Montag, 22. Oktober 2012

THE GIRL


„You had a breathing, living woman, and you turned her into a statue.“

Das Verhältnis zwischen dem Regisseur und der Schauspielerin hat bis heute nichts von seiner musischen, aber auch gewalttätigen Kraft verloren. Die Filmgeschichte ist reich an Beziehungen zwischen Schauspielerinnen und ihren Regisseuren, glanzvolle Affären, behütete Ehen, aber auch bedrohliche Abhängigkeiten. Das Klischee des aufstrebenden Starlets, dass erst auf die Besetzungscouch muss um ganz nach oben zu kommen, war noch nie eine Geschichte bei der beide Parteien als Sieger hervor gingen. Das Kunstgewerbe, wie auch die Filmbranche werden bis heute von Männern dirigiert. Die Nötigung von Frauen für den Karrieresprung, solche perfiden Mittel denken sich nur die Herrschenden aus und sie haben auch die Macht an ihnen festzuhalten. Die Schauspielerin spielt das Spiel entweder mit oder nicht.

Julian Jarrold (u.a. „Geliebte Jane“) erzählt im Fernsehfilm „The Girl“ dieses bekannte Verhältnis, allerdings in einem völlig neuen Umfeld, der Biografie Alfred Hitchcocks. Der Filmemacher zählt bis heute zu den bekanntesten und einflussreichsten seiner Zunft. Kein Regisseur zuvor bemühte sich so sehr das Image des Autoren hinter der Kamera zu pflegen, den Namen des Filmemachers mit dem Werk untrennbar zu verschmelzen. Keine Werbung, kein Trailer und kein Film ohne den charakteristischen Auftritt des Briten. Das Publikum meinte Hitchcock zu kennen. Er gab ihnen ein Bild. Seine Verehrer sahen in ihm nur das Genie, doch wie seine Filme so enthielt auch Hitchcocks Leben äußerst dunkle Seiten, die der „Master of Suspense“ wohl nur ungern öffentlich gemacht hätte, wie zum Beispiel seine Beziehung zum Model Tippi Hedren, die als letzte große Hitchcock-Blondine in „Die Vögel“ und „Marnie“ zu Weltruhm kam.

Hitchcock war überzeugt von der noch unerfahrenen Hedren und gab ihr nach ein paar Screen-Tests sofort einen Siebenjahresvertrag. Die folgenden drei Jahre erlebte sie allerdings eine ganz andere Seite des beliebten Regisseurs. Er belästigte und verfolgte sie, rief ständig bei ihr an, quälte sie bei den Dreharbeiten und verlangte von ihr sexuelle Gefälligkeiten. Hedren gelang es mit Müh und Not „Marnie“ zu Ende zu drehen und verschwand dann für immer. Hitchcock sorgte für das Ende ihrer Karriere, genauso schnell wie er für ihren Aufstieg sorgte. Heute urteilt Hedren über den Filmemacher: „He was a powerful man.“ Sie fühlt sich als Siegerin, zurecht.

Jarrolds Film beleuchtet die Zeit vom Casting Hedrens bis zum Drehschluss von „Marnie“, zeigt dabei aber wenig Interesse an den eigentlichen Dreharbeiten der Filme. Anders als der nächstes Jahr startende „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins steht nicht die Erschaffung eines Meisterwerks im Vordergrund, sondern einzig und allein Hedrens Erlebnisse und die Beziehung zu Hitchcock. „The Girl“ bleibt, wie der Titel vermuten lässt, hauptsächlich in ihrer Perspektive, wobei es dem Film nicht nur darum geht authentisch zu sein, sondern auch darum die ungelüfteten Geheimnisse in Hitchcocks Werk offenzulegen.

