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Sonntag, 22. April 2012

EXISTENZ



Nach Fassbinders „Welt am Draht“, zeitgleich mit „Matrix“ und lange vor „Inception“ erschienen, zeigte uns David Cronenberg seine Vision virtueller Welten.

In der Zukunft sind die Designer interaktiver Spiele an der Macht. Spieler messen sich in einer VR-Welt, die von der realen Welt kaum noch zu unterscheiden ist. Eine Game-Community trifft sich in einer abgelegenen Kirche, um das neueste Spiel von Designerin Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh) zu testen. Doch dann versucht jemand die berühmte Spieledesignerin zu töten. Sie flieht zusammen mit dem unerfahrenen Marketingpraktikanten Ted Pikul (Jude Law).

Man sollte schon mal ein Videospiel gespielt haben, um den Detailreichtum in „eXistenZ“ überhaupt überblicken zu können. Cronenbergs langjährige Production Designerin Carol Spier hatte sichtlich Spaß an diesem Film und schuf bizarre Welten, Level und Räume. Jude Laws Figur Ted Pikul urteilt einmal über die Welt im Film „Das ist alles so grotesk.“ und gibt damit zu verstehen, dass er das künstliche entlarvt hat.

Während die Realität ein Ort der Willkür ist, dessen Sinn und Bedeutung der Mensch erst durch seine kognitiven Fähigkeiten verstehen muss, wo er vielleicht sogar Bezüge herstellt, die gar nicht existieren, da geht der virtuelle Raum respektive das Leveldesign eines Videospiels den umgekehrten Weg. Diese Welten sind nicht willkürlich erschaffen worden, sie folgen einer inneren Logik. Ihre Gestaltung folgt Mustern. Dementsprechend nimmt die virtuelle Welt bereits die kognitiven Fähigkeiten des Subjekts in ihm vorweg. Dieses Paradox nimmt der gesunde Geist sehr schnell wahr, weshalb Ted Pikul zum Schluss kommt „Das ist alles so grotesk.“

Darin erscheint nicht nur ein Dilemma virtueller Welten, sondern aller Künste, welche die Realität als Vorlage haben, das Kino zum Beispiel. Das Gleichnis zwischen der Gamedesignerin und dem Regisseur zwingt uns der Film förmlich auf und Allegra Geller wird dadurch zum ersten weiblichen Alter Ego Cronenbergs. Ähnlich wie Geller sich im Film zahlreicher Gegner ihrer Kunst stellen muss, so ist auch Cronenberg in seiner Karriere mit vielen Zensoren aneinander geraten.

Nichtsdestotrotz erscheint der Konflikt Kunst und Realität das eigentliche Hauptthema von „eXistenZ“ zu sein. Die Frage ist: Führen virtuelle Welten zu einer neuen kopernikanischen Wende? Denn inwieweit und vorallem wie lange kann Ted Pikul sich noch sicher sein, dass er sich in einem künstlichen Raum befindet? Beim Filmemachen, wie auch beim Videospielkreieren geht es darum das Unglaubwürdige glaubhaft zu machen. Wann hat sich Pikuls Verstand daran gewöhnt, dass die Welt um ihn herum grotesk ist? Wie kann er sich dem noch sicher sein, wenn seine kognitiven Fähigkeiten zunehmend verkümmern und die Welt das Denken übernimmt?

Cronenberg wurde vielfach Kultur-, Wissenschafts- und Medienpessimismus vorgeworfen. In Wahrheit sind seine Filme weder pro noch kontra, auch in „eXistenZ“. Während in „Matrix“ oder später „Inception“ der Realitätsverlust stets negativ betrachtet wird, stellt Cronenbergs Film unverhohlen die Frage, wofür man die Realität überhaupt noch bräuchte. Die meisten Figuren in „eXistenZ“ spielen diese Spiele nicht um sich gefangen nehmen zu lassen, sondern um frei zu sein. Die Realität hat nur den Sinn, den ich ihr gebe und selbst dann weiß ich nicht ob ich richtig liege. Ein Videospiel belohnt dich dafür, dass du den richtigen Sinn erkannt hast. Es geht weiter. Dementsprechend folgt der Spieler der Logik des Spiels, denkt was das Spiel denkt und handelt wie der Schöpfer es will. Nicht ohne Grund wird Allegra Geller von manchen Fans als Gottheit verehrt und wiederum gibt es andere Gruppierungen, die in ihr eine Dämonin sehen. Hier geht es um einen Glaubenskrieg. Falls Gott unsere Welt erschaffen hat, brauchen wir sie jetzt nicht mehr. Wer direkt in den Himmel will, braucht nur die Konsole anzuschalten. Das gilt auch für die Hölle.

Innerhalb von Cronenbergs Werk nimmt „eXistenZ“ eine Sonderstellung ein. Nach dem reduktionistischen „Crash“ und vor dem sanften „Spider“, wirkt „eXistenZ“ wie der Nachruf zu Cronenbergs Frühwerk, wie der späte Abschluss einer Trilogie, die mit „Videodrome“ und „Naked Lunch“ begann.

Vielleicht lag es auch an der Jahreszahl 1999, dass Cronenberg sich auch das erste mal zu einer wirklichen Zukunftsvision hinreißen ließ. Alle seine anderen Sci-Fi-Filme spielen praktisch in der Gegenwart, da ihre wissenschaftlichen Novi nicht Teil einer gesellschaftlichen Utopie sind. Anders als in „eXistenZ“, wo die Erfindung virtueller Welten zu einem neuen Religionskrieg geführt hat.

All das konnte man noch nicht vorhersehen, doch das neue Jahrtausend ist geprägt durch „Ismen“ und Glaubenskonflikte, Wirtschaftskollaps und Umweltzerstörung. Unsere heutige Welt ähnelt einem Super-Mario-Level indem es darum geht möglichst oft in einen Abgrund zu springen. Wo wir wieder bei Kant wären, eine Nebenwirkung der Aufklärung vielleicht? Warum also sollte man sich nicht wieder in die Unmündigkeit begeben? Wir flüchten einfach in virtuelle Welten, die man nicht kaputt machen kann, wo man niemanden wirklich verletzt und die einem trotzdem das Gefühl geben Ziele zu erreichen, die von Belang sind, solange man fest genug daran glaubt. Unser realer Körper bleibt einfach liegen und kann niemandem etwas antun. Er vegetiert einfach vor sich hin und lässt die Welt in Frieden, die sowieso nicht für ihn geschaffen wurde. Ist das grotesk? Am Ende von „eXistenZ“ stellt jemand eine einfache, aber weitreichende Frage: „Sind wir noch im Spiel?“ In Zukunft wird die Antwort lauten: Wen kümmert's?

Wertung: 8/10

"eXistenZ"
US 1999
David Cronenberg
mit Jennifer Jason Leigh, Jude Law, Ian Holm

Donnerstag, 1. März 2012

THE FLY


Die Angst vor dem Tod, die Angst sich zu verändern - David Cronenberg begegnet in seinem bekanntesten Film diesen Ängsten auf neugierige und radikale Weise.

Seth Brundle lernt Veronica auf einer Veranstaltung kennen. Er zeigt ihr seine Entwicklung, eine Maschine, die Teletportation ermöglicht. Sie beginnt seine Arbeit zu dokumentieren. Beide kommen sich näher. Als Seth einen Selbstversuch unternimmt, gelangt eine Fliege mit in die Telebox. Die Gene Seths und der Fliege werden vermischt. Erst scheint alles normal. Seth fühlt sich stärker, aktiver und vitaler, doch dann beginnt der Zerfall und die Verwandlung.


In der bekannten "The Fly"-Hommage der Serie "Die Simpsons" tauscht Bart mit einer Fliege Körper und Kopf, ganz wie im Originalfilm von 1958. Kopf und Körper, also Verstand und Physis, Seele und Fleisch, klar getrennt und nicht vereinbar. Der Mensch mit dem Fliegenkopf, riesengroß, aber mit dem Geist eines Insekts gestraft. Der Fliegenkörper mit menschlichen Kopf, winzig klein, aber mit riesigem Verstand. All diese Abgrenzungen und Äußerlichkeiten gibt es in Cronenbergs Neuverfilmung nicht. Das ist kein Remake, noch nicht mal eine Neuadaption der Geschichte von George Langelaan oder Franz Kafka. Das ist ein komplett neuer Film, eine neue Herangehensweise und Interpretation.

"Die Fliege" wurde David Cronenbergs letzter klassischer Body-Horror-Film. Einer der Gründe mag sein, dass er sich am Genre genug abgearbeitet hat. Selbst "The Fly" kann man schlecht als simplen Horrorfilm bezeichnen. 2008 hatte sogar eine Opernadaption in Paris Uraufführung, was klar stellt, der Film besaß bereits diese Qualitäten. Cronenberg erzählt eine Liebestragödie vor phantastischem Hintergrund. "People in a room talking" so betitelte der Regisseur einst seinen Film. Es gibt die typische Dreiecksbeziehung zwischen der Frau, ihrem alten und ihrem neuen Liebhaber und dann ist da noch die Idee der schief gelaufenen Teleportation mit einer Stubenfliege. Warum erzählt Cronenberg nicht nur eine Liebesgeschichte? Warum erzählt er nicht nur vom Drama des Zerfalls? Wozu noch dieser ganze Überbau an Hybris und Science-Fiction, Ekel und Gewalt? Ganz einfach, weil man es kann, weil dieser Filmemacher es kann und weil ein abendfüllender Spielfilm Raum für mehr als zwei Konflikte bietet. Es war wohl auch die inhaltliche Üppigkeit von „The Fly“, die ihn zur Oper werden ließ.

Die Verwandlung von der Cronenberg erzählt ist vielfältig. Sie ist nicht nur genetisch und äußerlich, sondern auch psychisch und persönlich. Geist und Körper, was im Original noch getrennt schien, ist nun eins, wie in allen Filmen des Kanadiers. Der Kritiker Rolf Giesen bezeichnete den Film als antimenschlich und dachte ernsthaft über ein nötiges Verbot nach. Klar ist, dass Cronenberg keine Scheu davor zeigt den Menschen „neu“ zu denken. Genauso wenig verurteilt der Regisseur die Verwandlung seines Protagonisten. Seth Brundle, ein Genie ohne Privatleben, der wie Einstein stets die gleiche Kleidung trägt, verliebt sich in die abgebrühte Journalistin Veronica Quaife. Allein da setzt schon die Verwandlung ein. Der Wissenschaftler wird zum Liebhaber. Auf ihren Exfreund reagiert er mit Eifersucht. Seth trinkt zu viel, wagt einen Selbstversuch und bemerkt nicht die Fliege in seiner Kabine. Seth, so lautet auch der Name des ägyptischen Gott des Chaos. Bedeutungsvolle Namen sind ein Markenzeichen Cronenbergs. Das genetische Chaos führt im ersten Moment zu besonders positiven Eigenschaften. Brundle ist ungemein sportlich, braucht kaum noch Schlaf und fühlt sich unglaublich. Er verspürt eine unstillbare sexuelle Lust, neigt zu Hysterie und Aggressivität, alles Eigenschaften, die dem Nerd Brundle fehlten. Auch als der Zerfall seines Körpers beginnt und Cronenberg auf Fälle von Krebs, ja sogar Aids anspielt, kann Seth seinem Schicksal noch etwas positives abringen. Was Rolf Giesen als antimenschlich bezeichnete, ist eigentlich nur menschlich. Brundle klammert sich an sein Leben, nie verliert er die Hoffnung und bis zu einem gewissen Punkt auch nie seine Humanität.

