„You had a breathing, living woman,
and you turned her into a statue.“
Das Verhältnis zwischen dem Regisseur
und der Schauspielerin hat bis heute nichts von seiner musischen,
aber auch gewalttätigen Kraft verloren. Die Filmgeschichte ist reich
an Beziehungen zwischen Schauspielerinnen und ihren Regisseuren,
glanzvolle Affären, behütete Ehen, aber auch bedrohliche
Abhängigkeiten. Das Klischee des aufstrebenden Starlets, dass erst
auf die Besetzungscouch muss um ganz nach oben zu kommen, war noch
nie eine Geschichte bei der beide Parteien als Sieger hervor gingen.
Das Kunstgewerbe, wie auch die Filmbranche werden bis heute von
Männern dirigiert. Die Nötigung von Frauen für den Karrieresprung,
solche perfiden Mittel denken sich nur die Herrschenden aus und sie
haben auch die Macht an ihnen festzuhalten. Die Schauspielerin spielt
das Spiel entweder mit oder nicht.
Julian Jarrold (u.a. „Geliebte Jane“)
erzählt im Fernsehfilm „The Girl“ dieses bekannte Verhältnis,
allerdings in einem völlig neuen Umfeld, der Biografie Alfred
Hitchcocks. Der Filmemacher zählt bis heute zu den bekanntesten und
einflussreichsten seiner Zunft. Kein Regisseur zuvor bemühte sich so
sehr das Image des Autoren hinter der Kamera zu pflegen, den Namen
des Filmemachers mit dem Werk untrennbar zu verschmelzen. Keine
Werbung, kein Trailer und kein Film ohne den charakteristischen
Auftritt des Briten. Das Publikum meinte Hitchcock zu kennen. Er gab
ihnen ein Bild. Seine Verehrer sahen in ihm nur das Genie, doch wie
seine Filme so enthielt auch Hitchcocks Leben äußerst dunkle
Seiten, die der „Master of Suspense“ wohl nur ungern öffentlich
gemacht hätte, wie zum Beispiel seine Beziehung zum Model Tippi
Hedren, die als letzte große Hitchcock-Blondine in „Die Vögel“
und „Marnie“ zu Weltruhm kam.
Hitchcock war überzeugt von der noch
unerfahrenen Hedren und gab ihr nach ein paar Screen-Tests sofort
einen Siebenjahresvertrag. Die folgenden drei Jahre erlebte sie
allerdings eine ganz andere Seite des beliebten Regisseurs. Er
belästigte und verfolgte sie, rief ständig bei ihr an, quälte sie
bei den Dreharbeiten und verlangte von ihr sexuelle Gefälligkeiten.
Hedren gelang es mit Müh und Not „Marnie“ zu Ende zu drehen und
verschwand dann für immer. Hitchcock sorgte für das Ende ihrer
Karriere, genauso schnell wie er für ihren Aufstieg sorgte. Heute
urteilt Hedren über den Filmemacher: „He was a powerful man.“
Sie fühlt sich als Siegerin, zurecht.
Jarrolds Film beleuchtet die Zeit vom
Casting Hedrens bis zum Drehschluss von „Marnie“, zeigt dabei
aber wenig Interesse an den eigentlichen Dreharbeiten der Filme.
Anders als der nächstes Jahr startende „Hitchcock“ mit Anthony
Hopkins steht nicht die Erschaffung eines Meisterwerks im
Vordergrund, sondern einzig und allein Hedrens Erlebnisse und die
Beziehung zu Hitchcock. „The Girl“ bleibt, wie der Titel vermuten
lässt, hauptsächlich in ihrer Perspektive, wobei es dem Film nicht
nur darum geht authentisch zu sein, sondern auch darum die
ungelüfteten Geheimnisse in Hitchcocks Werk offenzulegen.
„Psycho“ war vielleicht der größte
Erfolg des Filmemachers, aber filmhistorisch sind es gerade seine
beiden darauffolgenden Filme „Die Vögel“ und „Marnie“, die
bis heute begeistern, spalten und Fragen aufwerfen, eben auch weil
keine der vorherigen Stars vergleichbar war mit Tippi Hedren, vom
Meister persönlich erkoren, die absolute Hitchcock-Blondine also.
