Landschaften zu bieten. Alles ist perfekt! Doch das Geschehen ist nicht perfekt. Während Cameron seine Story mit Mord, Krieg, Terror und Genozid auflädt, wird Pandora indirekt proportional schöner und verkommt zur Tapete. Die Kulisse wird sichtbar und die Illusion verfliegt.
Camerons Filme behandeln immer die Vereinbarkeit von Technologie und Natur. Seine bisherige Stärke war, dass er diese beiden Seiten gegenüberstellte und für keine Seite argumentierte. Das war auch bei Titanic noch so. Doch "Avatar" bricht mit dieser Linie. Die Technologie ist hier immer Diktator, getrimmt auf Leistung, Effizienz und Vollkommenheit. Pandora entstand durch die selbe Technologie, eine antiseptische Welt, unbarmherzig gegen alles was nicht perfekt ist. Der von Cameron beabsichtigte humanistische Grundton enttarnt sich als große Lüge. "Avatar" ist eigentlich ein anti-humanistisches Machwerk.

Wertung: 4/10


"Avatar - Aufbruch nach Pandora"
USA, 2009
James Cameron
mit Sam Worthington, Sigourney Weaver, Zoe Saldana


Bisher nur als abgespeckte 2D-Version auf DVD & Blu-Ray, ohne Extras, erhältlich.


PUBLIC ENEMIES



Allen Unkenrufen zum Trotz, habe ich mich ins Kino gewagt um einen spannenden Abend im Umfeld von Johnny Depp, Christian Bale und Marion Cottilard zu verbringen, geleitet wurde das Ganze von Michael Mann, dem man ein gewisses Talent nicht absprechen kann, schließlich hat der Mann "Heat" auf die Leinwand gezaubert.

Überraschenderweise stellte sich die HD-Videoästhetik als geringeres Übel heraus als im Vorfeld von mir angenommen. Es ist sogar so, dass gerade der Gedanke ein Period Picture mithilfe moderner Kameratechnik zu filmen um es so zu sagen in unsere heutige Zeit zu holen, sich als der innovativste Kniff dieses Gangsterepos herausstellte.

Die Atmosphäre stimmte, ja gerade die Handkamera, die so mutig war, dem Zuschauer auch mal eine Form der Orientierung vorzuenthalten (Ausbrüche), trug ungemein dazu bei. Ja auch das Bildrauschen, die späten Schärfen, das half, das war neu und das ließ mich auch ein wenig besser die epische Länge "genießen". Warum sich aber der Kameramann (Legende: Dante Spinotti) dazu entschloss einen unangenehmen Grad an Bewegungsunschärfe zu zu lassen, bleibt mir ein Rätsel. Schwenks und schnelle Bewegungen sehen schecklich aus und bestehen nur aus einem unkenntlichen Brei aus Pixeln. Das hat nichts mit Doku zu tun, denn selbst da weiß man die Umlaufblende einzusetzen.

Dafür war die Soundmalerei, wieder Mann-typisch, hervorragend. Die Schüsse lauter als alles andere und die O-Töne authentisch und satt, vorallem in den Ausbruchsszenen wird dem Sounddesign ein beeindruckende Raum gegeben.
Leider zerstört Mann diese Authenzität, sobald er auf Musik zurückgreift. Denn was sich in diesem Film Soundtrack schimpft ist das seelenloseste und austauchbarste, was ich seit langem hören musste. Zum Schock lese ich dann in den Credits, dass der große Elliot Goldenthal das verzapft hat, traurig.
Gerade der Einsatz der Musik ist verherrend, da man ihn vorhersehen kann. Beispiel: Billie öffnet einen Brief von Dillinger aus dem Gefängnis. Was glaubt ihr? Natürlich setzt in diesem Moment ein sentimentales Geseiere ein.

Technisch überzeugt der Film also nur zur Hälfte. Ein gutes Kamerakonzept mit penetranter Bewegungsunschärfe und ein tolles Sounddesign mit miserabler Musik.
Was hat der Film inhaltlich zu bieten? Ich erinnere mich gerne an "Heat", der nicht nur technisch beeindruckend war, sondern auch inhaltlich. Leider packt PE das auch nicht ganz.

Johnny Depp ist weder fehlbesetzt, noch blass in der Rolle. Er ist das Beste, was der Film zu bieten hat. Obwohl es Mann nicht schafft der Figur genügend Tiefe zu geben (dafür braucht es mehr als eine mehr-schlecht-als-recht-Liebesgeschichte) gibt es Szenen (Polizeibesuch, Szene mit Bale, Kinobesuch mit Konterfei), wo man merkt wie gut er spielt, wie man förmlich in seinem Gesicht lesen kann, was er fühlt.
Erschreckend fällt da der Vergleich zu Bale aus. Hier haben die Autoren Scheiße gebaut. Bales Figur bleibt flach, vor allem weil wir nichts über ihn erfahren. Bale einzige Sätze beschrenken sich auf Sachen wie "Er ist da und da und du und du kommen mit mir!". Das kann man ja noch verschmerzen, wenn es Mann so angelegt hätte, dass es wirklich NUR um Dillinger geht und alle anderen nur Randfiguren bleiben. Denn hätte er aber auf die letzte Texteinblendung verzichten müssen. Es ist schon eine Frechheit einer Figur mithilfe eines unscheinbaren Satzes am Ende mehr Tiefe zu geben, als der Regisseur auf 2 1/2 Stunden zustande gebracht hat. Vielleicht hätte Mann Bale auch eine Regieanweisung mehr geben sollen außer: "Du bist cool und fühlst dich überlegen und lächelst suffisant."
Dieser Special Agent war anscheinend ein verzweifelter Mann, vielleicht sogar interresanter als Dillinger. Davor hatte Mann womöglich Angst.
Die arme Marion Cottilard bleibt das "Love Interest" wie es im Buche steht. Ihre einzige gute Szene bleibt das Verhör auf dem Polizeirevier.

Ich bin gespannt was Mann als nächstes aus dem Hut zaubert. Sein PE wirkt wie ein hohler Abklatsch von "Heat", mit guten Schauspielern in schlechten Rollen. Hoffentlich hat sich sein Kino nicht schon selbst entleert.


Wertung: 4,5/10


"Public Enemies"
USA, 2009
Michael Mann
mit Johnny Depp, Marion Cottilard, Christian Bale


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich.


ANTICHRIST


Lars von Triers Genre-Experiment beschwört nicht nur sein Frühwerk herauf, sondern führt auch endgültig seine heiligen Heroinen ad absurdum.

Ein trauerndes Paar zieht sich in ihre einsame Hütte, “Eden”, in den Wäldern zurück. Dort hoffen sie, ihre gebrochenen Herzen heilen und ihre kriselnde Ehe retten zu können. Aber die Natur verschafft sich ihr Recht, und die Situation kann nur schlimmer werden.

