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Donnerstag, 5. Januar 2012

BATMAN RETURNS


„Du bist nur neidisch, weil ich ein echtes Monster bin.“, keift der Pinguin in Batmans Gesicht. Auch zwanzig Jahre nach Kinostart und vier weiteren Fledermausfilmen dazwischen, steht Burtons Interpretation immer noch alleine da, als Meisterwerk ohne Konkurrenz.

Es ist Weihnachten in Gotham City und der Pinguin treibt sein Unwesen. Der Unternehmer Max Schreck versucht den Pinguin zum Bürgermeister zu machen um seine Macht zu steigern und dann ist da noch Selina Kyle, die Sekretärin Schrecks, die eigentlich tot sein sollte, aber als Catwoman wiederkehrte.

Kein anderer Comic-Held wurde so vielfältig auf die Leinwand gebannt. Angefangen beim knallbunten Kinder-Batman der 60er Jahre bis hin zum Realo-Batman eines Chris Nolan, und überhaupt ließ selten in der Comic-Geschichte ein Held so viele Freiräume und provozierte förmlich solch unterschiedliche Interpretationen. Vergleiche drängen sich auf und auch ich erliege ihnen öfters, doch letztendlich ist Vielfalt immer etwas Gutes und selbst so eine scheußliche Verballhornung wie der Batman aus Joel Schumachers Filmen genießt eine Existenzberechtigung, schon allein um zu zeigen, wie man es nicht machen sollte.

Die Fangemeinde ist gespalten. Die Gräben sind tief und die Fronten scheinen unvereinbar. Auf der einen Seite steht ein Batman ohne Grandezza, verhärmt und kalt, Teil einer Welt, in der Gotham City eine Stadt unter vielen ist, gefährdet durch organisierte Kriminalität und terroristische Anschläge. Auf der anderen Seite steht ein poetischer Batman mit einer gespaltenen Persönlichkeit, ein vereinsamter Bruce Wayne, der die äußere Welt nur erträgt, wenn er sich eine Maske aufsetzt. Die äußere Welt als isolierter Moloch, ein Metropolis wie eine Bühnenkulisse aus Pappmascheebauten und Kunstschnee. Batman als Oper, könnte man sagen.

Wie sollte man sich da entscheiden? Muss man nicht, aber eines sticht ins Auge. Burton erschuf einen Mythos. Nolan zerschlug ihn. Wo bei Burton die Dualität des Superheldenthemas zentraler Bestandteil der Handlung ist, da scheint es bei Nolan so, dass Christian Bale nur ein Kostüm trägt um nicht erkannt zu werden. Dieser vehemente Unterschied macht deutlich, warum ich Burtons Interpretation mehr schätze.

Natürlich beruht Nolans Sicht auf der Idee, dass Batman gar kein Superheld ist, schließlich besitzt er keine paranormalen Kräfte, aber es sind dennoch nicht nur die Gadgets, die das ausgleichen. Bruce Wayne ist nicht nur eine Ein-Mann-GSG-9-Einheit in exzentrischer Kriegsrüstung, er schöpft seine „Superkräfte“ aus sich selbst, indem er zu dem wurde, was er am meisten fürchtet. Auch Nolan erzählte diese Geschichte in „Batman Begins“, aber er verwarf sie wieder völlig in „The Dark Knight“.

Tim Burton hatte für seine Fortsetzung alle Freiheiten eingefordert und sie auch bekommen. „Batman“ (1989) gab uns nur eine Ahnung, was möglich wäre. Schon hier war Gotham City eine einzigartige Megametropole, irgendwo zwischen „Blade Runner“ und Albert Speer, mit kilometerhohen Wolkenkratzern, die mit ihren schrägen Geometrien an den deutschen Expressionismus erinnern. Dazu erschuf Danny Elfman einen opulenten Klangteppich, der dem dunklen Ritter ein ikonisches Thema schenkte. Batman wurde zum abstrakten Symbol, zum Symbol der Angst für die Schurken und zum Symbol der Rettung für die Bürger.

Doch es ging noch viel weiter. Erst in „Batman Returns“ konnte Burton seine ganze Geschichte erzählen. Schon das Plakat zeigt es eindeutig. Batman, Catwoman und der Pinguin, ihre Porträts wie bei einem Totempfahl übereinander getürmt. Sie sind alle gleich anders, als würden sie auf dem Plakat eine Allianz bilden, eine Allianz aus Freaks.

