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Mittwoch, 2. Januar 2013

SEVEN PSYCHOPATHS


"Auge um Auge und die ganze Welt wird blind sein."

Seit Martin McDonaghs Langfilmdebüt „Brügge sehen und sterben?“ herrscht eine schwere Uneinigkeit über die Einordnung seiner künstlerischen Person. Selbst die Marketing-Abteilungen wissen nicht so recht wie sie einen Donagh-Film an den Mann oder die Frau bringen sollen. Wer damals nach dem Trailer zu „Brügge sehen und sterben?“ eine tarantinoeske Gangsterkomödie erwartete, wurde im Kinosaal eines besseren belehrt. Der gefeierte irische Bühnenautor benutzte die postmodernen Kinobilder des Tarantino-Kults als bloße Verpackung einer tiefgehenden moralischen wie tragischen Dramatisierung bekannter Gangster-Streitigkeiten. [...]
Wertung: 7/10

Montag, 22. Oktober 2012

THE GIRL


„You had a breathing, living woman, and you turned her into a statue.“

Das Verhältnis zwischen dem Regisseur und der Schauspielerin hat bis heute nichts von seiner musischen, aber auch gewalttätigen Kraft verloren. Die Filmgeschichte ist reich an Beziehungen zwischen Schauspielerinnen und ihren Regisseuren, glanzvolle Affären, behütete Ehen, aber auch bedrohliche Abhängigkeiten. Das Klischee des aufstrebenden Starlets, dass erst auf die Besetzungscouch muss um ganz nach oben zu kommen, war noch nie eine Geschichte bei der beide Parteien als Sieger hervor gingen. Das Kunstgewerbe, wie auch die Filmbranche werden bis heute von Männern dirigiert. Die Nötigung von Frauen für den Karrieresprung, solche perfiden Mittel denken sich nur die Herrschenden aus und sie haben auch die Macht an ihnen festzuhalten. Die Schauspielerin spielt das Spiel entweder mit oder nicht.

Julian Jarrold (u.a. „Geliebte Jane“) erzählt im Fernsehfilm „The Girl“ dieses bekannte Verhältnis, allerdings in einem völlig neuen Umfeld, der Biografie Alfred Hitchcocks. Der Filmemacher zählt bis heute zu den bekanntesten und einflussreichsten seiner Zunft. Kein Regisseur zuvor bemühte sich so sehr das Image des Autoren hinter der Kamera zu pflegen, den Namen des Filmemachers mit dem Werk untrennbar zu verschmelzen. Keine Werbung, kein Trailer und kein Film ohne den charakteristischen Auftritt des Briten. Das Publikum meinte Hitchcock zu kennen. Er gab ihnen ein Bild. Seine Verehrer sahen in ihm nur das Genie, doch wie seine Filme so enthielt auch Hitchcocks Leben äußerst dunkle Seiten, die der „Master of Suspense“ wohl nur ungern öffentlich gemacht hätte, wie zum Beispiel seine Beziehung zum Model Tippi Hedren, die als letzte große Hitchcock-Blondine in „Die Vögel“ und „Marnie“ zu Weltruhm kam.

Hitchcock war überzeugt von der noch unerfahrenen Hedren und gab ihr nach ein paar Screen-Tests sofort einen Siebenjahresvertrag. Die folgenden drei Jahre erlebte sie allerdings eine ganz andere Seite des beliebten Regisseurs. Er belästigte und verfolgte sie, rief ständig bei ihr an, quälte sie bei den Dreharbeiten und verlangte von ihr sexuelle Gefälligkeiten. Hedren gelang es mit Müh und Not „Marnie“ zu Ende zu drehen und verschwand dann für immer. Hitchcock sorgte für das Ende ihrer Karriere, genauso schnell wie er für ihren Aufstieg sorgte. Heute urteilt Hedren über den Filmemacher: „He was a powerful man.“ Sie fühlt sich als Siegerin, zurecht.

Jarrolds Film beleuchtet die Zeit vom Casting Hedrens bis zum Drehschluss von „Marnie“, zeigt dabei aber wenig Interesse an den eigentlichen Dreharbeiten der Filme. Anders als der nächstes Jahr startende „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins steht nicht die Erschaffung eines Meisterwerks im Vordergrund, sondern einzig und allein Hedrens Erlebnisse und die Beziehung zu Hitchcock. „The Girl“ bleibt, wie der Titel vermuten lässt, hauptsächlich in ihrer Perspektive, wobei es dem Film nicht nur darum geht authentisch zu sein, sondern auch darum die ungelüfteten Geheimnisse in Hitchcocks Werk offenzulegen.

„Psycho“ war vielleicht der größte Erfolg des Filmemachers, aber filmhistorisch sind es gerade seine beiden darauffolgenden Filme „Die Vögel“ und „Marnie“, die bis heute begeistern, spalten und Fragen aufwerfen, eben auch weil keine der vorherigen Stars vergleichbar war mit Tippi Hedren, vom Meister persönlich erkoren, die absolute Hitchcock-Blondine also. Dass der Regisseur danach nie wieder an seine Erfolge anknüpfen konnte und eine Nachfolgerin für Hedren ebenso ausblieb, schürte den Mythos umso mehr.

„The Girl“ zeigt dennoch selten Interesse daran diesem Mythos zu huldigen. Er dekonstruiert offen das Genie Hitchcocks, zeigt ihn als psychotischen Sadisten, verklemmten Tyrannen und übersetzt dennoch äußerst schlüssig wie nur so ein Mensch solche Filme drehen konnte. Das fängt bei einer der größten Hitchcock-Fragen überhaupt an. Warum greifen die Vögel Bodega Bay an? Natürlich weil Melanie Daniels, gespielt von Hedren, in die Stadt kommt. Sie bringt die Vögel mit. Jarrolds Film stellt die Vögel des Films und die Bedrohung durch Hitchcock in eine analoge Beziehung. Melanie Daniels Märtyrium ist Tippi Hedrens Märtyrium während der Dreharbeiten. Kernszene dieses Vergleichs bildet die berüchtigte Dachbodenszene. Melanie geht im Film hoch zum Dachboden, laut Hitchcock in „The Girl“ um sich zu opfern, da ihr bewusst geworden ist, dass sie für die Vögel verantwortlich ist. Oben angekommen wird sie von den Vögeln attackiert bis sie bewusstlos wird. Hitchcock ließ Hedren diese Szene fünf Tage lang drehen. In unzähligen Takes wurde sie von echten Vögeln angegriffen bis sie einen Schwächeanfall erlitt. Doch während im Film Melanie den Angriff geradeso übersteht und die Vögel daraufhin aufhören anzugreifen, kehrte Hedren ans Set als Siegerin zurück. Sie wollte sich nicht vom großen Regisseur fertig machen lassen. Dafür hörte Hitchcock aber auch nicht auf sie anzugreifen.

Der Reiz solcher Bio-Pics liegt natürlich auch immer an ihrer Schlüsselloch-Perspektive. Es ist seine voyeuristische Natur, wie wir sie auch aus Hitchs Filmen kennen. Julian Jarrold lässt vielleicht kaum ein gutes Haar an der Person Hitchcocks, doch er nutzt die Techniken seines Kinos in „The Girl“ bis zur Mimikry. Typische Perspektiven und die subtile Inszenierung erinnern stark an die Filme des Briten. Umso interessanter wie Jarrold typische Topoi im Kontext seiner Geschichte umdeutet, z.B. fungiert Hedrens Dusche zu Hause als ein Ort der Reinheit und Erholung, nicht als Ort eines sexuell aufgeladenen Mordes. Das Motiv der Vögel durchzieht dagegen den ganzen Film als Symbol allgegenwärtiger Bedrohung.

An der Oberfläche bleibt Jarrolds Film fast steril. Die Ausstattung ist superb und hat die Qualtität ähnlicher period pieces wie die TV-Serie „Mad Men“, die sich wiederum vergleichbar mit „The Girl“ ebenso sexistischen Rollenvorstellungen und Machtstrukturen widmet. Ganz egal wie vernarrt und verliebt Hitchock in die Schauspielerin war, seine Machenschaften hatten nichts mit dem Charme eines Verehrers zu tun. Es war reine Unterdrückung. Jarrolds Film lässt allerdings eine interessante Lesart zu. Hitchcock, der, auch nach Francois Truffauts Urteil, sich selbst als ein Monster sah und seine Sehnsüchte wie Obsessionen lieber auf der Leinwand auslebte, hatte ein gestörtes Verhältnis zur Realität.

In einer Szene in „The Girl“ erzählt Hitchcock von einem Künstler, der eine Statue erschafft, die sich dann in einen lebendigen Menschen verwandelt. Eine Fantasie, die er Hedren gesteht. Die ideale Hitchcock-Blondine, die Traumfrau, die der Regisseur in unzähligen Filmen zuvor auf Zelluloid zum Leben erweckte, soll nun endlich Wirklichkeit werden. Für ihn spielt Hedrens eigentliche Persönlichkeit keine Rolle. Er ist von einem Bild besessen, ähnlich wie James Stewart in „Vertigo“. Er will die kühle Blonde nicht mehr länger nur vor der Kamera. Er will sie in seinem Bett. Das Kino soll endlich Realität werden, dabei urteilte der Regisseur einst selbst, dass Filme eher ein Stück Kuchen als ein Stück Leben seien. Die Übersetzung in die Wirklichkeit kann nicht funktionieren. Die Film-Blondine bleibt ein Gespinst, eine künstliche Figur wie die Statue. Hitchcocks Übergriffe verursachen eher das Gegenteil. Aus der der lebenslustigen, jungen Frau wird ein Schatten ihrer Selbst, ein Mischwesen aus Fiktion und Wirklichkeit. Hedren wird emotional immer unnahbarer, kühler. Sie baut sich ein Schutzschild um Hitchcocks Angriffe zu überstehen und wird dadurch erst zu dem, was wir auf der Leinwand sehen. Zuletzt wird sie zu Marnie, zur Statue, deren Bann erst mit dem Drehschluss gebrochen wird.

Es lohnt sich nach „The Girl“ nochmal die eigentlichen Filme „Die Vögel“ und besonders „Marnie“ zu sehen. So gewalttätig Hitchcock in Wirklichkeit war, umso sanfter erscheinen die Filme dazu. Marnie kann ohne weiteres als die komplexeste Figur in Hitchcocks Werk bezeichnet werden und während die früheren Film-Beziehungen zwischen Mann und Frau positiv konnotiert waren, ist Marnies Beziehung zu Sean Connerys Figur durch Abhängigkeiten, Nötigungen und Zwängen gekennzeichnet. Die Analogie ist in „The Girl“ offensichtlich, doch am Set war Hitchcock in der Rolle Connerys. Auf der Leinwand schenkte er dagegen seine ganze Aufmerksamkeit Marnie. Der Regisseur konnte erst einer Filmfigur gegenüber die Empathie empfinden, die er eigentlich auch Hedren, der echten Marnie, hätte schenken müssen. „The Girl“ entblättert damit nicht nur den Mythos Hitchcock, sondern zeigt auch die Triebfeder seiner Filme, den Ursprung ihrer Faszination, Tippi Hedren als Opfer Hitchcocks und Hitchcock als Opfer Caligaris.

Obwohl der Film, wie eingangs erwähnt, stets aus der Perspektive Hedrens erzählt, ist „The Girl“ mehr ein Film über den Täter als über das Opfer. Diese Schwäche muss sich Jarrolds Film eingestehen. Das Publikum ist eher an der Motivation des Monsters interessiert. Das hatte Hitchcock schon für seine höchstfiktiven Thriller genutzt. Ein Bio-Pic muss sich den gleichen Regeln ergeben, was sich vorallem daran zeigt, dass Hedrens Privatleben äußerst uninteressant bleibt. Dennoch nutzt „The Girl“ eine andere Eigenart des Publikums für sich, die Sehnsucht nach einem Happy-End, nach Balance. Ganz egal wie charismatisch der Bösewicht ist, gewinnen sollte er trotzdem nicht und Hitchcock hat letztendlich nicht gewonnen. Das stellt der Film deutlich klar. Hedren kämpft mit erhobenen Haupt bis zur letzten Klappe, reißt sich die Perücke vom Kopf und verlässt das Set ohne zurückzublicken. Hitchcock bleibt nur die Statue, 24 mal in der Sekunde.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 7/10

"The Girl"

GB 2012

Julian Jarrold

mit Sienna Miller, Toby Jones, Penelope Wilton


Mittwoch, 18. Juli 2012

THE DARK KNIGHT RISES


"Gotham, take control... take control of your city. Behold, the instrument of your liberation! Identify yourself to the world!"

