Donnerstag, 31. März 2011

BAD TIMING


"A sick film made by sick people for sick people."

Was auf den ersten Blick, wie ein Filmzitat anmutet, war in Wahrheit der Satz eines Produzenten nachdem er Nicolas Roegs „Bad Timing“ gesehen hatte. Leider war das erst der Anfang.
Der Schock der britischen Verleihfirma war ebenfalls groß, so groß, dass sie sich kurzerhand dazu entschlossen auf ihr Logo in den Kinokopien zu verzichten. Auch das Publikum wollte den Film nicht sehen und unter den Kritikern hielten sich Verriss und Belobigung die Waage.
Ein Kritiker rühmte „Bad Timing“ als den britischen „Vertigo“, ein Ritterschlag, der gleichzeitig das Dilemma impliziert. Denn so wie Hitchcocks Meilenstein, fristete „Bad Timing“ auch lange Zeit ein Schattendasein, doch wo Hitchcock sein Publikum eigenverantwortlich auf Entzug setzte, hatte Roeg nicht die Wahl. Sein Film verschwand einfach in den Archiven. Für seine Wiederbelebung zeichnete sich das ehrwürdige US-DVD-Label Criterion verantwortlich.

Man ist es ja langsam gewöhnt, dass weniger geachtete Werke von großen Regisseuren leicht dem Revisionismus anheim fallen, doch „Bad Timing“ hat diese Neubetrachtung wirklich verdient.
Dieser Film ist nicht nur der Schlüssel zu Roegs Werk, sondern gleichzeitig auch der Scheitelpunkt seiner Karriere. So schlecht wie „Bad Timing“ wurde keiner seiner Filme vorher rezipiert, was Roegs Unabhängigkeit enorm schmälerte. Danach folgte zwar mit „Eureka“ ein hochkarätig-besetzter Hollywoodfilm, doch hier waren die Produzenten selbst so schockiert vom Ergebnis, dass sie den Film schnell verschwinden ließen und Roeg eine Abfuhr erteilten, wodurch sein Abstieg endgültig besiegelt wurde.

„Bad Timing“ erzählt die Geschichte einer Amour Fou zwischen einem Psychologie-Dozenten (Art Garfunkel) und einer getriebenen, Freiheitssüchtigen Frau (Theresa Russell). Der Film beginnt mit den Bildern eines Ausstellung, wir sehen Gemälde des Jugendstils, dazu Tom Waits, statische Aufnahmen, Kamerafahrten um die Protagonisten, Schnitt, Totale, Beide sind im selben Raum schauen in unterschiedliche Richtungen, der Dozent verlässt das Bild, Titel, „Bad Timing“, er kommt wieder zurück, läuft an der Kamera vorbei. Wir sind in Wien, der Stadt Klimts, der Stadt der Psychoanalyse. Ein Krankenwagen bei Nacht, ein Kleinwagen am Tag, an der Österreich-tschechischen Grenze, sie steigt aus, dazu ein älterer Mann, im Hintergrund läuft Pachelbels Kanon in D-Dur, sie sehen sich an, er lächelt, sie ist verunsichert, er will ihr den Ring vom Finger ziehen, sie lehnt ab, sie trennen sich. In knapp fünf Minuten sehen wir geballtes Leben, ungeschönt, uninszeniert und undokumentarisch, auf eine Weise die man schlecht beschreiben kann. Man muss sie sehen.

Roeg erzählt den ganzen Film als zeitverschränkten stream of consciousness. Szenen junger unbeschwerter Liebe werden direkt Bilder der Depression und Obsession entgegengeschnitten. Dieses komplexe Erzählspiel treibt Roeg so weit, dass es letztendlich egal wird, in welcher Reihenfolge die Geschichte wirklich erzählt werden muss. Die Kausalität eines Plots ist hier völlig uninteressant, wodurch „Bad Timing“ jedem melodramatischen Fettnäpfchen ausweichen kann. Sogar auf eine klassische Kennen-Lern-Szene der Liebenden verzichtet der Film, was die chronologische Zusammensetzung nochmals erschwert, da einem der Anfang fehlt. Wie bei jedem Puzzle will man an den Rändern anfangen zu puzzlen, doch Roeg zwingt uns in der Mitte anzufangen, direkt im Herz, damit wir nicht an die Ränder denken, damit wir sie vergessen.