In Burtons Kosmos nimmt das Andere stets einen hohen Stellenwert ein. Seine Identifikationsfiguren sind abgespalten von der Norm. Sie passen nicht in die Welt. Die schwarz-weiße Gut-und-Böse-Welt vieler Comics verschwimmt hier völlig. In „Batman Returns“ sind die Schurken, wie der Held, Monster. Das „Normale“ kann nur als zweite Identität existieren.

Die Unterschiede zwischen Schurke und Held sind doch nur die Motive. Der Pinguin, hingebungsvoll von Danny DeVito gespielt, bleibt bei Burton eine tragische Figur. Er ist unfähig sich seinem Schicksal zu entziehen und gesteht sich zuletzt ein, lieber das Monster zu bleiben als den Menschen zu spielen, anders als Catwoman und Batman, die bei Tageslicht Bürger sind.

Doch diese Dualität ist schwer zu erhalten. Als Preis für sein Heldenleben nimmt Bruce Wayne ein asoziales Leben in Kauf, mit seinem Butler Alfred als einzigen Freund. Selina Kyle geht es ebenso. Kein Wunder, dass Burton, die zwei zusammen führt. Das dichte Netz der Figuren, ihre Konflikte und Gemeinsamkeiten, für all das, lässt der Film genügend Raum und scheut sich nicht die Action dafür zu vernachlässigen. „Batman Returns“ schöpft seine Spannung nur aus den Figuren und ihren ungelüfteten Geheimnissen, z.B. der Frage wann Selina und Bruce entdecken, dass er Batman und sie Catwoman ist.

Der Zwang jemand anderes zu sein oder sein zu müssen, das ist das Thema vieler Burton-Filme, doch in „Batman Returns“ übersetzt er es in den Superheldenmythos und ringt der Vorlage damit völlig neue Seiten ab. Die Schönheit des Anders-Seins, Burton macht sie erfahrbar und ist damit nah am Helden wie auch am Schurken und im Kern sowieso ganz nah am Menschen.

Wertung: 8,5/10



"Batmans Rückkehr"
US 1992
Tim Burton
mit Michael Keaton, Michelle Pfeiffer, Danny DeVito

Sonntag, 18. Dezember 2011

THE ADJUSTMENT BUREAU


Philip K. Dicks Sci-Fi-Stories wurden schon vielfach verfilmt. Nun erweiterte Hollywood die Reihe um eine Schmonzette. Das fehlte noch.

David Norris, Kongressabgeordneter, trifft die Ballerina Elise. Beide verlieben sich, doch eine mysteriöse Organisation, die das Schicksal der Welt steuert, will die beiden auseinander bringen. Der Plan sieht anders aus.

„Blade Runner“ und „Minority Report“ sind nur zwei Geschichten aus der Feder des letzten großen Sci-Fi-Autoren der Literaturgeschichte. Beide wurden auch zu großen Filmen. Nun wagte sich Regie-Debütant und Drehbuch-Veteran George Nolfi an die Dick-Geschichte „Adjustment Team“. Viel mit Sci-Fi hat die Vorlage nichts zu tun. Es ist eher eine metaphysische Geschichte über das Unvermögen der Menschheit seinen freien Willen vernünftig zu nutzen, so dass Dick unser Schicksal in die Hände einer mächtigen Gemeinschaft legte, eine bitter-süße Resignation, die 1954, nach zwei Weltkriegen, verständlich erschien.

Die aktuellen Ereignisse gaben Nolfi und seinem Team genügend Anlässe die Geschichte zu modernisieren, dennoch entschied man sich für die älteste Geschichte der Welt, boy meets girl.

Matt Damon trifft Emily Blunt, laut „Plan“ darf das nicht sein, obwohl sie „füreinander bestimmt“ sind, und so macht das „Adjustment Team“ den frisch Verliebten das Leben schwer bis Gott interveniert. Klingt schrecklich? Ist es auch. Da ich die Vorlage nicht gelesen habe, kann ich nicht sagen wie viel Kitsch auf Dicks Mist gewachsen sind, trotzdem, man muss nicht alles kommentarlos übernehmen.

In der Umsetzung ist Nolfis Film zwar eher konservativ und beschwört sogar in den Kostümen die 50er Jahre, doch Momente der Langeweile tauchen selten auf. Nolfi, der u.a. am Drehbuch von „The Bourne Ultimatum“ schrieb, ist geübt in Thriller-Dramaturgie. Man darf zwar nichts erwarten, was man bei Hitchcock nicht schon besser gesehen hat, aber „The Adjustment Bureau“ funktioniert als Unterhaltungsfilm überraschend gut.

Allerdings bietet eine solche Geschichte größere Möglichkeiten. Allein in der Figur des Thompson zeigt der Film kurz was möglich gewesen wäre. Dennoch, große Themen wie Freiheit und Determination schwemmt der Film eiskalt mit seiner Love Story hinweg.

