Sonntag, 23. Oktober 2011

TOP 10: TODE


Wie stirbt es sich am besten? Diese Frage haben sich wahrscheinlich schon viele gestellt. Das Kino hat uns diese Frage auch schon mehrfach beantwortet. Ich habe mich gefragt, was sind die zehn besten Todesszenen der Filmgeschichte. Die Auswahl ist natürlich höchst subjektiv und voller Spoiler. Es ist also Vorsicht geboten.


Um zum Video zu gelangen, einfach auf das Bild klicken!


Die angesprochenen Filme:

- "Außer Atem"
- "Reservoir Dogs"
- "Double Indemnity"
- "All That Jazz"
- "Caché"
- "Assault"
- "Shining"
- "Minority Report"
- "Don't Look Now"
- "Topaz"

Donnerstag, 6. Oktober 2011

MELANCHOLIA


Nachdem in zahlreichen Filmen, die Bosheit des Menschen bewiesen wurde, macht sich Lars von Trier auf uns endgültig zu vernichten. Doch was kommt danach?

Justine und Michael feiern ihre Hochzeit, doch das Glück wird von einem außer Kontrolle geratenen Planeten überschattet, der auf die Erde zu stürzen droht. Darüber hinaus wird das sowieso bereits angespannte Verhältnis zwischen Justine und ihrer Schwester Claire an diesem Tag auf eine schwere Probe gestellt.

„Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“, gäbe es einen passenderen Untertitel für Lars von Triers neuen Film? Leider ist er schon vergeben. Caspar David Friedrich schuf bereits ein gleichnamiges Gemälde, dass eben Mann und Frau den Mond betrachtend zeigte. Die Figuren in „Melancholia“ starren auch oft in den Himmel. Sie erblicken aber nicht den Mond, sondern einen mysteriösen Planeten, der unausweichlich auf die Erde zusteuert. Die Ängste sind die gleichen. Faszination und Furcht, irrationale Gefühle, der Mond ist deren Symbol, Melancholia ihre absolute Manifestation.

Von Trier schwelgt in der deutschen Romantik, lässt in einem sieben minütigen Prolog malerische Tableaus zu Wagners Klängen tanzen und verliert sich fast in der Unendlichkeit seiner Zeitlupen bis zur CGI-Kollision der zwei Planeten. In nur einem Wimpernschlag verschwindet unser schöner blauer Planet. Was Kubrick einst noch mit Strauß feierte, findet durch Wagner seine Vollstreckung. Das Vorspiel aus „Tristan und Isolde“ wird das einzige Musikstück des Films bleiben und einem immer wieder begegnen, seinem zarten Schrecken tut dies allerdings keinen Abbruch.

Schmerz durchzieht den neuen Film des streitbaren Dänen auf eine unnachahmliche Weise. Er ist nicht körperlich wie in „Antichrist“ oder moralisch wie in „Dogville“. Das erste Mal in Triers Werk kennen seine Schmerzen keine Ursachen. Sie sind einfach da. Es fühlt sich an wie Melancholie oder auch Depression, letztendlich ist es dieser berüchtigte Weltschmerz, der die Seelen zweier Schwestern packt. Der Weltuntergang erscheint dadurch fast nur wie ein Symptom.

Justine zerbricht am Prozedere ihrer Hochzeit und kann ihr Schauspiel nicht aufrecht erhalten. Die Depression lässt sich nicht mehr verdrängen. Der grundlose Schmerz sticht. Das erste von zwei Kapiteln in Triers Film beschäftigt sich ganz mit dem Ausbruch dieses Schmerzes. In einer wunderbar fatalistischen Aufstellung von Familienszenen, die in den besten Momenten an Vinterbergs Meisterwerk „Festen“ erinnern, entblättert der Autor seine Figuren bis sie alle nackt vor einem stehen. Die Besetzung ist makellos. Wie soll es auch anders sein?