„Psycho“ war vielleicht der größte Erfolg des Filmemachers, aber filmhistorisch sind es gerade seine beiden darauffolgenden Filme „Die Vögel“ und „Marnie“, die bis heute begeistern, spalten und Fragen aufwerfen, eben auch weil keine der vorherigen Stars vergleichbar war mit Tippi Hedren, vom Meister persönlich erkoren, die absolute Hitchcock-Blondine also. Dass der Regisseur danach nie wieder an seine Erfolge anknüpfen konnte und eine Nachfolgerin für Hedren ebenso ausblieb, schürte den Mythos umso mehr.

„The Girl“ zeigt dennoch selten Interesse daran diesem Mythos zu huldigen. Er dekonstruiert offen das Genie Hitchcocks, zeigt ihn als psychotischen Sadisten, verklemmten Tyrannen und übersetzt dennoch äußerst schlüssig wie nur so ein Mensch solche Filme drehen konnte. Das fängt bei einer der größten Hitchcock-Fragen überhaupt an. Warum greifen die Vögel Bodega Bay an? Natürlich weil Melanie Daniels, gespielt von Hedren, in die Stadt kommt. Sie bringt die Vögel mit. Jarrolds Film stellt die Vögel des Films und die Bedrohung durch Hitchcock in eine analoge Beziehung. Melanie Daniels Märtyrium ist Tippi Hedrens Märtyrium während der Dreharbeiten. Kernszene dieses Vergleichs bildet die berüchtigte Dachbodenszene. Melanie geht im Film hoch zum Dachboden, laut Hitchcock in „The Girl“ um sich zu opfern, da ihr bewusst geworden ist, dass sie für die Vögel verantwortlich ist. Oben angekommen wird sie von den Vögeln attackiert bis sie bewusstlos wird. Hitchcock ließ Hedren diese Szene fünf Tage lang drehen. In unzähligen Takes wurde sie von echten Vögeln angegriffen bis sie einen Schwächeanfall erlitt. Doch während im Film Melanie den Angriff geradeso übersteht und die Vögel daraufhin aufhören anzugreifen, kehrte Hedren ans Set als Siegerin zurück. Sie wollte sich nicht vom großen Regisseur fertig machen lassen. Dafür hörte Hitchcock aber auch nicht auf sie anzugreifen.

Der Reiz solcher Bio-Pics liegt natürlich auch immer an ihrer Schlüsselloch-Perspektive. Es ist seine voyeuristische Natur, wie wir sie auch aus Hitchs Filmen kennen. Julian Jarrold lässt vielleicht kaum ein gutes Haar an der Person Hitchcocks, doch er nutzt die Techniken seines Kinos in „The Girl“ bis zur Mimikry. Typische Perspektiven und die subtile Inszenierung erinnern stark an die Filme des Briten. Umso interessanter wie Jarrold typische Topoi im Kontext seiner Geschichte umdeutet, z.B. fungiert Hedrens Dusche zu Hause als ein Ort der Reinheit und Erholung, nicht als Ort eines sexuell aufgeladenen Mordes. Das Motiv der Vögel durchzieht dagegen den ganzen Film als Symbol allgegenwärtiger Bedrohung.

An der Oberfläche bleibt Jarrolds Film fast steril. Die Ausstattung ist superb und hat die Qualtität ähnlicher period pieces wie die TV-Serie „Mad Men“, die sich wiederum vergleichbar mit „The Girl“ ebenso sexistischen Rollenvorstellungen und Machtstrukturen widmet. Ganz egal wie vernarrt und verliebt Hitchock in die Schauspielerin war, seine Machenschaften hatten nichts mit dem Charme eines Verehrers zu tun. Es war reine Unterdrückung. Jarrolds Film lässt allerdings eine interessante Lesart zu. Hitchcock, der, auch nach Francois Truffauts Urteil, sich selbst als ein Monster sah und seine Sehnsüchte wie Obsessionen lieber auf der Leinwand auslebte, hatte ein gestörtes Verhältnis zur Realität.