Am Ende bleiben nur Damon und Blunt auf dem Dach eines Hochhauses. Zuletzt gelingt dem Film doch noch einer schöner Akzent. Den beiden Verliebten wird bewusst, dass sie an der Schale des Universums gekratzt haben, und da schießt es mir wieder in den Kopf, Philip K. Dick.

Wertung: 4/10


"Der Plan"

US 2011

George Nolfi

mit Matt Damon, Emily Blunt, Terence Stamp

Donnerstag, 6. Oktober 2011

MELANCHOLIA


Nachdem in zahlreichen Filmen, die Bosheit des Menschen bewiesen wurde, macht sich Lars von Trier auf uns endgültig zu vernichten. Doch was kommt danach?

Justine und Michael feiern ihre Hochzeit, doch das Glück wird von einem außer Kontrolle geratenen Planeten überschattet, der auf die Erde zu stürzen droht. Darüber hinaus wird das sowieso bereits angespannte Verhältnis zwischen Justine und ihrer Schwester Claire an diesem Tag auf eine schwere Probe gestellt.

„Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“, gäbe es einen passenderen Untertitel für Lars von Triers neuen Film? Leider ist er schon vergeben. Caspar David Friedrich schuf bereits ein gleichnamiges Gemälde, dass eben Mann und Frau den Mond betrachtend zeigte. Die Figuren in „Melancholia“ starren auch oft in den Himmel. Sie erblicken aber nicht den Mond, sondern einen mysteriösen Planeten, der unausweichlich auf die Erde zusteuert. Die Ängste sind die gleichen. Faszination und Furcht, irrationale Gefühle, der Mond ist deren Symbol, Melancholia ihre absolute Manifestation.

Von Trier schwelgt in der deutschen Romantik, lässt in einem sieben minütigen Prolog malerische Tableaus zu Wagners Klängen tanzen und verliert sich fast in der Unendlichkeit seiner Zeitlupen bis zur CGI-Kollision der zwei Planeten. In nur einem Wimpernschlag verschwindet unser schöner blauer Planet. Was Kubrick einst noch mit Strauß feierte, findet durch Wagner seine Vollstreckung. Das Vorspiel aus „Tristan und Isolde“ wird das einzige Musikstück des Films bleiben und einem immer wieder begegnen, seinem zarten Schrecken tut dies allerdings keinen Abbruch.

Schmerz durchzieht den neuen Film des streitbaren Dänen auf eine unnachahmliche Weise. Er ist nicht körperlich wie in „Antichrist“ oder moralisch wie in „Dogville“. Das erste Mal in Triers Werk kennen seine Schmerzen keine Ursachen. Sie sind einfach da. Es fühlt sich an wie Melancholie oder auch Depression, letztendlich ist es dieser berüchtigte Weltschmerz, der die Seelen zweier Schwestern packt. Der Weltuntergang erscheint dadurch fast nur wie ein Symptom.

Justine zerbricht am Prozedere ihrer Hochzeit und kann ihr Schauspiel nicht aufrecht erhalten. Die Depression lässt sich nicht mehr verdrängen. Der grundlose Schmerz sticht. Das erste von zwei Kapiteln in Triers Film beschäftigt sich ganz mit dem Ausbruch dieses Schmerzes. In einer wunderbar fatalistischen Aufstellung von Familienszenen, die in den besten Momenten an Vinterbergs Meisterwerk „Festen“ erinnern, entblättert der Autor seine Figuren bis sie alle nackt vor einem stehen. Die Besetzung ist makellos. Wie soll es auch anders sein?

Was Lars von Trier gelingt ist ein direkter Draht zwischen Justine und dem Zuschauer. Wie soll man Verständnis für dieses unvernünftige Gefühl der grundlosen Traurigkeit schaffen? Lässt sich Melancholie transzendieren? Friedrich wusste wie. Trier übersetzt es in bewegte Bilder.

Erst im zweiten Kapitel gibt sich „Melancholia“ als Endzeit-Film zu erkennen. Justines Depression hindert sie bereits an den einfachsten täglichen Aufgaben. Ihre scheinbar gefestigte Schwester Claire kümmert sich aufopferungsvoll um sie, doch auch sie verspürt Angst. Am Himmel leuchtet ein Planet heller als alles andere. Selbst der Mond ist keine Konkurrenz. Auch ihr Mann schaut hinauf, allerdings aus Neugier. Beide betrachten den riesigen Himmelskörper mit ganz unterschiedlichen Gefühlen.