--- Prolog:
Natürlich schwirrten mir etliche Fragen im Hirn herum, doch eine stand über allen. "War der Skandal um Antichrist nun gerechtfertigt?"
Nein! Es ist sogar überaus enttäuschend wie sich das Feuilleton hier aufgespielt hat, als hätte es was zu sagen. Ich bezweifle auch, dass Lars von Trier das geplant hat. Er wusste zwar, was er dem Publikum da zumutet, aber einen Skandal braucht der Film nicht.
Denkt man allein an die anderen Cannes-Skandale der letzten Jahre, wie "Trouble Every Day" oder "Irreversible", dann stinkt Antichrist doch gehörig ab, jedenfalls als Skandalfilm,
"Die Idioten" war ein viel besserer Skandal. Schon da wurde sexuelle Penetration en detail gezeigt, das schlug Wellen, doch anscheinend hat die Presse nicht so ein gutes Gedächtnis und dachte bei Antichrist, sie würde so etwas zum ersten mal sehen, was ja auch Quatsch ist, da bestimmt jeder von denen schon mal einen Porno gesehen hat. Auf etwas anderem baut von Trier ja auch nicht auf. Er fügt einfach eine Einstellung, die man gemeinhin nur im Porno vorfindet, in den "normalen" Spielfilm ein. An sich nichts besonderes, wenn da nicht ein Haufen Ironie und Verstörung drin stecken würde. Denn das hier Grenzen überschritten werden, liegt auf der Hand. Inwieweit hier Schauspiel und Wirklichkeit in einander fließen, fällt schwer zu unterscheiden, da die beiden Hauptdarsteller, besonders Gainsbourg, mit jeder Faser ihres Körpers spielen. Sie hat ja angeblich alles zugelassen, und das sieht man auch.

--- Sam Peckinpah erblasst vor Neid:
Der Film beginnt mit einer der längsten Zeitlupensequenzen der Filmgeschichte, in sanftem schwarz-weiß, dazu läuft Händel, es wird das einzige Musikstück des Films bleiben. In dieser Sequenz, vögeln die beiden Hauptdarsteller, es vögeln nicht nur die Figuren, sondern auch die Darsteller, wirklich, das sollen wir jedenfalls denken. Parallel dazu passiert ein Unglück, was den ganzen folgenden Film, wie ein Schatten begleiten wird. Das ist der Prolog, der sich, genauso wie der Epilog, ästhetisch stark, vom eigentlichen Film unterscheidet. Bei dieser Szene habe ich an den Audiokommentar von „Dogville“ denken müssen, in dem Anthony Dod Mantle Lars von Trier förmlich anfleht, ihm bei „Manderlay“ ordentlich Licht setzen zu lassen.
Jetzt bei „Antichrist“ war es soweit und er geht sogar darüber hinaus, denn was Mantle allein im Prolog an Bildern zaubert, das schlägt fast die komplette Europa-Trilogie. Wie ein Traum und doch erschreckende Realität.

--- Er und Sie:
Erst danach beginnt der eigentliche Film und schon wieder kommt ein irritierendes Element dazu. Die Beerdigung des Kindes aus Schneewittchen-Perspektive, die Gesichter der Eltern schmerzverzerrt, die Rollgeräusche des Sargs und die Verwandtschaft ohne Gesichter! Filmisch beinah plump und in seiner Offenheit gewagt ehrlich, brüllt uns von Trier zu: „Blickt nicht auf die anderen, hier geht es nur um sie und ihn!“ Der Ausbruch der Depression!

--- Der Beginn eines Farbzyklus:
Mit dem Zusammenbruch, die Trauer, und Willem Dafoe, als rationales, liebenswertes Monstrum versucht seine Frau nach Hause zu holen, doch dort wird es nicht besser. Hier verarbeitet Trier seine Depression, ganz ohne Ironie und mit einer Ernsthaftigkeit, die man seit „Die Idioten“ nicht mehr gesehen hat. Es gehört gerade zu Triers Stärken, dass er mit Stimmungen hantiert. Wo „Idioten“ radikal von einer Komödie in eine Tragödie umschlug, da wechselt Antichrist nun gekonnt vom Arthouse-Masturbations-Schick in ein wahrhaftiges psychologisches Drama.
Diese Szenen gehören zum besten, was der Film zu bieten hat und allein für die ersten 20 Minuten hätte ich Gainsbourg den Oscar überreicht.
Mantle filmt diese Szenen mit sichtbaren Spots und der typischen Handkamera. Dazu dominiert die Farbe Blau, die für Melancholie und Trauer steht, aber auch für Treue.

Sobald sich er und sie (man kann sie auch Adam und Eva nennen, aber das will von Trier doch nur) nach Eden begeben, kippt das Farbschema und es dominiert logischerweise die Farbe Grün. Denn mit dem ersten Schritt Richtung Heilung, kehrt auch Hoffnung in den Film ein.

Später findet eine weitere Verwandlung statt. Aus dem psychologischen Drama wird langsam das, was wir unter einem Horrorfilm verstehen, obwohl der eigentliche Horror die ganze Zeit da war. Mit diesem Wandel geht die Sonne unter, denn sobald die Hoffnung erloschen ist und Mühlsteine und Scheren zum Einsatz kommen, verschwindet das Grün des Tages und das Schwarz der Nacht kommt hervor, was keine Interpretation mehr bedarf.

--- Horror als Klischee und Stilmittel:
Der symbolische Einsatz von Farbe ist eher untypisch für Lars von Trier. Jedenfalls in dieser Einfachheit und ganz ohne Ironie (Ich weiß, das Wort ist schon öfter gefallen, aber man kommt nicht drumherum).
Ganz anders und schwieriger fällt es, den Horror zu klassifizieren, der sich vor unseren Augen abspielt. Das Genre selbst ist zu wandelbar. Ist Horror die Aneinanderreihung von Gore-Szenen à la SAW? Ist es das flaue Gefühl im Magen, wenn der Protagonist durch dunkle Wälder läuft und dabei von einem basslastigen Score begleitet wird? Es fällt schwer zu entscheiden. Letztendlich ist Horror all das, was Angst macht und da sich „Antichrist“ mit nichts anderem beschäftigt, macht ihn allein das schon zum puren Horror.
Von Trier weiß das. Das reicht ihm aber nicht. Er beginnt ein böses Spiel mit dem Zuschauer.
Das Publikum will einen Horrorfilm, es kriegt einen Horrorfilm, mit allen Klischees nachdem es lechzt.
Da wären zum einen die dunklen Wälder + Protagonisten, die da durch laufen + „musikalisches“ Brummen auf den untersten Frequenzen + Aneinanderreihung von Gore-Szenen. Es ist alles dabei oder „all inclusive“ könnte man sagen, aber von diesem Horrorzeugs will sich LvT ja nicht seinen Film kaputt machen lassen, also, was macht er?
Er streut sie einfach so zwischendurch ein, wie z.B. einen bedeutungsschwangeren Zoom auf eine Blumenvase (WTF!), dazu Gebrumme. Zwischendurch Schattenspiele mit Ästen, dazu Gebrumme,
Das wirkt beliebig, ist es aber nicht. Es erfüllt den gleichen Zweck, wie die Kapiteleinteilung oder die extreme Zeitlupe in schwarz-weiß. Es dient als Verfemdungseffekt, als Puffer zwischen Film und Publikum.
Das ist nicht neu bei LvT. Die Kreidestriche in „Dogville“, Dogma-95, Musicalszenen in „Dancer in the Dark“, alles nur Verfremdungseffekt, um den Zuschauer zu fordern, ihn zu eigenem Denken anzuregen und um letztendlich die Manipulation durch Bilder offen zulegen.
Bei „Antichrist“ ist das sogar amüsant, da gerade die Horrorelemente dazu beitragen sollen. Wenn ich Gainsbourg und Dafoe, in Hochform, spielen sah, wie sie versuchten gemeinsam die Depression und die Trauer zu besiegen, ging mir das nahe,
doch dann setzte auf einmal ein Gebrumme ein und ich sah einen düsteren Wald in dem die Schatten tanzten. Da spürte ich nicht viel im Vergleich zu vorher. Das Bild war schön, aber die Angst, die Gefühle waren weg.
„Antichrist“ ist die Dekonstruktion eines Horrorfilms, die zeigt, dass Genrefilme sich nicht durch Manierismen und Klischees auszeichnen sollten, sondern durch Inhalte und Figuren, wie jeder andere Film auch. Horror wird erst zu Horror, wenn er Angst macht, nicht durch gruselige Musik, Dunkelheit oder Gewalt! Danke Lars!!

--- Epilog:
Ich habe absichtlich die eigentliche Geschichte umfahren, da ich denke, dass der Film eher eine Reflexion über die Filmsprache herausfordert.
Es macht wenig Sinn über die Misogynie in „Antichrist“ zu diskutieren, da Lars von Trier auch in diesem Film seiner Protagonistin näher ist als den männlichen Konsorten.
Die Gedanken zu Natur, Hexentum und Kindesmissbrauch bleiben haften. Die theologische Ebene interessiert mich eher nicht.

Ein stilistisch aufregender, inhaltlich unausgewogener Lars-von-Trier-Film!

Wertung: 7/10


"Antichrist"
DE, DK, FR, IT, PL, SE, 2009
Lars von Trier
mit Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe


Ungeschnitten, auf Blu-Ray & DVD mit allerhand Extras erhältlich.


SWEET AND LOWDOWN


Woody Allen arbeitet mit Mitteln des Dokumentarfilms um seine fiktive Künstlerbiografie so wirklich wie möglich zu machen. Jazzmusiker, Musikwissenschaftler und Jazzfan Allen persönlich sprechen über diesen Emmet Ray, den es aber nie gegeben hat. Das wusste ich natürlich nicht und von Jazz habe ich mal so gar keine Ahnung. Als ich dann am Ende mir mal das Booklet durchlas, erfuhr ich die Wahrheit und war überaschenderweise nicht enttäuscht, dass dieses „Nach einer wahren Begenbenheit“ nicht der Fall war. Woran das lag? Ja, dieser Film ist so überraschend, erfrischend, witzig, traurig und wunderschön zugleich, dass es unwichtig ist wieviel wahres dran ist. Allen erzählt viel eher eine Geschichte über den Jazz selbst und schafft es hervorragend die Musik einem schmackhaft zu machen.
Anhand der Figur des Emmet Ray, wird nicht nur das Wesen des Jazz beschrieben, es geht auch um die Kunst an sich, der Verbindung zwischen Künstler und Werk. Treibende Kraft der Kunst und des Jazz im Speziellen, ist für Allen, Leidenschaft, Gefühle und Selbstaufgabe. Es geht um Leidensbereitschaft den eigenen und Gefühlen anderer gegenüber.

Dass es diesen Emmet Ray nicht gegeben hat, gibt Allen die Möglichkeit mit Fiktion zu spielen. So wird die Szene in der Ray die Untreue seiner Frau entdeckt aus 3 unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Dazu kommen noch so viele tolle Einfälle. Allens Film ist ein Spaß für Cineasten. Zuvor sah man Ray noch nach Geld für ein neues Auto betteln, durch Zufall landet er in einem Versteck von Falschgeldmachern- SCHNITT- wir sehen ihn mit dem neuen Auto umherfahren. Die Bilder, die Montage, die Erzählung, alles ist sehr filmisch und korrumpiert aber zu keiner Zeit die musikalische Ebene des Films. Hier arbeiten zwei Kunstformen perfekt zusammen.

Was wäre dieser Film aber ohne die Schauspieler. Sean Penn ist Sean Penn und somit großartig als Ray. So ein arroganter und selbstgefälliger Typ, dem man aber ambivalenter Weise gerne folgt. Warum? Weil er so schön Gitarre spielen kann. Das klingt jetzt blöd, ist aber die Wahrheit. Allen inszeniert diese Verbindung zwischen Zuschauer und Figur, in der Szene, in der sich Hattie in Ray verliebt, mit. In einer Halbtotalen, in klassischer Bergman-Manier, teilt sich das Bild räumlich in zwei Teile, das Bett auf dem Ray sitzt und Gitarre spielt und das Badezimmer in dem sich Hattie fertig macht. Während Ray spielt, zoomt die Kamera langsam heran, Hattie tritt aus dem Badezimmer heraus, lehnt sich an den Türrahmen und lauscht der Musik, die Gefühle in ihr nehmen Überhand. Ray sieht das nicht. Er ist mit dem Rücken zu ihr gedreht. In diesem Moment, regte sich in mir, wie auch in Hattie der unabdingbare Folgenswillen zur Hauptfigur. Sie bleibt interessant und ich folge ihr bis ans Ende.

Diese Hattie ist gleich einen Extra-Absatz wert. So wie Samantha Morton sie spielt, so still, lebhaft und mimisch. Am Anfang wirkt sie zwar wie das kleine Dummerle, was niedlich ist, aber zum Ende hin wächst sie über Ray hinaus in sozialer wie emotionaler Sicht. Eine tolle Frau.

Dagegen kann Uma Thurman als Blanche zwar nicht anstinken, aber ihre Figur bekommt den richtigen Drive durch ihren nervigen Protokollierungswillen. Das komplette Gegenteil zu Hattie. Blanche fasst alles in Worte.

Am Ende werden wir Zeuge, wie Ray seine Gitarre zerschlägt vor Kummer, dass er Hattie verloren hat. Die Kamera fährt mit dem Kran nach oben und endet in der Distanz zur Figur. Die letzten Sätze der Interviewten bezeugen das Ray danach besser denn je war, aber dass er dann auch in der Geschichte verschwand. Der Künstler stirbt, das Werk bleibt. Zwar hat Woody Allen mal gesagt, dass er die Unsterblichkeit nicht durch seine Filme erreichen wolle, sondern durch die Fähigkeit einfach nicht zu sterben, aber mit "Sweet and Lowdown" beweist er das Gegenteil. Allen versöhnt sich mit dem Tod auf musikalische und filmische Art zugleich.

Wertung: 8/10


"Sweet and Lowdown"
USA, 1999
Woody Allen
mit Sean Penn, Samantha Morton, Uma Thurman


Mit wenig Extras, aber in guter Qualität in der Arthaus-Collection erhältlich.


INGLOURIOUS BASTERDS



Der Film hat erhebliche Schwächen, aber auch erhebliche Stärken, zu denen ich später kommen werde.
Handwerklich ist IB vielleicht Tarantinos schlechtester Film.
Das liegt nicht am Konzept, der Idee ein Kriegsepos anhand von dramaturgisch losgelösten, überlebensgroßen und dennoch intimen Dialogszenen zu erzählen. Das gehört eindeutig zu den Stärken. Auch die Dialoge sind berauschend.

Was mich stört ist Diane Krüger. Das mag kleinlich klingen, aber bei dem großen Talent was Tarantino eigentlich hat, darf so etwas nicht vorkommen. Gerade weil Krügers Rolle ziemlich wichtig ist. Zum einen hat man da Christoph Waltz (über den schon alles gesagt wurde) und auf der anderen Seite diese anerkannte Schauspielerin unter GZSZ-Niveau. Sie schafft es beinah ein ganzes Kapitel des Films kaputt zu machen. Das geht nicht. Da darf man auch nicht einfach so drüber hinweg sehen, nicht bei Tarantino.
Und dabei sind die anderen Darsteller so gut, vorallem die Deutschen, inklusive Til Schweiger, denen die Spielfreude aus jeder Pore dampft und man sich von ihnen mitreißen lassen kann.

Ein weiterer Fehler Tarantinos ist die Nachlässigkeit beim Einsatz der verschiedenen Sprachen. Welchen Sinn hat es für Hans Landa bitte mit dem Franzosen in der ersten Szene englisch zu sprechen? ... Richtig, gar keine!
Genauso verwunderlich ist es, dass Shoshanna in ihrer flammenden Großaufnahme im Kino die Nazis auf englisch anklagt. Kann Hitler überhaupt englisch? Im Film sieht man ihn jedenfalls kein Wort englisch sprechen. Wäre doch doof, wenn die Nazis nicht verstehen, warum sie gleich zur Asche verbrannt werden.
Ok, der Deutsch-Anteil wäre dann höher als der Englisch-Anteil, aber wenn schon, denn schon.

Kommen wir nochmal zur ersten Szene.Diese Szene ist wie aus dem Bilderbuch und mit Fug und Recht behaupte ich, dass Tarantino bisher noch nichts besseres geschrieben hat. Leider steht diese Szene am Anfang und so müssen sich alle darauffolgenden damit messen. Ungünstig!

Ein weiterer Schwachpunkt ist die visuelle Unentschlossenheit.
Manchmal ist der Film gewollt grob, macht unschöne Schnitte, plumpe Musikeinlagen und anderes B-Movie-Gehabe. Auf der anderen Seite gibts Hochglanz, raffinierte Schnitte und schöne Kamerafahrten (Robert Richardson). Was denn nun???
Entweder Grindhouse oder Weltkino. Entscheide dich Quentin!

Trotz dieser Schwächen, ist Inglourious Basterds ist ein herausragender Film! Und das verdanken wir nicht den bekannten Tarantinoismen, sondern, suprise suprise, der Story!!!
Inhaltlich hat Tarantino mit IB seinen vielleicht besten Film seit Jackie Brown gedreht. Denn im Gegensatz zu Kill Bill und Death Proof, die mit lässiger Pose dem Zuschauer ihre Sinnlosigkeit ins Gesicht spuckten, geht es in IB wirklich um etwas, nämlich um den Unterschied zwischen Kino und Wirklichkeit. Für welche Seite sich Tarantino entschieden hat ist allgemein bekannt, doch es reicht nicht aus sich ins Kino zu flüchten. Tarantinos Filme betreiben keinen Eskapismus im Hollywoodesken Sinne, sie bekämpfen die Wirklichkeit und mit "Inglourious Basterds" holt Tarantino zum ultimativen Angriff aus. Mit einer feindlichen Übernahme oder einem Blitzkrieg hat das nicht viel zu tun. Tarantino handelt aus defensiven Motiven. Denn die Wirklichkeit hat schon viel länger das Kino attackiert als es umgekehrt der Fall ist.
Schon seit Beginn der bewegten Bilder haftet dem Film das Klischee an die Wirklichkeit nachahmen zu wollen oder zu müssen. Seit der erste vermeintlich echte Zug der Gebrüder Lumiere die schockierten Zuschauer überollte, kämpft das Medium für seine eigene Wirklichkeit. Das Theater hat seine Bühne, Echtheit entsteht nur durch Abstraktion. Dem Kino fehlte das lange Zeit und nur die ganz großen Regisseure wollten und wollen mehr, kämpfen gegen die Vorurteile der Wirklichkeit an und gestalten ihre eigene virtuelle Realität um der echten Realität den Spiegel entgegen zu strecken.

Dennoch wird dieser Kampf immernoch ausgefochten und gerade bestimmte Genre sind wahre Schlachtfelder dieser Kampfes. Das trifft auf die Literaturverfilmung zu, aber am schlimmsten hat der Historienfilm zu leiden, trägt er doch schon das Klischee im Namen. Die eigene Geschichte in bewegten Bildern sehen zu können, das war schon immer ein Traum des Menschen. Das Kino wurde zur Zeitmaschine, das dabei die echte Geschichte und das Kino verfälscht wurden, blieb auf der Strecke.
Peinlich genau werden "authentische" Kostüme, Kulissen, Requisiten, Pflanzen und Masken gefertigt, nur um dann eine dramaturgisch-veränderte, falsche Geschichte nach zu äffen.
Unter dem Deckmantel der Geschichte wird heute Geld gemacht, wird die Historie so verändert, wie das Publikum sie sehen will.
Und wenn der Zuschauer denkt, das Gesehene sei wirklich so passiert, dann gibt es auch keine inszenatorische Distanz mehr und somit kann man das Publikum auch nach Lust und Laune manipulieren. Es gibt einen Grund, warum Propagandafilme überwiegend Historie bebilderten.
Das Kino wurde schnell zum Propagandawerkzeug par excellence erklärt. Zum verlängerten Arm der vergangenen Wirklichkeit, der die Gegenwart kontrolliert. Das war ein herber Schlag für die Filmkunst. Die Wirklichkeit schien gesiegt zu haben.

Obwohl sich die Geschichte geändert hat, und in den Babelsberger Studios keine Propagandawerke unter Goebbels mehr entstehen. Die Methoden sind die gleichen.
Die wirklichen Verbrechen des NS-Regimes werden heute filmisch nachgestellt um sie wirklicher werden zu lassen. Obwohl die Motive dahinter edler sind als die eines Josef Goebbels, wird mit den gleichen Zutaten gekocht.

Es scheint so, dass Geschichte nur in Form eines Dokumentarfilms adäquat umgesetzt werden kann. Aber auch da wird Schindluder getrieben. Manche Dokus sind von Spielfilmen nicht zu unterscheiden, was pervers ist. Dennoch gibt es Dokumentarfilme denen das Unmögliche gelingt, z.B. "Shoah", aber der schafft es auch nur, weil er mit offenen Karten spielt. Der Zuschauer weiß immer, dass er eine Doku sieht. Er hört nicht nur die Fragen, die der Filmemacher stellt (wird ja gerne als unnötiger Ballast angesehen), sondern er hört sogar die Dolmetscherin übersetzen, ohne Schnitte, ohne Tricks, ohne die Möglichkeit in die Bilder "einzutauchen".

Ist der historische Spielfilm somit gescheitert? Weil er ein Paradoxon ist? Ist es nicht möglich mithilfe der Fiktion Vergangenenheit sichtbar zu machen? Wie beim Dokumentarfilm, dürfte man auch beim Spielfilm den Film nicht verleugnen.
Man muss mit offenen Karten spielen. Warum nicht mit 5 Assen?

Tarantino hat es gewagt und den vielleicht einzig "wahren" Historienfilm gedreht.
Dadurch, dass er die Geschichte falsch erzählt, Hitler tötet und den 2. Weltkrieg schneller beendet, macht er Geschichte sichtbarer als alle "Schindlers Liste" zusammen.
Denn ganz egal was für einen "moralisch"-unkorrekten Spaß man auch mit Tarantinos Nazi-Schlachtplatte hat, es gibt immer diese schmerzhafte Differenz zwischen der Fiktion und der Wirklichkeit, zwischen dem, was sein sollte und dem, was wirlich war. Die nun endlich sichtbare Linie zwischen Wirklichkeit und Kino ist wie ein Aufschrei an die Gegenwart: Warum kann die Realität nicht wie im Kino sein?