Die Schönheit des Films liegt in der Achtung von Seths Schicksal. Stets bleibt der Mensch hinter all dem Ekel sichtbar. Auch das Cronenberg die Liebesgeschichte bis zum Schluss ernst nimmt, zeugt von großer Stärke. Schnell hätte der Film ins lächerliche abrutschen können. In einer Szene sinniert Jeff Goldblum unter dickem Make-Up über das Mitgefühl von Insekten und will seiner Geliebten klar machen, dass die Fliege in ihm die Überhand gewinnt und sie nun gehen muss um nicht verletzt zu werden. Selten hat Cronenberg etwas ergreifenderes auf die Leinwand gebracht. Allein wenn man sich überlegt wie albern diese Szene sein könnte. Durch die düstere Kamera Mark Irwins, die schummrige Musik Howard Shores und das Spiel der beiden Hauptdarsteller wurde daraus aber der Höhepunkt des ganzen Films.

Im eigentlichen Finale treibt Cronenberg seine Tragödie auf eine fast schon absurde Spitze. Veronica ist schwanger mit Seths Baby. Brundle will wieder menschlicher werden und baut seine Teleportationsmaschine zu einem Gene-Splicer um. Er will mit seiner Geliebten und ihrem Kind verschmelzen. Die perfekte Familie, „drei Individuen in einem Körper“. Brundle hat keine Angst davor. Er hat vor gar nichts Angst. Auf dem Poster von „The Fly“ steht „Be afraid, be very afraid“, doch eigentlich will uns Cronenberg die Angst nehmen. Also das komplette Gegenteil vom Ziel eines Horrorfilms. In naturalistischen Darstellungen zerlegt er unsere Körper, lässt Ohren abfallen und Arme brechen. Zeigt uns Beine, die mit Säure verätzt werden und dennoch steckt dahinter nicht der Voyeurismus eines Gorehounds, sondern eine Bewusstmachung der Verletzlichkeit unseres Körpers. Es ist ein Gefäß, was leicht zerbrechen kann. In seinem darauffolgenden Film „Dead Ringers“ wird sogar von der Schönheit des Körperinneren gesprochen. In einer Szene in „The Fly“ wird das Innere eines Pavians nach außen gekehrt. Der Ekel vor unserem eigenen Körperinneren. Cronenberg macht uns klar, die Haut ist nichts anderes als eine willkürlich gesetzte ästhetische Grenze hinter der sich ein weiteres Ich verbirgt, was dann am Ende von „The Fly“ buchstäblich ausbricht.

Wie gehst du damit um, wenn dein Partner schwer krank ist, wenn sein Ende nahe scheint oder die Krankheit ihn soweit verändert, dass er nicht mehr der ist, in den du dich verliebt hast? Im Kern verhandelt Cronenberg diese Fragen. Krankheit und Tod, existenzielle Probleme, von denen wir ungern was wissen wollen und die uns klammheimlich in Form einer Stubenfliege mit in die Telebox der Unterhaltung und Genrespielerei geschmuggelt werden.

Wertung: 9,5/10


"Die Fliege"
US 1986
David Cronenberg
mit Jeff Goldblum, Geena Davis, John Getz

Montag, 19. Dezember 2011

2001 - A SPACE ODYSSEY


Der folgende Text stammt nicht von mir und trotzdem poste ich ihn, weil ich finde, dass er auf eine unvergleichliche Art beschreibt, was Kubricks Meisterwerk so zeitlos und wichtig macht. Viel Spaß beim Lesen!


"
Irgendwann in den (relativ frühen) Neunzigern :

Meine Hose hatte Löcher, mein Plattenteller trug die UK Subs und meine langen Haare trugen Flanellhemden.
Etwas später faszinierte mich ein mit nur noch wenig Fleisch behangenes Skelett namens Eddy, und aus den UK Sub wurde Maiden, aus Flanell wurden Nieten.
Das war, bevor ich die Mannen um Eddie Vedder entdeckte, genauso wie deren Vorbilder, dann die ganze Krautrockkultur (inclusive deren musikalische Brandsatzbeschleuniger auf Chemieebene).
Irgendwann erwischte ich mich auch noch dabei bei `block rockin beats`mitzunicken, und da beschloß ich still und heimlich, das diese ganze Sub-Genre-Nischen-Bildung mit all ihren Einschränkungen und Kategorisierungen doch eigentlich Mist sei.
Ganz egal, welche Nische man damit meint, sie engen immer ein.
Man schreit da nur angestachelt „Nonkonform !“ und „Fuck da Mainstream !“ und rennt dann doch nur in den selben Stammesfarben und Trachten rum, wie Zehntausend andere Idioten.
Und wehe man stellt mal was in Frage – darf man nicht – ausbrechen sowieso nicht, dann gibt’s ganz dumme Blicke, und kein Freibier mehr, und man müffelt dann so verdächtig.
Jugendbewegungen haben nur einen einzigen Zweck : Gemeinschaft, Gegen-Gemeinschaft, sich in dieser komischen Welt als Heranwachsender zurecht und Halt zu finden.
Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden !
Und jede neue Generation wird sich wie die Erstgeborenen fühlen, und die selben Spiegel und Konvention zu Brei schlagen wie ihre Elterngeneration....um sich dann später doch um den Hausrat und die Zinsen zu kümmern.
Ich sitze in meinem kleinen Zimmer, mit Ausblick auf eine ungebrochene Horizonzlinie und schreibe darüber – oftmals nur vergessenswürdige Schülerpoesie.
Es ist genau Neunzehnhundertzweiundneunzig...der Ruf von 2001 eilte der Erstsichtung dieses Filmes meilenweit vorraus.
Man, war ich enttäuscht.
So öde, so lang.So weilig.
In meinem Spiegel sitzt ein Fünzehnjähriger und grinst mich an.
Ich werfe einen Fußball in den Himmel.....
....
....und fange ihn als Herman-Hesse-Buch wieder auf.
Es ist Neunzehnhundertneunundneuzig.
2001 ist immernoch öde, aber besser.
HAL rockt, und das Ende hinterlässt eine merkwürdige, befremdliche Dauerschleife.
Wann immer ich an diesen Film zurückdenken werde, werde ich zuallererst das Ende sehen.
Die Subkultur-Grenzen sind in mir inzwischen gänzlich aufgeweicht, und neben Bob Marley steht Björk und Bolt Thrower im CD-Schrank.
Die letzten Schallplatten haben sich in einer Art Milleniums-Furcht und MP3-Player-Vorahnung schon unlängst auf Flohmärkten verdrückt (ICH ! DEPP!!!).
Ich schreibe immernoch, und die Fragen sind die selben :
Was zieh ich an, so ganz ohne Kuttenzwang ?
Und wer bin ich dann ?
Wer will ich wirklich sein ?
Janis singt „Freedom is just another word for nothing left to loose“ und zerstört Teenageridylle.
Ich fühle mich Heimatlos, und zum ersten Mal, ohne es in Worte fassen zu können, den Sternenhimmel nicht als wunderbare Photopostkarte, sondern als Verwantwortung und Zumutung.
In meinem Spiegel sitzt ein Zweiundzwanzigjähriger und grinst mich trotzdem an.
Ich werfe meine Hesse-Buch in die Luft........
...
.....und fange es als Kondolenzbuch wieder auf.
Es ist Zweitausendundzwei und meine Großmutter hat vor kurzem ihre eigenen Innerein ausgekotzt.
Wir wohnen jetzt fest in ihrem Haus, das sie uns hinterlassen hat, und ich arbeite seit kurzem.
Ich bin weder Popstar noch Rebell noch Literat noch Weltenretter oder wenigstens Astronaut geworden – fürs erste Schrubbe ich in erstaunlicher Höhe Leuchttürme.
Not for the fame, just for the money.
Aber die Aussicht ist gut – und die Ruhe.
Weg von Drama und Betroffenheit und zuviel geheuchelter Verwandschaft.
Selbst die identitätsstiftende Musik tritt hier in den Hintergrund.
Macht Platz für einen Mann names Lynch, für LOST HIGHWAY, einen Film der mich in Mark und Bein getroffen hat.
Seitdem schaue ich auf meine Filmsammlung, und sie ödet mich an.
Seitdem schaue ich auf mich selbst, und öde mich manchmal an.
Ich sehe mich, im Vollrausch, wie ich einmal ein Polizeischild randalierte.
Ich sehe mich, völlig bei Bewußtsein, an diesem hohen Aussichtspunkt baumeln.
Und ich denke mir : Wenigstens sind deine Haare noch lang, und deine Musik noch laut !
In meinem Spiegel sitzt ein Fünfundzwanzigjähriger und schaut mich fragend an.
Ich werfe einen Schwamm in die Luft...
...
..und fange ihn als Zugfahrkarte wieder auf.
Es ist Zweitausendundfünf, und nach einigen gescheiterten, anderweitigem Versuchen wird aus einer Fernbeziehung langsam ernst.
Erst große Liebe, dann zusammenziehen, dann da zusammen alt werden.
Niemand will auf Dauer sechs Stunden Zugfahrt, jeder will auf Dauer weg von Hotel Mama und hin zu neuer Nestwärme.
Das einzige, das auf Dauer die verlorenen Jugendideale ersetzt, und wenigstens zeitweise die ewigen Fragen abtötet.
Ich hatte schon vor Ewigkeiten den Fernsehr abgeschafft – sie schuf ihn wieder an.
Musik lief vornehmlich auf Zimmerlautstärke – und oftmals war es ihre, also keine gute !
Ich entdeckte eine, für mein Alter, beunruhigende Anzahl grauer Haare.
Ich war ein Nachtmensch, sie ein Vielschläfer.
Mein Biorhytmus lag in Scherben.
Und in einer der Nächte, in der ich da lag, neben mir, und neben ihr, wo sie mir im Schnarchen Geschichten davon erzählen konnte, wer sie war, und wie sie hierher gekommen war, in der ich mich fragte, ob es das alles wert gewesen sei, da flimmerte 2001 plötzlich über die leise gedrehte Mattscheibe.
Guter Film !
Der Film hatte genausoviele Fragen wie ich, und genauso wenig Antworten, aber er hatte einen Ersatz dafür gefunden, etwas was mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen fehlte : eine Utopie !
Manchmal wünschte ich mir immernoch heimlich, ich wäre Lemmy Kilmister.
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszenjähriger und fängt an mich hämisch auszulachen.
Es tut weh.
Ich werfe die Fernbedienung nach ihm...
..
...und fange sie selbst als Ehering wieder auf.
Es ist jetzt Zweitausendundelf.
Der Himmel über mir ist immernoch eine verdammte Zumutung.
Aber das ist alleine einschlafen inzwischen auch.
Wir haben den Orbit um unseren Planeten inzwischen mit allerlei Müll zugerammelt, um dieser Zumutung zu trotzen, um vielleicht andere Sterenkinder zu finden, um dem Nichts ein Etwas entgegenzusetzen.
Meine Frau hat derweil den Orbit um unser Bett mit Taschentüchern und Haargummis zugemüllt, und ich kenne inzwischen die ganze Crew von GREYS ANATOMIE beim Vornamen.
Dafür spielt sie inzwischen Videospiele und kennt Lynch genauso wie Trier.
Die Evolution in unserer Beziehung ist nicht zu übersehen.
Es wird nicht von Dauer sein, das weiß ich.
Selbst wenn das Leben, und wir es gegenseitig gut mit uns meinen, haben wir noch maximal vierzig-fünfzig Jahre, bis wir zu Sternenstaub werden.
Aber innerhalb dieser Zeit, das weiß ich jetzt, haben wir wenigstens etwas, das haltbarer ist als Teenagerträume und Nischenrebbelion.
Eine Utopie !
Inzwischen sogar : Ein Kinderwunsch.
Und was ist dieser Wunsch denn, außerhalb der biologischen Ebene, wenn nicht ein Hoffen und Verewiglichen, ein Weitergeben, und Vorrausblicken – kurz : das fleischgewordene Ergebnis einer Utopie.
Und 2001 ?
2001 - das weiß ich inzwischen - ist eines der größten menschlichen Werke, das außerhalb der Reproduktion, jemals der schnöden Unendlichkeit entgegengeworfen wurde.
Es exestiert monolithisch, bis heute, und trotz dem stummen Himmelszelt.
Es schreit :
“Hier steht ein Mensch ! Er denkt, er kotzt und er fühlt und er flucht ! Er ist das beste und schlimmste, was du schweigender Scheißhaufen von einem Universum jemals hervorgebracht hast.Und es ist ihm inzwischen egal, ob du mit ihm reden willst oder nicht, denn er hat längst seine eigenen Gespärchs und Antwortpartner gefunden ! In sich selbst ! In anderen ! In der beständigen Hoffnung auf nichts als die Hoffnung.“
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszehnjähriger und lacht mich aus.
Doch er verblasst langsam und stetig.
Wahrscheinlich weil ich ihm glaubhaft versichert habe, das er sich jetzt verpissen kann.
Sein Film und Musikgeschmack war sowieso scheiße !"


