Sonntag, 26. Februar 2012

HUGO vs. THE ARTIST

… oder „Die 84. Oscars und ihre Sehnsucht nach dem Gestern“

Da war man Jahr um Jahr, Verleihung um Verleihung, erstaunt zu welchen Siegerfilmen sich die Academy durchringen konnte, doch als letztes Jahr das konventionelle Drama „The King's Speech“ gewann, schien wieder alles vergessen. Ein Blick zurück: 2010 gewann der Irakkriegsfilm „The Hurt Locker“, ein Film, der an den Kassen praktisch unterging und nur durch die Academy zu späten Ehren kam. Bisher galt das Vorurteil: Oscar-Gewinner müssten auch Publikumslieblinge sein. Eine These, die bereits die Coens 2008 mit „No Country for Old Men“ widerlegten. Im gleichen Zuge waren aber auch die Einschaltquoten miserabel. Die Oscars sollten spritziger und jünger werden. Seitdem es möglich ist zehn Filme für den „Besten Film“ zu nominieren, schaffen es auch Blockbuster, wie „Avatar“ zu den Oscars, wodurch sich die Macher höhere Quoten erhoffen. 2011 war auch der Renner des Jahres, „Inception“, unter den Nominierten, doch es gewann „The King's Speech“, ein Film den sich ein Jugendlicher noch nicht mal downloaden würde, aber das ist ja auch egal. Ich wäre der Letzte, der die Academy dazu überreden würde, nur die Filme gewinnen zu lassen, die auch bei der Jugend ankommen. Ich will viel eher darauf hinweisen, dass die Jugend nicht bescheuert ist. Welche Garantien bietet eine Kategorie in der zehn Filme nominiert werden können? Wissen die Jugendlichen nicht selbst, dass eher „Toy Story 3“ den Oscar bekommt als „Inception“? Guckt die Jugend überhaupt noch Fernsehen?

Am besten man lässt die werberelevante Zielgruppe einfach außen vor (Wunschdenken!) und konzentriert sich wirklich auf die guten Filme des letzten Jahres, doch wenn man sich die nominierten Filme einmal ansieht, sticht eine Sache besonders ins Auge. Was haben die Gewinnerfilme „Crash“, „No Country for Old Men“, „Slumdog Millionaire“ und „The Hurt Locker“ gemeinsam? Sie alle spielen im Hier und Jetzt und verhandeln gesellschaftliche Probleme. Dieses Jahr gehen mit Martin Scorseses „Hugo“ und Michel Hazanavicius „The Artist“ zwei Filme ins Rennen, die nur sich selbst und ihre Vergangenheit zum Thema haben, das Kino und seine Wurzeln. Von den zehn nominierten Filmen spielen nur zwei in der Gegenwart, wobei Woody Allens „Midnight in Paris“ auch nur von der Vergangenheit erzählt. Alle anderen Filme reichen vom ersten Weltkrieg bis zum 11. September. Gab es denn keine großen, zeitgeistigen Filme dieses Jahr? Ehrlich gesagt, fällt es schwer welche zu finden. Entweder Hollywood erschaudert angesichts des Weltuntergangs und wagt nur noch einen wehmütigen Blick zurück oder durch die Übermacht an realen Problemen wollte man einfach mal wieder dem guten alten Eskapismus frönen.

Aus meiner Sicht kann und sollte nur „The Tree of Life“, Terrence Malicks ambitioniertes Weltepos gewinnen, doch das wird nicht passieren. Zwar kann man sich schon darüber freuen, dass Emmanuel Lubezki wahrscheinlich seinen ersten Oscar für die herausragende Kameraarbeit nach Hause nehmen darf, doch zum besten Film wird „The Tree of Life“ nicht gekürt.