Was Lars von Trier gelingt ist ein direkter Draht zwischen Justine und dem Zuschauer. Wie soll man Verständnis für dieses unvernünftige Gefühl der grundlosen Traurigkeit schaffen? Lässt sich Melancholie transzendieren? Friedrich wusste wie. Trier übersetzt es in bewegte Bilder.

Erst im zweiten Kapitel gibt sich „Melancholia“ als Endzeit-Film zu erkennen. Justines Depression hindert sie bereits an den einfachsten täglichen Aufgaben. Ihre scheinbar gefestigte Schwester Claire kümmert sich aufopferungsvoll um sie, doch auch sie verspürt Angst. Am Himmel leuchtet ein Planet heller als alles andere. Selbst der Mond ist keine Konkurrenz. Auch ihr Mann schaut hinauf, allerdings aus Neugier. Beide betrachten den riesigen Himmelskörper mit ganz unterschiedlichen Gefühlen.

Lars von Triers Weltuntergang ist unausweichlich und dennoch hofft man bis zuletzt, dass er überwunden werden kann, eben weil uns Hollywood jahrzehntelang gelehrt hat: Die Apokalypse ist verhinderbar und wenn nicht, dann gibt es wenigstens ein Leben danach, eine letzte Hoffnung sozusagen. Doch bereits im Prolog wurde uns doch klar gemacht: Es gibt kein Danach, nur ein Davor. Wie lebt man nun in diesem Davor? Triers apokalyptische Träume drehen sich einzig um die Gefühle seiner Figuren. Niemand ist da, der die Welt retten könnte, noch nicht mal Kiefer Sutherland vermag das. Es gibt keine Pläne, keine Ansprachen von Präsidenten und keine Wissenschaftler vor Videoleinwänden, wie schon oft gesagt, keine Hoffnung.

Claire will es nicht wahr haben. Sie verneint den Weltuntergang bis zuletzt. Ihr Schmerz ist so klar, als könnte man ihn anfassen. Ihre Souveränität weicht einer Handlungsunfähigkeit, die ihrer Schwester nicht unähnlich scheint. Doch Trier kippt das Verhältnis der beiden erheblich. Justine ist im Angesicht Ragnaröks im Vorteil. Ihre Welt ist bereits untergegangen. In einer brillant gespielten Szene diskutieren die beiden Schwestern über das Ende der Welt. Während Claire sich an die Möglichkeit des Überlebens klammert, entgegnet Justine kühl, dass es niemanden interessiert, wenn die Menschheit verschwindet. Wir sind allein im Universum und keiner wird um uns weinen.

Das große Dogma des Sci-Fi-Films „Wir sind nicht allein.“ verkehrt Trier hier ins komplette Gegenteil und schafft einen nihilistischen Gedanken, der sich tief in den Kopf gräbt und die wissenschaftlichen Vorstellungen von parallelen Welten und fremden Leben wie religiöse Jenseitsträume wirken lässt. Wie der Himmel aussieht ist doch ziemlich egal, es gibt ihn trotzdem nicht.

Der Zuschauer glaubt trotzdem nicht daran. Vielleicht liegt es daran, dass Trier seinen Film „nur“ in zwei Kapitel geteilt hat, egal. Sobald Melancholia auf das Publikum eingestürzt ist, erscheinen die Credits und trotzdem keimte bei vielen die Hoffnung oder die Angst der Film würde noch weitergehen. Warum sollte er das? Warum sollte jemand überleben? Gibt es kein klareres Ende als der Tod aller? Dieser unbeirrbare Glaube an ein Jenseits könnte ja schon fast als Gottesbeweis angesehen werden.

Ich frage mich schon woran der Mann und die Frau auf Friedrichs Bild denken. Glauben sie der Mond würde auf sie einstürzen oder lässt sie der Himmelskörper von einer anderen Welt träumen? Nun gut, vielleicht lindert das weiche Licht auch nur ihren Schmerz darüber nicht zu wissen was wirklich passiert, wenn es vorbei ist.

Wertung: 8/10


"Melancholia"

DK 2011

Lars von Trier

mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland