Sonntag, 29. Juli 2012

THE CONVERSATION


"You're not supposed to feel anything about them."

Es gibt so viele Beispiele für Filmemacher, die am Anfang ihrer Karriere strahlend leuchten und dann immer mehr verglimmen. Francis Ford Coppola ist sehr wohl Teil dieses Kreises. Sein Abstieg ist einer der steilsten. Wie so viele Filmemacher des New-Hollywood war auch er Teil der Roger-Corman-Schmiede, lernte dort das Handwerk und realisierte erste Filme. Der Durchbruch kam dann mit „Der Pate“ und dem eindringlichen Nachschlag „Der Pate II“. Beide Filme räumten wie verrückt bei den Oscars ab. Coppola bekam alle Freiheiten und drehte „Der Dialog“, einen minimalistischen Thriller über einen Abhörspezialisten.

Harry Caul (Gene Hackman) lebt für den Beruf. Sein Privatleben ist auf das mindeste reduziert, gerade soviel um nicht wahnsinnig zu werden, könnte man meinen. Für ihn sind die Menschen, die er abhört, bloße Stimmen. Er kennt sie nicht, will sie nicht kennen lernen, doch ein neuer Auftrag ändert alles, da er Harrys dunkle Vergangenheit heraufbeschwört und der Profi beginnt seine eigenen Regeln zu brechen.

Allein beim Lesen der Inhaltsangabe werden die weitreichenden Verweise von Coppolas Film klar. Nicht ohnehin fühlt man sich an den letzten großen deutschen Oscar-Gewinner „Das Leben der Anderen“ erinnert. Auch Christopher Nolan hat sich für sein Debüt „Following“ wahrscheinlich hier bedient. Dabei erzählt der „Der Dialog“ gar keine neue Geschichte. Die Wurzeln des Films liegen bei Hitchcock und dem Film noir. Es ist eine reizvolle Erzählung über Überwachung, soziale Codes und Obsession. Dazu kommt die Bedeutung des Films als Zeitdokument. Coppola zeichnet Nixons Amerika, was ja ein Amerika des Misstrauens war. Der Watergate-Skandal in Form einer Parabel über einen Abhörprofi, der die Welt zu interpretieren versucht und daran kläglich scheitert.

Es gibt keine Szene in der Harry Caul nicht zu sehen ist. „Der Dialog“ bleibt stets subjektiv und daher täuschend. Caul ist wiederum auch nur ein Zuschauer, wie wir. Coppola arbeitet klar mit filmischen Codes, verwendet überwiegend Teleobjektive und voyeuristische Perspektiven. Der Zuschauer beobachtet Harry. Harry beobachtet ein Paar im Park. Zwei Ebenen, die sich spiegeln, wobei es Harry, wie auch uns, schwer fällt menschliches Verhalten zu deuten. Somit erarbeitet Coppola in seinem Film auch eine Kritik am Kinobild, das letztendlich oberflächlich bleibt. Ein Blick unter die Haut ist nicht möglich, theoretisch jedenfalls.

Es gibt einen Moment im Film in dem der Blick Harrys und der Blick des Zuschauers divergieren, wo beide Ebenen nicht mehr kohärent zueinander sind. In einer Traumsequenz gibt uns Coppola Einblick in Harrys Seele. Seine Ängste werden nun ganz deutlich. Der Mann, der für viele nur ein Rätsel ist, kommt uns auf einmal sehr nahe. Wir können nun unter Harrys Haut sehen, doch er kann es nicht. Die Tragödie ist vorprogrammiert.

In Coppolas Werk nimmt „Der Dialog“ eine Sonderstellung ein, ähnlich wie „Punch-Drunk Love“ von Paul Thomas Anderson. Beide sind kleine Produktionen, die zwischen fast megalomanischen Filmen entstanden sind. Coppola verschwand nach dem Film drei Jahre im Dschungel und kehrte mit „Apocalypse Now“ wieder, einem Film, der schier alle Grenzen bricht. „Der Dialog“ ist, wie eingangs erwähnt, eher ein minimalistischer Thriller, kein Film, der vor Spannung zerbirst, aber ein Film mit ungemeinen Suspense. Es geht um das große Dilemma: „Kann ich dem trauen, was da auf der Leinwand passiert?“ Auch bekannt als der Leitsatz des 70er-Jahre-Kinos: „Nichts ist wie es scheint.“

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 9,5/10

"Der Dialog"

USA 1974
Francis Ford Coppola
mit Gene Hackman, John Cazale, Harrison Ford

Freitag, 20. Juli 2012

TO ROME WITH LOVE



"Der Junge ist Kommunist. Der Vater ist Bestatter. Leitet die Mutter eine Leprakolonie?"