Lars von Triers Weltuntergang ist unausweichlich und dennoch hofft man bis zuletzt, dass er überwunden werden kann, eben weil uns Hollywood jahrzehntelang gelehrt hat: Die Apokalypse ist verhinderbar und wenn nicht, dann gibt es wenigstens ein Leben danach, eine letzte Hoffnung sozusagen. Doch bereits im Prolog wurde uns doch klar gemacht: Es gibt kein Danach, nur ein Davor. Wie lebt man nun in diesem Davor? Triers apokalyptische Träume drehen sich einzig um die Gefühle seiner Figuren. Niemand ist da, der die Welt retten könnte, noch nicht mal Kiefer Sutherland vermag das. Es gibt keine Pläne, keine Ansprachen von Präsidenten und keine Wissenschaftler vor Videoleinwänden, wie schon oft gesagt, keine Hoffnung.

Claire will es nicht wahr haben. Sie verneint den Weltuntergang bis zuletzt. Ihr Schmerz ist so klar, als könnte man ihn anfassen. Ihre Souveränität weicht einer Handlungsunfähigkeit, die ihrer Schwester nicht unähnlich scheint. Doch Trier kippt das Verhältnis der beiden erheblich. Justine ist im Angesicht Ragnaröks im Vorteil. Ihre Welt ist bereits untergegangen. In einer brillant gespielten Szene diskutieren die beiden Schwestern über das Ende der Welt. Während Claire sich an die Möglichkeit des Überlebens klammert, entgegnet Justine kühl, dass es niemanden interessiert, wenn die Menschheit verschwindet. Wir sind allein im Universum und keiner wird um uns weinen.

Das große Dogma des Sci-Fi-Films „Wir sind nicht allein.“ verkehrt Trier hier ins komplette Gegenteil und schafft einen nihilistischen Gedanken, der sich tief in den Kopf gräbt und die wissenschaftlichen Vorstellungen von parallelen Welten und fremden Leben wie religiöse Jenseitsträume wirken lässt. Wie der Himmel aussieht ist doch ziemlich egal, es gibt ihn trotzdem nicht.

Der Zuschauer glaubt trotzdem nicht daran. Vielleicht liegt es daran, dass Trier seinen Film „nur“ in zwei Kapitel geteilt hat, egal. Sobald Melancholia auf das Publikum eingestürzt ist, erscheinen die Credits und trotzdem keimte bei vielen die Hoffnung oder die Angst der Film würde noch weitergehen. Warum sollte er das? Warum sollte jemand überleben? Gibt es kein klareres Ende als der Tod aller? Dieser unbeirrbare Glaube an ein Jenseits könnte ja schon fast als Gottesbeweis angesehen werden.

Ich frage mich schon woran der Mann und die Frau auf Friedrichs Bild denken. Glauben sie der Mond würde auf sie einstürzen oder lässt sie der Himmelskörper von einer anderen Welt träumen? Nun gut, vielleicht lindert das weiche Licht auch nur ihren Schmerz darüber nicht zu wissen was wirklich passiert, wenn es vorbei ist.

Wertung: 8/10


"Melancholia"

DK 2011

Lars von Trier

mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland

Mittwoch, 26. Januar 2011

BLACK SWAN


Darren Aronofskys neuer Film zeigt uns Natalie Portman in Höchstform und verfehlt seine filmische Wirkung nicht, obwohl es genug Gründe dafür gäbe.

Nina ist eine ehrgeizige und leidenschaftliche Ballett–Tänzerin, die ihr Leben ausnahmslos ihrer Arbeit an der New Yorker Ballet Company widmet. Als die Rolle der Primaballerina für die Produktion des Klassikers Schwanensee neu besetzt werden soll, wird Nina vom Regisseur favorisiert. Sie bekommt jedoch schnell Konkurrenz durch die jüngere Lily, die zwar technisch schwächer ist, aber eine Leichtigkeit besitzt, die sich nicht mit Übung erreichen lässt. Zwischen den beiden entsteht eine außergewöhnliche Beziehung, die zur Zerreißprobe für Nina wird. Immer intensiver lernt sie die düstere Seite ihres Selbst kennen, das ihr bedrohlicherweise immer ähnlicher wird.

Als ich mir das erste mal den Trailer angesehen habe, hatte ich ehrlich gesagt gar keine Lust mir den Film anzusehen. Nun gut, "The Wrestler" fand ich sehr gut und Natalie Portman passt einfach hervorragend in diese Rolle, aber ehrlich gesagt, dachte ich mir schon damals: "Hä? Da ein bisschen Cronenberg und hier ein bisschen Powell & Pressburger." Letztendlich habe ich meine Meinung geändert, da mir die Kontroverse um den Film gefiel, ich Ballet-technisch ein Noob bin und die Portman eine Kinokarte wert ist.