Vor genau acht Jahren schlüpfte Bruce Wayne (Christian Bale) zum letzten Mal in das Kostüm des dunklen Rächers. Seitdem ist es sehr still im Leben des Milliardärs geworden: Keine Partys, keine Wohltätigkeitsbälle und keine Damenbesuche mehr. Das ändert sich jedoch, als Gerüchte laut werden, dass sich im Untergrund eine Armee formiert, angeführt durch den brutalen und skrupellosen Söldner Bane (Tom Hardy). Bruce Wayne muss noch einmal die Rolle des schwarzen Rittes Batman schlüpfen, um Gotham vor der totalen Vernichtung zu bewahren. Doch kann es Batman mit einem Gegner wie Bane überhaupt aufnehmen?

Wie bei so vielen dritten Teilen von Trilogien, bezieht sich auch „Rises“ mehr auf den Ursprung, den ersten Film „Batman Begins“. Zum einen um eine Klammer zu schaffen und zum andern um den sträflich ignorierten Auftakt der Saga an die Trilogie zu binden. Den Bare-Bone-Realismus von „The Dark Knight“ mildert Nolan ein wenig. Im Gegenzug ist es dem Film wichtig die vorherigen Filme in allen Belangen zu übertrumpfen.

In stolzen 164 Minuten, die nicht immer so flüssig laufen, wie gewünscht, fackelt Nolan jedes Actionfeuerwerk ab, was das Drehbuch auch nur halbwegs anbietet. Schlichtweg alles vergrößert sich, vom Ensemble bis zu den Set-Pieces und es zeigt sich, was „Rises“ wirklich fehlt, ist ein Kern der Geschichte, etwas das alles miteinander verbindet. So bleibt Nolan nichts anderes übrig als seine zig Plots diffus und überdeutlich zu erzählen. Den zarten 9/11-Anspielungen eines „The Dark Knight“ weicht eine offenkundige Anklage an die Verursacher der Weltfinanzkrise, der dennoch nicht genügend Zeit bleibt um sich zu entfalten.

Niemand hat in diesem Film Zeit für irgendwas. Es ist ein einziges atemloses Hetzen und Kämpfen, was durch das schludrige Handwerk von Kamera und Schnitt noch verstärkt wird. Im Vergleich mit dem beinah makellosen „The Avengers“, fehlt es Nolans Film an vielen Dingen, aber während Joss Whedons Comic-Spektakel das leckere Sahnehäubchen auf einer groß kalkulierten Marketing-Torte ist, geben sich Nolans Batmanfilme immer als Wagnisse zu erkennen. Das gilt auch für den dritten Film, dem sein Übermaß an Inhalt und ungezügelter Form zu Gesicht stehen. Hier geht es gar nicht darum einen schlechten Film gut zu reden, aber selten sieht man eine solch wunderbar strikte Perversion abseits des „Production-Codes“ heutiger Hollywood-Mega-Eventfilme.

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 7/10

"The Dark Knight Rises"
USA 2012
Christopher Nolan
mit Christian Bale, Tom Hardy, Joseph-Gordon Levitt


Sonntag, 27. Mai 2012

MOONRISE KINGDOM



Wes Anderson entführt uns in seinem Cannes-Eröffnungsfilm in ein Reich der Unschuld und Nostalgie.

Rhode Island in den Sechzigern, die Kinder Sam und Suzy verlieben sich ineinander, doch die Welt der Erwachsenen hat etwas dagegen. Die Beiden fliehen in die Wildnis, woraufhin eine Suchaktion beginnt, die für allerhand Wirbel sorgt.

Ohne auch nur einen weiteren Film von Wes Anderson gesehen zu haben, wage ich es eine Kritik zu „Moonrise Kingdom“ zu schreiben. Das wollte ich nur vorher geklärt haben. Natürlich habe ich eine ungefähre Ahnung wie Andersons Kino bisher aussah. Ich kenne Trailer, Artikel und Vorträge zu seinen Filmen. „Moonrise Kingdom“ bestätigte diese Ahnung deutlich. Wes Anderson, so scheint es, hat eine genaue Vorstellung davon, wie seine Filme auszusehen haben. Diese Vorstellung geht manchmal so weit, dass sich der eine oder andere Kritiker zum Wörtchen Manierismus hinreißen lässt. Auch ich stolperte über dieses Wort als ich im Kino saß und die Prolog-Sequenz bestaunte.

In präzisen und widernatürlichen Kamerafahrten erkundet der Zuschauer ein opulentes Landhaus auf einer Insel Neu-Englands. Dazu läuft eine Einführung zu Orchestermusik von Benjamin Britten, die sich drei Jungs auf einem kleinen Plastikplattenspieler anhören. Wir sehen ein Mädchen, dass liest und die Eltern, die räumlich getrennt, aber dennoch nah beieinander, ihr Tagwerk verrichten. Andersons Leitmotiv ist die Nostalgie, und zwar die ungebrochene. Während Woody Allen in „Midnight in Paris“ nostalgische Gefühle noch auf eine Belastungsprobe stellte, scheint Anderson diese kritische Distanz völlig abzugehen. Die Bilder und Farben, ja sogar die Kadragen erinnern ständig an alte Fotografien. Insoweit kann die Eröffnungssequenz auch als ein Blick in das heimische Fotoalbum gedeutet werden, jede Kamerafahrt gleich dem schweifenden Auge.

In den Bilder zeigt sich letztendlich auch Anderson komödiantische Meisterschaft. Während die meisten Regisseure Witz durch Dialoge erzeugen, funktioniert der Humor von „Moonrise Kingdom“ auf einer rein filmischen Ebene. Nun gut, natürlich gibt es auch witzige Dialoge, was bei der Anzahl entrückter Figuren auch kein Wunder ist, doch die Komik beginnt meistens bereits bei ihrem Aussehen, der Wahl des Kostüms, der Perspektive und des Kameraobjektivs. Ein Charakter zum Beispiel dient im Film als Kommentator, ein älterer Mann mit rotem Anorak und Wollmütze. Allein wie Anderson ihn ins Bild nimmt, ist unglaublich komisch, mal klein am unteren Bildrand oder von Kopf bis Fuß in modelhafter Pose. Das ist pure filmische Komödie, mit dem vollen Einsatz aller Ausdrucksmöglichkeiten. Darin erschließt sich auch Andersons hochgelobte Detailfreude. Jedes Bild ist genau komponiert und jede Requisite ist beseelt. Es ist die Aufgabe eines jeden Filmemachers sich dieser Möglichkeiten bewusst zu sein und sie zu nutzen. Polanski verbrachte einmal ewig um einen Aschenbecher im Bild zu drapieren, woraufhin der Schauspieler fragte, ob es hier nicht um ihn, sondern um den Aschenbecher ginge. Polanski antwortete: Es geht um alles, was sich im Bild befindet.

Wes Andersons überdeutliche Handschrift verführt natürlich leicht dazu den Film abzustoßen. Das ist auch kein Wunder. Wie viele Filme gibt es heutzutage noch die eine so große visuelle Wiedererkennbarkeit haben, in Zeiten von Cinemascope, Wackelkamera und Blau-Orange-Kontrasten? Allerdings, Andersons Neigung zum Kitsch und zur vordergründigen Skurrilität wird auch viele Zuschauer vergraulen, mich zum Glück nicht.

Hinter all der filmischen Raffinesse, versteckt sich zwar letztendlich nur eine weitere Geschichte über das Erwachsenwerden, dennoch gibt uns Andersons Film nochmal das Gefühl ein Kind zu sein und jeder, der eine so junge Liebe erlebt hat, kann diese Welt ebenso nachvollziehen. Als Kind wirkt sogar eine kleine Insel wie die große Welt und eine kleine Bucht wird zum Königreich des Erwachens.

Wertung: 7/10


"Moonrise Kingdom"
US 2012
Wes Anderson
mit Bruce Willis, Edward Norton, Tilda Swinton

Donnerstag, 26. April 2012

THE AVENGERS


Lasst alle Helden bei mir sein!

Thors Bruder Loki (Tom Hiddleston) kehrt zurück auf die Erde. Er stiehlt den Tesserakt, einen Würfel mit unendlicher Energie, um ein Portal zu bauen, damit seine Alienarmee auf die Erde kommen kann und die Menschheit unterjocht. Nick Fury (Samuel L. Jackson) reaktiviert daraufhin die Avengers-Initiative, einen Verbund, der mächtigsten Superhelden der Welt.

Wagt man einen Blick zurück, zum Anbeginn der Comic-Kinowelle, auf das Jahr 2000, damals erschien Bryan Singers "X-Men", so hat man heute einfach den Überblick verloren. Man fragt sich nur noch: Welcher Superheld wurde eigentlich noch nicht verfilmt? Anscheinend gibt es nicht mehr so viele, sonst würde man "Spider Man" nicht rebooten und "The Avengers" wäre wohl auch nicht entstanden.

Seit "X-Men" hat sich das Comic-Kino sehr verändert. Was früher als Kassengift galt, ist heute ein sicheres Pferd in Hollywood. Auch der Umgang mit den Stoffen hat sich verändert. Anders als bei einer Literaturadaption, bin ich bei einer Comicumsetzung an visuelle Vorbilder gebunden. Schwierig ist dennoch der Unterschied zwischen Realperson und gezeichneter Figur. Wo im Comic ein buntes Heldenkostüm mit Strapsen und Cape schulterzuckend hingenommen wird, ja sogar Teil einer langentwickelten amerikanischen Comic-Geschichte ist, die mit Farben arbeitet, wie keine zweite Kultur, während in Japan Manga immernoch schwarz-weiß ist, erscheinen derartige Ausstattungen im Kino wie eine leibhaftige Varieté-Show, da aber hinter jeder guten Comicvorlage stets eine große epische Erzählung steckt, waren auch gerade die seriösen Perspektiven von Comicverfilmungen reizvoll, was durch buntaufgetakelte Superhelden leicht hätte korrumpiert werden können. Schon Tim Burton verabschiedete sich in den 90er Jahren lautstark vom Adam-West-Batman und schuf eine düstere und hochdramatische Comicsymphonie. "X-Men" tat ähnliches, entsättigte die Kostüme und fasste alle Sci-Fi-Elemente in ein Glas-Beton-Stahldesign. Als Höhepunkt dieser Entwicklung können Christopher Nolans "Batman"-Filme angesehen werden. Ein Backlash war die Folge. Batman habe sich schon so weit von seiner Vorlage entfernt, dass der Comiccharakter komplett verschwand, lautete das Urteil vieler Fans.

Das hat Hollywood, speziell Marvel verstanden. Seit der ersten hochgelobten Eigenproduktion "Iron Man", arbeitet das Studio an einem "Cinematic Universe", zu dem nicht nur die "Iron Man"-Filme, sondern auch "The Incredible Hulk" von 2008, "Thor" und "Captain America: The First Avenger" gehören. Alle diese Filme sind teil einer neuen filmischen Welt, die nun mit Joss Whedons "The Avengers" ihre Vollendung erfährt. Man könnte sagen, wir sind in der Comicfilm-Postmoderne angelangt, denn nach zahlreichen ästhetischen Experimenten, wie "Sin City" oder Ang Lees "Hulk" von 2003, gibt es keine Ängste mehr. Das Publikum nimmt nun Superhelden in bunten, wie auch in schwarzen Kostümen ernst. Die bekannten narrativen Muster des Mythos, denen sich jeder Superheldenfilm bedient, haben auch schon die Zuschauer verinnerlicht, was Auslassungen in den Erzählungen möglich macht, was wiederum Raum für mehr Schauwerte, wie sie das Blockbusterkino benötigt, schafft.

Bei einem Film wie "The Avengers" kann man sowieso schlecht von einer Comicverfilmung sprechen. Nur ein Bruchteil des Publikums kennt die Vorlagen. All diese Figuren haben sich bereits emanzipiert und sind fest im Kino angekommen. Joss Whedon, bekannt als Drehbuchautor und TV-Serienschöpfer, hat nun nach "Serenity" mit "The Avengers" seinen zweiten Kinofilm gedreht und damit den ersten richtig guten Sommerblockbuster des Jahres geliefert.

Wenn man Joss Whedons bisherige Arbeit betrachtet, erstaunt es wie selbstverständlich sein Actionkino funktioniert. Das woran Kenneth Branagh mit "Thor" kläglich gescheitert ist, also mitreißend zu Erzählen, das gelingt "The Avengers" über 143 Minuten hinweg. Whedon schrieb selbst das Drehbuch und ohnehin wirkt "The Avengers" stets wie ein Autorenfilm. Da ist zum einen die sympathische Entscheidung des Bildformats von 16:9. Alle vorherigen Marvelfilme waren in Cinemascope. Das 16:9-Format ähnelt nicht nur Whedons Fernseharbeiten, sondern ist für Actionfilme ohnehin das bessere Format, da es nicht nur genug Raum in der Breite, sondern auch in der Höhe hat, was vorallem dem Showdown in Manhattan gut tut. Dazu gesellt sich Whedons Vorliebe für Ensembles. "Buffy", "Firefly", ja fast alle TV-Serien arbeiten mit großen Ensembles. Was im Fernsehen selbstverständlich ist, muss nicht fürs Kino gelten. Dennoch lebt "The Avengers" in erster Linie durch die Konflikte dieser völlig unterschiedlichen Helden und das Drehbuch nimmt sich ungemein viel Zeit für Dialoge und Charakterzeichnung. Es fällt einfach schwer irgendeine Figur nicht in sein Herz zu schließen, sei es der rüpelhafte Hühne Thor oder der Playboy Tony Stark aka Iron Man. Besonders gefiel mir aber Bruce Banner alias Hulk. Mark Ruffalo hat sich hiermit zur besten Besetzung dieser Figur empfohlen, zumal Whedon die Auftritte des Hulks auf ein Minimum beschränkt und Banners Tätigkeit als Wissenschaftler in den Fokus rückt.

Diese Rächer wirken wirklich wie eine Superhelden-WG, die sich zusammenraufen muss, ähnlich wie Buffy und ihre Freunde in Whedons bekannter TV-Serie und nicht von ungefähr wirken irgendwie alle Figuren, seien sie auch noch so alt, ein bisschen wie Teenager, was der primären Zielgruppe dieses Films zugute kommt. Eigentlich vernachlässigt das Drehbuch nur eine Sache, nämlich die Hintergründe. Was das nun genau für ein Ding ist, dieser Tesserakt und wer die Mächte hinter Loki sind, das lässt das Drehbuch einfach im Dunkeln und es ist letztendlich auch egal. Das sind doch alles nur MacGuffins.

Wenn man mal davon absieht, dass dieser Film eigentlich nichts zu erzählen hat und seine Imperialismus-Kritik schwer auf das heutige Amerika anwendbar ist, so hat Joss Whedon dennoch alles richtig gemacht. "The Avengers" ist brillant inszeniert, in jedweder Richtung. Allein die Endschlacht in New York dürfte Michael Bay vor Angst erzittern lassen und das von einem Regisseur der so etwas das erste Mal macht. Die Dialoge sind klug und ungemein witzig, sodass der Film als Komödie vielleicht noch eine bessere Figur macht, denn als Actionfilm. Wer keine Angst vor grandioser Unterhaltung hat, der geht einfach ins Kino. Die 3D-Brille stört nicht, ist aber auch nicht unbedingt nötig. Hier ist endlich das Superhelden-Epos, was alle anderen Superhelden überflüssig macht.

Wertung: 7/10


"Marvels The Avengers"
US 2012
Joss Whedon
mit Scarlett Johansson, Mark Ruffalo, Robert Downey Jr.

Sonntag, 26. Februar 2012

HUGO vs. THE ARTIST

… oder „Die 84. Oscars und ihre Sehnsucht nach dem Gestern“

Da war man Jahr um Jahr, Verleihung um Verleihung, erstaunt zu welchen Siegerfilmen sich die Academy durchringen konnte, doch als letztes Jahr das konventionelle Drama „The King's Speech“ gewann, schien wieder alles vergessen. Ein Blick zurück: 2010 gewann der Irakkriegsfilm „The Hurt Locker“, ein Film, der an den Kassen praktisch unterging und nur durch die Academy zu späten Ehren kam. Bisher galt das Vorurteil: Oscar-Gewinner müssten auch Publikumslieblinge sein. Eine These, die bereits die Coens 2008 mit „No Country for Old Men“ widerlegten. Im gleichen Zuge waren aber auch die Einschaltquoten miserabel. Die Oscars sollten spritziger und jünger werden. Seitdem es möglich ist zehn Filme für den „Besten Film“ zu nominieren, schaffen es auch Blockbuster, wie „Avatar“ zu den Oscars, wodurch sich die Macher höhere Quoten erhoffen. 2011 war auch der Renner des Jahres, „Inception“, unter den Nominierten, doch es gewann „The King's Speech“, ein Film den sich ein Jugendlicher noch nicht mal downloaden würde, aber das ist ja auch egal. Ich wäre der Letzte, der die Academy dazu überreden würde, nur die Filme gewinnen zu lassen, die auch bei der Jugend ankommen. Ich will viel eher darauf hinweisen, dass die Jugend nicht bescheuert ist. Welche Garantien bietet eine Kategorie in der zehn Filme nominiert werden können? Wissen die Jugendlichen nicht selbst, dass eher „Toy Story 3“ den Oscar bekommt als „Inception“? Guckt die Jugend überhaupt noch Fernsehen?

Am besten man lässt die werberelevante Zielgruppe einfach außen vor (Wunschdenken!) und konzentriert sich wirklich auf die guten Filme des letzten Jahres, doch wenn man sich die nominierten Filme einmal ansieht, sticht eine Sache besonders ins Auge. Was haben die Gewinnerfilme „Crash“, „No Country for Old Men“, „Slumdog Millionaire“ und „The Hurt Locker“ gemeinsam? Sie alle spielen im Hier und Jetzt und verhandeln gesellschaftliche Probleme. Dieses Jahr gehen mit Martin Scorseses „Hugo“ und Michel Hazanavicius „The Artist“ zwei Filme ins Rennen, die nur sich selbst und ihre Vergangenheit zum Thema haben, das Kino und seine Wurzeln. Von den zehn nominierten Filmen spielen nur zwei in der Gegenwart, wobei Woody Allens „Midnight in Paris“ auch nur von der Vergangenheit erzählt. Alle anderen Filme reichen vom ersten Weltkrieg bis zum 11. September. Gab es denn keine großen, zeitgeistigen Filme dieses Jahr? Ehrlich gesagt, fällt es schwer welche zu finden. Entweder Hollywood erschaudert angesichts des Weltuntergangs und wagt nur noch einen wehmütigen Blick zurück oder durch die Übermacht an realen Problemen wollte man einfach mal wieder dem guten alten Eskapismus frönen.

Aus meiner Sicht kann und sollte nur „The Tree of Life“, Terrence Malicks ambitioniertes Weltepos gewinnen, doch das wird nicht passieren. Zwar kann man sich schon darüber freuen, dass Emmanuel Lubezki wahrscheinlich seinen ersten Oscar für die herausragende Kameraarbeit nach Hause nehmen darf, doch zum besten Film wird „The Tree of Life“ nicht gekürt.


„Hugo“ geht mit elf und „The Artist“ mit zehn Nominierungen in Rennen. Zwei Filme mit ähnlichem Thema und grundverschiedener Umsetzung. Wo Hazanavicius Film den Stummfilm wieder zum Leben erweckt, da nutzt Scorsese die neueste 3D-Technik. Inhaltlich hat „Hugo“ die bessere Hommage ans Kino geschaffen. Nicht nur, dass Scorsese dem kindlichen Zuschauer eine wirkliche Filmgeschichtsstunde bietet und dem Pionier Georges Mélies ausgiebig huldigt, er versucht sogar dem Medium neue Perspektiven abzuringen indem er das zweidimensionale mit dem dreidimensionalen Kino vermählt. Schade ist nur, dass ihm das nicht gelingt. Es gibt eine Szene, die das besonders zeigt. In einer Rückblende sehen wir, wie Georges Mélies zum ersten Mal dem Kinematographen der Lumières begegnet. Bei einer Aufführung des Films „Ankunft eines Zuges in La Ciotat“ glaubt das Publikum der Zug würde wirklich auf sie zufahren und weicht erschrocken aus. Was heute witzig erscheint, bestätigte damals die Kraft des neuen Mediums, ohne Ton und in schwarz-weiß Illusionen zu erzeugen. Wozu brauchen wir also 3D? Natürlich kann man sagen, dass heute niemand mehr in dieser Situation ausweichen würde, aber das wäre bei 3D ebenso. Das Kino ist ein domestizierter Ort geworden. Wir wissen was uns erwartet. Dennoch, sobald die Lichter ausgehen, tauchen wir ab, ob nun in 2D, schwarz-weiß oder bunt. Abgesehen davon, bei aller Mühe die sich Robert Richardson bei seiner Kameraarbeit gibt, der Film hätte auch mühelos in 2D funktioniert. Das wirklich nötige 3D-Kino muss noch geschaffen werden und in meiner Vorstellung muss es sich von allerhand Stilmitteln des klassischen Kinos lösen, z.B. der Tiefenunschärfe. Es ist nicht mehr nötig das Bild in Vorder-, Mittel- und Hintergrund aufzuteilen. Das übernimmt die 3D-Technik.


Wertung: 6,5

Den größten Beweis, dass 3D redundant ist, liefert der direkte Konkurrent „The Artist“. Er ist der formal interessantere Film, weil er versucht eine kommerzielle Geschichte mit vergessenen Mitteln zu erzählen und wie es scheint, nimmt das Publikum das Experiment an und wagt sich nach über achtzig Jahren mal wieder in einen Stummfilm. Hazanavicius erzählt in seinem Film von einem Umbruch, dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und wie ein Schauspieler daran zerbricht, eine Geschichte, die bereits Billy Wilder in seinem Meisterwerk „Sunset Boulevard“ verarbeitete. Die Konsequenz Wilders fehlt allerdings bei Hazanavicius. Er orientiert sich zu stark an den Wünschen des Publikums, wodurch „The Artist“ schlichtweg glattgebügelt wirkt. Bei aller formalen Extravaganz und dem komödiantischen Esprit, den der Film besonders in der ersten Hälfte bietet, wäre der Film zur damaligen Zeit erschienen, er wäre untergegangen. Wenn man sich die Stummfilme großer Meister, wie F.W. Murnau, ansieht, weiß man auch warum. Darin liegt die eigentliche Existenzberechtigung von „The Artist“. Er zeigt uns, dass es vielleicht nicht mehr möglich ist zurückzukehren, zum reinen Bild, zum Ursprung des Mediums. Ton, Farbe und 3D, was haben sie uns gebracht? „The Artist“ demonstriert uns indirekt, dass uns diese technischen Revolutionen vielleicht nicht reicher, sondern nur ärmer gemacht haben. Allein das macht Hazanavicius Film sehenswert.

Wertung: 7/10


Beide Filme, „Hugo“ und „The Artist“, zeigen, dass das Kino in der Klemme sitzt. Es kann nicht vor und nicht zurück. Die Academy wird bei der Verleihung so oder so den Finger in die Wunde stecken und niemand wird irgendetwas spüren, keiner wird aufschreien. Es werden weiterhin jedes Jahr die Oscars, die Palmen und die Bären verliehen. Die Fördertöpfe werden überlaufen und die Technik wird sich soweit entwickeln, dass man sich in naher Zukunft fragt, was ein Kino ist, warum Film überhaupt Film heißt und wann der neue David-Fincher-Film endlich bei iTunes zu sehen ist.


Samstag, 28. Januar 2012

DRIVE


Nicolas Winding Refn will den Film noir zurück. Das schreit uns "Drive" jedenfalls jede Sekunde ins Gesicht.

Der Driver führt ein gespaltenes Leben. Tagsüber arbeitet er als Stuntman und Automechaniker, nachts verdingt er sich als Fluchtwagenfahrer für Verbrecher. Dann tritt die junge Irene mit ihrem Sohn Benicio in sein Leben und für den Driver beginnt eine wundervolle Zeit, doch Irenes Mann Standard kehrt aus dem Knast zurück und mit ihm die Probleme. Er schuldet der Mafia Geld. Um Irene und Benicio zu schützen, hilft der Driver Standard bei einem Raubüberfall, der allerdings alles andere als geplant verläuft.

Die alte Frage: Was ist der Film noir? Ein Genre? Eine Serie? Eine Stilrichtung? Definitiv wird man das nie beantworten können, als was man diese ominöse Ansammlung herausragender Filme, die in Hollywood in den 40er und 50er Jahren entstanden sind, bezeichnen soll. Der klassische Film noir ist dennoch tot; nun lebe der Neo-Noir, ein klares Genre, aber extrem weitläufig. Abgesehen von solchen offensichtlichen Neo-Noirs wie "L.A. Confidential" oder "The Black Dahlia", lassen sich viele Thriller mit einbeziehen, da sie mindestens Bezüge zum klassischen Film noir enthalten. Allein David Finchers "Se7en" ist getränkt in Noirismen, von der pessimistischen Weltsicht bis zur fatalistischen Handlung, doch als Neo-Noir würde man den Film trotzdem nicht bezeichnen.

Was ist also der Neo-Noir? Die Handlung sollte einem klassischen Noir entsprungen sein. Es reichen nicht nur einfache Bezüge. Das betrifft auch die Figuren, die Ebenbilder der damaligen Charaktere sein müssen; und schlussendlich ist da der Film an sich, der genauso wissen muss, wie sich seine Vorbilder anfühlten, wie sie auschauten, was sie bewegte. In schwarz-weiß muss er allerdings nicht gedreht werden.

Bei diesem doch arg engstirnigen Regelwerk, fragt man sich doch, ob der Neo-Noir nur die bloße zeitgenössische Mimikry ausgestorbener Filme ist und somit nichts eigenes zu erzählen hat. Das ist Quatsch. Man muss den Neo-Noir als reines Filmbuff-Genre begreifen. Das große Publikum wird einen Film wie "Drive" eher als Action-Drama bezeichnen, nicht als Noir. Nur wer den klassischen Film noir kennt, der sieht ihn auch in "Drive", aber wozu dann das ganze? Eigentlich ist dies nur filmhistorisch wichtig, denn dass der "film noir" entstand, lag in erster Linie am zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Am Ende bleibt die Frage, was heutige Filme dazu bewegt sich das Noir-Korsett überzuziehen. Ist es die reine Pose, also der Spaß am Zitat oder sagt es uns etwas über unsere Zeit, die immer noch in der Lage ist, solche "Monster" zu gebähren.

Nun wagt sich der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn an einen Neo-Noir und zeigt bereits in den ersten 5 Minuten, dass er keine Lust darauf hat, einzig und allein Vorbilder nachzuahmen, schon gar nicht sie bloß zu zitieren. Seine Filmgeschichte ist weiter gegangen, bis in die Achtziger, einem filmhistorisch stark unterschätztem Jahrzehnt, dem sich "Drive" verpflichtet fühlt. Refns größtes Vorbild war wohl William Friedkins Meisterwerk "To Live and Die in L.A.", welches nicht nur den Film noir atmet, sondern auch mit grandiosen Verfolgungsjagden glänzt, wobei Robby Müllers fluorizierende Bilder auch den Look von "Drive" stark beeinflusst haben. Dennoch reicht die Palette der Referenzen noch viel weiter, von "Vanishing Point" bis "Driver" von Walter Hill.

Refns größter Verdienst ist wohl die Figur des Drivers, ein Charakter dem man im heutigen Kino selten begegnet, wobei Ryan Gosling den Driver fast theatralisch stilisiert. Er glänzt nicht durch Overacting, sondern markantem Underacting. Überwiegend hat er nämlich den gleichen Gesichtsausdruck, wie versteinert, jede einzelne Regung wird dadurch umso stärker wahrgenommen. Die klassische Noir-Figur des insichgekehrten Helden mit nebulöser Vergangenheit überformt Refn hier zum Ideal. Goslings Figur bleibt bis zum Schluss ohne Namen und ohne Vergangenheit, reinstes Kino also. Sogar als er in der zweiten Hälfte des Films ein Blutbad nach dem anderen anrichtet, folgen wir ihm, da Hossein Aminis geschicktes Drehbuch die erste Hälfte dafür nutzt, uns mit dem schweigsamen Helden anzufreunden. Als der Film dann eine andere Ebene betritt, sind wir bereits so mit dem Driver perdu, dass wir uns nicht abwenden können, wenn er zuschlägt.

Gewalt spielt, wie in allen Refn-Filmen, auch in "Drive" eine große Rolle. Der dänische Regisseur war nie jemand der sich davor scheute Gewalt auch als etwas schönes zu betrachten. "Bronson" und speziell "Valhalla Rising" waren teilweise schon nah an der Gewaltverherrlichung. "Drive" dagegen nutzt die Gewalt symbolisch. Figuren, denen wir erst friedlich begegnet sind, überraschen uns auf einmal mit ihrer bestialischen Brutalität. Selten fällt ein Schuss in "Drive", die meisten Morde geschehen hier durch reine Manneskraft, Erstechen, Ausweiden, Zertreten, Ertränken. Auf einmal befinden wir uns in einer grausameren Welt. Unsere Freunde werden zu unseren Feinden. Die Gewalt in "Drive" zeigt uns, dass wir die dunkele Seite der Medaille erreicht haben und wir sie nicht mehr verlassen können.

Refns Faszination für Grausamkeit ist aber auch ein zweischneidiges Schwert. Nie weiß man genau ab wann sich die Kamera ins Blut verliebt. Die überinszenierten Tötungsszenen bringen den Film aus dem Gleichgewicht und lenken schnell von seinen wahren Stärken ab, die sich überwiegend in der ersten Hälfte zeigen, wo sich der Film Zeit nimmt das Umfeld des Drivers und seine Beziehung zu Irene zu skizzieren. Gerade in diesen Szenen wird deutlich, warum Refn den Regie-Preis in Cannes gewann, seine Schauspielführung ist einfach grandios. Selten hat man im Kino einen so klugen Umgang mit Pausen erlebt.

Der Neo-Noir hat mit "Drive" eine höhere Ebene erreicht. Refn erzählt eine düstere Geschichte aus der Zwischenwelt der Gesellschaft in eleganten Bildern aus Licht und Schatten. Die klassischen Noir-Helden sind zwar nie durch so viele Liter Blut gezogen worden, doch schien ihre Welt auch weniger grausam. Während auf den Schlachtfeldern Soldaten geschnetzelt wurden, streute Hollywood nur eine andere Saat der Gewalt. Die großen Noir-Filme erzählten pessimistische Geschichten, weil die Welt in Zerstörung zu versinken drohte. Heute ist Krieg normal und langweilig geworden. Kriegsbilder gehören zum Alltag wie Mickey Maus und VW Golf. Dennoch erzählt auch "Drive" von Untergang, von Verfolgung. Am Ende müssen wir alle bezahlen und auch wenn sich der Film einen Schimmer der Hoffnung leistet, so glaubt die restliche Welt doch längst, dass ihre letzten Tage gezählt sind, wie die des Drivers.

Wertung: 7/10


"Drive"
US 2011
Nicolas Winding Refn
mit Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston

Samstag, 5. November 2011

THE DEAD ZONE


Fatale Hellsicht, Stephen Kings und David Cronenbergs Zusammenarbeit war zwar kurz, aber dafür auch äußerst effektiv.

Bevor ich mich nächste Woche mit Cronenbergs neuem Film beschäftige, stand noch "The Dead Zone" auf meiner Liste, ein Film, dem ich komischerweise lange aus dem Weg gegangen bin, wahrscheinlich, weil mich dieser Mainstreamspaziergang nicht besonders interessierte. Das war ein Fehler, denn man kann nicht behaupten, dass in „The Dead Zone“ nicht genügend Cronenberg stecken würde.

Johnny Smith überlebt nur knapp einen Autounfall und fällt für fünf Jahre ins Koma. Als er wieder erwacht hat sich alles verändert. Seine Freundin hat einen anderen geheiratet. Er ist seinen Job los und ihn plagen fürchterliche Kopfschmerzen. Als er die Hand einer Krankenschwester berührt, sieht er ihre Tochter in einem brennenden Haus festsitzen. Das Mädchen kann gerettet werden. Johnny hat nun die Gabe des „zweiten Gesichts“ oder ist es doch ein Fluch?

Körper und Geist sind untrennbar. Wenn man Cronenbergs Filme auf einen Satz herunterbrechen müsste, würde man wahrscheinlich zu dieser Aussage kommen. Ob nun der Geist das Fleisch manipuliert („The Brood“) oder das Fleisch den Geist („The Fly“), das ist egal, auch in „The Dead Zone“ stehen sie in einem Verhältnis.

Johnny, ergreifend gespielt von Christopher Walken, ist nach seinem Unfall ein gebrechlicher Mann, körperlich verkümmert und schwach, doch im Gegenzug beschenkte ihn das Schicksal mit medialen Fähigkeiten. Quit pro quo, Cronenbergs Figuren sind immer ausbalanciert, erst der Kampf beider Waagschalen bringt das Ungleichgewicht. Der Fluch hat sogar noch größere Auswirkungen. Je öfter Johnny von seiner neuen Kraft Gebrauch macht, desto mehr nähert er sich dem körperlichen Zerfall, bis zum Tod. Im Kern wird die Frage nach einem gewissenhaften Leben gestellt. Johnny kann sich entweder isolieren und weiterleben oder er kann seine Gabe verantwortungsvoll nutzen und zugrunde gehen, Einsamkeit oder Tod? Wofür würden sie sich entscheiden? Zu den größten Qualitäten des Films zählt eindeutig seine doch sehr nüchterne Inszenierung, die vor allem durch die klaren Bilder Mark Irwins zustande kommt. Der Film lässt einen sogar manchmal vergessen, es mit übernatürlichen Kräften zu tun zu haben, es scheint völlig normal. Umso mehr lässt er uns an der Tragödie Johnnys Anteil nehmen, der zu verstehen versucht, ob er es mit einer Gabe, einem Fluch oder einem kosmischen Witz zu tun hat.

Die Handlung verläuft eher episodenhaft, was erklärt, warum daraus später nochmal eine Fernsehserie wurde, allerdings weiß man auch lange Zeit nicht wohin die Reise überhaupt geht. Wie soll diese Geschichte nur enden? Mit dem Auftritt Martin Sheens wird das klarer. Sheen ist das zweite schauspielerische Highlight des Films, der die Manierismen eines schleimigen Politikers bis zur Mimikry beherrscht. Er ist laut, manipulativ und unausstehlich.

So ein bisschen, erinnert „The Dead Zone“ an ein Cronenberg'sches „Taxi Driver“. Johnny und Travis, beides Ausgestoßene, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen. „The Dead Zone“ spielt dazu noch mit Fragen des Superhelden-Mythos. Bei Scorsese wird daraus ein zweischneidiges Blutbad, bei Cronenberg ist es die letzte Hoffnung der Menschheit. Gewalt als Rettung ist im Genrekino Amerikas nicht neu, obwohl der Film diese Lösung auch gekonnt hinterfragt. Warum er zur Flinte greift, das wird eindringlich klar, Cronenbergs Inszenierung dagegen lässt einen zweifeln. So scheint es schon erschreckend, wie stringent Johnny seinem Plan nachgeht. Erst kurz vor dem Schuss, ein kleines Zögern und letztendlich kommt doch alles anders. Der Film wehrt sich gegen eine einfache Lösung. Travis überlebt in „Taxi Driver“ seinen Amoklauf und wird zum Helden stilisiert. Johnny stirbt und bleibt als hinterhältiger Attentäter im Bewusstsein. Das Happy End bleibt somit unvollständig, etwas fehlt und das ist auch gut so.

Wertung: 7/10


"The Dead Zone"

US, CA 1983

David Cronenberg

mit Christopher Walken, Brooke Adams, Martin Sheen

Sonntag, 15. Mai 2011

SCREAM 4

Wie Meta kann man sein? Diese Frage stellt sich Wes Cravens neuester Auswurf seines Scream-Franchises unaufhörlich und beweist, dass vierte Teile doch Sinn machen können.

Seit der letzten grausamen Mordserie in Woodsboro ist viel Zeit ins Land gegangen. Sidney Prescott hat sich gut erholt und ist auf großer Buchtour, da sie sich seit Jahren nur noch dem Schreiben widmet. Doch als Sidney wiederkehrt, erfährt sie, dass erneut zwei High-School-Schülerinnen brutal ermordet wurden. Die Geistermaske hat wieder zugeschlagen und ein neuer Albtraum beginnt.


„Terminator: Salvation“, „Alien – Resurrection“, „Die Hard 4.0“, „Indiana Jones and the Kindom of the Crystal Skull“, die Liste von Hollywoods Trilogie-Durchbrüchen ist lang und bekanntlich unbeliebt. Ich wage mal die Behauptung aufzustellen, dass es keinen vierten Teil gibt, der in irgendeiner Form den vorherigen Filmen das Wasser reichen könnte. Trotzdem sind in den letzten Jahren die verspäteten Fortsetzungen, so nenne ich sie mal, wie Heuschrecken über uns gekommen. Teilweise sogar mit beachtlichem Erfolg, was die Chancen auf einen fünften Teil umso wahrscheinlicher macht, was allerdings sehr, sehr selten vorkommt, jedenfalls bei Blockbustern. „Indy 5“ soll ja irgendwann kommen, wenn es nach George Lucas gehen würde. „Die Hard“ scheint endlich vorbei zu sein. Einen fünften Teil von „Alien“ wünschen sich zwar viele Fans, aber davor schreckt sogar Hollywood zurück und der nächste „Terminator“-Film wird, ganz seltsam, ein neuer dritter Teil werden. Über die Vier kommen die wenigsten hinaus und selbst die wird immer mehr gemieden. Der neue Trend sind Prequels und Remakes, neuerdings Reboots. Ob „X-Men“ oder „Spider-Man“, sie alle trauen sich nicht die Trilogie zu durchbrechen, sondern schreiben sie entweder komplett neu oder fügen ein Preludium hinzu.

Dieser Trend ist natürlich auch nicht am Horrorfilm spurlos vorbeigegangen. Vor „Scream“ war das Zeitalter der großen Reihen, „Halloween“, „Nightmare“ und „Hellraiser“ verdienten ihre Brötchen in erster Linie durch ihre schon fast lächerliche Anzahl an Fortsetzungen. Nach „Scream 3“ kam der Remake-Wahn. Japan-Horror und Americas New Horror der 70er waren die Zielscheiben. Schade für das Genre war der Prestige-Status dieser Produktionen. Die originellen Filme gab es ja weiterhin, aber die Marketing-Macht lag bei den Remakes. Nur „Hostel“ und „Saw“ schafften den Sprung ins breitere Bewusstsein. Der erste war ein verkanntes Genre-Highlight und durfte, dank eines gewährten zweiten Teils, nochmal ordentlich aufdrehen. Der letztere war eher ein überraschendes Thriller-Debüt und wurde durch seine sechs Fortsetzungen immer uninteressanter. Dennoch, das originelle Horrorkino lebt weiter, seit ein paar Jahren vornehmlich in Frankreich und das sogar mit internationalem Erfolg. Die heutige Genre-Landschaft ist enorm vielseitig. Allein ein Besuch beim Fantasy-Filmfest beweist das. Von Kunst bis Trash kann man dort alles finden, ob nun Remake, Sequel oder erster Teil.

Und jetzt ist „Scream 4“ da, gegen jede Regel und gegen jedes Klischee. Die vierten Teile sind out, biedere Slasher sowieso und Meta-Sein ist auch ein alter Hut. Trotzdem leisten sich Williamson und Craven nach elf Jahren einen Trilogie-Durchbruch, der gleichzeitig einen Neu-Beginn darstellen soll. Denn angeblich ist „Scream 4“ der Auftakt einer neuen Trilogie mit einer neuen Generation. In Anbetracht des mäßigen Erfolgs des Films darf man aber hoffen, dass das ein leeres Versprechen bleibt, damit sich „Scream“ nicht auch noch so zu Tode läuft wie andere Genre-Konsorten.

Obwohl man „Scream“, wie keine andere Reihe, unendlich fach fortsetzen könnte, so wie ein Kritiker, kommentieren Cravens Filme das Kino und speziell das Genre im zeitlichen Wandel. Das Horror-Kino von 1996 ist ein anderes als das von 2011 und so beginnt „Scream 4“ gleich mit einem Kommentar zum Thema Torture-Porn und steigert sich kontinuierlich. Allein in den ersten zehn Minuten köpft Williamsons Drehbuch alle Ausgeburten des aktuellen Genre-Kinos. Auf „Stab 6“ folgt „Stab 7“, die Film-im-Film-im-Film-Thematik hat sich zu Tode gelaufen. Der Meta-Scheiß war schon 1996 ausgelutscht. Mehr Blut, mehr Gewalt, mehr Twists kompensieren den Inhalt, den man schon zigfach gesehen hat, wo wir wieder beim Remake wären, dem sich „Scream 4“ hauptsächlich widmet. Cravens Film will mehr Reboot der Reihe sein als Sequel, aber, und das ist klar, will er ebenso die Remake-Techniken analysieren und die Unterschiede zum ersten Film verdeutlichen, was letztendlich nur in der Ausformung eines vierten Teils funktionierte.

So gibt es natürlich die bekannten „Final Three“, bestehend aus Sidney, Gale und Dewey, aber auch eine Menge neuer Charaktere, die alle irgendwie so wirken, wie das 2011er Update des ersten Films. Da gibt es eine neue Sidney und einen neuen Film-Buff, der sich mit den Regeln auskennt, den Regeln des Remakes in diesem Fall. Williamson und Craven schaffen es wieder vorzüglich die wilde Mixtur aus Whodunit, Slasher, Komödie und Metafilm zu brauen. Die Mordszenen haben sich auf ein vielfaches erhöht und fallen spürbar härter aus, obwohl der Film definitv nichts für Gorehounds ist, da sich Craven eine gewisse 90er Distanz gönnt.

Bei der Frage: „Wie Meta kann man sein?“, gelingt „Scream 4“ sogar eine Steigerung gegenüber seinem Vorgänger, der ja bekanntlich auf einem Film-Set spielte. Bei Teil 4 rückt die Meta-Ebene ironischerweise noch mehr in den Vordergrund, so weit sogar, dass sie auffällig die Handlung und die Motivationen der Figuren beeinflusst. Die Online-Generation sorgt nun mit ihren Webcams und Live-Chats für ihren eigenen doppelten Boden. Die Filmemacher stehen dem eher zwiegespalten gegenüber, was sich besonders im Over-the-Top-Finale offenbart. Wenn die Meta-Ebene im Vordergrund steht, dann wird auch das Publikum andauernd dazu gezwungen den Film als Film zu reflektieren, wodurch die guten Dialoge zünden, aber das Slashen harmloser gerät, was Craven mit reichlich Suspense und Blut zu kompensieren versucht.

Vierten Teilen wird ja gerne ein „zu viel“ unterstellt, z.B. versteckte sich Indiana Jones in einem Kühlschrank um einer Atombombenexplosion zu entgehen, was ihm auch gelang. Für viele war das eine bodenlose Peinlichkeit. Ich fand es großartig. Dieses Zu-Viel-Element ist nun als „Nuking the Fridge“ bekannt. In den Bereich einer Kühlschrank-Explosion kommt spätestens das Finalevon "Scream 4", wenn Williamsons Drehbuch alles vorherige ad absudum führt und die Regeln des Remakes konsequent zu Ende denkt. Auch wenn der Zuschauer es wieder einmal nicht schaffen wird den Mörder zu enttarnen, geschweige denn seine Motivation zu erraten, das Finale des vierten Teils ist das bisher zynischste, blutigste und witzigste zugleich.

Am Besten waren die Scream-Filme immer, wenn sie Bezug zur Wirklichkeit nahmen, wenn die Genre-Grenzen verschwammen und der Film offen die Frage stellte, inwieweit das Gesehene den Zuschauer beeinflusst („Macht es ihn gewalttätiger?“). Dieses Theorem durchzieht alle Teile und besonders im vierten Film wagen es Craven und Williamson eine scharfe und ehrliche Kritik zu formulieren, die zwar vielen alt-väterlich vorkommen wird, aber mit deren Wahrheit wir stets konfrontiert werden, wenn wir den Computer oder den Fernseher anschalten. Ghostface hat die Leinwand verlassen.

Wertung: 7,5/10


"Scream 4"
US 2011
Wes Craven
mit Neve Campbell, Courtney Cox, Emma Roberts

Nur im Kino!

Mittwoch, 26. Januar 2011

BLACK SWAN


Darren Aronofskys neuer Film zeigt uns Natalie Portman in Höchstform und verfehlt seine filmische Wirkung nicht, obwohl es genug Gründe dafür gäbe.

Nina ist eine ehrgeizige und leidenschaftliche Ballett–Tänzerin, die ihr Leben ausnahmslos ihrer Arbeit an der New Yorker Ballet Company widmet. Als die Rolle der Primaballerina für die Produktion des Klassikers Schwanensee neu besetzt werden soll, wird Nina vom Regisseur favorisiert. Sie bekommt jedoch schnell Konkurrenz durch die jüngere Lily, die zwar technisch schwächer ist, aber eine Leichtigkeit besitzt, die sich nicht mit Übung erreichen lässt. Zwischen den beiden entsteht eine außergewöhnliche Beziehung, die zur Zerreißprobe für Nina wird. Immer intensiver lernt sie die düstere Seite ihres Selbst kennen, das ihr bedrohlicherweise immer ähnlicher wird.

Als ich mir das erste mal den Trailer angesehen habe, hatte ich ehrlich gesagt gar keine Lust mir den Film anzusehen. Nun gut, "The Wrestler" fand ich sehr gut und Natalie Portman passt einfach hervorragend in diese Rolle, aber ehrlich gesagt, dachte ich mir schon damals: "Hä? Da ein bisschen Cronenberg und hier ein bisschen Powell & Pressburger." Letztendlich habe ich meine Meinung geändert, da mir die Kontroverse um den Film gefiel, ich Ballet-technisch ein Noob bin und die Portman eine Kinokarte wert ist.

"Black Swan" kann man nur als organisches und ebenso weibliches Gegenstück zu Aronofskys Vorgängerfilm lesen. Beide Filme sind rein postmoderne Erzeugnisse. Die Handlung ist auch hier nur ein Lego-Konstrukt aus bekannten Motiven. Wichtig ist nicht was erzählt wird, sondern wie man es macht. "The Wrestler" hatte durch seinen starken Charakterdarsteller und die unkontrollierte Dramaturgie, einen viel stärkeren naturalistischen Touch. "Black Swan" ist dagegen reines Genre, pure Fiktion und künstlich wie Pop-Musik, weitaus kommerzieller, aber auch unterhaltsamer. Während "The Wrestler" wie ein leicht unterkühltes Reifezeugnis eines geläuterten Regie-Heißsporns wirkte, revidiert Aronosky mit "Black Swan" alle Vorurteile und zeigt mit viel Mut zum Pathos und dem Einsatz hoher kinetischer Energien, dass freudlose Erzählungen nicht sein Ding sind.

Wer sich allerdings in Genren bewegt, muss vieles beachten und vorsichtig sein. Natürlich, kann kein Filmemacher über Nacht zum Horror-Meister mutieren, aber was uns Aronofsky in diesem Film öfter für altbackene Tricks aus der Mottenkiste präsentiert, grenzt schon an eine Parodie. Plötzlich auftauchende Schatten und das illustrative Schäppern auf der Ton-Spur haben mich eher belustigt als gegruselt. Besonders die erste Filmhälfte versucht so möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhaschen, aber das ist letztendlich doch nur peinlich.

Ein anderer auffälliger Punkt ist die Dramaturgie. "Black Swan" ist herrlich chronologisch aufgebaut, mit einem bewährten Standard-Spannungsbogen, dazu die mustergültige Exposition am Anfang plus großer Klimax. Dahinter steckt entweder ein großer Schuss Naivität und somit eine große Offenheit des Regisseurs oder die Angst es dem Zuschauer zu schwer zu machen. Mit Arthouse hat das alles nichts zu tun. "Black Swan" mag ein Independent-Film sein, aber dabei ist er stets höchst hollywoodesk und durch und durch ein Unterhaltungsfilm. Allerdings, was heißt schon Unterhaltung? Ihr wisst was ich meine. Der Film ist Kunst-Trash. Ein total unvernünftiger High-Concept-Schwachsinn. Wie einfach kann es ein Regisseur seinem Publikum machen, seinen Film rational zu zerreißen? Seht euch "Black Swan" an.

Ich rate euch einfach dazu, eure Gehirne an der Kasse abzugeben. Denn nur so lässt sich meine überaus hohe Wertung erklären. "Black Swan" ist nämlich ein weiteres gutes Beispiel für die Kraft des Regisseurs. Mag das Drehbuch noch so schwach sein, wenn die Besetzung und die Umsetzung stimmt, dann kann man nur gewinnen. Denn abgesehen von den peinlichen Billig-Erschreckmomenten, trifft "Black Swan" genau da, wo es weh tut, mitten ins Herz. Man kann sich so wunderbar auf den Weg der Interpretationen begeben und die Metaphern entschlüsseln, die Coming-of-Age-Story durchleuchten und sich dem sexuellen Sub-Text mit orgiastischer Prosa nähern, aber dass bringt alles gar nichts. Es bringt auch nichts über die wunderbare Kamera zu schreiben, die sogar "The Wrestler" toppt, Mut zu mehr Korn zeigt und es auch schafft Ballet-Tanz mit nie dagesehener Dynamik zu filmen. Man wird auch nicht schlauer, wenn man Zeilen darüber liest, wie grandios Frau Portman spielt. Ebenso hat es keinen Sinn zu hinterfragen warum sie neuerdings so gebasht wird. Dabei ist sie doch schon seit "Léon" ein großes Talent und tut alles Erdenkliche um interessante Rollen zu bekommen und um von ihrem schönen Model-Typ weggecastet zu werden. Der Körperfaschismus macht dann auch vor Filmfiguren nicht halt, die dann neuerdings auch Vorbildfunktionen haben und nicht zu dünn, nicht zu dick und nicht zu drogensüchtig aussehen dürfen. Wie schon gesagt, das bringt alles nichts, wenn man es schreibt, aber ich mache es trotzdem.