Ich danke dem Urheber für diesen schönen Text.



Meine Wertung: 10/10 !



"2001 - Odyssee im Weltraum"
US 1968
Stanley Kubrick
mit Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester

Donnerstag, 6. Oktober 2011

MELANCHOLIA


Nachdem in zahlreichen Filmen, die Bosheit des Menschen bewiesen wurde, macht sich Lars von Trier auf uns endgültig zu vernichten. Doch was kommt danach?

Justine und Michael feiern ihre Hochzeit, doch das Glück wird von einem außer Kontrolle geratenen Planeten überschattet, der auf die Erde zu stürzen droht. Darüber hinaus wird das sowieso bereits angespannte Verhältnis zwischen Justine und ihrer Schwester Claire an diesem Tag auf eine schwere Probe gestellt.

„Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“, gäbe es einen passenderen Untertitel für Lars von Triers neuen Film? Leider ist er schon vergeben. Caspar David Friedrich schuf bereits ein gleichnamiges Gemälde, dass eben Mann und Frau den Mond betrachtend zeigte. Die Figuren in „Melancholia“ starren auch oft in den Himmel. Sie erblicken aber nicht den Mond, sondern einen mysteriösen Planeten, der unausweichlich auf die Erde zusteuert. Die Ängste sind die gleichen. Faszination und Furcht, irrationale Gefühle, der Mond ist deren Symbol, Melancholia ihre absolute Manifestation.

Von Trier schwelgt in der deutschen Romantik, lässt in einem sieben minütigen Prolog malerische Tableaus zu Wagners Klängen tanzen und verliert sich fast in der Unendlichkeit seiner Zeitlupen bis zur CGI-Kollision der zwei Planeten. In nur einem Wimpernschlag verschwindet unser schöner blauer Planet. Was Kubrick einst noch mit Strauß feierte, findet durch Wagner seine Vollstreckung. Das Vorspiel aus „Tristan und Isolde“ wird das einzige Musikstück des Films bleiben und einem immer wieder begegnen, seinem zarten Schrecken tut dies allerdings keinen Abbruch.

Schmerz durchzieht den neuen Film des streitbaren Dänen auf eine unnachahmliche Weise. Er ist nicht körperlich wie in „Antichrist“ oder moralisch wie in „Dogville“. Das erste Mal in Triers Werk kennen seine Schmerzen keine Ursachen. Sie sind einfach da. Es fühlt sich an wie Melancholie oder auch Depression, letztendlich ist es dieser berüchtigte Weltschmerz, der die Seelen zweier Schwestern packt. Der Weltuntergang erscheint dadurch fast nur wie ein Symptom.

Justine zerbricht am Prozedere ihrer Hochzeit und kann ihr Schauspiel nicht aufrecht erhalten. Die Depression lässt sich nicht mehr verdrängen. Der grundlose Schmerz sticht. Das erste von zwei Kapiteln in Triers Film beschäftigt sich ganz mit dem Ausbruch dieses Schmerzes. In einer wunderbar fatalistischen Aufstellung von Familienszenen, die in den besten Momenten an Vinterbergs Meisterwerk „Festen“ erinnern, entblättert der Autor seine Figuren bis sie alle nackt vor einem stehen. Die Besetzung ist makellos. Wie soll es auch anders sein?

Was Lars von Trier gelingt ist ein direkter Draht zwischen Justine und dem Zuschauer. Wie soll man Verständnis für dieses unvernünftige Gefühl der grundlosen Traurigkeit schaffen? Lässt sich Melancholie transzendieren? Friedrich wusste wie. Trier übersetzt es in bewegte Bilder.

Erst im zweiten Kapitel gibt sich „Melancholia“ als Endzeit-Film zu erkennen. Justines Depression hindert sie bereits an den einfachsten täglichen Aufgaben. Ihre scheinbar gefestigte Schwester Claire kümmert sich aufopferungsvoll um sie, doch auch sie verspürt Angst. Am Himmel leuchtet ein Planet heller als alles andere. Selbst der Mond ist keine Konkurrenz. Auch ihr Mann schaut hinauf, allerdings aus Neugier. Beide betrachten den riesigen Himmelskörper mit ganz unterschiedlichen Gefühlen.

Lars von Triers Weltuntergang ist unausweichlich und dennoch hofft man bis zuletzt, dass er überwunden werden kann, eben weil uns Hollywood jahrzehntelang gelehrt hat: Die Apokalypse ist verhinderbar und wenn nicht, dann gibt es wenigstens ein Leben danach, eine letzte Hoffnung sozusagen. Doch bereits im Prolog wurde uns doch klar gemacht: Es gibt kein Danach, nur ein Davor. Wie lebt man nun in diesem Davor? Triers apokalyptische Träume drehen sich einzig um die Gefühle seiner Figuren. Niemand ist da, der die Welt retten könnte, noch nicht mal Kiefer Sutherland vermag das. Es gibt keine Pläne, keine Ansprachen von Präsidenten und keine Wissenschaftler vor Videoleinwänden, wie schon oft gesagt, keine Hoffnung.

Claire will es nicht wahr haben. Sie verneint den Weltuntergang bis zuletzt. Ihr Schmerz ist so klar, als könnte man ihn anfassen. Ihre Souveränität weicht einer Handlungsunfähigkeit, die ihrer Schwester nicht unähnlich scheint. Doch Trier kippt das Verhältnis der beiden erheblich. Justine ist im Angesicht Ragnaröks im Vorteil. Ihre Welt ist bereits untergegangen. In einer brillant gespielten Szene diskutieren die beiden Schwestern über das Ende der Welt. Während Claire sich an die Möglichkeit des Überlebens klammert, entgegnet Justine kühl, dass es niemanden interessiert, wenn die Menschheit verschwindet. Wir sind allein im Universum und keiner wird um uns weinen.

Das große Dogma des Sci-Fi-Films „Wir sind nicht allein.“ verkehrt Trier hier ins komplette Gegenteil und schafft einen nihilistischen Gedanken, der sich tief in den Kopf gräbt und die wissenschaftlichen Vorstellungen von parallelen Welten und fremden Leben wie religiöse Jenseitsträume wirken lässt. Wie der Himmel aussieht ist doch ziemlich egal, es gibt ihn trotzdem nicht.

Der Zuschauer glaubt trotzdem nicht daran. Vielleicht liegt es daran, dass Trier seinen Film „nur“ in zwei Kapitel geteilt hat, egal. Sobald Melancholia auf das Publikum eingestürzt ist, erscheinen die Credits und trotzdem keimte bei vielen die Hoffnung oder die Angst der Film würde noch weitergehen. Warum sollte er das? Warum sollte jemand überleben? Gibt es kein klareres Ende als der Tod aller? Dieser unbeirrbare Glaube an ein Jenseits könnte ja schon fast als Gottesbeweis angesehen werden.

Ich frage mich schon woran der Mann und die Frau auf Friedrichs Bild denken. Glauben sie der Mond würde auf sie einstürzen oder lässt sie der Himmelskörper von einer anderen Welt träumen? Nun gut, vielleicht lindert das weiche Licht auch nur ihren Schmerz darüber nicht zu wissen was wirklich passiert, wenn es vorbei ist.