In einer Szene in „The Girl“ erzählt Hitchcock von einem Künstler, der eine Statue erschafft, die sich dann in einen lebendigen Menschen verwandelt. Eine Fantasie, die er Hedren gesteht. Die ideale Hitchcock-Blondine, die Traumfrau, die der Regisseur in unzähligen Filmen zuvor auf Zelluloid zum Leben erweckte, soll nun endlich Wirklichkeit werden. Für ihn spielt Hedrens eigentliche Persönlichkeit keine Rolle. Er ist von einem Bild besessen, ähnlich wie James Stewart in „Vertigo“. Er will die kühle Blonde nicht mehr länger nur vor der Kamera. Er will sie in seinem Bett. Das Kino soll endlich Realität werden, dabei urteilte der Regisseur einst selbst, dass Filme eher ein Stück Kuchen als ein Stück Leben seien. Die Übersetzung in die Wirklichkeit kann nicht funktionieren. Die Film-Blondine bleibt ein Gespinst, eine künstliche Figur wie die Statue. Hitchcocks Übergriffe verursachen eher das Gegenteil. Aus der der lebenslustigen, jungen Frau wird ein Schatten ihrer Selbst, ein Mischwesen aus Fiktion und Wirklichkeit. Hedren wird emotional immer unnahbarer, kühler. Sie baut sich ein Schutzschild um Hitchcocks Angriffe zu überstehen und wird dadurch erst zu dem, was wir auf der Leinwand sehen. Zuletzt wird sie zu Marnie, zur Statue, deren Bann erst mit dem Drehschluss gebrochen wird.

Es lohnt sich nach „The Girl“ nochmal die eigentlichen Filme „Die Vögel“ und besonders „Marnie“ zu sehen. So gewalttätig Hitchcock in Wirklichkeit war, umso sanfter erscheinen die Filme dazu. Marnie kann ohne weiteres als die komplexeste Figur in Hitchcocks Werk bezeichnet werden und während die früheren Film-Beziehungen zwischen Mann und Frau positiv konnotiert waren, ist Marnies Beziehung zu Sean Connerys Figur durch Abhängigkeiten, Nötigungen und Zwängen gekennzeichnet. Die Analogie ist in „The Girl“ offensichtlich, doch am Set war Hitchcock in der Rolle Connerys. Auf der Leinwand schenkte er dagegen seine ganze Aufmerksamkeit Marnie. Der Regisseur konnte erst einer Filmfigur gegenüber die Empathie empfinden, die er eigentlich auch Hedren, der echten Marnie, hätte schenken müssen. „The Girl“ entblättert damit nicht nur den Mythos Hitchcock, sondern zeigt auch die Triebfeder seiner Filme, den Ursprung ihrer Faszination, Tippi Hedren als Opfer Hitchcocks und Hitchcock als Opfer Caligaris.

Obwohl der Film, wie eingangs erwähnt, stets aus der Perspektive Hedrens erzählt, ist „The Girl“ mehr ein Film über den Täter als über das Opfer. Diese Schwäche muss sich Jarrolds Film eingestehen. Das Publikum ist eher an der Motivation des Monsters interessiert. Das hatte Hitchcock schon für seine höchstfiktiven Thriller genutzt. Ein Bio-Pic muss sich den gleichen Regeln ergeben, was sich vorallem daran zeigt, dass Hedrens Privatleben äußerst uninteressant bleibt. Dennoch nutzt „The Girl“ eine andere Eigenart des Publikums für sich, die Sehnsucht nach einem Happy-End, nach Balance. Ganz egal wie charismatisch der Bösewicht ist, gewinnen sollte er trotzdem nicht und Hitchcock hat letztendlich nicht gewonnen. Das stellt der Film deutlich klar. Hedren kämpft mit erhobenen Haupt bis zur letzten Klappe, reißt sich die Perücke vom Kopf und verlässt das Set ohne zurückzublicken. Hitchcock bleibt nur die Statue, 24 mal in der Sekunde.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 7/10

"The Girl"

GB 2012

Julian Jarrold

mit Sienna Miller, Toby Jones, Penelope Wilton


Samstag, 13. Oktober 2012

PREMIUM RUSH


"Keine Bremsen. Kann nicht anhalten. Will es auch nicht."