"Black Swan" kann man nur als organisches und ebenso weibliches Gegenstück zu Aronofskys Vorgängerfilm lesen. Beide Filme sind rein postmoderne Erzeugnisse. Die Handlung ist auch hier nur ein Lego-Konstrukt aus bekannten Motiven. Wichtig ist nicht was erzählt wird, sondern wie man es macht. "The Wrestler" hatte durch seinen starken Charakterdarsteller und die unkontrollierte Dramaturgie, einen viel stärkeren naturalistischen Touch. "Black Swan" ist dagegen reines Genre, pure Fiktion und künstlich wie Pop-Musik, weitaus kommerzieller, aber auch unterhaltsamer. Während "The Wrestler" wie ein leicht unterkühltes Reifezeugnis eines geläuterten Regie-Heißsporns wirkte, revidiert Aronosky mit "Black Swan" alle Vorurteile und zeigt mit viel Mut zum Pathos und dem Einsatz hoher kinetischer Energien, dass freudlose Erzählungen nicht sein Ding sind.

Wer sich allerdings in Genren bewegt, muss vieles beachten und vorsichtig sein. Natürlich, kann kein Filmemacher über Nacht zum Horror-Meister mutieren, aber was uns Aronofsky in diesem Film öfter für altbackene Tricks aus der Mottenkiste präsentiert, grenzt schon an eine Parodie. Plötzlich auftauchende Schatten und das illustrative Schäppern auf der Ton-Spur haben mich eher belustigt als gegruselt. Besonders die erste Filmhälfte versucht so möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhaschen, aber das ist letztendlich doch nur peinlich.

Ein anderer auffälliger Punkt ist die Dramaturgie. "Black Swan" ist herrlich chronologisch aufgebaut, mit einem bewährten Standard-Spannungsbogen, dazu die mustergültige Exposition am Anfang plus großer Klimax. Dahinter steckt entweder ein großer Schuss Naivität und somit eine große Offenheit des Regisseurs oder die Angst es dem Zuschauer zu schwer zu machen. Mit Arthouse hat das alles nichts zu tun. "Black Swan" mag ein Independent-Film sein, aber dabei ist er stets höchst hollywoodesk und durch und durch ein Unterhaltungsfilm. Allerdings, was heißt schon Unterhaltung? Ihr wisst was ich meine. Der Film ist Kunst-Trash. Ein total unvernünftiger High-Concept-Schwachsinn. Wie einfach kann es ein Regisseur seinem Publikum machen, seinen Film rational zu zerreißen? Seht euch "Black Swan" an.

Ich rate euch einfach dazu, eure Gehirne an der Kasse abzugeben. Denn nur so lässt sich meine überaus hohe Wertung erklären. "Black Swan" ist nämlich ein weiteres gutes Beispiel für die Kraft des Regisseurs. Mag das Drehbuch noch so schwach sein, wenn die Besetzung und die Umsetzung stimmt, dann kann man nur gewinnen. Denn abgesehen von den peinlichen Billig-Erschreckmomenten, trifft "Black Swan" genau da, wo es weh tut, mitten ins Herz. Man kann sich so wunderbar auf den Weg der Interpretationen begeben und die Metaphern entschlüsseln, die Coming-of-Age-Story durchleuchten und sich dem sexuellen Sub-Text mit orgiastischer Prosa nähern, aber dass bringt alles gar nichts. Es bringt auch nichts über die wunderbare Kamera zu schreiben, die sogar "The Wrestler" toppt, Mut zu mehr Korn zeigt und es auch schafft Ballet-Tanz mit nie dagesehener Dynamik zu filmen. Man wird auch nicht schlauer, wenn man Zeilen darüber liest, wie grandios Frau Portman spielt. Ebenso hat es keinen Sinn zu hinterfragen warum sie neuerdings so gebasht wird. Dabei ist sie doch schon seit "Léon" ein großes Talent und tut alles Erdenkliche um interessante Rollen zu bekommen und um von ihrem schönen Model-Typ weggecastet zu werden. Der Körperfaschismus macht dann auch vor Filmfiguren nicht halt, die dann neuerdings auch Vorbildfunktionen haben und nicht zu dünn, nicht zu dick und nicht zu drogensüchtig aussehen dürfen. Wie schon gesagt, das bringt alles nichts, wenn man es schreibt, aber ich mache es trotzdem.