Wertung: 8/10


"Melancholia"

DK 2011

Lars von Trier

mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland

Dienstag, 24. Mai 2011

NEVER LET ME GO


Die schöne neue Welt liegt in Mark Romaneks drittem Film im England des vergangenen Jahrhunderts. Die ungewönliche Perspektive erlaubt einen hoffnungsvollen Blick in die kurzlebigen Herzen dreier Heranwachsender.

Kathy, Tommy und Ruth wachsen in Hailsham auf, eine Art Internat in einer idyllischen Hügellandschaft irgendwo in England. Sie wissen alerdings nicht, dass sie nur leben um später als menschliche Ersatzteillager zu dienen.


Utopien müssen nicht dringend in die Zukunft gelegt werden. Es ist sowieso ein offenes Geheimnis, dass Filme wie "Minority Report" oder "THX" mehr über die Gegenwart ihrer Entstehung erzählen als über den ernsthaft überlegten Fortgang der Menschheitsgeschichte spekulieren. Die Verfilmung von Kazuo Ishiguros Besteller "Never Let Me Go" verlegt seine Handlung deswegen umso wirkungsvoller in die Vergangenheit. Was auf den ersten Blick wie eine Verschlimmbesserung wirkt, bietet im Vergleich zu einer Gegenwartshandlung eine Vielzahl an neuen Überlegungen.

Mark Romaneks Film beginnt in den 50ern, einem Jahrzehnt großer wissenschaftlicher Errungenschaften und erhöhter Forschungsgläubigkeit. Die historische Lesart kommentiert die Gegenwart schärfer, da man eher dazu geneigt ist, begangene Fehler nicht ein zweites Mal zu machen, anstatt noch nicht begangenen entgegen der Neugier zu widerstehen. Auf der anderen Seite kann sich das Sub-Genre der Utopie so auf unscheinbare Weise vom unbeliebten Über-Genre des Sci-Fi emanzipieren, denn wissenschaftliche Novi sind hier nur in ihrem gesellschaftlichen Kontext interessant, nie als technische Konzepte.

Allein darin beißen sich Geschichts- und Zukunftsbild, denn Klontechnik und Organspenderschulen gehören nicht in unser Bild der 50er Jahre. In Romaneks Film erzeugt dieser Bruch eine Art Verfremdungseffekt. Uns wird weder eine Vision der Zukunft präsentiert noch eine wissenschaftliche Ausführung. "Never Let Me Go" gibt uns somit nie die Gelegenheit, dass wir uns von den Figuren und ihrer Geschichte ablenken könnten, hält unseren Blick aber auf einer natürlichen und kritischen Distanz um die Inhumanität der Filmwelt zu begreifen. Zuerst kommt man aber gar nicht auf den Gedanken, dass Romanek und sein Team irgendein Interesse daran hätten. Adam Kimmel lässt seine Kamera melancholisch durch die Sets gleiten. Jeder Lichtstrahl ist an seinem Platz und Rachel Portmans Kammermusik-Score legt sich wie süßer Sirup über jedes Bild.

Alles ist von einer friedlichen Ruhe durchzogen, als gäbe es keine Probleme, doch unter der schönen Oberfläche brodelt es mächtig. Sobald die junge Lehrerin -immer magisch Sally Hawkins- widerechtlich den Kindern von ihrem vorbestimmten Schicksal erzählt, legt sich ein Leichentuch über den Film. An diesem Zeitpunkt ist die Filmhandlung noch nicht weit fortgeschritten und so wird der Zuschauer gezwungen den Rest des Films mit Todgeweihten zu verbringen. Wie sehr beenflusst es Kinder, wenn sie den Ausgang ihres Lebens kennen? Romaneks Film ist vielmehr als eine bloße ethische Betrachtung.

Selbst für seine Plotpoints und melodramatischen Suspense scheint er keine außerordentliche Leidenschaft zu besitzen, denn die großen Geheimnisse werden schnell gelüftet und bereits mit einem kurzen Engangstext angedeutet. Nein, Garlands Drehbuch konzentriert sich ausschließlich auf die kurzen Biografien dreier Spender, ihre Träume, ihre Wünsche, ihr Erwachen und ihren Tod.

Carey Mulligan spielt die eigentliche Hauptrolle aus deren Perspektive wir den Film erleben, getragen durch ihre Off-Kommentare. Ich würde so gerne weiterschreiben, doch es geht nicht. Im Gegensatz zu Knightleys und Garfields Figuren, hat es Garland auf peinliche Weise verpennt seiner Hauptfigur ein Innenleben zu schenken, obwohl da doch irgendetwas sein muss. Jedenfalls gelingt es Mulligan überraschenderweise ihre Figur durch Schauspiel zu füllen, wirklich sichtbar ist dennoch wenig, denn das Drehbuch nutzt ihre Figur wirklich nur als Guckloch.

Das irritiert besonders im Zusammenspiel mit den anderen Figuren, denn wo Ruth und Tommy eine Psychologie, Schwächen und Stärken haben, da bleibt Kathy stumm und blass. Man weiß nur: Sie liebt Tommy und hat ebenso Angst vor dem Tod. Die Suche nach ihrem Original ist dem Film gerade einmal eine Szene wert. Das Beziehungsdrama um Kathy und Tommy wird dagegen zum roten Faden erhoben und Knightleys Ruth ist nicht mehr als ein Spielverderber. Dennoch, Keira Knightley macht auch hier mehr als sie muss. Ähnlich wie Mulligan, füllt sie die etwas flache Figur mit echtem Leben.

Die gelungenste Figur des Films ist allerdings Tommy, der von Garfield mit großer Verwandlungsfreude gespielt wird. Wer ihn in "The Social Network gesehen hat, weiß was ich meine. Tommy ist impulsiv und überraschend, zart und aggresiv, eine Vermengung wunderbarer Gegensätze. Abseits seiner Zuneigung zu Kathy, wird er zudem von großen Dämonen geplagt. Er sucht seine Seele. "Never Let Me Go" stellt nämlich auf fast vermessene Weise die Frage, ob Klone überhaupt eine Seele haben und den echten Menchen ebenbürtig seien. Umso verwirrender ist die Stärke des Films diese Frage unbeanwortet zu lassen.

Romaneks Film ist im guten wie im schlechten ein Film der unbeantworteten Fragen. Seien es die angerissenen Thesen oder die dünne Figurenzeichnung, weshalb man sich auch öfter fragt, was Tommy, Ruth und Kathy daran hindert einfach mal zu versuchen dem Apparat zu entkommen. Nun gut, letztendlich wird vieles relativiert, ebenso die Kritik an menschlichen Ersatzteillagern. "Am Ende haben wir doch alle das Gefühl zu kurz gelebt zu haben.", meint Kathy zum Schluss. Mit diesem Gefühl werden wir aus dem Kino entlassen. Mutig.

Wertung: 6/10


"Alles, was wir geben mussten"
US 2010
Mark Romanek
mit Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley


Nur im Kino!

Montag, 4. April 2011

A.I.


Einer der am meisten unterschätzten Filme aller Zeiten, Spielbergs Opus Magnum über Menschlichkeit im Künstlichen wächst bei jedem Sehen etwas mehr. Ein Kunstwerk, was erkämpft werden will.


Ein Erzähler erhebt seine Stimme. Er berichtet uns vom eskalierten Klimawandel, Überbevölkerung und Geburtenkontrolle und wie all diese Dinge Grundlage einer rasch wachsenden Roboter-Industrie wurden. Eigentlich fehlt nur noch das „Es war einmal...“ zu Beginn, doch das wäre bei einem Science-Fiction-Film doch reichlich unangebracht gewesen. „A.I.“ ist dennoch ein Märchen, ein Abenteuerfilm, eine Initiationsgeschichte und in seinem schwer deutbaren Zielgruppenmuster letztendlich auch ein Kinderfilm.

In dieser Steven-Spielberg-Adaption einer Stanley-Kubrick-Geschichte wird von einem Roboterkind erzählt, dass als erstes seiner Art die Fähigkeit besitzt, aufrichtig zu lieben. Das schreibt sich leichter als man denkt. Auch Spielberg sucht am Anfang nach klaren Worten und lässt William Hurt im ruhigen Prolog über all die Thesen sprechen, denen sich „A.I.“ in den folgenden 140 Minuten widmen wird. Die einfach gestrickte Eröffnungsszene mag zwar auf den ersten Blick den Weg des geringsten Widerstandes gehen, doch von weitem ist Spielbergs Film ein großes Gedankenexperiment, dass auch versucht Themen wie Menschlichkeit, Liebe und Identität filmisch auf den Grund zu gehen. Kann man Liebe überhaupt filmen? Gefühle, die im Verborgenen liegen, keine physische Form besitzen und somit von der Kamera nicht erfasst werden können. Ein Dokufilmer würde hier eindeutig an seine Grenzen kommen, doch die Fiktion erlaubt es uns das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Haley-Joel Osment spielt David, das künstliche Kind, humanistisches Ideal und somit inkompatibel zu den „echten“ Menschen. Seine Menschenmutter verstößt ihn, nachdem Davids aufrichtige Liebe zur Bedrohung der fleischlichen Familie wurde. Sie entschließt sich ihn im Wald auszusetzen, statt zu töten, wie in „Hänsel und Gretel“. Sein sehnsuchtsvoller Blick im Seitenspiegel ist das letzte was sie sieht. Es ist der Beginn einer Reise, einer Art „Coming of Human“. Die klassische Märchendramaturgie der sich Spielberg hier bedient ist frei von jedweden postmodernen Spielereien. „A.I.“ ist so konzipiert als wäre er der erste und letzte Film der Welt, vollkommen eigenständig, frei von Zynismus, Sarkasmus oder Ironie. Hier gibt es keine intellektuellen doppelten Böden, vielleicht sogar keine richtige Meta-Ebene, da „A.I.“ jeden Gedanken und jedes Gefühl in Bilder umsetzt und dem Zuschauer auf die Netzhaut projiziert. Selten gibt es Filme, die so offen und ehrlich sind. Spielbergs Film ist so verletzlich und angreifbar, wie seine Hauptfigur, wie ein neugeborenes Kind. Milderung, den Weg der Mitte sucht man hier vergebens. Jeder Ton wird so gehört, wie er auch gespielt wurde, sei er auch noch so hoch oder tief. So ein fast reiner Gefühlsfilm wird auch gerne mit Kitsch verwechselt. „A.I.“ ist in jedem Fall sentimental, aber das ist kein Makel, sondern Stärke.

Spielbergs Filme waren ohnehin schon immer sentimental. „A.I.“ ist die Quintessenz seiner Filme. Auch hier muss sich der Held an die Hölle gewöhnen, muss versuchen seine Unschuld zu bewahren. Sie sind tragische Cervantes-que Figuren. David ist jedoch der sturste, der mit dem größten Durchhaltevermögen. In den früheren Spielbergfilmen kam meistens das Happy End zur Hilfe. Nur so konnten seine Helden erlöst werden. Davids Schicksal endet ambivalent, sperrig und unbefriedigend. Man kann es Erlösung nennen, aber es ist dennoch nur Verblendung und Täuschung. Hier ist der Einfluss Kubricks am stärksten zu spüren, obwohl es sich um ein Spielberg-Ende handelt. Wenn David neben seiner Mutter einschläft, in der Gewissheit, nie wieder aufzuwachen, dann ist der Zuschauer hin- und hergerissen, zwischen Liebe und Hass, zwischen Bewunderung und Mitleid. Es ist wie Selbstmord, aber dennoch hat David das höchste Glück gefunden. Was gibt es noch für ihn? Nichts. Überleben ist hier Tod, Sterben jedoch leben, ein Happy-End ohne Fortsetzung.

Wertung: 9,5/10



"A.I. - Künstliche Intelligenz"
US 2001
Steven Spielberg
mit Haley-Joel Osment, Jude Law, Frances O'Connor


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!

Montag, 31. Januar 2011

TRON: LEGACY


Disney setzt nach fast 30 Jahren einen seiner kultigsten Flops fort. Das technische Update tut dem Film dabei überaus gut, doch inhaltlich bewegt sich nichts.

Kevin Flynns 27-jähriger Sohn Sam ist auf der Suche nach seinem Vater, den er nur noch dunkel aus Kindheitserinnerungen kennt. Als er eines Tages einem Signal aus dem alten Büro seines Vaters nachgeht, wird der junge Rebell plötzlich selbst Teil der Computerwelt, in die sich sein Erzeuger schon vor Jahrzehnten geflüchtet hat. Diesmal ist es Sam Flynn, der sich in einer Welt zurechtfinden muss, die er allemal aus einem Spielautomaten kennt. Allerdings bedeutet ein Game Over in der digitalen Welt, auch das endgültige Aus für den Spieler selbst.

Die erste Frage, die mir beim Abspann von "Tron: Legacy" in den Kopf schoss, war: "Was haben die fünf Typen gemacht, die sich die Story ausgedacht haben?" Sie haben den Film praktisch kaputt gemacht. Nicht, dass ich bei dem Film eine tiefgehende Handlung erwartet hätte, aber das was uns "Tron: Legacy" präsentiert, ist weder Fisch noch Fleisch. Eigentlich gab es doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ich setze mich möglichst halbwegs ernsthaft mit meinem Thema auseinander, so wie das "Tron" getan hat, oder ich vertraue auf fast 30 Jahre Computer-Entwicklung und lass einen Optik-Porno vom Stapel, der sich gewaschen hat.

Joseph Kosinski und Autoren entscheiden sich irgendwie für den lausigen Mittelweg. Statt der Vision einer digitalisierten Welt, liefert uns der Film einen Fantasy-Roman in Neon-Optik, so belanglos wie ironiefrei. Da ist von Völkermord, Auserwählten und Jules Verne die Rede. Das alles wird bierernst durchgekaut und dennoch wirkt es so, als ob die Autoren keinen Bock auf den Film gehabt hätten. Am Anfang traut man sich ja schon ein bisschen augenzwinkernde Kapitalismuskritik, aber eben die ist auch so billig und doof, dass man nur schnellstmöglich in die fröhlich blaue Neon-Mittelerde-Welt will.

Habe ich eigentlich schon die grandiosen Figuren erwähnt? Da gibts den irgendwie rebellischen Helden und die irgendwie unschuldige, aber toughe Prinzessin, dazwischen sitzt Jeff Bridges als alter Guru und irgendwie böse ist dann noch so ein digital restaurierter Jeff Bridges mit nem coolen Mantel, aber ohne Hirn. Wie schon gesagt, brauche ich bei einem Film wie "Tron: Legacy" differenzierte Figuren? Nein, aber wenn schon, dann nur so wenig öde Dialogszenen wie möglich, aber unsere 5 Autoren von der Tankstelle wurden wohl nach Sprechzeilen bezahlt und so gibt es einfach viel zu viele und vorallem viel zu lange lahme Dialoge, inklusive Poesiealbumssprüche. Das nahm selbst der pornösen Optik den Reiz und sorgte im Mittelteil des Films für reichlich Slowdown.

Eigentlich gibt es nur zwei Figuren die den wahren Geist von "Tron" atmen. Das wären zum einen die sirenenhafte Beau Garrett, dessen blonde programme fatale den Film nicht nur visuell enorm aufwertet, sondern auch zeigt, wie man mit wenig Worten schauspielerisch Atmosphäre erzeugt. Dagegen kann Olivia Wilde als einzige weitere Frau nicht konkurrieren. Garrett ist filmisch. Wildes Figur funktionierte vielleicht mal auf dem Papier. Michael Sheen bietet dann den zweiten und letzten Charakter ohne Fremdscham-Potenzial. Sein Zuse ist eine Mischung aus Ziggy Stardust und Jim Carreys Riddler, eben ganz und gar ein Dandy, Spieler und Verräter. Auch hier reicht die Oberfläche vollkommen aus um filmisch zu wirken.

Inhaltlich ist "Tron: Legacy" also wirklich die Gurke, die viele erwartet haben, doch man hätte auch einfach ehrlich sein können und der Handlung so wenig Raum wie möglich einräumen können. Ich hätte mich nie daran gestört, wenn man mir nur einen Effekt-Clip nach dem nächsten durch die Augenhöhlen geblasen hätte, ehrlich gesagt, wäre es genau das, was ich mir von dem Film erhofft hatte. Nun gut, man soll ja nicht über zerbrochene Eier weinen, mal sehen zu was für ein Omelett "Tron: Legacy" dennoch taugt.

Daft Punks Soundtrack erinnert in seinen schwächeren reinen Score-Elementen an die Konserve-Musik eines Hans Zimmers, doch gibt es trotzdem eine Menge Highlights fürs Ohr. Neben dem elektrifizierenden "Derezzed", gefiel mir das "Adagio" besonders gut, das man während des Films leider nur bei einer der vielen lausigen Dialoge säuseln hört. Auch andere überwiegend eletronische Score-Flächen sind überaus passend und atmen den typischen Daft-Punk-Charme.

Natürlich darf man bei einer Kritik zu "Tron: Legacy" die Optik nicht vergessen. Eigentlich hasse ich dieses Wort. Eine Optik ist für mich ein Objektiv, aber in den letzten Jahren steht der Begriff auch öfter für die visuelle Gesamtgestaltung eines Films, was traurigerwiese oft über alles andere gestellt wird. Bei "Tron: Legacy" muss das aber mal so sein und ich werde auch das Wort Optik benutzen. Stil passt nicht, da der Film einfach keinen Stil hat. Dafür ist er zu fahrig und überladen. Dennoch, man bekommt eine formidable Optik geboten. Zwar funktioniert die Gestaltung immer nach dem gleichen Schema -solange irgendwo Neonröhren hängen ist es Tronig- aber das reichte mir vollkommen aus. Der Look ist herrlich retro und ein reiner Designfetisch. Angefangen von Jeffs "2001"-Gedächtnis-Bunker bis hin zu den fliegenden Zügen, die wie Kampfschiffe der Protoss aus "StarCraft II" aussehen. Letztendlich soll alles nur cool aussehen und das gelingt "Tron: Legacy" auch. Selbst 3D macht hier Sinn. Ähnlich wie in "The Wizard of Oz" setzt Kosinski den Effekt erzählerisch ein. Unsere menschliche Welt ist 2D, sobald der Film in die digitale Welt verschwindet, eröffnet er uns die dritte Dimension. Unterm Strich ist das zwar auch nur ein Gimmick, aber schon ein sehr wertvolles.

Um "Tron: Legacy" so gut es geht zu genießen, sollte man sich auf keinen Fall Gedanken über die ausgelassenen Möglichkeiten der Autoren machen. Allein wenn man daran denkt zu was für einem Zeit-Kommentar der Film fähig gewesen wäre, man braucht sich doch nur an die Facebook-Folge bei "South Park" erinnern. Egal, als überlanger Effekt-Porno funktioniert "Tron: Legacy" dennoch. Das wird allerdings nicht im geringsten dem legendären Vorgänger gerecht.

Wertung: 5/10


"Tron: Legacy"

US 2010

Joseph Kosinski

mit Jeff Bridges, Olivia Wilde, Garrett Hedlund

Nur im Kino!


Donnerstag, 21. Oktober 2010

THE FOUNTAIN


In seinem 3. Film lässt Aronofsky Hugh Jackman und Rachel Weisz nach der ewigen Liebe suchen und findet doch nur triefenden Kitsch.

Kino hat selten mit Schauwerten zu tun. Bei allem was gezeigt wird, interessiert oftmals mehr das, was nicht gezeigt wird. Es gibt ja den geläufigen Begriff "unverfilmbar". Das ist Quatsch. Unkreative Menschen ohne Fantasie bezeichnen Filmstoffe (z.B. Romane) dann als "unverfilmbar", wenn das geschriebene Wort nicht direkt -ohne interpretative Umwege- in Bilder umsetzbar ist. Das wird gerne bei komplexen Gedanken oder Sinneseindrücken fern der Augen und der Ohren behauptet. Warum schafft es aber eine Feder dies darzustellen? Weil sie verwandelt, interpretiert und abstrahiert. Wörter sind nichts anderes als Abstraktionen der Wirklichkeit. Die guten Filme wandeln das "Unverfilmbare" in Bilder um, die nicht nur zeigen, sondern eher anregen zum inneren Sehen. Es geht nicht wirklich um das, was ich sehe, sondern eher um das was das Gezeigte in mir auslöst. Nur so gelingt es das nicht-gegenständliche, das metaphysische, das surreale zu verfilmen.

Würde man das Drehbuch zu "The Fountain" lesen, käme schnell das Wort "unverfilmbar" in den Sinn. Wie schon gesagt, das ist Quatsch. Man hat verschiedene Möglichkeiten es darzustellen. Aronofsky hat es falsch gemacht. Gerade die Zukunftsepisode entbehrt jeglicher Interpretation. Sie besteht aus hohlen Bildern, die Sinn ergeben sollen. Die esoterische/buddhistische Bildsprache trieft vor Kitsch, da der Regisseur versucht mit bewährten Tricks das Unzeigbare zu zeigen. Selten wagt es der Film seine wahrhaft großen Themen filmisch zu umschreiben, sie verständlich zu interpretieren. Er zeigt sie einfach mit allen Mitteln der CGI-Technik. Wie ein kleines Kind, was mit Buntstiften Gott malt. Wen interessiert das schon?