Wertung: 8,5/10


"Inglourious Basterds"
USA, 2009
Quentin Tarantino
mit Christoph Waltz, Brad Pitt, Melanie Laurent


In den verschiedensten Editionen auf Blu-Ray & DVD erschienen. Ich bin wunschlos glücklich.


FRENZY



Stünde es nicht im Vorspann, ich würde es nicht glauben, dass Hitchcock hier Regie geführt hat. Die Rückkehr nach London scheint ihm neue Seiten entlockt zu haben.
Originalschauplätze, unsichtbare Studiobauten und eine für Hitchcock-Verhältnisse fast intuitive Kameraführung, ich bin baff! Man könnte fast denken: Das ist ein Independent-Film von einem aufstrebenden Talent, dass mit Experementierfreude und Gestaltungswillen die Welt um sich herum zerlegt, mithilfe von Krawatten.

Inhaltlich hat sich aber nichts geändert und das ist auch gut so. Ein Unschuldiger wird verdächtigt und muss sich rehabilitieren. Leider ist Mr. Brainley, anders als sein Name vermuten lässt, nicht besonders Vernunftbegabt und intelligent. Er ist ein Trinker und Verlierer und die haben es anscheinend schwer om London der 70er Jahre. Ohne Obdach, Geld und Job, sucht er seine Ex-Frau auf, die kurz darauf vom berüchtigten Krawattenmörder ermordet wird und so deutet alles auf den cholerischen Ex-Mann hin, dem ganz die feine britische Art entglitten zu sein scheint.
Nun könnte man denken, dieser Mr. Brainley sei unsere Hauptfigur. Nein, tut mir Leid, es ist der Krawattenmörder, genialisch verkörpert von Barry Foster. Den kennt ihr nicht? Ich auch nicht! Ist aber nicht schlimm, denn "Frenzy" wird nicht von Stars bevölkert, sondern von unverbrauchten Theatergesichtern.

Ohne es zum großen Sujet zu erheben, gelingt Hitchcock das glaubwürdige Porträt eines gestörten Mannes, der nach außen hin exzentrisch aber angenehm wirkt, doch innerlich längst verfault ist. Das komplette Gegenteil ist unser unglücklicher Mr. Brainley.
Hitchcock hat schon oft mit Täterperspektiven gearbeitet, aber mit "Frenzy" ist ihm diesbezüglich sein Meisterstück gelungen.
Auch die anderen Figuren werden hervorragend verkörpert. Schauspielerische Höchstleistungen wohin man auch sieht.

Die viel diskutierten Gewalt- und Nacktszenen sind, abgesehen davon dass sie heute keine Zensursula mehr hinterm Ofen hervorlockt, weder dem Zeitgeist noch dem mangelndem Einfallsreichtums Hitchs geschuldet. Mit der Rückkehr auf Londons Straßen, holt Hitchcock auch sein Kino zurück in die Wirklichkeit, könnte man sagen. Raus aus den verstaubten Hollywood-Studios direkt in die unmittelbare Wahrnehmung des Zuschauers, das Verringern der Distanz zwischen Leinwand und Publikum. Das Weltbild in "Frenzy" ist düster, durchzogen mit teils menschenverachtendem Humor der schwärzesten Sorte. Angesicht dieses düsteren Londons fällt es mir schwer zu glauben, dass "Frenzy" ohne Gewalt und nackter Haut genauso gut geworden wäre. Es wäre ein filmischeres London geworden, wo die Kamera rechtzeitig wegschwenkt und den Zuschauer somit aufatmen lässt. Das wäre für "Frenzy" eindeutig unpassend gewesen.

Beeindruckend finde ich auch den Score. Nachdem Hitchcock Henry Mancini gefeuert hatte, bekam der unbekannte Ron Goodwin den Job und kreierte einen Soundtrack, der Bernard Herrmann ebenbürtig ist. Sei es das pompöse Eröffungsstück oder das zarte Thema des Krawattenmörders, zum Fürchten schön.

Die Frage ob Mord abseits der öffentlichen zivilen Welt statt findet, sei mit "Frenzy" endgültig geklärt. Hier schmeckt man, dass Mord ein fester Bestandteil unserer Welt ist, vielleicht sogar ein sehr sehr wichtiger Teil. Denken sie daran, wenn sie ihre nächste Portion Schweinsfüße essen!

Wertung: 8,5/10


"Frenzy"
GB, 1972
Alfred Hitchcock
mit Barry Foster, Alec McCowen, Vivien Merchant


Den Film gibt es einzeln und in verschiedenen Hitchcock-Boxen zu kaufen und bietet eine solide Qualität plus Making-Of.


DAS WEIßE BAND



So eine goldene Palme im Nacken zu haben, das wünschen sich viele Filme. Im Fall von Hanekes neuem Film sorgt es gleich für allerhand positive Kritiken im Feulliton, dabei kann man sich sicher sein, hätte der Film keinen Preis gewonnen, die Reszensionen wären überaus unterschiedlich ausgefallen.
Nun hat er sie halt, das goldene Gewächs, was dem Film hoffentlich gute Publikumsergebnisse einbringen wird, denn verdient hätte der Film das allemal, gehört er doch zum besten, was man seit Jahren auf der Leinwand sehen durfte.

Es ist nicht Hanekes erster Ensemble-Film. "Code:unbekannt" sowie "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" waren beide Gesellschaftsporträts. Während "71 Fragmente ..." von Vereinsamung und emotionaler Kälte handelte, beleuchtete "Code:unbekannt" den Kommunikationsverlust und die zunehmende Anonymisierung der Gesellschaft. Dieser Film litt aber unter einer erkennbaren Strukturlosigkeit, das Ensemble sowie der ganze Film wollten sich nicht zu einem ganzen zusammen fügen. "71 Fragmente" dagegen hatte ein reales Ereignis als Ausschlag und als Endstation, ein umfassendes Ereignis was die Figuren näher zueinander rückte.
Ähnlich verhält es sich bei "Das weiße Band", wobei man hier sagen kann, man sieht einen typischen und einen untypischen Haneke-Film. Es ist sein erster historischer KINO-Film, sein erster Film in schwarz-weiß und sein erster Film nach 12 Jahren, den er wieder auf deutsch gedreht hat.

Eine Reihe von Unfällen, oder doch eher Anschlägen, bildet den roten Faden des Films. Über 140 Minuten wird man dieses Dorf kennenlernen, jenseits der Kriminal-Story, vermittelt der Film nicht nur eine ausführliche Beschreibung der damaligen Menschen, sondern liefert auch eine Parabel über die Entstehung des Faschismus im Besonderen und über die Ursachen von Terrorismus im Allgemeinen. Ein Spiegel der damaligen und heutigen Gesellschaft.

Der episodisch aufgebaute Film verweigert sich den üblichen dramaturgischen Dogmen. Da die Geschichte ja eine Nacherzählung ist, eine Rekapitulation alter Erinnerungen, ist das nur konsequent, so steckt der Film voller eigenständiger Szenen, Mini-Filmchen, die wie Anekdoten wirken und doch im ihren Ganzen einer Erzählung dienen. Beeindruckend! Haneke hat viele Jahre an dem Drehbuch gearbeitet und man merkt förmlich wie sich die Ideen aneinandergereiht haben, wie immer wieder eine neue Szene dazugekommen ist.