„Hugo“ geht mit elf und „The Artist“ mit zehn Nominierungen in Rennen. Zwei Filme mit ähnlichem Thema und grundverschiedener Umsetzung. Wo Hazanavicius Film den Stummfilm wieder zum Leben erweckt, da nutzt Scorsese die neueste 3D-Technik. Inhaltlich hat „Hugo“ die bessere Hommage ans Kino geschaffen. Nicht nur, dass Scorsese dem kindlichen Zuschauer eine wirkliche Filmgeschichtsstunde bietet und dem Pionier Georges Mélies ausgiebig huldigt, er versucht sogar dem Medium neue Perspektiven abzuringen indem er das zweidimensionale mit dem dreidimensionalen Kino vermählt. Schade ist nur, dass ihm das nicht gelingt. Es gibt eine Szene, die das besonders zeigt. In einer Rückblende sehen wir, wie Georges Mélies zum ersten Mal dem Kinematographen der Lumières begegnet. Bei einer Aufführung des Films „Ankunft eines Zuges in La Ciotat“ glaubt das Publikum der Zug würde wirklich auf sie zufahren und weicht erschrocken aus. Was heute witzig erscheint, bestätigte damals die Kraft des neuen Mediums, ohne Ton und in schwarz-weiß Illusionen zu erzeugen. Wozu brauchen wir also 3D? Natürlich kann man sagen, dass heute niemand mehr in dieser Situation ausweichen würde, aber das wäre bei 3D ebenso. Das Kino ist ein domestizierter Ort geworden. Wir wissen was uns erwartet. Dennoch, sobald die Lichter ausgehen, tauchen wir ab, ob nun in 2D, schwarz-weiß oder bunt. Abgesehen davon, bei aller Mühe die sich Robert Richardson bei seiner Kameraarbeit gibt, der Film hätte auch mühelos in 2D funktioniert. Das wirklich nötige 3D-Kino muss noch geschaffen werden und in meiner Vorstellung muss es sich von allerhand Stilmitteln des klassischen Kinos lösen, z.B. der Tiefenunschärfe. Es ist nicht mehr nötig das Bild in Vorder-, Mittel- und Hintergrund aufzuteilen. Das übernimmt die 3D-Technik.


Wertung: 6,5

Den größten Beweis, dass 3D redundant ist, liefert der direkte Konkurrent „The Artist“. Er ist der formal interessantere Film, weil er versucht eine kommerzielle Geschichte mit vergessenen Mitteln zu erzählen und wie es scheint, nimmt das Publikum das Experiment an und wagt sich nach über achtzig Jahren mal wieder in einen Stummfilm. Hazanavicius erzählt in seinem Film von einem Umbruch, dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und wie ein Schauspieler daran zerbricht, eine Geschichte, die bereits Billy Wilder in seinem Meisterwerk „Sunset Boulevard“ verarbeitete. Die Konsequenz Wilders fehlt allerdings bei Hazanavicius. Er orientiert sich zu stark an den Wünschen des Publikums, wodurch „The Artist“ schlichtweg glattgebügelt wirkt. Bei aller formalen Extravaganz und dem komödiantischen Esprit, den der Film besonders in der ersten Hälfte bietet, wäre der Film zur damaligen Zeit erschienen, er wäre untergegangen. Wenn man sich die Stummfilme großer Meister, wie F.W. Murnau, ansieht, weiß man auch warum. Darin liegt die eigentliche Existenzberechtigung von „The Artist“. Er zeigt uns, dass es vielleicht nicht mehr möglich ist zurückzukehren, zum reinen Bild, zum Ursprung des Mediums. Ton, Farbe und 3D, was haben sie uns gebracht? „The Artist“ demonstriert uns indirekt, dass uns diese technischen Revolutionen vielleicht nicht reicher, sondern nur ärmer gemacht haben. Allein das macht Hazanavicius Film sehenswert.

Wertung: 7/10


Beide Filme, „Hugo“ und „The Artist“, zeigen, dass das Kino in der Klemme sitzt. Es kann nicht vor und nicht zurück. Die Academy wird bei der Verleihung so oder so den Finger in die Wunde stecken und niemand wird irgendetwas spüren, keiner wird aufschreien. Es werden weiterhin jedes Jahr die Oscars, die Palmen und die Bären verliehen. Die Fördertöpfe werden überlaufen und die Technik wird sich soweit entwickeln, dass man sich in naher Zukunft fragt, was ein Kino ist, warum Film überhaupt Film heißt und wann der neue David-Fincher-Film endlich bei iTunes zu sehen ist.


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