Natürlich wird die Portman den Oscar bekommen, eben auch weil sie ihn verdient hat, denn ganz egal, ob Plagiat, Trash oder Porno, gutes Schauspiel bleibt gutes Schauspiel und in "Black Swan" schien sie nie besser besetzt. Ihre Darstellung trifft direkt ins Herz, um mich mal zu wiederholen. Alles an "Black Swan" trifft ungemütlich. Man kann sich diesem Wust an Energie nicht leicht entziehen. Es ist dieser Pathos und diese bittersüße Künstlichkeit, Mansells und Tschaikowskys Score, die Verwandlung, die Bilder, alles auf einmal, Kino halt.

Wertung: 7/10



"Black Swan"
US 2010
Darren Aronofsky
mit Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis



Nur im Kino!

Samstag, 8. Januar 2011

TAKEN


In der Flut der Selbstjustizfilme der letzten Jahre, gelingt Pierre Morel mit „Taken“ ein waschechter Vigilante-Film, spannend, brutal und unerbittlich.

Liam Neeson spielt so als hätte man ihn nie in anderen Rollen gesehen. Souverän verkörpert er den Actionhelden als verletzliche Gestalt. Ein Schwarzenegger und Stallone hätten das nicht spielen können, allein von der Statur. Neesons Figur löst seine Probleme mit Intuition, Schnelligkeit und Erfahrung, selten mit Kraft. Den Muskelbepackten Actionstars der Alt-Zeit hätte man den gebrochenen CIA-Agenten im Ruhestand nicht abgekauft. Neeson dagegen ist schlank wie eine Gräte, drahtig möchte man sagen. Sein Gesicht ist verhärmt, schmal und faltig. Ein Besetzungscoup!

"Taken" fällt erstmal gar nicht so auf in der Welle der Selbstjustiz-Filme der letzten Jahre. Seit "Kill Bill" ist Rache wieder tierisch in und leider selten ebenso gut verfilmt worden. Mit "Taken" liefert der französische Kameramann und Action-Regisseur Pierre Morel dagegen einen sehr guten Vigilante-Film ab.

Das ist natürlich alles herrlich fiktiv und ebenso wunderbar konstruiert. Hier ist Amerika das Paradies und Europa eine gefährliche Zone. Da gibt es den reuesüchtigen Vater, der nur Zeit mit seiner Tochter verbringen will. Da ist die unnachsichtige Exfrau, die ihm die vergangenen Entbehrungen nicht verzeihen will und da ist der neue etwas füllige Papa, mit viel Geld und einem Weihnachtsmannbart. Ach ja, und dann sich da noch die Bösen, die Geschäftemacher, die mörderischen Albaner, die opportunistischen Franzosen und wohlhabenden Scheichs.
Abgesehen von Amerikas Sonderstellung, erscheint Morels Film eher wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Land als wie eine Diffamierung des selbigen. Vielleicht fehlt ihm auch einfach die nötige Bindung zu den Vereinigten Staaten.

An der Oberfläche ist der Film eine Aufräumsituation gegen Missstände. Eine klare one-against-all Situation in der man niemanden trauen kann, ein simpler Gut-gegen-Böse-Konflikt. Doch eigentlich verhandelt "Taken" den Konflikt zwischen Zivilisation und Kriminalität. In Morels Film ist die Zivilisation mit ihren geregelten Einkommen, Supermärkten und großspurigen Geburtstagsfeiern zwar etwas schützenswertes, aber auch eine Situation des Stillstands, des herum vegetierenden Glücks und der Abwesenheit wichtiger Ziele. Eine Situation mit der Neesons Figur sehr schlecht zurechtkommt, wenn da nicht seine Tochter wäre. Ihn interessieren Grillabende und Geburtstagsfeiern, Popsternchen und Karaoke-Maschinen genauso viel wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Das Leben abseits der Legalität, dass er vorher geführt hat, machte ihn stark, aber auch zerbrechlich und auch im Bezug auf das Kino bietet diese Seite der Welt weitaus interessantere Momente als das normale Leben direkt vor der Haustür. Dementsprechend sind Happy-Ends gar nicht so wünschenswert. Sobald das Ziel erreicht ist, also wenn alle Konflikte gelöst sind, dann wird es schnell langweilig.

Die Zeit zwischen Exposition und Happy-End nutzt „Taken“ formidabel aus. Morel gelingt es durchgängig die Spannung zu halten und lässt seinen Helden wie einen Übermenschen Paris durchflügen. Man muss sich klar sein, dass man es mit einem reinen Unterhaltungs- und Genrefilm zu tun hat, der auf political correctness keine Rücksicht nehmen kann, sonst würde er enorm an Zündkraft einbüßen. Schließlich baut man ein Verhältnis zum Protagonisten auf, Morels Ziel: die komplette Enthüllung oder auch Demontage. Der anfänglich liebenswerte Familienvater wird immer mehr zur unerbittlichen Killermaschine. Schritt für Schritt wird Mills Handeln härter. Sobald er die Frau seines französischen Freundes mit dem Tode bedroht, wird wohl auch der letzte Zuschauer zweifeln, ob das noch alles gerechtfertigt sei. Mills Vorgehen wird, anders als in „24“, nämlich niemals glorifiziert, aber auch ebenso wenig verurteilt, keine Kritik, keine Propaganda, bloßes Handeln, reiner Plot und geradlinige, nüchterne Action. Diese Uneindeutigkeit hält der Film bis kurz vor Schluss durch. Wenn der letzte Bösewicht vernichtet ist und Vater und Tochter sich glücklich in die Arme fallen, kehrt der Film wieder in die Zivilisation zurück. Wir befinden uns praktisch wieder in der Ausgangssituation, als wäre nichts gewesen. Das Schicksal der Tochter ist es, ein Pop-Star zu werden. Dafür opfert der Film noch eine letzte leicht-ironische Szene, ähnlich doppeldeutig wie das Ende von Spielbergs „Krieg der Welten“.

„Taken“ ist in erster Linie Kinetik und somit fulminantes Kino. Liam Neeson ist großartig und auch wenn sich Pierre Morels Kamera etwas zu sehr am unübersichtlichen Action-Kino der Neuzeit anlehnt, seine Montage ist dagegen rasant und pfiffig. Große Innovationen darf man in diesem „Guilty Pleasure“ nicht erwarten, dafür aber viele Überraschungen.

Wertung: 7,5/10


"96 Hours"

USA, FR, 2008

Pierre Morel

mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!


Samstag, 23. Oktober 2010

PIRANHA


Alejandre Aja verfilmt Joe Dantes „Piranha“ neu und formuliert eine zwiespältige Sicht auf die schönen Körper junger Menschen.

Trashfilme sind heutzutage mehr als salonfähig geworden. Regisseure wie Tarantino oder Rodriguez haben den Trash aus seinem Nischendasein befreit. Tarantino kommt seit „Kill Bill“ nicht mehr ohne einen gewissen Trashfaktor aus und Rodriguez zelebriert den schlechten Geschmack ganz ehrlich mit „Planet Terror“ und demnächst „Machete“.

Alejandre Aja hat mit Trash in erster Linie wenig zu tun. Nachdem er die Filmwelt mit seinem umstrittenen Debüt „Haute Tension“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, ging er gleich nach Hollywood und inszenierte zwei unterschiedliche Remakes. „The Hills have Eyes“ war die grimmige Neu-Interpretation von Was Cravens zweitem Film, der dazu ein klassischer Vertreter des Mitternachtskinos war. Somit begeben wir uns schon mal in den Dunstkreis des Trash, doch Ajas Film war ein Hochglanz-Remake mit hohem Budget, starkem Retro-Faktor und heftigem Terror-Level. Sein nächster Film „Mirrors“, das Remake eines japanischen Horrorfilms, war wieder Hochglanz-Horror und gleichzeitig Star-Vehikel für Kiefer Sutherland. Die Kritiken fielen überwiegend schlecht aus. Trash war der Film wohl nur aus unfreiwilliger Sicht.

Mit „Piranha“ hat sich eigentlich wenig geändert, wieder ein Remake und wieder Hochglanz. Allerdings, mit der ersten Ankündigung und der darauffolgenden Vermarktung schmückte sich der Film bereits mit dem Trend-Label „TRASH“. Ein Film der so schlecht ist, dass er Spaß macht. Vielleicht war das der Schritt den Aja machen musste um sich von seinen Schatten zu befreien, denn „Piranha“ macht fast alles richtig. Das fängt bei der Besetzung an. Während die absichtlich substanzlosen Hauptrollen mit Null-Gesichtern besetzt werden, verlustiert sich Aja mit den Nebenrollen und fährt mit Ving Rhames, Richard Dreyfuss, Elizabeth Shue, Christopher Lloyd, Eli Roth und Jerry O’Connell einen Cast für Filmfans auf. Sie alle verkörpern stilisierte Klischees und es dominiert mehr die Aura des Schauspielers als die der Rolle. Wenn man sich bedenkt, dass Lloyds Figur nur dafür da ist, um uns zu erzählen was das für Fische sind und was sie machen, dann kann man nur schmunzeln bei so viel offener Verschwendung von Stars.

Das Wort „Trash“ ist zum Label geworden, wobei man sich schon fragen muss, ob Filme mit Multi-Millionen-Budget noch als Trashfilme durchgehen. Das Unterhaltsame am Trash waren doch neben den vielen Geschmacklosigkeiten, besonders das lausige Handwerk und die begrenzten Mittel. „Plan 9 From Outer Space“ ist doch in erster Linie lustig, weil er so schrecklich billig aussieht und aus schlimmen Filmfehlern besteht. „Piranha“ sieht nie billig aus (selbst die Piranhas nicht, das kriegt man noch schlechter hin) und von Filmfehlern kann gar keine Rede sein. Wenn man Aja etwas attestieren muss, dann ist es Talent. Zwar scheint er mir bei dem Film noch reichlich unterfordert, aber seine Montagen, die Dramaturgie und vor allem die Suspense-Szenen funktionieren sehr gut. Nun ja, die Schauspielführung kann man geflissentlich ignorieren. Wäre man ganz kleinlich, dann müsste man „Piranha“ seinen Trash-Status absprechen bzw. man müsste ein neues Genre erfinden in das man alle ironisch-gewollten Mainstream-Trashfilme der letzten Jahre rein packen kann. Letztendlich ist das aber auch egal. Ich weigere mich nur „Piranha“ als Trash zu bezeichnen.

„Piranha“ steht somit weder in der Tradition eines „Jaws“ und schon gar nicht eines „Die Vögel“. Der Film ist als große komödiantische Zerstörung ausgelegt. Überwiegend schlägt sich der Zuschauer auf die Seite der Piranhas und hofft auf das nächstes Gemetzel. Die wenigen und dem Überleben-geweihten Figuren tragen nur ein wenig mehr Unschuld in sich als das Fischfutter und trotz der klischeehaften Blässe, wünscht man ihnen nicht den Tod, was wiederum der Spannung hilft.

Es ist natürlich ziemlich Old-School Sex mit dem Tod gleichzusetzen. Das gibt es schon seit „Halloween“. Amerikanische Jugendliche leben halt nicht lange wenn sie ihr Ding überall rein halten, was mit den Brüsten wippt und mit dem Arsch wackelt. Diese puritanische Einstellung hat man dem Horrorfilm von Seiten der intellektuellen Kritik oft übel genommen. Doch „Piranha“ zelebriert diesen Puritanismus mit einem herrlichen Augenzwinkern, indem er auf der einen Seite dem Zuschauer die Nacktbilder liefert, die er sehen will und auf der anderen Seite das ebenso gewünschte Gemetzel. Die armen Filmfiguren haben also gar keine Wahl. Sie müssen ihre schönen Körper zeigen und sterben sollen sie auch noch. Der Böse ist wie immer der Zuschauer.
Dazu führt Aja mit der Einführung des Porno-Produzenten diesen Puritanismus endgültig ad absurdum, wo es sogar zu einem fast mythischen Liebestanz zweier Nymphen unter Wasser kommt, was Aja dann mit dem „Blumen Duett“ aus Libedes Oper „Lakmé“ unterlegt, was für viele Lacher im Kino gesorgt hat.