Natürlich wird die Portman den Oscar bekommen, eben auch weil sie ihn verdient hat, denn ganz egal, ob Plagiat, Trash oder Porno, gutes Schauspiel bleibt gutes Schauspiel und in "Black Swan" schien sie nie besser besetzt. Ihre Darstellung trifft direkt ins Herz, um mich mal zu wiederholen. Alles an "Black Swan" trifft ungemütlich. Man kann sich diesem Wust an Energie nicht leicht entziehen. Es ist dieser Pathos und diese bittersüße Künstlichkeit, Mansells und Tschaikowskys Score, die Verwandlung, die Bilder, alles auf einmal, Kino halt.

Wertung: 7/10



"Black Swan"
US 2010
Darren Aronofsky
mit Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis



Nur im Kino!

Mittwoch, 29. Dezember 2010

THE KILLER INSIDE ME


Der britische Tausendsassa Michael Winterbottom verlässt seine bisherige semi-dokumentarische Phase und liefert eine hoch-fiktive Literaturverfilmung ab, in der Casey Affleck als Psychopath und Halbgott auftritt.


Ich habe keine Ahnung was mit den Kritikern los ist. Durchschnittsfilme, wie "Im Schatten" und "Orly" werden in den Himmel gelobt ("Is' ja Berliner Schule, muss ja gut sein"), während Michael Winterbottoms neuer Film, aufgrund von halbgaren Skandalvorwürfen und Frauenfeindlichkeitsanschuldigungen (longest word, i've ever wirtten), verrissen wird, ja sogar ausgebuht wurde und wer die Pressekonferenz gesehen hat, merkt die enorme Antipathie gegenüber Winterbottom und seinem neuen Film.

Dabei ist "The Killer inside me" in vielerlei Hinsicht ein herausragender Film. Ein Kritiker fragte Winterbottom sogar, mit leicht fiesem Unterton, ob dieser Film überhaupt zur Berlinale passen würde. Das könnte man auch als Kompliment begreifen. Denn dieser Film pfeift auf Naturalismus, jedweden populär-politischen Diskurs und freudlose Inszenierungen. Hier geht es um Verve, Stil und Pulp, ja Pulp, aber nicht im Sinne eines Tarantinos, viel eher Pulp im Ausmaß einer griechischen Tragödie.

Gehen wir mal zuerst auf die "skandalöse" Gewalt ein. Meine Begleitung und ich betreten den Friedrichstadtpalast. Die Kartenabreißerin schaut auf unsere Tickets, nickt und sagt: "Sie werden einen starken Magen brauchen." Ich schmunzle, ich hatte ja schon im Internet gelesen, dass der Film in Sundance Wellen geschlaben haben soll. Parallelen zu "Antichrist" kommen mir in den Sinn. Dennoch, unterschiedlicher könnten beide Filme kaum sein. Kurzum, die Gewalt in "The Killer inside me" ist zu keiner Sekunde skandalös um des Skandals-Willen, darüberhinaus ist sie nie prätenziös, verherrlichend oder irgendwie handlungsfördernd. Obwohl, die Kamera ständig draufhält, bleibt die Gewalt stets eine Verletzung anderer, schmerzhaft und unkonsumierbar.

Genug davon, kommen wir zum eigentlich interessanten, dem virtuosen Casey Affleck, der seinen Anti-Helden mit einem so unterschwelligen Sadismus gibt, ihn gleichzeitig romatisch, witzig und liebenswert zeichnet, dass die Identifikationsmöglichkeiten von Zuschauer und Figur an ihre Grenzen getrieben werden. Die Gefahr besteht, sich mit einem Mörder gleichzuschalten, doch Winterbottoms Inszenierung weiß das zu verhindern. Er sorgt für die nötige Distanz. Sei es durch Brüche zwischen Bild- und Tonebene oder den lückenemitierenden Schnitt.

Auch der restliche Cast ist großartig, allen voran Jessica Alba und Kate Hudson, die als einzige Starlets auftreten, ebenso inszeniert werden und in Hitchcock-Manier den Film frühzeitig verlassen. Alba und Hudson spielen Figuren, fernab von Klischees, schauspielerisch so ausgezeichnet, dass ihre Ermordungen umso schockierender wirken.

Was überrascht ist die relativ unauffällige Kamera. Die wirkliche Posen und Gemälde, will dieser Film nicht liefern. Er kommt nicht in die Verlegenheit sich mit Bildern eines Roger Deakins aus "No Country for Old Men" messen lassen zu müssen. Viel eher wirken die Einstellungen improvisiert, aber ästhetisch, nie dokumentarisch, sondern immer ausgefeilt. Die mit der Handkamera eingefangenen Cinemascope-Bilder, erinnern in ihren besten Momenten an das Kino eines Nicolas Roeg und Anthony Richmond.