Nicolas Roeg ist bekannt als der Anti-Hitchcock, als ein Regisseur, der weder probt, noch mit Storyboards arbeitet. Wer zu viel plant, verpasst das beste. Da wird improvisiert oder eine Szene aus unvernünftig-vielen Perspektiven gedreht mit einem Berg an Material. Es wird auf Anschlüsse gepfiffen, Schnittfehler inbegriffen. Die Kamera reagiert, zoomt und schwenkt was das Zeug hält. Bei Roeg ist Kino Labor ohne Kittel. Seine Filme sind nicht real. Sie sind hyperreal.
„Bad Timing“ erstaunt Angesichts seines perfekten Flusses. Die Montage wirkt wie geplant, ebenso die Auflösung. Bei einer Verhör-Szene zwischen dem Polizeiinspektor und dem Dozenten, schneidet Roeg schnell und gezielt zwischen objektiven Over-Shoulders und subjektiven POVs, was die Anspannung beider Figuren perfekt unterstützt.

Roegs Handschrift ist in „Bad Timing“ stärker als in all seinen anderen Filmen, besonders was die Thematik angeht. Faszinierend, wenn nicht sogar phänomenal, ist die Reduktion dieses Liebesfilms auf das reine Innenleben der Figuren, ihr Gefühlsmix, ihre Lüste und Wünsche. Der einzige externe Konflikt, den Roeg nutzt, entsteht durch die Figur des Polizeiinspektors Netusil (Harvey Keitel), der herausfinden will, ob es sich bei dem vermeintlichen Selbstmordversuch Milenas nicht doch um mehr handelt. Seine Recherche ist Rahmenhandlung und Aufhänger der Erzählung, doch der eigentliche Film speist sich nur aus reinen Gefühlsbildern.

„Bad Timing“ war der erste Roeg-Film in dem seine Muse Theresa Russell mitspielte. Mit ihr änderten sich seine Frauenfiguren enorm. Russell ist weder eine Nachfolgerin Agutters, Christies oder Clarks, die allesamt ruhige Gegenentwürfe zu den hitzigen Helden waren. Russell spielt dagegen in „Bad Timing“, „Eureka“, „Insignificance“ und „Track 29“ stets extrovertierte Heldinnen, die oft an der Schale der Zurechnungsfähigkeit kratzen. Ihre Milena in „Bad Timing“ ist wie Feuer, entzündet durch Liebe, Drogen und Alkohol. Art Garfunkel, nach Mick Jagger und David Bowie der dritte Popstar, den Roeg als Hauptdarsteller verpflichtete, gibt seiner harmlosen Gestalt, eine tiefe, fast kalte Stimme. Garfunkels Blicke wirken oft wie versteinert, das Auftreten eines Rationalisten und Intellektuellen, eines Mannes, der meint den Geist zu kennen.

Im Großen erzählt Roeg, wie schon bei „Don't Look Now“, über das Versagen der Moderne. Garfunkels Figur ist hin- und hergerissen zwischen seinen bürgerlichen Lebensvorstellungen und dem hemmungslosen Hedonismus, den er mit Milena erleben kann. Sein Wankelmut, zwischen Lust und Verstand, treibt auch sie in den Wahnsinn. Sie trinkt, versucht sich zu trennen, kommt nicht los, nimmt zu viele Tabletten und ruft ihn ein letztes mal an. Er zögert, fährt zu ihr und stellt sie zur Rede. Als sie ohnmächtig wird, zögert er noch mehr. Er hört Musik, versucht sich abzulenken, dann doch, gewinnt das Es, die Libido, das Unterbewusste die Oberhand. Er vergewaltigt sie, verwischt die Spuren und ruft erst dann den Krankenwagen. Zum Schluss verliert auch hier unser zivilisatorisches Schutzschild.

„Bad Timing“ wird noch in tausend Jahren wahr sein. Er ist zeitlos, weil er sich aus Gefühlen speist, nicht aus Politik, Geschichte oder anderen Zeitgeistern. Nicolas Roeg war seiner Zeit anscheinend voraus. Nach Tarantino und Nolan fällt es uns dagegen leichter mit solchen Erzählkonstrukten zu hantieren. Doch wo der eine künstlich sein will und der andere spannend, da will Roeg nur, das wir uns hinsetzen und erleben.

Wertung: 10/10



"Black Out - Anatomie einer Leidenschaft"
GB 1980
Nicolas Roeg
mit Theresa Russell, Art Garfunkel, Harvey Keitel


In Deutschland nur als miese DVD erhältlich. In den USA gibt es die tolle Criterion-Edition, wahrscheinlich auch bald auf Blu-Ray.

Sonntag, 27. März 2011

HOMMAGE: NICOLAS ROEG


Kino ist mehr als die Summe seiner Teile und niemand hat das Kino so oft in Fragmente zerlegt und wieder zusammengesetzt wie Nicolas Roeg. Der britische Filmemacher gilt als einer der stillen Revolutionäre. Die Bekanntheit seines Namens schwindet, seine Handschrift schreibt sich immer weiter fort.

Er ist ein Gott, nicht nur an der Kamera, sondern in erster Linie auf dem Regiestuhl. Er gehört zu den Genies, die leider langsam in der Geschichte verschwinden, deren Schaffen aber durch ihre etlichen Epigonen weiterleben wird. Danny Boyle bezeichnet ihn als seinen Lieblingsfilmemacher, Chris Nolan verdankt ihm den Mut zur unchronologischen Erzählung und Steven Soderbergh zitierte die Sexszene aus "Don't look now" für seinen Film "Out of Sight". Unter den deutschen Filmemachern gehört Dominik Graf zu den großen Bewunderern. Seine Texte über Roeg sind immer lesenswert.

Ich sehe in ihm den einzigen Filmemacher, der das Medium völlig beherrscht. Wo andere das Theater, die Malerei, die Fotografie oder die Musik zur Hilfe holen, um ihre Geschichten zu erzählen, bei Roeg könnte man das alles streichen, auch wenn es in seinen Filmen auftaucht, letztendlich brauchen sie nur 24 Bilder pro Sekunde um lebendig zu werden. Seine Schauspieler spielen so natürlich, frei von sichtbaren Regieanweisungen. Seine Kamera bleibt bis zum Abspann unsichtbar, stellt sich nie selbst aus und fängt jede kleine Szene aus unzähligen Perspektiven ein. Seine Montage orientiert sich mehr an der Wahrnehmung des Menschen als an der eines Gottes. Objektive Erzählungen gibt es bei Roeg nicht. Jeder Handlung ist durchtränkt mit Lücken, Dopplungen und einem losgelösten Zeitempfinden. Jede wahrgenommene Regung evoziert Erinnerungen, Deja-Vus und Emotionen, die nur der Film sichtbar machen kann, indem er ein Bild an das andere reiht.







Roegs Filme lassen sich in keine Genres fassen, da sie vom Leben selbst handeln und sich keiner hermetischen Inszenierung hergeben. Das einzige was sein Werk trübt ist vielleicht der mäßige Erfolg, war doch keiner seiner Filme ein finanzieller Hit. Oft wurden seine Filme verrissen, von Studiobossen und Produzenten, wie auch von Kritikern. Doch er ließ sich nicht verbiegen und hat weitergemacht, was ihn letztendlich auch immer weiter ins Abseits beförderte. Auf seine monumentalen Filme der 70er folgten immer schwächere, kommerziell-verfärbte Produktionen, bis er in den 90er nur noch überwiegend fürs Fernsehen drehte.







2007 kehrte er mit "Puffball" zurück, der gewohnterweise von den Kritikern zerfleischt wurde. Dennoch war es das Comeback eines großen Künstlers, der selbst mit 80 Jahren nicht milder geworden war. Angeblich arbeitet Roeg gerade an einem Film namens "Night Train", der u.a. von Steven Soderbergh und Roegs Sohn Luc produziert wird. Der Film ist noch in der Vorproduktion, doch man darf hoffen, dass er gedreht wird.

Nic, wir erwarten ein Meisterwerk ...











Heimkino
:
Auf dem deutschen Markt sieht es mal wieder durchwachsen aus, was Roegs Oevre angeht, unterdurchschnittlich. Eine Handvoll Filme sind zwar erhältlich, aber nur auf einzelnen DVDs unterschiedlichster Qualität. Gemeinsam haben sie alle, dass es kaum Extras gibt und alle nur in SD vorhanden sind. Die erste Roeg-Blu-Ray wird wohl im Herbst bei Arthaus erscheinen, dann wird nämlich der Meilenstein "Wenn die Gondeln Trauer tragen" ("Don't look now") in HD veröffentlicht. Ein Tag, den man sich rot in den Kalender eintragen sollte.
Wer mehr HD-Futter braucht, muss seinen Blick über den großen Teich schweifen lassen. Dort hat das ehrwürdige Label Criterion bereits mit "The Man who fell to Earth"(ausverkauft!) und "Walkabout" zwei HD-Filme im Sortiment. Im Juni folgt sogar mit "Insignificance" ein dritter. "Bad Timing", der bei Criterion als DVD vorliegt, wird wohl auch bald folgen, von "Don't look now" ganz zu schweigen. Ein Liste erhältlicher Roeg-Film gibt es hier.


Samstag, 26. März 2011

127 HOURS


In Danny Boyles Abenteuer-Drama sehen wir einen enormen James Franco, der versucht in einem unverhältnismäßigen Bildersturm zu überleben.

"127 Hours" ist ohne Frage einer der untypischsten Hollywoodfilme der letzten Jahre. So war es auch schon bei "Slumdog Millionaire". Danny Boyle hat sich erfolgreich in ein System eingenistet, dass es nicht schafft ihn zu kontrollieren. Der Underdog aus England bleibt seiner Feder treu und inszeniert weiterhin mit schrägem Ansatz und Videoclip-Ästhetik, doch sein neuer Film sendet ein bitteres Signal, das Prinzip Boyle steckt in der Sackgasse. Eben wie die Figur Aron, eingeklemmt zwischen Fels und Stein, in der Falle sitzt, so merkt man auch "127 Hours", dass man hier mit viel Gewalt versucht hat einen vernünftigen Film zurechtzubiegen.

Ja, da ist sie wieder, die alte Leier der "wahren Begebenheiten", die doch so schwer ins Kino passen, wenn man sie nicht einigermaßen adaptiert. Boyle, der sichtlich beeindruckt ist von der Geschichte, beginnt zu imitieren, Kleidung, Namen, Orte, Handlung, so weit es dramaturgisch irgendwie möglich ist. Der Film mag zwar erfreulicherweise ohne ein "based on a true story" zu Beginn auskommen, allerdings, und das ist noch viel schlimmer, lässt Boyle am Ende den echten Aron auftreten und korrumpiert damit nicht nur Francos Darstellung, sondern degradiert seinen Film zu einem einzigen großen Fake.

Die Exposition ist dennoch wunderbar. Nur eine Hauptfigur, kaum Bewegungsspielraum, ein Handlunsort und ein existenzieller Konflikt, das ist erzählerisch gewagt und für einen großen Regisseur ebenso eine wahre Herausforderung. Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, wie man so einen Film erzählt, Boyles Herangehensweise gefiel mir aber überhaupt nicht. Mit allen Gottgegebenen Waffen eines Filmemachers geht Boyle auf die Geschichte los und lässt keinen Stein auf dem anderen. Die Kamera sucht sich jeden Winkel und versucht aus einem Bild eine Million Bilder herauszuholen. Die Montage muss das mitmachen und generiert einen Bildersturm, der in keinem Verhältnis zur Handlung steht. Denn ganz ehrlich, wie bei "Sunshine" geht mir auch bei "127 Hours" nicht der Gedanke aus dem Sinn, dass Boyles Bilder in erster Linie cool sein sollen. Sie sollen in erster Linie schick, erregend und eye-catchy sein. Vielleicht passen solche Bilder aber gar nicht zu einer solchen Geschichte. Boyles Formalismus ist so penetrant, dass man von der Geschichte wenig mitbekommt.

Ich hege ja eine große Bewunderung für Regisseure, die lieber mit schier unendlichem Ideenreichtum eine Handlung bebildern als sie nur durch Dialoge voranzutreiben. Ich will Boyle dieses Talent auch gar nicht absprechen. Allein das Gefühl von Einsamkeit oder schlicht von Durst erzählt Boyle auf einer reinen Bildebene, getragen von einer cleveren Montage oder gigantischen Kamerafahrten. Dennoch, erzeugen seine Bilder stets eine rein künstliche, leicht-ironische und distanzierte Atmosphäre. Diese Geschichte bietet aber nie eine Gelegenheit zur Distanz, schon allein weil es keine Meta-Ebene gibt. Darauf könnte man auch locker verzichten, wenn Boyle den Weg der Empathie eingeschlagen hätte. Aron bleibt fern und da man weiß, dass er gerettet wird, steckt „127 Hours“ zudem in einem schweren dramaturgischen Dilemma. Letztendlich wartet man nur auf den Super-Gau, darauf, dass sich Aron den Arm abtrennt. Boyle ist klug genug diese Sequenz nicht unnötig in die Länge zu ziehen, short and shocking. Fünf Minuten rechtfertigen aber noch keinen Film.

Boyles großes Vorbild, Nicolas Roeg, hat in „Walkabout“ gezeigt, wie man das Verloren-Sein in der Natur verfilmt. Würde man sich beide Filme parallel ansehen, man würde eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten und gleichfalls herbe Unterschiede erkennen, denn während Boyle seine Bilder nur schräg kadriert, weil es cool aussieht, neigt Roeg seine Kamera nur, wenn eine Figur ihren Kopf zur Seite legt, eben wenn es gute Gründe dafür gibt.

Wertung: 4,5/10


"127 Hours"

GB, USA, 2010

Danny Boyle

mit James Franco, Kate Mara, Amber Tamblyn


Nur im Kino!