Samstag, 23. Oktober 2010

PIRANHA


Alejandre Aja verfilmt Joe Dantes „Piranha“ neu und formuliert eine zwiespältige Sicht auf die schönen Körper junger Menschen.

Trashfilme sind heutzutage mehr als salonfähig geworden. Regisseure wie Tarantino oder Rodriguez haben den Trash aus seinem Nischendasein befreit. Tarantino kommt seit „Kill Bill“ nicht mehr ohne einen gewissen Trashfaktor aus und Rodriguez zelebriert den schlechten Geschmack ganz ehrlich mit „Planet Terror“ und demnächst „Machete“.

Alejandre Aja hat mit Trash in erster Linie wenig zu tun. Nachdem er die Filmwelt mit seinem umstrittenen Debüt „Haute Tension“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, ging er gleich nach Hollywood und inszenierte zwei unterschiedliche Remakes. „The Hills have Eyes“ war die grimmige Neu-Interpretation von Was Cravens zweitem Film, der dazu ein klassischer Vertreter des Mitternachtskinos war. Somit begeben wir uns schon mal in den Dunstkreis des Trash, doch Ajas Film war ein Hochglanz-Remake mit hohem Budget, starkem Retro-Faktor und heftigem Terror-Level. Sein nächster Film „Mirrors“, das Remake eines japanischen Horrorfilms, war wieder Hochglanz-Horror und gleichzeitig Star-Vehikel für Kiefer Sutherland. Die Kritiken fielen überwiegend schlecht aus. Trash war der Film wohl nur aus unfreiwilliger Sicht.

Mit „Piranha“ hat sich eigentlich wenig geändert, wieder ein Remake und wieder Hochglanz. Allerdings, mit der ersten Ankündigung und der darauffolgenden Vermarktung schmückte sich der Film bereits mit dem Trend-Label „TRASH“. Ein Film der so schlecht ist, dass er Spaß macht. Vielleicht war das der Schritt den Aja machen musste um sich von seinen Schatten zu befreien, denn „Piranha“ macht fast alles richtig. Das fängt bei der Besetzung an. Während die absichtlich substanzlosen Hauptrollen mit Null-Gesichtern besetzt werden, verlustiert sich Aja mit den Nebenrollen und fährt mit Ving Rhames, Richard Dreyfuss, Elizabeth Shue, Christopher Lloyd, Eli Roth und Jerry O’Connell einen Cast für Filmfans auf. Sie alle verkörpern stilisierte Klischees und es dominiert mehr die Aura des Schauspielers als die der Rolle. Wenn man sich bedenkt, dass Lloyds Figur nur dafür da ist, um uns zu erzählen was das für Fische sind und was sie machen, dann kann man nur schmunzeln bei so viel offener Verschwendung von Stars.

Das Wort „Trash“ ist zum Label geworden, wobei man sich schon fragen muss, ob Filme mit Multi-Millionen-Budget noch als Trashfilme durchgehen. Das Unterhaltsame am Trash waren doch neben den vielen Geschmacklosigkeiten, besonders das lausige Handwerk und die begrenzten Mittel. „Plan 9 From Outer Space“ ist doch in erster Linie lustig, weil er so schrecklich billig aussieht und aus schlimmen Filmfehlern besteht. „Piranha“ sieht nie billig aus (selbst die Piranhas nicht, das kriegt man noch schlechter hin) und von Filmfehlern kann gar keine Rede sein. Wenn man Aja etwas attestieren muss, dann ist es Talent. Zwar scheint er mir bei dem Film noch reichlich unterfordert, aber seine Montagen, die Dramaturgie und vor allem die Suspense-Szenen funktionieren sehr gut. Nun ja, die Schauspielführung kann man geflissentlich ignorieren. Wäre man ganz kleinlich, dann müsste man „Piranha“ seinen Trash-Status absprechen bzw. man müsste ein neues Genre erfinden in das man alle ironisch-gewollten Mainstream-Trashfilme der letzten Jahre rein packen kann. Letztendlich ist das aber auch egal. Ich weigere mich nur „Piranha“ als Trash zu bezeichnen.

„Piranha“ steht somit weder in der Tradition eines „Jaws“ und schon gar nicht eines „Die Vögel“. Der Film ist als große komödiantische Zerstörung ausgelegt. Überwiegend schlägt sich der Zuschauer auf die Seite der Piranhas und hofft auf das nächstes Gemetzel. Die wenigen und dem Überleben-geweihten Figuren tragen nur ein wenig mehr Unschuld in sich als das Fischfutter und trotz der klischeehaften Blässe, wünscht man ihnen nicht den Tod, was wiederum der Spannung hilft.