Ein Tag in New York City: Wilee (Joseph-Gordon Levitt) ist der furchtloseste aller Fahrradkuriere. Sein Bike hat weder Bremsen noch Gänge. Es gibt nur eine Art vorwärts zu kommen und keine um sich aufhalten zu lassen. Heute erhält Wilee den Auftrag. Er soll einen Umschlag von A nach B transportieren, eigentlich ein Alltagsjob, doch auf einmal ist ihm ein rücksichtsloser Cop (Michael Shannon) auf den Felgen, der diesen ominösen Umschlag unbedingt haben will.

Noch bevor man überhaupt den Film gesehen hat, möchte man auf die Knie fallen und David Koepp dafür danken sich überhaupt an so eine Geschichte rangetraut zu haben. Klar, sie ist simpel, aber das ist es ja gerade. Mainstream-Action aus Hollywood begnügt sich schon seit Jahren nicht mehr mit einfachen Geschichten. Vorbei sind die Zeiten, wo es reichte eine Gruppe Menschen durch Terroristen in einem Hochhaus festzuhalten. Action erzählt sich heute nur noch über Mythenbildung („The Dark Knight Rises“, „Avengers“) oder verkompliziertes Storytelling („Inception“, „Source Code“). Da verwunderte es nicht, dass der beste Actionfilm der letzten Jahre „96 Hours“ aus Frankreich kam und auf eine straighte Handlung setzte.

Die Geschichte von „Premium Rush“ ist also ungewohnt altmodisch, fast naiv rein. Die Inszenierung und Montage sind dagegen ganz und gar nicht altbacken, sondern schier eindrucksvoll modern. Der überwiegend an Originalschauplätzen gedrehte Film bietet in seinen schon straffen 91 Minuten ein ungeahntes Tempo. Levitt und Co. fahren hier nicht Fahrrad im Studio vor Greenscreen, sondern auf echten New Yorker Straßen. Die entfesselte Kamera ist immer ganz dicht dabei. Keine Einstellung scheint unmöglich. Dennoch geht es nie darum die Bilder auszustellen. Alles steht im Dienste der stringenten Handlung, wobei es der Autor nicht lassen konnte die Erzählung gerade in der ersten Hälfte aus mehreren Perspektiven nacheinander zu erzählen, was wiederum die Figuren gut charakterisiert und ihre Hintergründe gleichwertig beleuchtet.

Das ist aber nicht alles. Non-Digital-Native Koepp holt noch andere neumodische Tools aus der Inszenierungskiste, z.B. Google Maps. Wenn sich Wilee eine Strecke überlegt, geht die Kamera ohne Schnitt in die isometrische Ansicht und zeigt die mögliche Route inklusive tickender Uhr, denn der Film läuft fast in Echtzeit. Mühelos wechselt „Premium Rush“ zwischen Überblick und Introspektive. Kommt Wilee eine schwierige Verkehrssituation in den Weg, spielen sich in seinem Kopf mögliche Was-Wäre-Wenn-Szenarien ab, wobei er sich für das Manöver entscheidet, dass weder ihn noch andere unter die Räder bringt.

In vielen Momenten erinnert „Premium Rush“ an den schon jetzt Kultfilm „Drive“, bloß auf Fahrrädern. Nur hat Koepp kein Interesse an Nihilismus und Gewalteskapaden. Der Film bleibt immer eine leichte Spielerei mit viel Sonnenlicht und wenig Schatten, Unterhaltung im Dienste der Unterhaltung eben. Ein ironiefreies Abenteuer inklusive Boy-Meets-Girl und moralischem Kompass. Denn irgendwann enthüllt Koepp seinen herrlich sinnentlerrten MacGuffin um Wilees Wandlung zum Helden einzuläuten. Die eröffnete Nebenhandlung im Land der Mitte raubt dem Film leider seine Reinheit und der Kitsch schleicht sich ein.