Dennoch, ein bisschen Ernst ist auch da mit drin, denn zum einen ist diese Sequenz höchst ästhetisch gestaltet, die beiden Frauenkörper sind sowieso sehr ansehnlich und die Musik fungiert hier wirklich als Ausrufezeichen. Es ist die andere Seite der Medaille, neben der Vernichtung des menschlichen Körpers, hier seine Huldigung. Anders als andere Splatterfilme ist „Piranha“ von einem starken dualistischen Körperempfinden geprägt. Die Hauptattraktion des Splatters liegt natürlich darin zu sehen wie ein lebendiger in-sich-geschlossener Körper seine Integrität verliert. Der Porno dagegen brüstet sich mit den unzensierten Zur-Schau-Stellen von nackten Körpern. „Piranha“ bietet beides, wobei da ein klarer Gedanke hinter steckt.

Der Film verachtet Pornografie, Saufgelage, Rumgebalze und die Arroganz des Schönen. Die Piranhas sind nicht gekommen um das Sündhafte zu vernichten. Sie sollen das mediale Abbild eines kommerzialisierten Schönheitsideals zerstören. Sie machen Schluss mit dem Sehen und Gesehen-Werden, der dümmlichen Hemmungslosigkeit, dem Konsumrausch, den Football-Körpern und Bulimie-Figuren. Die Piranhas sind nicht die Rache der Natur. Die Studs sterben nicht, weil sie Müll in den See schmeißen. Sie sterben weil sie gewissenlos-funktionierende Zahnräder des alles zermalmenden Kapitalismus geworden sind, der mit faschistischer Perversion den menschlichen Körper instrumentalisiert. Die Killerfische führen den Körper wieder zurück zum Ursprung, zum Fleisch und Blut. Nachdem ihm der Penis abgebissen und das Silikon heraus gefressen wurde, zeigt sich der Mensch wieder in seiner ungeschönten, unschuldigen Art.

Man darf diese Wut auf den schönen Körper nicht als grundsätzlichen Hass missverstehen. Ajas Film richtet den Körper zwar hin, aber nur sein pervertiertes Abbild. Letztendlich, und darin zeigt sich der angekündigte Dualismus, bewundert und vergöttert er ihn gleichzeitig, was in dem zuvor beschriebenen Nixen-Tanz gipfelt. Diese Sequenz erinnert absichtlich an die Fresken klassischer Renaissance-Malerei, dazu die klassische Musik. Das humanistische Schönheitsideal wird von Aja ebenso verehrt wie von Michelangelo. Bei dem großen Gemetzel am Yachthafen, fügt Aja nochmals ein ähnlich stilisiertes Bild ein. Man sieht den Körper einer Frau unter Wasser, die von den Piranhas zerrupft wird, was wiederum als Schulterschluss zwischen der klassischen Schönheitsästhetik und dem Splatter-Kino angesehen werden kann.

Den große Vernichtungsrausch der Piranhas inszeniert Aja auch etwas Splatter-untypisch. Anstatt sich nur auf den Fun-Faktor zu verlassen, mischt er noch allerhand Leid darunter. Man kommt nie auf die Idee am Schmerz der Opfer zu zweifeln. Wenn ihre Körper zerrissen, ihnen die Haut vom Schädel gezogen oder die Beine abgenagt werden, dann schreien sie und Aja dehnt viele dieser Momente wodurch viele Tode, trotz ihres komödiantischen Tons, einen grausamen Anstrich bekommen. Das wiederum passt hervorragend zum Dualismus des Films.

„Piranha“ ist ein sehr kurzweiliger Splatter-Film, der trotz seines großen Spaß-Faktors unangenehm grausam bleibt und seiner bescheuerten Handlung ein wenig Sozialkritik beimischt. Vielleicht kommen ja die Barsche des echten Viktoria-Sees mal in die Lage sich diese Anleitung zur Vernichtung des Kapitalismus anzusehen.

Wertung: 7/10


"Piranha 3D"

USA 2010

Alejandre Aja

mit Steven R. McQueen, Elizabeth Shue, Jerry O'Connell


Nur im Kino!



Dienstag, 21. September 2010

JUD SÜß - FILM OHNE GEWISSEN



Roehlers "Jud Süß"-Making-Of ist vielleicht das mutigste, was sich ein deutscher Regisseur im Historiengenre in letzter Zeit getraut hat. Zu schade, dass "Inglorious Basterds" früher ins Kino kam, so müssen sich die Macher wohl einige Anschuldigungen gefallen lassen, sie schwimmen im Fahrwasser eines Tarantinos, dabei wurden beide Filme fast gleichzeitig gedreht und als Inglorious Basterds" ins Kino kam, war "Jud Süß" schon abgedreht.

Naja, die weiteren Anfeindungen belaufen sich auf die typische Anklage der Geschichtsverfälschung, wobei, wie schon gesagt, das doch seit Tarantinos Film ohnehin nicht mehr gilt, oder wollen wir diesen Diskurs an der Nationalität des Regisseurs festmachen? Ich hoffe nicht!

Wo Tarantino den Historienfilm in einen Italo-Western packt, geht Roehler weitaus reflektierter vor. Der Film handelt schließlich von einem Propagandafilm, also inszeniert er seinen Film auch so. Roehlers Film ist ein Propagandafilm par excellence, für die andere Seite versteht sich, für die politisch korrekte, wobei die gar nicht so leicht abzustecken ist.
Er hält sich kaum an Fakten und konstruiert seinen Film zu einem manipulativen Melodrama, wo sich die anfänglich helfenden Nazis für Marian zum Ende hin als Monster entpuppen, ähnlich wie die Hauptfigur des Süß im Originalfilm.

Die Kinobilder sind künstlich entsättigt und wirken wie Parodien bekannter deutscher Geschichtsbilder. Die Schauspieler bewegen sich auf allen Niveaus. Bleibtreus Goebbels ist eine skurrile Figur, mit der Kraft des Overactings. Umso auffälliger wirken da Moretti und Gedeck, die ihre Rollen ernst nehmen.

Der Film bietet eine Unmenge an Angriffspunkten, einen Haufen Schwächen, doch es hier fällt es mir wirklich leicht nur den Gesamteindruck zu bewerten. Denn ohnehin präsentiert sich Roehlers Film als deutsches Kinomoment des Jahres, nicht aus qualitativer Sicht, sondern eher aus utilitaristischer.

Was dem Film wirklich schadet ist sein Schwebezustand zwischen Blockbuster und Autorenfilm. Roehlers "Jud Süß" scheitert vielleicht an dieser Unentschlossenheit. Ich wünschte mir er hätte sich mehr getraut und weniger auf die Passionsgeschichte seiner Hauptfigur gesetzt. Allerdings ist das, was er sich traut für einen Mainstream-Film schon sehr viel.

Wie schon gesagt, es fällt leicht den Film nicht zu mögen. Er ist radikal. Er entblößt das moderne Nazi-Kino from Germany als andere Form des Propagandafilms. Er ist eine bösartige und manchmal witzige Satire zwischen Porträt und Melodram, mit bösen Seitenhieben in die Rippen der damaligen Filmindustrie, Veit Harlan als schmieriger Mitläufer, Schauspieler als Karriere geiles Pack, Michelango Antonioni als "Jud Süß"-lobender Kritiker, Bad Ass Roehler!

Der Film hat eigentlich gar keine 7 Punkte verdient, doch er war die größte Überraschung auf der diesjährigen Berlinale. Letztendlich: Sehenswert!


Wertung: 7/10



"Jud Süß - Film ohne Gewissen"
BRD, 2010
Oskar Roehler
mit Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu



Ab 23. September nur im Kino!


Montag, 2. August 2010

INCEPTION

Chris Nolans Blockbuster entführt den Zuschauer in die alte Welt ohne 3D und Franchises. Das ist zwar erfrischend, aber leider auch nicht neu.

Dank modernster Technologie ist es in naher Zukunft möglich, in Träume und somit in das Unterbewusstsein von Menschen einzusteigen. Das Einsteigen bedeutet mithin auch die Möglichkeit des Stehlens fremder und bisher ureigenster Ideen. Ein Meisterdieb auf dem neuesten Gebiet der Firmenspionage ist Dom Cobb, was ihn nicht nur im positiven Sinn zu einem besonders gefragten Mann macht. Um endlich wieder ein normales Leben führen zu können, muss er nur noch den einen letzten Job erledigen.

Blockbuster aus Hollywood haben ein Ziel. Sie wollen Massen erreichen. Dementsprechend ist der Erfolg eines Blockbusters nichts anderes als die Reflektion des Massengeschmacks. Es ist daher schon fast zynisch oder kulturpessimistisch, dass die grassierende Abwesenheit von Originalität, die Hollywood heutzutage dominiert und sich in endlosen Mustern aus Sequels, Prequels, Reboots, Remakes und Franchises präsentiert, solch kommerziell erfolgreiche Blüten trägt. Dass Kino auch immer schon Ware war, die verkauft werden muss, will keiner bestreiten. Schon zu Urtagen musste man einen Penny einwerfen um auf dem Jahrmarkt die Bilder tanzen zu sehen. Schaut man aber auf die Entwicklung des Massengeschmacks (und welche Genres er beeinflusst hat), so zeichnet sich ein Bild, dass die heutige Zuschauerschaft wie eine Herde Schafe wirken lässt.

Wie so oft scheint früher alles besser gewesen zu sein. Nun gehört es aber zum Verlauf der Geschichte, dass schlechte Ereignisse gerne verdrängt werden. Manchmal ist das gut, meistens eher nicht. Denn zu den wenigen Meilensteinen der Filmgeschichte gesellten sich zur damaligen Zeit ebenso eine Masse von hirnloser Fließbandware, die heute wie vergessen scheint. Logischerweise zeigt ein Blick in die Vergangenheit (je nach Betrachtung) mehr gute Filme als schlechte.

Nun hängt der Überlebensgrad eines guten Films (respektive Meisterwerks) stark vom kommerziellen Erfolg oder der Gönnerschaft einflussreicher Menschen ab. Ein Film kann noch so grandios, persönlich und künstlerisch wertvoll sein, wenn ihn niemand sehen will, gibt es selten eine Perspektive.

Ungerechterweise wird dieses Schicksal wohl viele gute Filme ereilt haben. Deshalb war und sollte es auch im Interesse eines jeden Filmemachers sein, sich auch ein Stück weit die Eigenschaften eines Produzenten anzueignen, damit sein Film auch gesehen wird oder er verzichtet gänzlich auf sein Publikum, was nicht unbedingt einen schlechteren Film bedeutet.

Die großen Blockbuster der Vergangenheit waren oftmals auch Meilensteine der Filmkunst, z.B. „Birth of a nation“, „Wizard of Oz“, „Lawrence of Arabia“ oder „Jaws“. Das waren ungemein erfolgreiche Filme, die genau den Massengeschmack trafen und trotzdem künstlerisch wertvoll waren.

Ein Blick in die Zukunft ist immer spannend. Denn wie werden die Blockbuster unserer Zeit später rezipiert? Wird man „Pirates of the Caribbean“ als Meilenstein bezeichnen? Kommt Michael Bay durch „Transformers“ doch noch zu unverhofften Regie-Ehren und wird in Zukunft mit Eisenstein verglichen? Es ist eindeutig eine spannende Angelegenheit. Welche Filme überleben die Zeit und was ist mehr daran beteiligt, der Erfolg oder das Werk?

Selbst „2001“ wurde zum Release verrissen. Damals sahen nur wenige den Klassiker, der er heute ist. Allerdings wurde Kubricks abnorme Weltraum-Reise von unerwartetem Erfolg gekrönt. Überlebte er nur weil er bis „Star Wars“ der erfolgreichste Sci-Fi-Film war? Das scheint fragwürdig.

Filme können nur durch ihr Publikum überleben, über Generationen hinweg. „Fantasia“ (ein kommerzieller Flop) war bis in die 70er fast komplett vergessen und gelangte nur durch den Release auf VHS zu neuen Ehren. Die damalige Studentenschaft erkannte das enorme Potenzial des Films beim Konsum von LSD. „Fantasia“ wurde so zu Disneys erfolgreichstem Drogenfilm.

Auch nachfolgende Filmemacher-Generationen sind stark am Überleben eines Films beteiligt. „2001“ gilt als Lieblingsfilm der jungen New-Hollywood-Bande (Scorsese, Coppola, Spielberg), die stets Bezug auf ihre Vorbilder nahmen und damit konkret ihren Ruf förderten und ihre Werke bekannter machten. Tarantino macht doch nichts anderes, für ihn ist Kino nur Zeitmaschine. Ginge es nach Tarantino bräuchte man gar keine neuen Filme mehr drehen. Dementsprechend wird man ihn später auch als den Archivar des Kinos begreifen, der er ist.