Dass der Regisseur danach nie wieder an seine Erfolge anknüpfen
konnte und eine Nachfolgerin für Hedren ebenso ausblieb, schürte
den Mythos umso mehr.
„The Girl“ zeigt dennoch selten
Interesse daran diesem Mythos zu huldigen. Er dekonstruiert offen das
Genie Hitchcocks, zeigt ihn als psychotischen Sadisten, verklemmten
Tyrannen und übersetzt dennoch äußerst schlüssig wie nur so ein
Mensch solche Filme drehen konnte. Das fängt bei einer der größten
Hitchcock-Fragen überhaupt an. Warum greifen die Vögel Bodega Bay
an? Natürlich weil Melanie Daniels, gespielt von Hedren, in die
Stadt kommt. Sie bringt die Vögel mit. Jarrolds Film stellt die
Vögel des Films und die Bedrohung durch Hitchcock in eine analoge
Beziehung. Melanie Daniels Märtyrium ist Tippi Hedrens Märtyrium
während der Dreharbeiten. Kernszene dieses Vergleichs bildet die
berüchtigte Dachbodenszene. Melanie geht im Film hoch zum Dachboden,
laut Hitchcock in „The Girl“ um sich zu opfern, da ihr bewusst
geworden ist, dass sie für die Vögel verantwortlich ist. Oben
angekommen wird sie von den Vögeln attackiert bis sie bewusstlos
wird. Hitchcock ließ Hedren diese Szene fünf Tage lang drehen. In
unzähligen Takes wurde sie von echten Vögeln angegriffen bis sie
einen Schwächeanfall erlitt. Doch während im Film Melanie den
Angriff geradeso übersteht und die Vögel daraufhin aufhören
anzugreifen, kehrte Hedren ans Set als Siegerin zurück. Sie wollte
sich nicht vom großen Regisseur fertig machen lassen. Dafür hörte
Hitchcock aber auch nicht auf sie anzugreifen.
Der Reiz solcher Bio-Pics liegt
natürlich auch immer an ihrer Schlüsselloch-Perspektive. Es ist
seine voyeuristische Natur, wie wir sie auch aus Hitchs Filmen
kennen. Julian Jarrold lässt vielleicht kaum ein gutes Haar an der
Person Hitchcocks, doch er nutzt die Techniken seines Kinos in „The
Girl“ bis zur Mimikry. Typische Perspektiven und die subtile
Inszenierung erinnern stark an die Filme des Briten. Umso
interessanter wie Jarrold typische Topoi im Kontext seiner Geschichte
umdeutet, z.B. fungiert Hedrens Dusche zu Hause als ein Ort der
Reinheit und Erholung, nicht als Ort eines sexuell aufgeladenen
Mordes. Das Motiv der Vögel durchzieht dagegen den ganzen Film als
Symbol allgegenwärtiger Bedrohung.
An der Oberfläche bleibt Jarrolds Film
fast steril. Die Ausstattung ist superb und hat die Qualtität
ähnlicher period pieces wie die TV-Serie „Mad Men“, die
sich wiederum vergleichbar mit „The Girl“ ebenso sexistischen
Rollenvorstellungen und Machtstrukturen widmet. Ganz egal wie
vernarrt und verliebt Hitchock in die Schauspielerin war, seine
Machenschaften hatten nichts mit dem Charme eines Verehrers zu tun.
Es war reine Unterdrückung. Jarrolds Film lässt allerdings eine
interessante Lesart zu. Hitchcock, der, auch nach Francois Truffauts
Urteil, sich selbst als ein Monster sah und seine Sehnsüchte wie
Obsessionen lieber auf der Leinwand auslebte, hatte ein gestörtes
Verhältnis zur Realität.