Was am Ende wohl vielen Zuschauer durch den Kopf ging, war die Frage nach dem "Warum?". Jedenfalls fiel diese Frage auch bei der Pressekonferenz. Wer ein ausführliches Psychogramm erwartet, wird enttäuscht. Afflecks John Ford ist mehr als ein Mörder mit schlechter Kindheit. Die wenigen Anspielungen, die Winterbottom sich leistet, haben mehr mit den Frauenfiguren als mit der Wurzel des Bösen zu tun. Der Background des Mörders ist hier wirklich nur Background und manifestiert sich z.b. in dem Elterhaus in dem Ford wohnt und den Arien, die er hört. Das sind Details, Striche, die die Figur umkreisen, sie aber nie zu Ende zeichnen.

Eigentlich sagt es Ford schon zu Beginn (Der Film besitzt viele Voice-Overs, überwiegend direkt dem Buch entlehnt). "In einer Kleinstadt, glaubt jeder dich zu kennen." und auch Winterbottom sagte bei der Pressekonferenz, dass es ihn mehr interessiert habe, wie sich die Figuren verhalten. Kenne ich mein gegenüber? Auch wenn ich mit ihm lebe, mit ihm schlafe, esse und trinke? Mordet es sich nicht einfacher, wenn alle glauben einen zu kennen? Und, viel wichtiger, wie verhält es sich umgekehrt? Man könnte sagen, den einzigen Fehler, den sich Ford leistet, ist zu Glauben er kenne seine Mitmenschen, aber sie ihn nicht. Diese Form der Arroganz, wird im Film oft angesprochen. "Lass dir deine Sprüche, für die Spatzen." sagt der Gewerkschaftsführer einmal zu ihm. Diese Arroganz bringt Ford zu Fall, denn sein Größenwahn ist schon so gewachsen, dass er sich selbst als Regisseur seines eigenen Films sieht.

Dieser nie frauenfeindliche Film, entwickelt nicht nur eine aufregende Vision über die Schwierigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sondern entblößt sogar den Filmemacher als den eigentlichen Mörder aller Mörder. Im Falle von Michael Winterbottom sollte man aber Gnade vor Recht walten lassen.

gesehen auf der Berlinale 2010

Wertung: 8/10



Der Film lief bisher nur auf Festivals und hat noch keinen deutschen Starttermin. In den USA und Großbritannien gibt es ihn allerdings schon auf DVD und Blu-Ray.


Sonntag, 3. Oktober 2010

ENTER THE VOID


Gaspar Noés neues Grenzwerk beginnt als beeindruckende Meditation über filmische Wahrnehmungen und endet leider im blanken Manierismus.

Ganze acht Jahre ist es schon her, dass der französische Experimentalfilmer Gaspar Noé mit „Irreversibel“ die Kinowelt in Aufruhr versetzte. Der konsequent rückwärts-erzählte Film untersuchte Gewalt-Mechanismen im Kontext einer unaufhaltsamen Schicksalsspirale.

Der Kameramann Benoit Debie gestaltete den Film als quasi lückenlose Gesamterfahrung, die durch unsichtbare Schnitte den Eindruck einer kompletten Plansequenz ergab. Dazu tritt die Kamera hier stets als Subjekt auf, was nicht heißt, dass der Kamerablick dem Blick einer handelnden Figur gleichkommt, viel eher wird man sich der Kamera immer wieder bewusst gemacht. Durch auffällige Schwenk-, Neig- und Kreisbewegungen kommt man als Zuschauer gar nicht umhin nicht auf die Kamera zu achten. Sie existiert als sichtbares Fenster zur Filmwelt.

Bei „Irreversibel“ spielte die Kamera in der ersten Hälfte verrückt und bewegte sich so als würde sie dem Publikum die Orientierung verweigern. Erst allmählich wurde die sie immer ruhiger bis sie zum Schluss nur noch dokumentarisch auftrat.

Ein engagiertes Kamera-Konzept hat auch „Enter the Void“ zu bieten und auch hier zeigt sich Debie für die Gestaltung verantwortlich. Während die Kamera in „Irreversibel“ nur subjektiviert war, wird sie in Noés neuem Film wirklich zu einer Subjektiven, nämlich zum Blick der Hauptfigur.