Thematisch erinnert mich der Film an Gerhard Hauptmann und den literarischen Naturalismus. Schon in Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" versteckte sich der Faschismus in den Winkeln der Gesellschaft. Ein junger gebildeter Mann verliebt sich in die Tochter eines Alkoholikers, schafft es allerdings nicht bei ihr zu bleiben, da er glaubt, dass sie die Krankheit ihres Vaters geerbt hat. Er will keine Kinder mit einer Frau, die "unreine" Gene hat. Sozial-Darwinismus war bereits der Anfang vom Ende. Bei Haneke liegen die Ursachen nicht in einem pervertierten Wissenschaftsglauben, sondern in der Familie, der Erziehung und autoritären Strukturen.

"Das weiße Band" ist auch ein Kinderfilm. Obwohl die erwachsenen Figuren öfter auftreten, das Interesse liegt bei den Kindern. Sie sind die wahren Hauptdarsteller. Was Haneke aus den jungen Darstellern rausgeholt hat, macht einen sprachlos. So gut geführte Kinderdarsteller habe ich noch nicht gesehen. Die Erwachsenen brauchen sich aber nicht zu verstecken. Jeder im Ensemble leistet außerordentliches. Von deutschen Top-Stars bis hin zu komplett neuen Gesichtern, die Besetzung bietet alles.

Man kommt aus dem Schwärmen schwerlich raus. So einen konzentrierten Film, der manchmal vor Spannung zerbirst und auf der anderen Seite fast einfriert, habe ich noch nie gesehen. Falls jemand noch Jungfrau im Bezug auf Hanekes Filme ist, sollte er schnellstmöglich ins Kino stürmen und damit anfangen, alle anderen natürlich auch. Wer mit Hanekes vorherigen Filmen nicht klar kommt, sollte es nochmal versuchen. Hier darf man einem wahren Meister zu sehen, der sein Handwerk perfekt beherrscht und es schafft jenseits von Skandal und Gewalt eine Geschichte ganz sensibel zu erzählen.

Wertung: 9/10


"Das Weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte"
DE, AU, 2009
Michael Haneke
mit Susanne Lothar, Burghart Klaußner, Ulrich Tukur


In tadelloser Qualität als DVD & Blu-Ray bei X-Filme erhältlich.


SHOAH



An sich kommt man nur auf Superlative, denkt man an Claude Lanzmanns legendären Dokumentarfilm "Shoah". Dabei hat dieser Film nichts mit einer Legende gemein, sondern ist eine 9 1/2 stündige Bestandsaufnahme der Überreste des Holocaust in der Gegenwart.
Lanzmann verzichtet auf alles, was einen Dokumentarfilm bekanntlich "unterhaltsamer" macht. Es gibt keine eingespielte Musik und keinen Off-Kommentator, nur bloße, weiße Schrift und die Stimmen der Zeugen, der Übersetzer und des Regisseurs.

Gerade die Interviews sind wahre Dokumente der vergangenen Verbrechen. Wenn die Kamera immer drauf hält, ohne einen Schnitt zu machen, wenn die Opfer mit ihren Erinnerungen ringen, sie verdrängen wollen und meinen so einen Schrecken nicht in Worte fassen zu können.
Ja, Lanzmann stellt auch die Frage nach der Beschreibbarkeit der Ereignisse. An sich würde sein Film in sich zusammen fallen, würde er zeigen, dass die Erzählung, dem Erlebten nie gerecht werden kann, was ja auch so ist, aber Lanzmann hat einen ganz anderen Anspruch. Ihm geht es darum überhaupt etwas medial zu konservieren, damit es nicht in Vergessenheit gerät und oft sieht man auch, wie schwer es den Zeitzeugen fällt sich zu erinnern. Es muss festgehalten werden, auch wenn es unvollständig ist.

Dabei interessiert sich Lanzmann kein bisschen für historische Aufnahmen, nur weil es auf Film gebannt ist, ist dass Verbrechen nicht glaubhafter, nein, Film ist manipulierbar. Was nützt die xte Wiederholung der schwarz-weiß-verrauschten Bilder der Wochenschau, nur in der bloßen Reduktion der filmischen Mittel, im einfachen Abbilden des Gesichts des Interviewten, ergibt sich so etwas wie dokumentarische Wirklichkeit und "Shoah" ist reines Dokument.

Besonders herrausragend ist die Fragetechnik Lanzmann und sein Einfluss auf die Zeugen. Zuerst zieht er eine Schlinge aus eher harmlosen Fragen und zieht sie bei gewonnenem Vertrauen immer enger, nur um dann immer wieder die direkte Frage zu stellen: Was ist mit den Juden passiert? Und überall die gleiche Antwort. So wird Geschichte sichtbar.
Angesicht der vielen geschriebenen und gesprochenen Worte, könnte man als Cineast denken, einen äußerst unfilmischen Film zu sehen zu bekommen. Das Gegenteil ist der Fall: Durch die Schilderung der Verbrechen im Zusammenspiel mit den Bildern der Ruinen der Lager, ergibt sich ein filmisches Kunststück, was erst wieder Lars von Trier mit "Dogville" aufgreifen wird. Das Sichtbarmachen durch das Weglassen wird bei "Shoah" zu einer besonders schmerzhaften Erfahrung.

Trotzdem und das hört sich auf den ersten Blick sehr widersprüchlich an, kam es mir so vor, als wolle Lanzmann alles vom Publikum, NUR nicht sein Mitgefühl. In keiner Sekunde will er einen kathartischen Effekt herbeiführen. Dafür sorgt schon sein eigenes Auftreten im Film. Bei jeder noch so harten Frage und bei jeder noch so harten Reaktion des Zeugen, bleibt Lanzmann ruhig. Er zieht an seiner Zigarette und beim Ausatmen fragt er, wie hoch die Leichenberge waren.
Das ist weder kalt noch arrogant. Es ist die Haltung des Dokumentaristen gegenüber dem Wahnsinn, der längst vergangen ist, aber dessen Wunden nie geheilt werden können. Obwohl, will Lanzmann überhaupt, dass diese klaffende Wunde der Weltgeschichte, der deutschen Geschichte, je geschlossen wird? Ich denke nicht, es sei denn sie hinterlässt eine große Narbe, wie ein Mahnmal.

Wie bei einem herausragenden Dokumentarfilm üblich, beleuchtet der Regisseur alle Seiten der Medaillen. Juden, Polen, Historiker und Deutsche werden befragt. Gerade in den Interviews mit Deutschen, merkt man wie schwer die Wortfindung fällt. Ob die Frau eines Nazis oder ein Wachmann, alle haben das Problem den Holocaust in die Worte zu fassen, die sie wollen. Mal schwächen sie ab, mal werten sie auf, aber immer betonen sie ihre Unschuld und Unwissenheit, was bei einem der letzten Interviews schon zu einer Tortur wird.

Lanzmann bohrt tief mit der Schuldfrage und sieht die Endlösung nur als das Ende einer Reihe von kleinen Schritten an, die vom deutschen Volk, bei vollem Bewusstsein, gebilligt wurden. Wie man selbst dazu steht, sei dahin gestellt, unrecht hat Lanzmann aber nicht.
Erschreckend kommt zu Lanzmanns Untersuchung dazu, dass nicht nur die Ruinen der Todeslager überlebt haben, sondern auch das Gedankengut mit dem sie gebaut wurden.

Der Zuschauer, der wird allein gelassen mit diesen Berichten, mit den endlosen Fakten, zwischen Anzahl der Leichen und der Höhe der Bäume um das KZ, und muss Eigenverantwortung für sich und die Geschichte tragen.

Wertung: 9,5/10



"Shoah"
FR, 1985
Claude Lanzmann


Den Film gibt es jeweils in voller Länge auf 4 DVDs in einer normalen Box und in einer abgespeckten Studenten-Fassung.