In einer Szene in „The Girl“
erzählt Hitchcock von einem Künstler, der eine Statue erschafft,
die sich dann in einen lebendigen Menschen verwandelt. Eine Fantasie,
die er Hedren gesteht. Die ideale Hitchcock-Blondine, die Traumfrau,
die der Regisseur in unzähligen Filmen zuvor auf Zelluloid zum Leben
erweckte, soll nun endlich Wirklichkeit werden. Für ihn spielt
Hedrens eigentliche Persönlichkeit keine Rolle. Er ist von einem
Bild besessen, ähnlich wie James Stewart in „Vertigo“. Er will
die kühle Blonde nicht mehr länger nur vor der Kamera. Er will sie
in seinem Bett. Das Kino soll endlich Realität werden, dabei
urteilte der Regisseur einst selbst, dass Filme eher ein Stück
Kuchen als ein Stück Leben seien. Die Übersetzung in die
Wirklichkeit kann nicht funktionieren. Die Film-Blondine bleibt ein
Gespinst, eine künstliche Figur wie die Statue. Hitchcocks
Übergriffe verursachen eher das Gegenteil. Aus der der
lebenslustigen, jungen Frau wird ein Schatten ihrer Selbst, ein
Mischwesen aus Fiktion und Wirklichkeit. Hedren wird emotional immer
unnahbarer, kühler. Sie baut sich ein Schutzschild um Hitchcocks
Angriffe zu überstehen und wird dadurch erst zu dem, was wir auf der
Leinwand sehen. Zuletzt wird sie zu Marnie, zur Statue, deren Bann
erst mit dem Drehschluss gebrochen wird.
Es lohnt sich nach „The Girl“
nochmal die eigentlichen Filme „Die Vögel“ und besonders
„Marnie“ zu sehen. So gewalttätig Hitchcock in Wirklichkeit war,
umso sanfter erscheinen die Filme dazu. Marnie kann ohne weiteres als
die komplexeste Figur in Hitchcocks Werk bezeichnet werden und
während die früheren Film-Beziehungen zwischen Mann und Frau
positiv konnotiert waren, ist Marnies Beziehung zu Sean Connerys
Figur durch Abhängigkeiten, Nötigungen und Zwängen gekennzeichnet.
Die Analogie ist in „The Girl“ offensichtlich, doch am Set war
Hitchcock in der Rolle Connerys. Auf der Leinwand schenkte er dagegen
seine ganze Aufmerksamkeit Marnie. Der Regisseur konnte erst einer
Filmfigur gegenüber die Empathie empfinden, die er eigentlich auch
Hedren, der echten Marnie, hätte schenken müssen. „The Girl“
entblättert damit nicht nur den Mythos Hitchcock, sondern zeigt auch
die Triebfeder seiner Filme, den Ursprung ihrer Faszination, Tippi
Hedren als Opfer Hitchcocks und Hitchcock als Opfer Caligaris.
Obwohl der Film, wie eingangs erwähnt,
stets aus der Perspektive Hedrens erzählt, ist „The Girl“ mehr
ein Film über den Täter als über das Opfer. Diese Schwäche muss
sich Jarrolds Film eingestehen. Das Publikum ist eher an der
Motivation des Monsters interessiert. Das hatte Hitchcock schon für
seine höchstfiktiven Thriller genutzt. Ein Bio-Pic muss sich den
gleichen Regeln ergeben, was sich vorallem daran zeigt, dass Hedrens
Privatleben äußerst uninteressant bleibt. Dennoch nutzt „The
Girl“ eine andere Eigenart des Publikums für sich, die Sehnsucht
nach einem Happy-End, nach Balance. Ganz egal wie charismatisch der
Bösewicht ist, gewinnen sollte er trotzdem nicht und Hitchcock hat
letztendlich nicht gewonnen. Das stellt der Film deutlich klar.
Hedren kämpft mit erhobenen Haupt bis zur letzten Klappe, reißt
sich die Perücke vom Kopf und verlässt das Set ohne
zurückzublicken. Hitchcock bleibt nur die Statue, 24 mal in der
Sekunde.
Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 7/10"The Girl"
GB 2012
Julian Jarrold
mit Sienna Miller, Toby Jones, Penelope Wilton