Es erstaunt immer wieder, wie es Woody Allen, mittlerweile 76 Jahre alt, schafft jedes Jahr einen neuen Film auf die Leinwand zu bringen. Früher war das ja noch einfacher. Heute erfordert es aber weit mehr Kraft einen Film auf den Weg zu bringen, ihn also praktisch überhaupt drehen zu können, was man in besonderen Ausprägungen ja an den Zeitspannen zwischen den Filmen Paul Thomas Andersons oder Terrence Malicks sehen kann. Nur Woody Allen, bei ihm scheint die Zeit stehen geblieben, er dreht unbeirrt weiter und erfreut und ärgert uns gleichermaßen jedes Jahr aufs neue.

Im amerikanischen Kino nahm Allen schon immer eine Sonderstellung ein, was nicht nur an seiner topografischen Distanz zur Traumfabrik liegt, sondern auch an seiner starken Verbundenheit zum europäischen Kino. So etwas wie Woody Allen, das konnte nur während des „New-Hollywood“ entstehen und während vieler seiner Kollegen seit Ende der Achtziger nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, liest sich Allens Filmografie mehr wie ein Aufstieg der Karriereleiter. Allen ist heute weitaus populärer als Francis Ford Coppola und Co. Die Leute gehen gerne in seine Filme. Damit sind auch die Kritiker gemeint. So ähnlich war es wohl früher als man in einen Hitchcockfilm ging. Man wusste worauf man sich einstellen konnte. Allen ist Marke, Künstler und Produzent, ein Auteur, dessen Filme man bereits von weitem erspäht. Seit Anfang des neuen Jahrtausends sind Woodys Filme besonders erfolgreich. Seit seiner Neuorientierung mit „Match Point“, wo zuerst die Filmkritik verdutzt glotzen musste, wird jeder neue Film mit der Lupe beäugt. Mit „Midnight in Paris“ drehte er letztes Jahr sogar seinen größten Publikumserfolg und kam mal wieder in die unangenehme Lage einen Oscar zu gewinnen.

Nach so einem Film warten nun umso mehr Zuschauer auf das neue Werk des New Yorkers, der seine Europareise filmisch weiterführt. Nach London, Barcelona und Paris, ist nun also Rom an der Reihe. Im Vergleich zu seinen vorherigen europäischen Filmen erzählt Allen „To Rome with Love“ als klassischen Episodenfilm. Alle Geschichten sind miteinander verwoben und drehen sich, wie bei Woody Allen gewohnt, um Beziehungen, Kunst, den Tod, Vernunft und Gefühl. Da gibt es z.B. ein provinzielles junges Ehepaar, das nach Rom ziehen will. Als sich die Frau (Alessandra Mastronardi) in der Stadt verirrt, muss ihr verklemmter Ehemann (Alessandro Tiberi) aus Verzweiflung mit einer Prostituierten (Penélope Cruz) zur reichen Verwandtschaft und sie als seine Frau ausgeben. Neben vielen italienischen Stars, u.a. Ornella Muti und Roberto Benigni, hat Allen natürlich wieder zahlreiche Hollywood-Sternchen für seinen Film gewinnen können, von Legenden wie Alec Baldwin und Judi Davis bis hin zu Newcomern wie Jesse Eisenberg, Greta Gerwig und Ellen Page.

Hinter Allens Starrummel verbirgt sich allerdings nicht nur ein kommerzieller Gedanke. Wieder kommt die Verbindung zu Alfred Hitchcocks Kino in den Sinn, der Stars für seine Filme dringend brauchte um seine Figuren zu füllen. Schauspieler wie Cary Grant oder James Stewart waren bei Hitchcock immer auf die Rollen abonniert, die ihrem Image entsprachen. So brauchte er sich im Film nicht mit unnötiger Figurenzeichnung belasten. Die Stars füllten ihre Rollen automatisch aus. So ähnlich ist es auch bei Woody Allen. Jesse Eisenberg jedenfalls spielt wie erwartet den gehemmten Intellektuellen, der in ein Gefühlschaos geschleudert wird. Roberto Benigni verkörpert wortwörtlich den Durchsnittsitaliener, der von einem Tag auf den anderen zum Prominenten wird. Der Slapstick und Klamauk der Rolle ist auf ihn zugeschnitten. Umso klarer wird Allens Cast beim eigentlichen Besetzungscoup des Films. Es ist Woody Allen selbst. Seit sechs Jahren Leinwandabstinenz ist „To Rome with Love“ der erste Film in dem er mal wieder den Neurotiker spielt. Natürlich muss gesagt werden, dass dieser Besetzungsstreich beim restlichen italienischen Cast nur bedingt gelingt. Dafür wirken diese Charaktere mehr im Film verankert, wie für ihn geboren also, da sie nicht aus ihm herauswachsen.

Bleiben wir aber bei Woody Allens Figur, die archetypisch für sein komplettes Werk steht. So viel sei gesagt, wenn man viele seiner Filme kennt und mag, so entwickelte man über die Jahre eine Art Verbundenheit mit dieser Figur, so ist es auch gerade dieser Charakter, der im Film quasi wie ein Katalysator funktioniert. Sobald man Allen das erste Mal wieder sieht, werden Erinnerungen wach. Man wird sentimental und lacht herzhaft, ganz egal was er sagt. Die Besetzung in diesem Film ist ein Vorzeigebeispiel wie man mit Stars angemessen umgeht. Sie sind Selbstläufer und so erstaunt es nicht, dass auch „To Rome with love“ fast wie von selbst läuft. Die Dialoge drehen sich um gewohnte Inhalte und sind dennoch urkomisch. Die Figuren wirken wie aus der Retorte, funktionieren aber trotzdem bis ins Mark genau. Klar, es gibt Geschichten, die sind besser gelungen als andere. Das passiert den meisten Episodenfilmen. Schade ist nur, dass man das Gefühl bekommt, Woody Allen hätte der uninteressantesten von ihnen die meiste Screen-Time geschenkt. Die Dreiecksgeschichte um Eisenberg, Page und Gerwig, bekommt zwar durch Baldwins surrealistische Auftritte einen gehörigen Schuss Ironie, aber spannender wird sie dadurch trotzdem nicht, geschweige denn aufschlussreicher. Dennoch kann man sich in diesem Lustspiel wunderbar amüsieren. Allen weiß immer noch welche Knöpfe er zu drücken hat, doch irgendwie hat man auch das Gefühl er drücke nur abgenutzte Knöpfe.

Das ist kein neuer Anklagepunkt in Woodys Strafverzeichnis. Das gehört dazu, wenn man ein Auteur ist. Dafür weiß ja auch das Publikum mit was es rechnen kann, wenn es das Kino betritt, so wie bei Hitchcock. Allerdings hat sich die britische Regielegende stets einen Spaß daraus gemacht diese Erwartungen zu unterlaufen. Bei den meisten Hitchcockfilmen hatte man danach das Gefühl etwas neues gesehen zu haben. Das kann man von Allens neuem Film nicht sagen. Wie schon gesagt: „To Rome with Love“ ist ein tolle Komödie. Niemand wird hier schreiend aus dem Kino stürmen, aber gerade so nistet sich Allens Film in der Nische der berüchtigten Wohlfühlfilme ein, diese ominöse Schnittmenge an Filmen, wo sich makelloses Handwerk und inhaltliche Reibungsfreiheit vereinen, im Grunde die Erfolgsformel kommerzieller Arthousefilme. Keine schräge Zeitreise wie bei „Midnight in Paris“ oder schwergewichtige Dramatik ala „Match Point“. Vielleicht ist es auch ein bisschen zu viel verlangt von einem Regisseur sich jährlich bei jedem Film neu zu erfinden, aber ich schütte trotzdem Salz in die Wunde, gerade weil man damit rechnen muss, dass es Woody Allen bald nicht mehr geben wird. Dann reißt die Kette jährlicher Allenfilme einfach so ab, urplötzlich und ohne Vorwarnung. Also ganz ehrlich: Welcher Regisseur will einen Film wie „To Rome with Love“ als sein Vermächtnis haben?

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 5,5/10

"To Rome With Love"
USA/IT/ES 2012
Woody Allen
mit Alec Baldwin, Penélope Cruz, Roberto Benigni

Mittwoch, 18. Juli 2012

THE DARK KNIGHT RISES


"Gotham, take control... take control of your city. Behold, the instrument of your liberation! Identify yourself to the world!"

Vor genau acht Jahren schlüpfte Bruce Wayne (Christian Bale) zum letzten Mal in das Kostüm des dunklen Rächers. Seitdem ist es sehr still im Leben des Milliardärs geworden: Keine Partys, keine Wohltätigkeitsbälle und keine Damenbesuche mehr. Das ändert sich jedoch, als Gerüchte laut werden, dass sich im Untergrund eine Armee formiert, angeführt durch den brutalen und skrupellosen Söldner Bane (Tom Hardy). Bruce Wayne muss noch einmal die Rolle des schwarzen Rittes Batman schlüpfen, um Gotham vor der totalen Vernichtung zu bewahren. Doch kann es Batman mit einem Gegner wie Bane überhaupt aufnehmen?

Wie bei so vielen dritten Teilen von Trilogien, bezieht sich auch „Rises“ mehr auf den Ursprung, den ersten Film „Batman Begins“. Zum einen um eine Klammer zu schaffen und zum andern um den sträflich ignorierten Auftakt der Saga an die Trilogie zu binden. Den Bare-Bone-Realismus von „The Dark Knight“ mildert Nolan ein wenig. Im Gegenzug ist es dem Film wichtig die vorherigen Filme in allen Belangen zu übertrumpfen.

In stolzen 164 Minuten, die nicht immer so flüssig laufen, wie gewünscht, fackelt Nolan jedes Actionfeuerwerk ab, was das Drehbuch auch nur halbwegs anbietet. Schlichtweg alles vergrößert sich, vom Ensemble bis zu den Set-Pieces und es zeigt sich, was „Rises“ wirklich fehlt, ist ein Kern der Geschichte, etwas das alles miteinander verbindet. So bleibt Nolan nichts anderes übrig als seine zig Plots diffus und überdeutlich zu erzählen. Den zarten 9/11-Anspielungen eines „The Dark Knight“ weicht eine offenkundige Anklage an die Verursacher der Weltfinanzkrise, der dennoch nicht genügend Zeit bleibt um sich zu entfalten.

Niemand hat in diesem Film Zeit für irgendwas. Es ist ein einziges atemloses Hetzen und Kämpfen, was durch das schludrige Handwerk von Kamera und Schnitt noch verstärkt wird. Im Vergleich mit dem beinah makellosen „The Avengers“, fehlt es Nolans Film an vielen Dingen, aber während Joss Whedons Comic-Spektakel das leckere Sahnehäubchen auf einer groß kalkulierten Marketing-Torte ist, geben sich Nolans Batmanfilme immer als Wagnisse zu erkennen. Das gilt auch für den dritten Film, dem sein Übermaß an Inhalt und ungezügelter Form zu Gesicht stehen. Hier geht es gar nicht darum einen schlechten Film gut zu reden, aber selten sieht man eine solch wunderbar strikte Perversion abseits des „Production-Codes“ heutiger Hollywood-Mega-Eventfilme.

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 7/10

"The Dark Knight Rises"
USA 2012
Christopher Nolan
mit Christian Bale, Tom Hardy, Joseph-Gordon Levitt


Donnerstag, 12. Juli 2012

LAY THE FAVORITE



Kopf oder Zahl ist egal, ich kenne sie beide schon.

Rebecca Hall hat in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Seit ihrem Auftritt in Christopher Nolans „The Prestige“ spielte die britische Schauspielerin unter der Ägide anderer erfolgreicher Regisseure wie Woody Allen und Ron Howard. Nun spielt sie die Hauptrolle im neuen Film der britischen Regie-Legende Stephen Frears, wobei es gerade dieser Film sein könnte, der Halls Karriere einen Dämpfer verpassen könnte.

Beth (Rebecca Hall) ist eine junge Frau, die als erotische Tänzerin ihr Geld verdient. Als sie keine Lust mehr darauf hat, zieht sie nach Vegas und lernt dort den Glücksspieler Dick (Bruce Willis) kennen, der sie ins Wettgeschäft einweist. Beth kann überaus gut mit Zahlen hantieren und kann Dink einige Gewinne bescheren. Als er plötzlich Geld verliert, schmeißt er Beth raus, die nun ihr Glück allein versucht.

Das ist die Geschichte und wem das nicht reicht, kann sich auch den Trailer ansehen, der die gesamte Handlung in kleinen Häppchen präsentiert. Was hängen bleibt, ist die Frage ob der Topos „Las Vegas“ nicht bereits zu genüge im Kinosaal beleuchtet wurde. Es gab unzählige Filme, darunter Meisterwerke wie „Casino“ von Martin Scorsese, und TV-Serien, dennoch hängt die amerikanische Filmindustrie am Mythos „Vegas“ und seinen Projektionen vom großen Geld und bunten Lichtern, auch wenn diese Projektionen an Leuchtkraft eingebüßt haben. Selbst im amerikanisierten Europa stellt man sich Vegas wenig glamourös vor, eher als Inbegriff der Dekadenz, als einen Ort an dem man mehr verliert als gewinnt. Das haben uns ja auch die Filme gelehrt. Wen wundert es da schon, dass wir uns schulterzuckend abwenden?

Somit ist es schwer zu erklären, wozu es einen Film wie „Lady Vegas“ überhaupt braucht. Das wussten die Produzenten wohl ebenso wenig und suchten händeringend nach Gründen das Publikum ins Kino zu locken. Die Besetzung liest sich schon mal sehr gut und erinnert an das Format der beliebten „Ocean's“-Reihe. Wem Schauspieler nicht reichen, kann sich auch über den Credit des Regisseurs freuen. Zu guter Letzt holt Hollywood einen Doppeltrumpf aus der Tasche, der beim Publikum meistens sehr gut ankommt, die wahre Begebenheit und das Buch als Vorlage.

Rebecca Halls Figur Beth gab es wirklich und sie schrieb ein Buch über ihre Erlebnisse. Das klingt jetzt spannender als es in Wirklichkeit ist, denn eine ungewöhnliche Geschichte hat „Lady Vegas“ nicht zu erzählen und man kommt ins Grübeln, warum Beth Raymer überhaupt ein Buch darüber geschrieben hat, wenn es doch so wenig zu erzählen gibt, was man nicht sowieso schon kennt.

Umso eigenartiger ist der Ton des Films, der seinen Stoff trotzdem soweit fiktionalisiert, dass die reale Vorlage ganz schnell im Kinozauber verschwindet und man das Gefühl bekommt einen ganz normalen Vegas-Film zu sehen. Darüber hinaus wird kaum eine Figur in Frears Film lebendig, was auch daran liegt, dass man sie alle irgendwie schon mal in einem anderen Kontext gesehen hat. Sie bleiben Schablonen, kaum vorstellbar, dass es sie wirklich gibt. Besonders irritierend ist Rebecca Hall, die ihren Charakter überaus naiv und aufgesetzt spielt. Die Bewunderung der anderen Figuren Beth gegenüber ist kaum nachvollziehbar. Highlights wie John Carroll Lynch oder Vince Vaughn tauchen leider viel zu selten auf um das wieder wett zu machen. Zudem ist es schade, wie witzlos der Film ist, denn eigentlich müsste man „Lady Vegas“ an den Maßstäben einer Komödie messen und gerade die Dialoge von Autor DeVincentis wirken leider wie aus dem echten Leben. Sie sind banal und meistens nicht komisch. Das geht gar soweit, dass man das Husten im Kinosaal als Lachen missversteht.