Nur in der Gegenüberstellung der 2 weiteren Epochen gelingen die guten Momente des Films. Wenn Aronofsky z.B. ein und die selbe Kamerabewegung 3-mal benutzt. Da ergeben sich Gleichnisse und Umschreibungen zu denen nur der Film in der Lage ist.
Trotz des hohen Budgets kommt das Szenenbild eher kläglich daher. Vieles wurde nachträglich digital eingefügt um sich die teuren Studiobauten zu sparen. Dabei hätte eine Waldlichtung mehr den südamerikanischen Dschungel ganz anders aussehen lassen.

Es gibt eigentlich nur eine Szene, die filmisch gelungen ist. Das ist die Audienz bei der spanischen Königin, der edle, geheimnissvolle Thronsaal mit den vielen hängenden Kerzen, den Säulen und dem Käfig der Königin, Rachel Weisz Gesicht hinter den Mustern, wunderschön. Obwohl der Dialog zwischen Herrscherin und Ritter rein handlungsoriertiert bleibt und schwerlich als Poesie bezeichnet werden kann, zeigen die beiden Hauptdarsteller hier ihr wahres Können. Eine tiefe innige Verbundenheit, eine Liebe, die keine sein kann, das alles vermitteln die beiden Schauspieler nur über ihre Augen und Aronofsky findet die richtigen Bilder sie in Szene zu setzen.

Es ist schade wie vergeudet der Rest des Films dabei wirkt, mit seiner schwerfälligen Symbolik und aufdringlichen Ernsthaftigkeit. Hier sind eindeutig die Regie-Pferde mit Aronofsky durchgegangen. Einzig die Filmmusik bleibt auf hohem Niveau und arbeitet mit der angemessenen Abstraktion. Sie vermittelt ohne zu zeigen.

Wertung: 4,5/10


"The Fountain"
USA, CH, 2006
Darren Aronofsky
mit Hugh Jackman, Rachel Weisz, Ellen Burstyn


Auf DVD und Blu-Ray erhältlich!


Donnerstag, 5. August 2010

MOON



Allein das Poster von "Moon" beschwört alte Zeiten herauf, für einen Science-Fiction-Film doch recht unerwartet. Nur betrachtet man das Plakat genauer, entpuppt sich das Nostalgie-Element mehr als lässige Retroness.

Duncan Jones setzt diesen Aspekt auch filmisch um, aber inwieweit man hier von Retroness sprechen kann ist fraglich. Viel eher ist dieser "alte" Charme der langen Abstinenz guter Genre-Beiträge geschuldet.

Denn während Chris Nolan mit "Inception" das Blockbuster-Kino erneuert, wird durch "Moon" der Hard-Sci-Fi wieder zum Leben erweckt. Das ist aber auch nur die halbe Wahrheit.
Nochmal zur Definition: Als harte Science-Fiction werden Werke bezeichnet, die ein großes Augenmerk auf wissenschaftliche Genauigkeit und auf die tatsächliche Realisierbarkeit der technischen Neuerungen legen. Es steht also weniger die fantastische Ausschlachtung des Genres ("Star Wars") oder die Entwicklung einer Utopie/Dystopie im Vordergrund ("Blade Runner"), sondern der Einfluss neuer Technologien.

Nun kann Jones, wie zuvor erwähnt, die Definition nur zur Hälfte bedienen. Sowieso ist reine Hard-Sci-Fi eine ganz mühselige Sache, die wohl nur Nerds hinterm Ofen hervorlockt. In "Moon" geht es in erster Linie um die Hauptfigur Sam Bell, gespielt von Sam Rockwell. Die Technik muss hinten anstehen, hat aber auf das Leben unseres Protagonisten einen gravierenden Einfluss. So viel sei gesagt.

Wer den Film gerne anhand seines Twists und seiner Handlungsführung kritisieren möchte, soll das tun, aber ohne mich. Die clever gebaute Geschichte macht keine Geheimnisse und auch Jones schien kein Interesse daran gehabt zu haben, den Zuschauer lange auf die Folter zuspannen oder seine Wendungen als Ässe auszuspielen. Hier wird das Publikum nie auf eine falsche Fährte gelockt und bis zur Auflösung bei der Stange gehalten um dann fallen gelassen zu werden. Jones ist kein Shyalaman.

Trotz der fast schwerelosen Erzählweise des Films kommt nie ein Funken Langeweile auf. Die Dramaturgie funktioniert tadellos und rafft an den richtigen Stellen, z.B. wird nicht zu viel Zeit für die Exposition vergeudet. Die Einführung in Sams Welt wird elliptisch voran getrieben. Es sind eh die bekannten Einstellungen eines jeden Tagesablaufs. Nach gut 10 Minuten geht schon die eigentliche Handlung los.

Ehrlich gesagt hat "Moon" nur sympathische Schwächen zu bieten. Das was dem Film am meisten schadet ist die eingangs erwähnte Retroness. Beim Schauen des Films hat man nie das Gefühl etwas neues zusehen. Obwohl der Film der erste Hard-Sci-Fi nach langer Durststrecke ist, legt Jones es nicht an das Genre in neue Sphären zu führen. Besonders stilistisch fallen diese Mängel auf. Das Heraufbeschwören von Klassikern wie "Solaris", "2001" und "Silent Running" hat zwar einen cineastischen Charme, aber das Bild der originären Vision leidet darunter. So suhlt sich "Moon" oft in seiner Retrospektive, z.B. wenn er klassische Musik durchs Weltall säuseln lässt, ein geliebtes Klischee. Dennoch, auch wenn Duncan Jones auf Altbewährtes zurückgreift, beeindruckt sein Film durch die ergreifende Geschichte.

Mit dem Erscheinen des zweiten Sams gewinnt der Film ungemein an Fahrt und wandelt sich zum feinen Drama. "Moon" ist der erste Film den ich kenne, der sich so genau mit den psychischen Konsequenzen des Klones beschäftigt und es sogar wagt beide Kopien aufeinander treffen zulassen. Die Szenen zwischen Rockwell und Rockwell gehören somit zu den stärksten des Films. Ähnlich wie Jeremy Irons in "Dead Ringers" gelingt Rockwell die klare Zeichnung zweier unterschiedlicher Charaktere. Obwohl der Film uns visuell hilft (der eine ist ein körperliches Wrack, der andere ist frisch geschlüpft), stellt Rockwell sie als zwei unterschiedliche Figuren dar.

Allein darin steckt die Kernessenz von Jones Klon-Psychogramm. Er formuliert das Klonen nicht als der Geburt menschlich unterlegenen Entstehungsprozess. Trotz der gleichen Erinnerungen und des identischen Äußeren ist jeder Klon anders und für sich ein Individium. Wie bei jedem großen Humanisten definiert sich auch bei Jones das Menschsein über sein moralisches Handeln. In diesem Kontext wirkt es nicht unglaubwürdig das Sam seinem Roboter Gerty klar macht: "Wir sind Menschen."

"Moon" liefert eine glaubwürdige Abhandlung über den Einfluss des Klonens und erinnert in seinen besten Momenten an eine Art Bergman-in-Space. Obwohl sich der Film stilistisch "nur" im Dunstkreis seiner klassischen Vorbilder befindet, darf Angesichts der Rückkehr eines totgeglaubten Genres euphorisch gejubelt werden.

Wertung: 8/10


"Moon"
GB, 2009
Duncan Jones
mit Sam Rockwell, Kevin Spacey (Stimme)



Bei uns bisher nur im Kino, in vielen anderen Ländern bereits auf Blu-Ray & DVD!


Montag, 14. Juni 2010

SPLICE



Natalis Familiedrama "Splice" ist ein Experiment (wie alle seine Filme). Äußerlich auf den Pfaden des Sci-Fi-Kinos wandelnd, kristallisiert sich mit zunehmender Filmdauer eine Vielzahl von Strömungen heraus und ähnlich wie bei Cronenberg werden diese unterschiedlichen Stimmungen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern sie tragen zum Gesamt-Ton bei. So verwundert es nicht, dass "Splice" überhaupt gar keinen Bock darauf hat, sich auf sein Genre reduzieren zu lassen.

Adrien Brody und Sarah Polley passen chemisch sehr gut zusammen. Schon auf dem Papier hat Natali den beiden Hauptfiguren eine enormen Überbau an Motivationen, Hintergründen und Ambivalenz aufgeladen. Den beiden Charakterdarstellern wiederum gelingt es spielend leicht ihre Figuren vom Papier zu lösen und zum Leben zu erwecken. "Splice" funktioniert nur, weil Brody und Polley funktionieren. Anfangs gönnt sich der Film einen wohltuenden ironischen Unterton, garniert mit splattrigen Einlagen und nerdigen Witzen. Erst gegen Ende, verabschiedet sich Natali von allem Schmückenden und lässt nur noch seine Figuren stehen.

Vielleicht leidet "Splice" unter seiner heftigen Überkonstruiertheit, die nunmal zu einer Versuchsanordnung dazu gehört. Jedenfalls lässt Natali selten eine Möglichkeit zur Dramatisierung ungenutzt. Jede Andeutung wird auch eingelöst. Eine sexuelle Anspielung reicht nicht allein, sie muss eskalieren. Da leistet sich der Film Schwächen, nicht weil er seine Familientragödie bis zum Inzest zu Ende denkt, sondern eher, weil es vorhersehbar bleibt. Eine wirkliche Story-Wendung, die man im Genre erwartet, kann der Film nicht liefern. Selbst den Moment, wenn sich "Splice" zum waschechten Monsterfilm wandelt, hat der Zuschauer schon erwartet.

Es bleiben ganz andere Qualitäten, z.B. Delphine Chanéac. Sie spielt Dren, das Mischwesen, die hybride Schönheit. Ihr differenziertes Spiel sorgt für komische Gänsehaut. Mit glaubhaften kindlichen Zügen und einer tierischen Erotik bewegt sich Dren immer auf dem schmalen Grat zwischen Monster und Mensch, wobei man garnicht so recht sagen kann, welche ihrer Eigenschaften für was verantwortlich sind. In erster Linie wird klar, dass man das Monströse ebenso im Menschen finden kann, wie umgekehrt. Das trifft vielleicht auf das Elternpaar noch eher zu. Besonders Sarah Polleys Figur geht ganz eigene tragische Wege. Da zeigt der Film sogar größtes Feingefühl und man kann Natali nur dankend die Hand schütteln dafür, dass er das Kindheitstrauma der Mutter nicht an die große Glocke gehängt hat. Hier bleibt es mal bei ein paar Anspielungen, die dadurch noch viel stärker wirken.