CRASH


James Ballard ist Filmproduzent und treibt es mit einer Kameraassistentin. Seine Frau macht es mit ihrem Fluglehrer. Das Sexualleben der beiden ist am Nullpunkt angekommen. Monotonie und Kälte haben sich in die Beziehung eingeschlichen. Erst als James einen Autounfall hat, kommen neue Gefühle in ihm auf. Die Überlebende des anderen Autos Dr. Remington spürt dasselbe. Beide kommen in die Kreise von Vaughan, einem Besessenen, der den Crash als neue Form der Sexualität proklamiert.

Als Cronenbergs Film 1996 in Cannes uraufgeführt wurde, verließen Scharen von Leuten den Kinosaal und beschimpften den Film als langweilige Pornografie. Viele andere dagegen sahen in dem Film ein Meisterwerk. Die Jury bezog zu dieser Kontroverse Stellung, indem sie an den Regisseur einen Spezialpreis für Mut und Originalität verlieh.

David Cronenberg begann seine Karriere mit Horrorfilmen, meistens Genrehybriden zwischen Horror, Sci-Fi und Thriller, darunter auch Kritikererfolge wie „Videodrome“ (1983). Mit dem Remake „Die Fliege“ (1986) drehte er seinen erfolgreichsten Film. Zuletzt drehte er die Crime-Ballade „Tödliche Versprechen“ (2007).

Obwohl es sich um die Verfilmung eines Sci-Fi-Romans handelt, weicht Cronenberg bewusst Konventionen des Genres aus. „Crash“ spielt im hier und jetzt, im Jahre 1996.

Der Film verfolgt eine Gruppe von Menschen mit einer Obsession. Cronenberg geht es nur um diese Gruppe. Der Rest wird ausgegrenzt, in Autos gesperrt, die anonym den Highway entlang fahren, immer der Spur entlang, ohne auszubrechen. Ähnlich wie in den Filmen David Finchers, setzt Cronenberg auf einen hermetisch abgeriegelten Kosmos. Der Film spielt überwiegend in engen Autos, auf leeren Parkplätzen und Autofriedhöfen. Selbst das Krankenhaus in dem James am Anfang liegt ist vollkommen leer. „Diese Station ist für die Opfer von Flugzeugabstürzen reserviert“ sagt James an dieser Stelle.

Der Film will uns keinen ausführlichen Blick auf eine Utopie gewähren. Es scheint eher so, als hätte sich ein Teil dieser Utopie wie ein Splitter in der Gegenwart eingenistet, in Form dieser Gruppe von „Crashophilen“. Vaughan sagt zu James an einer Stelle des Films: „Das ist die Zukunft und sie sind bereits ein Teil davon“

Während Ballard noch in seinem Roman kritisch die Möglichkeit einer solchen Zukunft beäugt, ist sie bei Cronenberg schon längst vorhanden. Es lohnt sich überhaupt nicht sich kritisch mit ihr auseinander zusetzen, wenn die Zukunft schon längst zur Gegenwart geworden ist.

Deshalb setzt er in seinem Film auf das bloße Zeigen, anstatt auf eine distanzierte Betrachtung. Cronenberg versucht die Erlebnisse der Gruppe erfahrbar zu machen. „Crash“ ist Erfahrungskino. Die Kamera bleibt dicht bei den Figuren. Viele Nahaufnahmen und Inserts visualisieren das verbogene Metall, das zersplitternde Glas und die bluttriefenden Autositze. Bei den Fahrszenen nimmt die Kamera nie die Perspektive des Passanten ein, an dem die Autos vorbei fahren, sondern sie bleibt an den Autos dran, macht den Zuschauer zu einem Teil des Fahrerlebnis. Nachdem James Mitglied von Vaughans Gruppe wird, unterwirft sich auch die Handlung vollkommen dem Erfahrungskino. Ab hier wird der Film zu einer Aneinanderreihung verschiedenster Crash- und Sexszenen. Ab hier setzt Cronenberg komplett auf den Rhythmus, der vom Schnitt, der Geschwindigkeit der Autos und den kopulierenden Bewegungen der Figuren beeinflusst wird. Jede Szene erfährt eine Steigerung zur vorher gegangenen.

Crash“ ist auch ein exzellentes Beispiel dafür wie der auteur Cronenberg sein frühes Werk reflektiert. Der Film setzt sich ironisch mit der Transformation und Deformation des Körpers auseinander. Als James Vaughan nach seinem „Projekt“ fragt, antwortet Vaughan, dass es ihm um „die Umformung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie“ geht. Also das gleiche Thema wie in „Videodrome“ oder „Die Fliege“, wo die Hauptfigur am Ende sogar mit der Technologie verschmilzt. Doch ist „Crash“ nicht als ernsthafte Variation dieses Themas angelegt. Der Film bricht die Deformationsidee nach einiger Zeit, als Vaughan sein wahres Projekt erklärt. James fragt ihn dann was aus dem Deformationsgedanken geworden ist. Darauf antwortet Vaughan, beinah beleidigend für viele frühe Cronenbergfilme: „Das ist nur ein primitives Science-Fiction-Konzept.“

Was Vaughan wirklich prophezeit ist eine neue Form von Sexualität, die er Psychopathologie nennt. Es geht nicht mehr um Sex zwischen zwei Menschen, sondern um Sex zwischen Mensch und Maschine, in diesem Fall, dem Automobil. Der Koitus ist der Crash. Die sexuelle Energie der Verstorbenen wird dabei auf die Überlebenden übertragen und das schneidende Metall der Karosserie schlitzt neue Körperöffnungen in die Unfallopfer. Eine Szene im Film zeigt den Sex zwischen James und Vaughans Geliebter Gabrielle, die nur noch durch ein Gerüst aus Kunststoff und Metall zusammen gehalten wird. James entdeckt dabei Gabrielles riesige Narbe an ihrem Bein als neue Vagina. Auch die Trennung von Geschlechtern verschwimmt letztendlich. James hat später Sex mit Vaughan und Gabrielle und Dr. Remington haben am Ende Sex in Vaughans Unfallwagen.

Abschließend muss gesagt werden, dass, obwohl „Crash“ eine bizarre Obsession behandelt und diese sogar versucht erfahrbar zu machen, der Film nicht zu Todesgeilheit anregen will. Die Figuren wehren sich dagegen, dass man sich mit ihnen identifiziert und die fluorzierenden Bilder, die ständig vom Schatten des Todes bedeckt sind, verstören den Zuschauer zunehmend. Man will diese Zukunft nicht von der Vaughan spricht. Cronenberg lässt sie uns erfahren um uns vor ihr zu warnen.

Wertung: 10/10


"Crash"

CA, FR, GB, 1996

David Cronenberg

mit James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas


Die einzig erwähnenswerte deutsche DVD gibt es beim MCP-Label , das eigentlich nur Scheiß-DVDs produziert, doch hier anscheinend mal was richtig gemacht hat.


JURASSIC PARK


Das Film-Event der 90er ist, aus der Distanz betrachtet, nicht nur eine technische Pionierarbeit, sondern viel mehr das Meisterwerk des Blockbuster-Kinos.

Ein Milliardär hat eine Reihe von Experten auf seine Insel eingeladen, um sie mit dem Unvorstellbaren zu konfrontieren: Dank ausgefeilter Klontechnik zum Leben wiedererweckte Dinosaurier.