Es ist natürlich ziemlich Old-School Sex mit dem Tod gleichzusetzen. Das gibt es schon seit „Halloween“. Amerikanische Jugendliche leben halt nicht lange wenn sie ihr Ding überall rein halten, was mit den Brüsten wippt und mit dem Arsch wackelt. Diese puritanische Einstellung hat man dem Horrorfilm von Seiten der intellektuellen Kritik oft übel genommen. Doch „Piranha“ zelebriert diesen Puritanismus mit einem herrlichen Augenzwinkern, indem er auf der einen Seite dem Zuschauer die Nacktbilder liefert, die er sehen will und auf der anderen Seite das ebenso gewünschte Gemetzel. Die armen Filmfiguren haben also gar keine Wahl. Sie müssen ihre schönen Körper zeigen und sterben sollen sie auch noch. Der Böse ist wie immer der Zuschauer.
Dazu führt Aja mit der Einführung des Porno-Produzenten diesen Puritanismus endgültig ad absurdum, wo es sogar zu einem fast mythischen Liebestanz zweier Nymphen unter Wasser kommt, was Aja dann mit dem „Blumen Duett“ aus Libedes Oper „Lakmé“ unterlegt, was für viele Lacher im Kino gesorgt hat.

Dennoch, ein bisschen Ernst ist auch da mit drin, denn zum einen ist diese Sequenz höchst ästhetisch gestaltet, die beiden Frauenkörper sind sowieso sehr ansehnlich und die Musik fungiert hier wirklich als Ausrufezeichen. Es ist die andere Seite der Medaille, neben der Vernichtung des menschlichen Körpers, hier seine Huldigung. Anders als andere Splatterfilme ist „Piranha“ von einem starken dualistischen Körperempfinden geprägt. Die Hauptattraktion des Splatters liegt natürlich darin zu sehen wie ein lebendiger in-sich-geschlossener Körper seine Integrität verliert. Der Porno dagegen brüstet sich mit den unzensierten Zur-Schau-Stellen von nackten Körpern. „Piranha“ bietet beides, wobei da ein klarer Gedanke hinter steckt.

Der Film verachtet Pornografie, Saufgelage, Rumgebalze und die Arroganz des Schönen. Die Piranhas sind nicht gekommen um das Sündhafte zu vernichten. Sie sollen das mediale Abbild eines kommerzialisierten Schönheitsideals zerstören. Sie machen Schluss mit dem Sehen und Gesehen-Werden, der dümmlichen Hemmungslosigkeit, dem Konsumrausch, den Football-Körpern und Bulimie-Figuren. Die Piranhas sind nicht die Rache der Natur. Die Studs sterben nicht, weil sie Müll in den See schmeißen. Sie sterben weil sie gewissenlos-funktionierende Zahnräder des alles zermalmenden Kapitalismus geworden sind, der mit faschistischer Perversion den menschlichen Körper instrumentalisiert. Die Killerfische führen den Körper wieder zurück zum Ursprung, zum Fleisch und Blut. Nachdem ihm der Penis abgebissen und das Silikon heraus gefressen wurde, zeigt sich der Mensch wieder in seiner ungeschönten, unschuldigen Art.

Man darf diese Wut auf den schönen Körper nicht als grundsätzlichen Hass missverstehen. Ajas Film richtet den Körper zwar hin, aber nur sein pervertiertes Abbild. Letztendlich, und darin zeigt sich der angekündigte Dualismus, bewundert und vergöttert er ihn gleichzeitig, was in dem zuvor beschriebenen Nixen-Tanz gipfelt. Diese Sequenz erinnert absichtlich an die Fresken klassischer Renaissance-Malerei, dazu die klassische Musik. Das humanistische Schönheitsideal wird von Aja ebenso verehrt wie von Michelangelo. Bei dem großen Gemetzel am Yachthafen, fügt Aja nochmals ein ähnlich stilisiertes Bild ein. Man sieht den Körper einer Frau unter Wasser, die von den Piranhas zerrupft wird, was wiederum als Schulterschluss zwischen der klassischen Schönheitsästhetik und dem Splatter-Kino angesehen werden kann.

Den große Vernichtungsrausch der Piranhas inszeniert Aja auch etwas Splatter-untypisch. Anstatt sich nur auf den Fun-Faktor zu verlassen, mischt er noch allerhand Leid darunter. Man kommt nie auf die Idee am Schmerz der Opfer zu zweifeln. Wenn ihre Körper zerrissen, ihnen die Haut vom Schädel gezogen oder die Beine abgenagt werden, dann schreien sie und Aja dehnt viele dieser Momente wodurch viele Tode, trotz ihres komödiantischen Tons, einen grausamen Anstrich bekommen. Das wiederum passt hervorragend zum Dualismus des Films.

„Piranha“ ist ein sehr kurzweiliger Splatter-Film, der trotz seines großen Spaß-Faktors unangenehm grausam bleibt und seiner bescheuerten Handlung ein wenig Sozialkritik beimischt. Vielleicht kommen ja die Barsche des echten Viktoria-Sees mal in die Lage sich diese Anleitung zur Vernichtung des Kapitalismus anzusehen.

Wertung: 7/10


"Piranha 3D"

USA 2010

Alejandre Aja

mit Steven R. McQueen, Elizabeth Shue, Jerry O'Connell


Nur im Kino!



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