Es fehlt der Verve und das Wagnis, eben auch mal der Blick in den Abgrund, den frühere Vegas-Filme hatten. „Lady Vegas“ ist zwar kein langweiliger Film, aber frei von jeglichen Höhepunkten oder Überraschungen. Die Besetzung ist gut drauf, aber gehörig unterfordert. Ja, Vegas City ist ein durchschaubarer Ort geworden, keine Schattenwelt wie früher, kein bunter Reigen menschlicher Gefühle mehr, sondern eine bloße Stadt mit Leuten, die Geld verdienen und es wieder verlieren, also so wie überall.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 3/10


"Lady Vegas"

USA 2012

Stephen Frears

mit Rebecca Hall, Bruce Willis, John Carroll Lynch

Mittwoch, 4. Juli 2012

MIENTRAS DUERMES



... von der Anstrengung böse zu sein.

Spanien macht in den letzten Jahren vor allem durch Genrefilme von sich reden. Sogar in den diesjährigen Berlinale-Wettbewerb schaffte es mit „Childish Games“ eine solche Produktion. Filme wie „Das Waisenhaus“ oder „[REC]“ zeigen deutlich wie sehr dieser Trend im Qualitätskino Fuß gefasst hat, besonders, wenn sogar der Großmeister des spanischen Kinos Pedro Almodóvar mit seinem letzten Film „Der Haut in der ich wohne“ einen waschechten Horrorthriller abgeliefert hat.

Jaume Balagueró ist nun auch kein unbeschriebenes Blatt. In Spanien ist er sogar ein bekannter Regisseur, der schon mit zahlreichen Filmen einen Ruf als Schreckensmann festigen konnte. Der Durchbruch kam dann endgültig mit dem, zusammen mit Paco Plaza inszenierten, Found-Footage-Horror „[REC]“, der sofort ein Hollywood-Remake und zwei Fortsetzungen nach sich zog. Mit einem solchen Erfolg im Rücken machte sich Balagueró auf sein Wunschprojekt „Sleep Tight“ zu realisieren.

Es geht um César (Luis Tosar), einem Concierge eines bürgerlichen Wohnhauses, dem es unmöglich ist glücklich zu sein. Er weiß nicht wofür es sich überhaupt lohnt morgens aufzustehen, doch es gibt Hoffnung. Die lebensfrohe Mieterin Clara (Marta Etura) ist ihm ein Dorn im Auge. Sie lächelt jeden Tag. César nimmt sich als Ziel das Lächeln aus ihrem Gesicht zu radieren.

Es gibt wahrscheinlich einfachere Rollen für einen Schauspieler. Luis Tosar gelingt es dennoch hervorragend das Wechselspiel von Sympathie und Abscheu zu spielen. Seine Figur ist ein böser Mensch, doch Tosar macht ihn menschlich, ja sogar sympathisch. Sobald er sein Ziel formuliert, nämlich die junge Frau unglücklich zu machen, wird es auch zum Ziel des Zuschauers, der ebenso wie César auf der Lauer liegt, ob Clara am nächsten Morgen immer noch lächeln wird oder nicht. Alberto Marinis Drehbuch ist so klug unseren „Helden“ nicht unverwundbar zu machen. Die meisten Antagonisten in Filmen strahlen bis kurz vor Schluss immer eine gewisse Überlegenheit aus, was es dem Publikum leichter macht ihn fallen sehen zu wollen. César ist dagegen schon ganz unten. Sein Chef schikaniert ihn, sein Beruf ist nicht geachtet und seine Mutter liegt im Krankenhaus. Zu einem gewissen Punkt könnte man sogar meinen er gebe das Unrecht, was die Welt auf ihn geladen hat, bloß weiter.

Höhepunkt dieser Identifikation mit César bildet eine lange Sequenz in der er versucht aus Claras Wohnung zu entkommen ohne von ihr und ihrem Freund gesehen zu werden. Eine bekannte Situation, die Balagueró dennoch zum möglichen Spannungshöhepunkt treibt, da er stets in Césars Perspektive bleibt und sich nicht ablenken lässt. Man drückt die Daumen und wünscht diesem „Helden“, dass er es schafft zu entkommen, ganz egal wie gemein er ist. „Sleep Tight“ beweist eindringlich, wie unwichtig dem Zuschauer Moral und Anstand sind. Jede Figur, egal wie schlecht sie ist, bleibt eine Projektion, die wir mit unseren eigenen Gefühlen aufladen. In Wirklichkeit sind wir es, die den Film durchleben, niemand sonst.

Das Drehbuch strukturiert seine Geschichte streng chronologisch. Wie in „Sieben“ bilden Wochentage den Rhythmus des Films, was Balagueró für einen gekonnten Schlussakkord verwendet, wobei man sagen muss, dass „Sleep Tight“ grundsätzlich keinen großen Schritt hinaus wagt. Die Identifikation mit César ist zwar sehr gut gelungen, aber ohnehin genreimmanent. Die Inszenierung bleibt reibungsarm. Besonders der seichte Soundtrack versucht zu kitten, was man gar nicht kitten bräuchte. So ein Film braucht Widerhaken, Momente in denen man hinaus geworfen wird, wo man eben nicht nur folgen kann. Doch darauf hat es der Regisseur abgesehen. Er hat sich ganz der Nachvollziehbarkeit verschrieben, weshalb er wahrscheinlich die dunkelsten Abgründe vermeidet. Betrachtet man Césars Versuche Clara das Leben schwer zu machen, so fällt auf, dass Balaguerós Inszenierung weitaus schärfer hätte sein können. Ein Schabenbefall in Claras Wohnung zum Beispiel wirkt hier eher komisch als beängstigend, was natürlich auch daran liegt, dass Clara auch vom Zuschauer nur als Versuchsobjekt betrachtet wird. Die emphatischen Genremomente vermisst man überwiegend.

Letztendlich bleibt „Sleep Tight“ nichts anderes übrig als seine größten Bomben am Ende zu zünden, die dafür umso mehr schmerzen. Dennoch ist Balagueró auch an diesem Zeitpunkt an Homogenität interessiert. Er will, dass der Zuschauer das Kino in der Gewissheit verlässt einen runden Film gesehen zu haben, dabei sind es doch die Ecken an denen man sich stoßen sollte.

Wertung: 6/10


"Sleep Tight"

ES 2011

Jaume Balagueró

mit Luis Tosar, Marta Etura, Alberto San Juan


Sonntag, 1. Juli 2012

GESEHEN IM JUNI 2012


To Rome with Love - 5,5/10
(IT/ES/US 2012, Woody Allen)

Roman Polanski: Wanted and Desired - 7,5/10
(GB/US 2008, Marina Zenovich)

The Band Wagon - 8,5/10
(US 1953, Vincente Minelli)

Plastic Planet - 6,5/10
(AT 2009, Werner Boote)

The Amazing Spider-Man - 6/10
(US 2012, Marc Webb)

Gentlemen's Agreement - 8/10
(US 1947, Elia Kazan)

Captain America - The First Avenger - 1/10
(US 2011, Joe Johnston)

The Pleasure Garden - 5/10
(DE/GB 1925, Alfred Hitchcock)

Blackmail - 7/10
(GB 1929, Alfred Hitchcock)

La Grande Illusion - 9/10
(FR 1937, Jean Renoir)

Komm, süßer Tod - 7/10
(AT 2000, Wolfgang Murnberger)

Lay The Favorite - 4/10
(US 2012, Stephen Frears)

Schwerkraft - 6/10
(DE 2009, Maximilian Erlenwein)

I Broke my Future - Paradies Europa - 6/10
(DE 2007, Carla Gunnesch)

Superman Returns - 6/10
(US 2006, Bryan Singer)

Bonnie and Clyde - 8,5/10
(US 1967, Arthur Penn)

Constantine - 4/10
(US 2005, Francis Lawrence)

Chéri - 6,5/10
(GB 2009, Stephen Frears)

Source Code - 6/10
(US/FR 2011, Duncan Jones)

Die 3groschenoper - 7,5/10
(DE/FR 1931, G.W. Pabst)

Dark Shadows - 7/10
(US 2012, Tim Burton)