Was macht uns zu einem guten Menschen? Unsere Erziehung oder unsere Gene? Ist Drens aufkeimende Aggresivität eine Ausprägung ihrer Gene oder liegt das eher an den repressiven Erziehungsmethoden der Nerd-Eltern? Inwieweit gibt die Mutter die Gewalt weiter? Was haben die sexuellen Spannungen zwischen Vater und Tochter damit zu tun. Stellenweise reift "Splice" bei diesen Fragen zu wahrer Größe, weil er eben auf gründliche Charaktere setzt, die die teils derbe Handlung zusammenhalten.
Die vielen negativen Kritiken kann ich stellenweise sogar nachvollziehen, aber jetzt mal ehrlich, deswegen eine schlechte Bewertung zu geben, da rebellieren meine Gene dann endgültig.

Wertung: 7,5/10


"Splice - Das Genexperiment"
USA, 2009
Vincenzo Natali
mit Adrien Brody, Sarah Polley, Delphine Chanéac


Nur im Kino!


Samstag, 29. Mai 2010

AVATAR



Als ich das erste mal von "Avatar" gehört habe, war ich euphorisch. Nicht nur das Cameron wieder dreht, nein, er dreht sogar einen Sci-Fi-Film, eines meiner Lieblingsgenres. Dazu kam die Ankündigung eines Opus Magnum des 3D-Kinos, einer "Revolution", wie Cameron es selbst beschreibt. Das schürt Erwartungen, die bei 2 Jahren Wartezeit gut gedeihen konnten. Camerons Kino ist wie für Sci-Fi gemacht. Seine besten Arbeiten waren Sci-Fi-Filme ("Aliens", "T2", "Abyss"). Titanic war zwar nicht monumental, aber monumentalistisch, der Versuch eines Hollywood-Groß-Epos der alten Tage für die Millenium-Generation. Alter Inhalt, neue Form, Gigantismus, das Versenken eines echten Schiffes, jeder ging in diesen Film, ich auch, doch im Laufe der Jahre blieb da nicht viel hängen, was erzählenswert oder filmgeschichtlich wichtig wäre, außer vielleicht der Box-Office-Rekord und die Effekte. Den Weg, den Cameron mit "Titanic" einschlug, geht er nun mit "Avatar" konsequent weiter.

Ich habe ja von meiner vorherigen Euphorie geschrieben, die sich steigerte, zu dem erwartete ich von Cameron den ersten wieder richtig guten Sci-Fi-Film seit Jahren, mit einer guten Story versteht sich. Wunder, habe ich nicht erwartet, aber ich weiß, dass er es kann. In "Aliens" hat er der Figur der Ellen Ripley unglaublich viel Tiefe gegeben. Er hat es verstanden Actionkino, Dramaturgie und Figurenentwicklung in Einklang zu bringen. Weaver wurde für ihre Leistung für den Oscar nominiert. Und wieder steigerte sich meine Erwartung als ich hörte, dass die Weaver auch bei "Avatar" mit dabei ist.

Erste Ernüchterung trat ein als ich einen kurzen Abriss der Story las. Schon das las sich wie Öko-Kitsch nach alter Rezeptur, doch ich vertraute auf Camerons Talent als Drehbuchautor und sprach immer wieder zu mir: "Aliens! Aliens! Aliens!"
Der nächste Dämpfer kam mit dem ersten Trailer, wo ja für viele das Grübeln begann. Die Schlümpfe störten mich zwar nicht, aber das präsentierte Effekt-Gewitter sah mehr wie das Videospiel einer Mischung aus Star Wars und Herr der Ringe aus. Ich blieb trotzdem am Ball, ging absichtlich nicht zur Promo-Clipschau ins Kino, und schob die Videospiel-Optik auf die schlechte Kompression des Internetvideos.

Im Dezember 2009 war es dann soweit und nachdem die von mir gewünschte Vorstellung im Cinemaxx, wegen technischer Probleme, ausfiel, wir unser Geld zurück und Freikarten für die 9 Uhr Vorstellung bekamen, fiel ich in den Sessel, setzte mir die "Brille" auf und fing an zu staunen.

Am Anfang war das Staunen. Wirklich! Die ersten 30 Min kriegt man kaum die Kinnlade hoch. 3D, dass oftmals noch wie gestaffelte Pappaufsteller im Raum aussah, ist hier erstmals richtig plastisch. Jedes Objekt hat eine wirkliche Tiefe, eine Form. Der Kamerablick wird zum eigenen Blick, trotz Brille. "Avatar" fesselt allein schon dadurch, dass er den Zuschauer "zu sich" holt, in die eigene Welt, ihn vereinahmt und vielleicht auch ein wenig überfordert.

Die eigentliche Revolution findet statt, im Kontext des 3D-Films, rein technisch, versteht sich. In diesem Sinne hat der Film nur sich selbst als Thema. Die "neuen" Bilder, die wir zu sehen bekommen, reizen unsere Sinne mehr als es davor der Fall war. Diese sogenannte Revolution kann auch als Rückschritt angesehen werden, denn ruckzuck fühlt man sich wie im 19.Jh. als das Kino noch Jahrmarkts-Attraktion war und die Leute begeistert in kleine Gucklöcher starrten und sich inhaltlose Bewegungsloops ansahen. Die Form als Attraktion, wir sind wieder am Anfang, beim Oberflächenkino, bei Georges Melies - dafür werde ich gelyncht, ich weiß :) - und Michael Bay. "Avatar" ist eine Rummelattraktion der alten, neuen Tage.
Von der Geschichte und den Charakteren kann man das nicht behaupten. Die begeistern vielleicht noch 10jährige, aber das wars dann. Zynisch gesehen, hat Cameron vielleicht die Story extra so flach gelassen, damit man nicht noch davon überfordert wird. Dafür ist die 3D-Technik schließlich ja schon da. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum Cameron eine Story verfilmt, die mehr Staub angesetzt hat als der Andromeda-Nebel. Alle Vergleiche mit Winnetou und Pocahontas sind mehr als berechtigt. Inwieweit man schon von Diebstahl sprechen kann, muss jeder für sich entscheiden. Andererseits sind die Handlungsmuster, der Gut-und-Böse-Konflikt und die Figuren an sich schon zu reinen Klischees geworden, so dass das Urheberecht für diese ausgetretenen Wege garnicht mehr greift, denke ich.
Nun könnte man die Story als unerheblich betrachten, wie das manche euphorische Stimmen hier tun. Wer soweit ist, hat schon verloren. Denn das traurige ist, dass Cameron das alles ganz schön ernst nimmt. Das tut weh. Als hätte er die letzten 20 Jahre verschlafen und denkt er würde uns was neues erzählen.
Was das Drehbuch vermurkst, bekommen natürlich auch die Figuren zu spüren. Worthington kommt da noch ganz gut weg. Weaver dagegen ist ein wandelndes Klischee. Genauso wie Michelle Rodriguez, aber die scheint auch nur immer die selbe Rolle zu spielen. Ribisi und Lang sind unfreiwillig komische Abziehbildchen, schlechte Kopien von typischen Cameron-Figuren. Die Nav'i-Wesen dagegen "spielen" beeindruckend gut, dafür dass sie aus dem Computer kommen. Dieses neue Motion-Capturing-Verfahren macht schon ein wenig Angst vor den zukünftigen Filmen ohne Schauspieler. Ich hoffe doch das Publikum ist so intelligent und will weiterhin echte Schauspieler sehen.

60% des Films sind CGI. Bringt mich das zum Staunen oder zum Weinen? Die Qualität der Bilder ist erwartungsgemäß High-End. Das anfängliche Videospiel-Gezweifle war schnell verflogen. Lag allerdings bestimmt auch an dem überwältigenden 3D-Effekt.
Technisch ist der Film ein Triumph, überwiegend. Die immer noch gravierenden Nachteile digitaler Kinematografie konnte auch Cameron nicht lösen. In den vielen Verfolgungsjagden geht die Übersicht oftmals durch die hohe Bewegungsunschärfe verloren. Das ist zwar nicht ganz so schlimm wie "Public Enemies", aber die langsamen CMOS-Sensoren der DigiCams sind immer noch keine Konkurrenz für den guten alten 35mm-Film.

"Avatar" ist ein zweifelhaftes Vergnügen. Trotz der unverdienten Länge, der schwachen Story und den langweiligen Figuren, unterhält der Film, zum einen durch den 3D-Effekt, zum anderen durch die überwältigende Welt, die hier virtuell erschaffen wurde. Auch die finale Schlacht, à la Militär-Porno-Parade, fickt die Sinne. Die Frage ist nur will man gefickt werden? Cameron hat mich gefickt. Es tat weh, aber es sah auch gut aus, zu gut.

Die synthetische Welt in "Avatar" hat nur blühende Landschaften zu bieten. Alles ist perfekt! Doch das Geschehen ist nicht perfekt. Während Cameron seine Story mit Mord, Krieg, Terror und Genozid auflädt, wird Pandora indirekt proportional schöner und verkommt zur Tapete. Die Kulisse wird sichtbar und die Illusion verfliegt.
Camerons Filme behandeln immer die Vereinbarkeit von Technologie und Natur. Seine bisherige Stärke war, dass er diese beiden Seiten gegenüberstellte und für keine Seite argumentierte. Das war auch bei Titanic noch so. Doch "Avatar" bricht mit dieser Linie. Die Technologie ist hier immer Diktator, getrimmt auf Leistung, Effizienz und Vollkommenheit. Pandora entstand durch die selbe Technologie, eine antiseptische Welt, unbarmherzig gegen alles was nicht perfekt ist. Der von Cameron beabsichtigte humanistische Grundton enttarnt sich als große Lüge. "Avatar" ist eigentlich ein anti-humanistisches Machwerk.

Wertung: 4/10


"Avatar - Aufbruch nach Pandora"
USA, 2009
James Cameron
mit Sam Worthington, Sigourney Weaver, Zoe Saldana


Bisher nur als abgespeckte 2D-Version auf DVD & Blu-Ray, ohne Extras, erhältlich.


CRASH


James Ballard ist Filmproduzent und treibt es mit einer Kameraassistentin. Seine Frau macht es mit ihrem Fluglehrer. Das Sexualleben der beiden ist am Nullpunkt angekommen. Monotonie und Kälte haben sich in die Beziehung eingeschlichen. Erst als James einen Autounfall hat, kommen neue Gefühle in ihm auf. Die Überlebende des anderen Autos Dr. Remington spürt dasselbe. Beide kommen in die Kreise von Vaughan, einem Besessenen, der den Crash als neue Form der Sexualität proklamiert.

Als Cronenbergs Film 1996 in Cannes uraufgeführt wurde, verließen Scharen von Leuten den Kinosaal und beschimpften den Film als langweilige Pornografie. Viele andere dagegen sahen in dem Film ein Meisterwerk. Die Jury bezog zu dieser Kontroverse Stellung, indem sie an den Regisseur einen Spezialpreis für Mut und Originalität verlieh.

David Cronenberg begann seine Karriere mit Horrorfilmen, meistens Genrehybriden zwischen Horror, Sci-Fi und Thriller, darunter auch Kritikererfolge wie „Videodrome“ (1983). Mit dem Remake „Die Fliege“ (1986) drehte er seinen erfolgreichsten Film. Zuletzt drehte er die Crime-Ballade „Tödliche Versprechen“ (2007).

Obwohl es sich um die Verfilmung eines Sci-Fi-Romans handelt, weicht Cronenberg bewusst Konventionen des Genres aus. „Crash“ spielt im hier und jetzt, im Jahre 1996.

Der Film verfolgt eine Gruppe von Menschen mit einer Obsession. Cronenberg geht es nur um diese Gruppe. Der Rest wird ausgegrenzt, in Autos gesperrt, die anonym den Highway entlang fahren, immer der Spur entlang, ohne auszubrechen. Ähnlich wie in den Filmen David Finchers, setzt Cronenberg auf einen hermetisch abgeriegelten Kosmos. Der Film spielt überwiegend in engen Autos, auf leeren Parkplätzen und Autofriedhöfen. Selbst das Krankenhaus in dem James am Anfang liegt ist vollkommen leer. „Diese Station ist für die Opfer von Flugzeugabstürzen reserviert“ sagt James an dieser Stelle.

Der Film will uns keinen ausführlichen Blick auf eine Utopie gewähren. Es scheint eher so, als hätte sich ein Teil dieser Utopie wie ein Splitter in der Gegenwart eingenistet, in Form dieser Gruppe von „Crashophilen“. Vaughan sagt zu James an einer Stelle des Films: „Das ist die Zukunft und sie sind bereits ein Teil davon“

Während Ballard noch in seinem Roman kritisch die Möglichkeit einer solchen Zukunft beäugt, ist sie bei Cronenberg schon längst vorhanden. Es lohnt sich überhaupt nicht sich kritisch mit ihr auseinander zusetzen, wenn die Zukunft schon längst zur Gegenwart geworden ist.

Deshalb setzt er in seinem Film auf das bloße Zeigen, anstatt auf eine distanzierte Betrachtung. Cronenberg versucht die Erlebnisse der Gruppe erfahrbar zu machen. „Crash“ ist Erfahrungskino. Die Kamera bleibt dicht bei den Figuren. Viele Nahaufnahmen und Inserts visualisieren das verbogene Metall, das zersplitternde Glas und die bluttriefenden Autositze. Bei den Fahrszenen nimmt die Kamera nie die Perspektive des Passanten ein, an dem die Autos vorbei fahren, sondern sie bleibt an den Autos dran, macht den Zuschauer zu einem Teil des Fahrerlebnis. Nachdem James Mitglied von Vaughans Gruppe wird, unterwirft sich auch die Handlung vollkommen dem Erfahrungskino. Ab hier wird der Film zu einer Aneinanderreihung verschiedenster Crash- und Sexszenen. Ab hier setzt Cronenberg komplett auf den Rhythmus, der vom Schnitt, der Geschwindigkeit der Autos und den kopulierenden Bewegungen der Figuren beeinflusst wird. Jede Szene erfährt eine Steigerung zur vorher gegangenen.

Crash“ ist auch ein exzellentes Beispiel dafür wie der auteur Cronenberg sein frühes Werk reflektiert. Der Film setzt sich ironisch mit der Transformation und Deformation des Körpers auseinander. Als James Vaughan nach seinem „Projekt“ fragt, antwortet Vaughan, dass es ihm um „die Umformung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie“ geht. Also das gleiche Thema wie in „Videodrome“ oder „Die Fliege“, wo die Hauptfigur am Ende sogar mit der Technologie verschmilzt. Doch ist „Crash“ nicht als ernsthafte Variation dieses Themas angelegt. Der Film bricht die Deformationsidee nach einiger Zeit, als Vaughan sein wahres Projekt erklärt. James fragt ihn dann was aus dem Deformationsgedanken geworden ist. Darauf antwortet Vaughan, beinah beleidigend für viele frühe Cronenbergfilme: „Das ist nur ein primitives Science-Fiction-Konzept.“

Was Vaughan wirklich prophezeit ist eine neue Form von Sexualität, die er Psychopathologie nennt. Es geht nicht mehr um Sex zwischen zwei Menschen, sondern um Sex zwischen Mensch und Maschine, in diesem Fall, dem Automobil. Der Koitus ist der Crash. Die sexuelle Energie der Verstorbenen wird dabei auf die Überlebenden übertragen und das schneidende Metall der Karosserie schlitzt neue Körperöffnungen in die Unfallopfer. Eine Szene im Film zeigt den Sex zwischen James und Vaughans Geliebter Gabrielle, die nur noch durch ein Gerüst aus Kunststoff und Metall zusammen gehalten wird. James entdeckt dabei Gabrielles riesige Narbe an ihrem Bein als neue Vagina. Auch die Trennung von Geschlechtern verschwimmt letztendlich. James hat später Sex mit Vaughan und Gabrielle und Dr. Remington haben am Ende Sex in Vaughans Unfallwagen.

Abschließend muss gesagt werden, dass, obwohl „Crash“ eine bizarre Obsession behandelt und diese sogar versucht erfahrbar zu machen, der Film nicht zu Todesgeilheit anregen will. Die Figuren wehren sich dagegen, dass man sich mit ihnen identifiziert und die fluorzierenden Bilder, die ständig vom Schatten des Todes bedeckt sind, verstören den Zuschauer zunehmend. Man will diese Zukunft nicht von der Vaughan spricht. Cronenberg lässt sie uns erfahren um uns vor ihr zu warnen.

Wertung: 10/10


"Crash"

CA, FR, GB, 1996

David Cronenberg

mit James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas


Die einzig erwähnenswerte deutsche DVD gibt es beim MCP-Label , das eigentlich nur Scheiß-DVDs produziert, doch hier anscheinend mal was richtig gemacht hat.


JURASSIC PARK


Das Film-Event der 90er ist, aus der Distanz betrachtet, nicht nur eine technische Pionierarbeit, sondern viel mehr das Meisterwerk des Blockbuster-Kinos.

Ein Milliardär hat eine Reihe von Experten auf seine Insel eingeladen, um sie mit dem Unvorstellbaren zu konfrontieren: Dank ausgefeilter Klontechnik zum Leben wiedererweckte Dinosaurier.

Man kann seine Augen nicht abwenden bei diesem Meisterwerk, dass ich bestimmt schon tausend mal gesehen habe und mitsprechen kann.
Ich liebe ja das europäische Kino und natürlich auch die Avantgarde, aber Spielbergs Dino-Thriller treibt mir immer wieder Staunen ins Gesicht. Er ist einer der guten Gründe warum Hollywood existiert und warum man sich nicht vor guter Unterhaltung fürchten sollte.

Die Handlung ist einfach und eine Art Abklatsch von Crichtons "Westworld". Sie ist nur Vehikel für eine Reihe von atemberaubenden Set-Pieces. Spielbergs Genie zeigt sich schon bei der Besetzung. Durch den Verzicht auf große Stars und durch den ausschließlichen Einsatz von Charakterdarstellern schafft er Nähe, da die Figuren authentisch gespielt werden und alle ihre kleinen Macken haben. Es wird ja oft auf den Figuren herumgestampft, ja wie flach sie doch seien. Die Zeichnung der Charaktere ist begrenzt, aber ausreichend. Spielberg nimmt sich viel Zeit am Anfang um die unterschiedlichen Figuren dem Zuschauer attraktiv zu machen. Dazu kommen die wohl besten Dialoge, die je in einem CGI-Blockbuster gesprochen wurden.

Um den ersten Saurier noch weiter hinauszuzögern präsentiert der Film zu Anfang auch seine Bio-ethische Fragestellung. Ob Leben kontrollierbar sei? Im Bezug auf die Klontechnik ist der Film für einen Blockbuster überraschend ausführlich und schafft es JEDEM die Idee vom Klonen zu erklären.

Sobald die Dinos von der Leine gelassen werden (und darauf hat der gierige Zuschauer gewartet) geht Spielberg gleich in die Vollen und wagt es den Zuschauer mit zwei Kindern allein im Wagen zurückzulassen, während ein T-Rex sein Interesse an der Karosserie bekundet.

Nach dem großen T-Rex-Beginn hört die Spannungsschraube aber nicht auf sich zu drehen. Jede darauffolgende Szene ist großes Suspense-Kino, was selbst Hitchcock nicht hätte besser machen können. Highlights sind die elektrisierende Kletter-Zaun-Montage und das Hide-and-Seek in der Edelstahl-Küche.

Im Gegensatz zu vielen anderen CGI-Blockbustern scheint JP nicht zu altern. Es ist erstaunlich wie gut sich die Effekte gehalten haben und wie bahnbrechend die Pionierarbeit damals war.
Krönender Abschluss dieser Tour-de-Force des Kinos ist die Filmmusik von John Williams, der mit seinem Score nicht nur Filmgeschichte geschrieben hat, sondern auch mit dem schönsten Walzer, der je in einem Thriller gespielt wurde, aufwarten kann. Harte Bläser, die Raptoren-Klänge intonieren, schnelle Streicher, die den nächsten Knall herbei musizieren. Hier sind Bild und Ton ein perfektes Paar.

Die eigentlichen Stars bleiben aber die Dinosaurier. Spielberg vertraut seinen Geschöpfen so sehr, dass er auf jedwede andere Ablenkung verzichtet. Ausgefeilte Kamerafahrten, expressives Lighting oder überschnelle Schnitte sucht man in JP vergebens. Hier sind die Computertricks das ausreichende Faszinosum und leider waren sie nie wieder so nützlich für die Erzählung wie in "Jurassic Park".

Wertung: 10/10 !


"Jurassic Park"
USA, 1993
Steven Spielberg
mit Sam Neill, Laura Dern, Jeff Goldblum


Den Film gibt es in bester Qualität in den unterschiedlichsten DVD-Editionen mit genügend Extras. Es bleiben praktisch keine Wünsche offen, bis auf die Blu-Ray-Fassung, die lässt noch auf sich warten.