„Premium Rush“ erzeugt eine eigenartige Mischung aus gewohntem und ungewohntem. Der von Michael Shannon manisch gespielte Bad-Cop bedient seine Klischees um Spielsucht und Korruption schon so weit, dass es wieder originell wird. Abgesehen davon, dass Shannons Abonnement auf psychisch labile Rollen langsam nervt. Am meisten begeistert immer noch die dynamische Aufmachung, die ich Konservativ-Filmer Koepp nicht zugetraut hatte. Dennoch, hätte er die Handlung noch mehr entschlackt und sich ganz auf die Stärken des Kinos verlassen, dann wäre „Premium Rush“ ein echter Reißer geworden. So bleibt ein guter aber auch schwächelnder Film zurück, der sich keine außerordentlichen Ziele setzt und in keine neue Richtung weist, geschweige denn fährt.
Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 6/10

"Premium Rush"
USA 2012
David Koepp
mit Joseph-Gordon Levitt, Dania Ramirez, Michael Shannon

Mittwoch, 3. Oktober 2012

TAKEN 2



"Hör mir bitte zu Kim! Deine Mutter und ich werden entführt."

Es kommt nicht oft vor, dass man einen Film sieht, der die eigenen Erwartungen mehr als übertrifft. „96 Hours“, oder schlicht „Taken“, war damals so ein Film. Wer hätte gedacht, dass der bisher einzig auf Charakterrollen adressierte Liam Neeson glaubhaft zum Sly Stallone der Gegenwart avanciert. Die klare Regie und ein Drehbuch ohne viel Firlefanz machten den astreinen, schlanken, aber äußerst kompromisslosen Vigilante-Thriller erst möglich. Der Erfolg war enorm, eine Fortsetzung wohl unausweichlich. Der Ironie des Schicksals ist es nun auch geschuldet, dass meine Erwartung dem zweiten Teil gegenüber weit untertroffen wurde. Nicht, dass ich etwas genauso gutes vermutet hätte, aber dass „96 Hours - Taken 2“ genauso unbeholfen ist wie sein Titel klingt, hat mich doch schwer verwundert, wobei die Gründe offensichtlich sind. Zwei entscheidende Dinge haben sich geändert.

Zwar haben Luc Besson und Robert Mark Kamen wieder das Drehbuch geschrieben, doch von der chemischen Reinheit des ersten Films sind sie dieses mal weit entfernt. Während „Taken“ noch gänzlich um Liam Neeson herum geschrieben war und die geradlinige Handlung zunehmend eskalierte, da sich Neesons Figur Mills vor den Augen des Publikums unaufhaltsam vom Verlierer zum brutalen Mörder wandelte, ist der zweite Teil gezwungen eine andere Richtung einzuschlagen, da die Zuschauer_innen mit Minute eins bereits wissen wozu dieser Mann fähig ist. Die nötigen Geheimnisse, die Teil eins so unvorhersehbar machten und Besson/Kamen auf eine simple Story zurückgreifen ließen, fehlen nun völlig und so musste das Drehbuch zwangsläufig komplexer werden, mehr Figuren und mehr Wendungen mussten her. Aus der Vater-rettet-Tochter-aus-den-Händen-fieser-Menschenhändler-in-Paris-Geschichte wurde nun ein symmetrischer Selbstjustiz-Film. Einer der Väter der von Mills im ersten Film ermordeten albanischen Menschenhändler sinnt nun auf Rache und macht sich mit einem Killertrupp auf den Weg nach Istanbul, wo Mills gerade einen Bodyguardjob hat. Unerwartet bekommt er dort Besuch von seiner Tochter und seiner Exfrau. Es kommt wie es kommen musste. Mills und seine Ex werden entführt und nun muss die Tochter zur Tat schreiten um ihre Eltern zu retten. Dazu gesellen sich noch andere wirre Handlungselemente, wie das ausgestellt kluge Spiegeln der beiden Selbstjustiz-Seiten und eine unnötig lange Exposition, die nur erzählt, dass Töchterchen jetzt einen Freund hat und Papa lernen muss loszulassen, was aber nicht so schlimm ist, da seine Exfrau wieder eindeutige Avancen macht. Das nächste weibliche Wesen zum beschützen steht also bereits in den Startlöchern. Ärgerlich wie die Autoren mit diesen konservativen Heile-Welt-Abziehbildern bereits zu Beginn die ganze Klasse des ersten Teils in die Tonne kloppen.

Dennoch darf man dem Drehbuch nicht vorwerfen es würde nicht genügend Möglichkeiten für Actionsequenzen bieten. Die gibt es zuhauf, doch leider greift da der zweite folgenschwere Faux-Pas des Films, das Engagement Olivier Megatons als Regisseur. Der Kopf hinter u.a. „Transporter 3“ ist nicht im geringsten ein so guter Actionregisseur wie sein Kollege Pierre Morel. Kameramann Romain Lacourbas, den Megaton gleich mitgebracht hat, filmt fast alles mit dem übersichtsarmen Teleobjektiv und der Schnitt ist mehr damit beschäftigt dem Tempo des UpBeat-Soundtracks zu folgen als wirklich Bilder in Bezug zueinander zu stellen. Teilweise fängt man wirklich an die berüchtigte Zeitlupe zu vermissen, um überhaupt einmal hinterher zukommen. Man will doch eigentlich nur verstehen, wie der Mann da gerade gestorben ist, woher die Schüsse kamen oder wo überhaupt wer im Raum steht. Megaton findet das nicht wichtig. Hauptsache es knallt.

Das gelingt dem Film an einer Stelle sogar auf komische Art, wo das alberne Drehbuch und die planlose Regie Hand in Hand arbeiten. In einer Szene rennt die Tochter über die Dächer Istanbuls und versucht ihren Vater mithilfe von Granaten zu finden. Sie wirft eine nach der anderen irgendwohin und aufgrund des Explosionsschalls, sagt ihr Vater am Telefon wie weit sie noch entfernt ist, quasi GPS auf islamistisch oder so, was ganz gut ins islamfeindliche Weltbild von Besson und Co passt. Während der erste Film nur mit Mühe rassistisch gedeutet werden konnte, legt der zweite eine Schippe drauf. Der Ausflug nach Istanbul nimmt hier schon fast Slowakei-Ausmaße wie in Eli Roths „Hostel“ an, nur ohne dessen ironische Brechungen. Bei Besson trägt wirklich jede Frau in Istanbul ein Kopftuch, niemand ist hilfsbereit oder kommunikativ und wenn, wie in der Szene davor Granaten explodieren, dann interessiert sich dafür auch niemand, ist man ja gewohnt im Orient, oder was? Auch die folkloristische Musik, die laut über jede Stadt-Totale gelegt wird und einem Klagelied ähnelt, verdichtet nur das Bild eines Istanbuls als fremde Hölle aus dem es für die amerikanische Mittelstandsfamilie kein Entkommen gibt. Im ersten Film war noch das Geld an allem Schuld. Da waren die albanischen Menschenhändler nur am Ende der Kette aus bösartigen Menschen, die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zog. „96 Hours – Taken 2“ macht es sich da ein wenig einfacher. Da ist einfach jeder böse, der „Salam Aleikum“ sagt, ekelhaft.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 2/10

"96 Hours - Taken 2"
FR 2012
Olivier Megaton
mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Jannssen