Schlussendlich, es geht also um Inspiration. Ein Film muss inspirierend sein für nachfolgende Generationen um sein Überleben zu sichern. Wenn ich also möglichst viele Menschen mit meinem Film erreiche und mein Film auch das künstlerische Format hat Menschen zu fesseln und nicht mehr los zu lassen, dann kann ich mich doch beruhigt zurücklehnen und hoffen, dass ich in 1000 Jahren wiedergeboren werde um meinen eigenen Namen in den Filmbüchern lesen zu können.

Ich bin kein Orakel, doch ich wage zu behaupten, dass Christopher Nolan mit „Inception“ eben dies erreicht hat. Jenseits des großen Hypes (der vor allem „The Dark Knight“ zu verdanken ist), sieht man gerade an den Reviews und Publikumsreaktionen, dass hiervon niemand unberührt bleibt. Nolan wirkt wie ein Messias im Dunst der Exkremente, die Hollyood in den letzten Jahren über uns gegossen hat. Er ist kein Messias. Er ist kein Wunderkind (schon lange nicht mehr). Nolan scheint wohl einfach, dass zu machen, was jeder ehrliche Filmemacher tun sollte, nämlich seinen Film zu drehen. Denn bei allem cineastischen Brimborium bleibt „Inception“ angenehm persönlich und zeigt sich als klares Produkt seines Schöpfers.

In Nolans Werk geht es immer um Schöpfung und um das Verirrt-sein seiner Protagonisten. Seine Helden sind immer Reisende. Sie laufen durch Labyrinthe ihrer eigens geschaffenen Hölle. Dabei ist Nolan zudem ein so brillanter Stilist, dass er sich sogar die Mühe macht eben dieses Gefühl der Verirrtheit durch ausgeklügelte Story-Konstruktionen auf den Zuschauer zu übertragen, was seine Filme dazu noch ungemein unterhaltsam macht.

„Following“ handelte von einem ideenlosen Schriftsteller, der mehr Inspiration bekommt als er erwartet hat und letztendlich zum beinah griechischen Helden wird, den die Story des Lebens überlistet. In „Memento“ läuft der Protagonist durch das Labyrinth seiner eigenen Erinnerungen, die er sich mit kleinen Zetteln und Fotografien konserviert hat, da er selbst zur keiner eigenen Erinnerung mehr fähig ist. „Insomnia“ nimmt fast schon seinen neuesten Film ein wenig vorweg und begleitete einen Pacino, der traumwandlerisch der Wahrheit hinterherjagt. „Batman begins“ stellt den gebrochenen Helden wiederum als Schöpfer seines eigenen Schicksals dar. Zur höheren Aufgabe berufen, versucht er seinen Dämonen zu entfliehen, kann sich aber letztendlich nur als Spiegelbild seiner eigenen Ängste manifestieren. „The Prestige“ geht da noch viel weiter und zeigt zwei Männer wie zwei Seiten einer Medaille, die sich mit ihren eigenen Schöpfungen gegenseitig überbieten wollen. Dabei argumentiert Nolan mit seltener Leidenschaft was eine wahre Vision einen Künstler kosten kann. „The Dark Knight“ fügt die Idee des gespaltenen Helden dem Batman-Franchise hinzu und zeigt das Duell zwischen Schurke und Held als verzerrtes Spiegelkabinett.

Mit „Inception“ scheint Nolan nun seinem eigenen Schaffen einen Kommentar hinzuzufügen. Denn der Film liest sich auch als Metapher über den Prozess des Filmemachens. Wie arbeitet die Traumfabrik? Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Sci-Fi-Komponente des Films eher rudimentär wirkt. Die großen technischen Erklärungen lässt Nolan zum Glück aus. Ebenso vermeidet er die Zeichnung einer Utopie. Die Welt in „Inception“ ist die gleiche wie heute. Das Traum-sharing entpuppt sich dementsprechend wirklich als Gang ins Kino.

Man könnte „Inception“ also auch als das aufwendigste Making-Of aller Zeiten lesen. Das Making-Of, was alle Filme gemein haben. Denn all die Regeln die Ariadne zu Beginn des Films erklärt werden wirken wie Umschreibungen vieler Tipps aus bekannten Büchern über das Filmhandwerk.

Der Träumende und seine Projektionen stellen somit das Publikum dar, was überlistet und unterhalten werden möchte ohne dass es merkt, dass es träumt oder dass es einen Film sieht. Nolan gibt hiermit nicht nur Einblick in seine Arbeitsweise, sondern formuliert auch schonungslos den Sinn eines jeden Films. Es geht nicht um Ideendiebstahl, sondern um die Einpflanzung einer Idee. Filme, wie andere Kunstwerke, sollen Ideen vermitteln, die wuchern und gedeihen, Inspiration!

Wirklich neu ist „Inception“ eher nicht und bis auf „Following“ und „Memento“ trifft das auch auf seine anderen Filme zu. Der Reiz seines ganzen Werk ist folglich eher mit dem Reiz eines guten Handwerkers zu vergleichen. Er ist niemand, der auf die Idee kommen würde zur Verbesserung der Stabilität einen Küchentisch um ein Bein zu erweitern, aber er baut den Tisch so als würde er eine Horde Elefanten aushalten.

So ist auch „Inception“ ein handwerkliches Wunderwerk, was besonders auf der dramaturgischen Ebene begeistert und so elegant durch die Geschichte, seine vielen Handlungsfäden und Set-Pieces führt, dass man als Träumender nie auf die Idee kommen würde aufzuwachen.

Dennoch, trotz seines erkennbaren Alleinstellungsmerkmal in der heutigen Filmlandschaft, schwimmt dieses Floß „Inception“ auf einem Meer von Schwächen, was überwiegend dem Mainstream geschuldet ist.

Wie eingangs erwähnt sollte ein jeder Filmemacher auch ein wenig Produzent sein. Nolan verortet seine komplexe Reise durch den Schöpfungsprozess eines Films fest im Unterhaltungskino der heutigen Zeit. „Inception“ wird zum Actionfilm. Nun zeigte sich schon in „The Dark Knight“ Nolans große Schwäche für Action-Szenen. Auch „Inception“ fehlt in den vielen Schießereien einfach der Überblick. Wally Pfisters Kamera klebt mit dem Teleobjektiv an den Gewehren ohne auch nur zu zeigen wer sie bedient und wohin sie schießen.

Zudem raubt diese Action-Komponente dem Film einige seiner besten Einfälle. Während Ariadne in ihrer Trainingsphase noch mit immer aufmüpfiger werdenden Passanten zu kämpfen hatte, was im späteren Heist-Plot eine ungemein dynamische Bedrohlichkeitssteigerung dargestellt hätte, verzichtet Nolan darauf komplett und lässt gleich zu Beginn des Coups die Projektionen mit Gewehren auflaufen.

Eine andere verständliche Schwachstelle ist die erste Stunde des Films, die sich fast ausschließlich mit der Erklärung der Spielregeln auseinandersetzen muss. Nolan hat zwar genug handwerkliches Geschick um sein Tutorial filmisch umzusetzen, aber ohne einseitige Erklärungsmonologe, die sich wie Propaganda anhören, kommt auch „Inception“ nicht aus. Es gilt somit die erste Stunde zu überstehen, hinterher zukommen und alles kapiert zu haben. Denn sobald die titelgebende Inception beginnt, gibt es kein zurück mehr. Gerade in der zweiten Hälfte fesselt und inspiriert der Film, da er vieles dem Zuschauer überlässt und nur noch wenig erklärt.

Die oftmals erwähnten flachen Figuren des Films sind in Nolans Filmen keine Seltenheit und werden durch die ausführlich designten Plots verursacht. Es sind halt nur Nebenfiguren. Denn gerade von Nolans Hauptfiguren kann man nicht behaupten sie seien flach. Oftmals liegt der Schlüssel zur Lösung von Nolans Plots in der Entschlüsselung seiner Helden. Erst mit der Auflösung von Memento bekam Guy Pearces Figur endgültig Tiefe und sein ganzer Konflikt breitete sich vor unseren Augen aus.

„Inception“ blickt auch wieder gezielt auf seinen Helden und vernachlässigt absichtlich den Rest. Das kann man kritisieren, wobei es clever war so talentierte Darsteller wie Page, Murphy, Levitt und Hardy zu besetzen, die allein durch Ausstrahlung ihre Figuren füllen.

Hier geht es eindeutig um Dom Cobb, gespielt von Leonardo DiCaprio, und seine Frau, die von der grandiosen Marion Cottilard verkörpert wird. Wie im sehr ähnlichen „Shutter Island“, spielt DiCaprio auch hier einen gebrochenen Mann mit problematischem Eheleben. Allerdings während DiCaprio in Scorsese Seelentraktat eine ungemeine Bandbreite an emotionalen Facetten abliefern konnte, kommt Cobbs Figur unangenehm angespannt daher. Besonders die vielen Erklärungen im Film verwehren den emotionalen Zugang zur Figur und auch DiCaprio wirkt so als wüsste er nicht ob jetzt sein Erklärungen wichtig sind oder seine Figur.

Marion Cottilard ist dagegen fest mit ihrer Figur verbunden. Nichts erinnert mehr an ihre schwache Frauenrolle in Manns „Public Enemies“ und schon gar nicht an ihre burleske Edith Piaf in „La Vie en Rose“. Nein, Cottilard liefert eine hinreißende Performance als Femme Fatale, die sogar in den größten melodramatischen Szenen berührt und glaubwürdig bleibt. Allein ihre Ausstrahlung bindet alle Blicke. Ja, es gibt Momente, da spielt sie DiCaprio fast an die Wand.

Es sind gerade die Szenen zwischen DiCaprio und Cottilard, die den Film reicher machen. Besonders die letzte Szene der beiden hat mich zutiefst berührt und illustriert Nolans Händchen für Schauspielerei.

Was viele Kritiker an „Inception“ bemängeln ist seine logische Struktur im Bezug auf sein Sujet. Bei einer Story die sich um Träume und die Kraft des Unterbewussten dreht, wirken Nolans Traumwelten wie Level eines Videospiels das klaren Regeln folgt. Es fehlt das Lückenhafte, Unlogische und vorallem Surreale, was das echte Träumen bestimmt.

Diese Schwäche muss sich „Inception“ eingestehen und sie wäre auch viel gravierender, wenn es denn wirklich ums Träumen ginge. Wie gesagt, es geht letztendlich ums Filmemachen, ums Erschaffen von Traumwelten, welche nicht als Träume enttarnt werden wollen und somit den Gesetzen unserer Welt gehorchen.

Ich werde dagegen etwas kritisieren, was viele als große Stärke interpretieren, die Optik des Films. „Inception“ wird ja schon als Kamera-Glanzleistung gefeiert, die neue Wege geht. Wally Pfisters Kamera geht viele Wege, aber keiner ist neu. Die Zeitlupen-Sequenzen und der Schwerelos-Kampf führen nur die Arbeit der Wachowsky-Brüder konsequent fort. Zudem gelingt dem Film kaum eine Einstellung, die etwas mit Poesie zu tun hat. Pfister filmt alles so, wie es schon etliche vor ihm gemacht haben. Seine Bilder vermitteln selten Ideen. Meistens sind dafür die Dialoge und der Schnitt verantwortlich. Auch die Lichtsetzung und Farbpalette sind die gleiche Sülze wie schon bei „The Dark Knight“. Entweder ist alles orange oder blau und das Licht ist meistens eine undefinierbare Schmiere. Einzig und allein „The Prestige“ zeigte ein aufregendes Kamera-Konzept. Warum kann Pfister das nicht wiederholen?

Letztendlich ist „Inception“ dennoch eine Wohltat des Blockbuster-Kinos und der beste Hollywood-Film der letzten Jahre. Die unübersehbaren Schwächen können zwar nicht ignoriert werden, aber Nolans fulminante Inszenierung lässt einen kaum darüber nachdenken.

Obwohl die Thematik der trügerischen Realitäten schon ein alter Hut ist und frühere Filme wie „Matrix“, „ExixtenZ“ und „Welt am Draht“ es bereits besser gemacht haben, gelingt es Nolan dem ganzen sogar noch etwas hinzuzufügen. Er verwertet das Dilemma um Traum und Wirklichkeit zur philosophischen Auseinandersetzung über den Prozess des Filmemachens.

Wir werden sehen, ob Nolan es gelungen ist genügend Menschen zu infizieren und sein Film noch in Zukunft mit staunenden Augen betrachtet wird. Im Angesicht der aktuellen kreativen Flaute Hollywoods, gönnt man „Inception“ einen Eintrag in die Filmgeschichtsbücher. Der Erfolg des Films zeigt schon mal, der Geschmack des Massenpublikums ist noch nicht verloren.

Wertung: 7,5/10


"Inception"

USA, 2010

Christopher Nolan

mit Leonardo DiCaprio, Marion Cottilard, Cillian Murphy


Nur im Kino!