Man kann seine Augen nicht abwenden bei diesem Meisterwerk, dass ich bestimmt schon tausend mal gesehen habe und mitsprechen kann.
Ich liebe ja das europäische Kino und natürlich auch die Avantgarde, aber Spielbergs Dino-Thriller treibt mir immer wieder Staunen ins Gesicht. Er ist einer der guten Gründe warum Hollywood existiert und warum man sich nicht vor guter Unterhaltung fürchten sollte.

Die Handlung ist einfach und eine Art Abklatsch von Crichtons "Westworld". Sie ist nur Vehikel für eine Reihe von atemberaubenden Set-Pieces. Spielbergs Genie zeigt sich schon bei der Besetzung. Durch den Verzicht auf große Stars und durch den ausschließlichen Einsatz von Charakterdarstellern schafft er Nähe, da die Figuren authentisch gespielt werden und alle ihre kleinen Macken haben. Es wird ja oft auf den Figuren herumgestampft, ja wie flach sie doch seien. Die Zeichnung der Charaktere ist begrenzt, aber ausreichend. Spielberg nimmt sich viel Zeit am Anfang um die unterschiedlichen Figuren dem Zuschauer attraktiv zu machen. Dazu kommen die wohl besten Dialoge, die je in einem CGI-Blockbuster gesprochen wurden.

Um den ersten Saurier noch weiter hinauszuzögern präsentiert der Film zu Anfang auch seine Bio-ethische Fragestellung. Ob Leben kontrollierbar sei? Im Bezug auf die Klontechnik ist der Film für einen Blockbuster überraschend ausführlich und schafft es JEDEM die Idee vom Klonen zu erklären.

Sobald die Dinos von der Leine gelassen werden (und darauf hat der gierige Zuschauer gewartet) geht Spielberg gleich in die Vollen und wagt es den Zuschauer mit zwei Kindern allein im Wagen zurückzulassen, während ein T-Rex sein Interesse an der Karosserie bekundet.

Nach dem großen T-Rex-Beginn hört die Spannungsschraube aber nicht auf sich zu drehen. Jede darauffolgende Szene ist großes Suspense-Kino, was selbst Hitchcock nicht hätte besser machen können. Highlights sind die elektrisierende Kletter-Zaun-Montage und das Hide-and-Seek in der Edelstahl-Küche.

Im Gegensatz zu vielen anderen CGI-Blockbustern scheint JP nicht zu altern. Es ist erstaunlich wie gut sich die Effekte gehalten haben und wie bahnbrechend die Pionierarbeit damals war.
Krönender Abschluss dieser Tour-de-Force des Kinos ist die Filmmusik von John Williams, der mit seinem Score nicht nur Filmgeschichte geschrieben hat, sondern auch mit dem schönsten Walzer, der je in einem Thriller gespielt wurde, aufwarten kann. Harte Bläser, die Raptoren-Klänge intonieren, schnelle Streicher, die den nächsten Knall herbei musizieren. Hier sind Bild und Ton ein perfektes Paar.

Die eigentlichen Stars bleiben aber die Dinosaurier. Spielberg vertraut seinen Geschöpfen so sehr, dass er auf jedwede andere Ablenkung verzichtet. Ausgefeilte Kamerafahrten, expressives Lighting oder überschnelle Schnitte sucht man in JP vergebens. Hier sind die Computertricks das ausreichende Faszinosum und leider waren sie nie wieder so nützlich für die Erzählung wie in "Jurassic Park".

Wertung: 10/10 !


"Jurassic Park"
USA, 1993
Steven Spielberg
mit Sam Neill, Laura Dern, Jeff Goldblum


Den Film gibt es in bester Qualität in den unterschiedlichsten DVD-Editionen mit genügend Extras. Es bleiben praktisch keine Wünsche offen, bis auf die Blu-Ray-Fassung, die lässt noch auf sich warten.

DAYS OF HEAVEN



Nach diesem Film verschwand Terrence Malick für 20 Jahre und kehrte mit dem interessanten Film "Der schmale Grat" zurück, der seinen vorherigen 2 Filmen, u.a. "Days of Heaven" nicht ebenbürtig sein konnte.

Es ist die Geschichte eines kurzen Aufstiegs, aufgebaut auf einer Lüge, die gleichzeitig der Untergang ist. Es ist ein Melodram ohne spektakulären Plot und ohne klar erkennbare Spannung. Trotzdem befolgt dieser Film mit zynischer Konsequenz die Regeln des Genres. Denn es trifft immer das schlimmste ein.

Teilweise erinnert der Film an Malicks Erstling "Badlands". Beide Filme haben ein tiefen pessimistischen Grundton. "Days of Heaven" wird dagegen sogar nihilistisch. Denn was hier falsch oder richtig sein soll ist unerklärlich. Ein Urteil kann man sich genauso wenig über die Protagonisten erlauben.
Hier nutzt Malick die Regeln des Melodrams gekonnt für sich, in dem er die Determination der Figuren zum Thema erhebt. Einen Sinn im Leben, ein Ziel, eine Funktion sucht hier jede der Figuren, die Armen wie die Reichen. "Days of Heaven" schaffte es im Gegensatz zu "Badlands" mich wirklich zu berühren.
Das liegt zum einen an der zarten und desillusionierten Erzählerstimme des Mädchens, an Brooke Adams, aber am meisten an Sam Shepard. Nie hätte ich für möglich gehalten, was für ein Schauspieler er sein kann. Der Farmer ist keine besonders auffällige Rolle, ähnelt mehr dem passiven Zuschauer und doch ist er Dreh- und Angelpunkt der Handlung, bei dem man die Sehnsucht, das Leid und die Furcht vor dem Tod am meisten spürt, obwohl er nicht einmal davon spricht.

Zu Malicks besten Werk wird der Film allerdings erst durch die Kamera Nestor Almendros. Die Entscheidung der beiden Filmemacher, die Aussenszenen nur während der Magic Hour zu drehen, war ein Genie-Streich. Zum einen unterstreicht das Zwiellicht den schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit. Auf der anderen Seite betont das warme tiefstehende Licht auch die innere Kälte der Figuren, die wie dunkele Flecken mit langen Schatten durch die goldenen Kornfelder wandern.
Jede Einstellung ist etwas besonderes, auch wenn sie gar nicht danach aussieht. Die Topografie, die Weite, das riesige Farmerhaus winzig am Horizont, das im Wind wehende Korn, die erschreckenden Bilder der Heuschrecken.

Malick benötigte 2 Jahre für den Schnitt und noch heute ernähren sich Filmemacher von seiner Melo-Ballade, u.a. P.T. Anderson für "There will be Blood".
"Days of Heaven" ist das schönste, poetischste und gleichzeitig pessimistischste Melodram aller Zeiten!

Wertung: 10/10


"In der Glut des Südens"
USA, 1978
Terrence Malick
mit Richard Gere, Brooke Adams, Sam Shepard


Die deutsche DVD bietet leider keine Extras, dafür aber eine gute Bild- und Tonqualität. Der Originalton ist glücklicherweise vorhanden, trotz der gelungenen Synchronisation.
Importwilligen rate ich aber zur US-DVD des Edel-Labels Criterion. Seit März gibt es da sogar eine Blu-Ray-Version des Films. Wer einen Region-A-Player besitzt, sollte sich von dem hohen Preis nicht abschrecken lassen. Für diesen Film wurde die Blu-Ray erfunden!
Einen Vergleich der verschiedenen Versionen findet man hier.