Oscar lebt in Tokio und verdient sein Geld als Drogendealer. Mit dem Geld will er zudem seine Schwester zu sich holen. Beide wurden als Kinder getrennt als die Eltern bei einem Unfall starben. Doch sie gaben sich das Versprechen immer für einander da zu sein. Die Wiedervereinigung der Geschwister kann aber nur schwer das frühkindliche Paradies zurückbringen und so werden die beiden vom Nachtleben Tokios aufgesogen.

Der Film teilt sich drei Teile und untersucht verschiedene Bewusstseinsströme. Zu Beginn sehen wir konsequent aus der Perspektive Oscars, sogar das Augenblinzeln wird durch Abdunkeln der Leinwand dargestellt. Alles scheint in Echtzeit abzulaufen, wodurch das subjektive Zeitgefühl durch einen gelegentlichen Drogenrausch Oscars stark verändert werden konnte. Dieser erste Teil entspricht der visuellen Gegenwartswahrnehmung eines jeden Menschen.

Im zweiten Teil ändert die Kamera nur leicht ihre Position. Sie stellt sich direkt hinter Oscar und nimmt seinen Hinterkopf ins Bild. Nur durch eine kleine Veränderung der Position ändert sich der Bildeindruck erheblich. Die Kamera ist nun objektiv, aber nur im Bezug auf die gedankliche Version Oscars. Denn wie sich herausstellt ist auch diese Perspektive eine Subjektive. Es ist der Blick Oscars der sich erinnert, dessen Leben an ihm vorbeirauscht. Hier darf der Film ja nun unvermittelt in der Zeit springen, ein Lidschlag, eine andere Erinnerung.

Im letzten und längsten Teil des Films bleibt die Kamera zwar subjektiv, sie zeigt nur nicht mehr die Perspektive eines lebenden Menschen, sondern wird zum Auge einer wandernden Seele, die nun die Hinterbliebenen beobachtet. Hier wird die Kamera nun endgültig entfesselt. Debie durchdringt mit seiner Linse Häuserwände, menschliches Fleisch, kann in luftige Höhen gleiten und mit Lichtquellen durch die Zeit reisen.

Noé geht es natürlich hauptsächlich um diesen Teil. „Enter the Void“ möchte den Tod erfahrbar machen oder viel eher die Suche der Seele nach Reinkarnation. Dabei bietet der Film gerade in den ersten beiden Stücken seine stärksten Momente. Denn hier nimmt sich zum ersten Mal ein Filmemacher die Zeit sich mit subjektiver Wahrnehmung im Film auseinander zu setzen.

Der 1947er film noir „Lady in the Lake“ von Robert Montgomery hat Noé persönlich sehr beeinflusst. Schon dieser Film wurde komplett aus der Subjektiven des Helden erzählt. Laut Wikipedia soll dann noch eine Portion Pilze nachgeholfen haben, wodurch Noé auf die Idee kam seinen Jenseits-Film auch aus dieser Perspektive zu erzählen.

Es liegen dennoch zwischen beiden Filmen Welten. Obwohl beide eine kohärente Geschichte erzählen, bewegt sich das klassische Vorbild auf weitaus konventionellerem Terrain. Denn Noés strenge Durchführung seines formalistischen Konzepts kann sich nie die Freiheit erlauben Kompromisse gegenüber der Handlung einzugehen, was gerade im späteren Verlauf dem Film enorm viel Wind aus den Segeln nimmt.

In den ersten beiden Teilen des Films wird sehr eindrucksvoll klar inwieweit die Subjektive im Kino bekannten Wahrnehmungsbildern ähnelt. Lässt man sich darauf ein so kann man als Zuschauerperson gänzlich verschwinden und sich komplett in der Perspektive des Protagonisten verlieren. Meine Kinobegleitung kommentierte das äußerst punktiert und mit einem leichten ironischen Unterton am Ende der Vorstellung: „Ich hatte schon die Befürchtung, ich selbst würde vergessen zu blinzeln, da das ja der Film schon für mich erledige.“

Obwohl fast abwesend lohnt sich gerade zu Beginn ein genauer Blick auf den Schnitt. Denn auch wenn die eigene Subjektive keine Ortswechsel und Zeitsprünge erlaubt. So arbeitet Noé mithilfe des imtierten Lidschlags an einem klaren Schnittrythmus. Denn jede mikrosekündliche Ab-und Aufblendung der Leinwand erzeugt Brüche in der Zeitwahrnehmung, was Noé meisterhaft zum kaum bemerkbaren Raffen der Handlung nutzt (z.B. der Weg von Oscars Wohnung ins Void).

So ist es doch auch in der Realität. Nicht nur das die eigene Wahrnehmung um ca. eine halbe Sekunde verzögert ist, da unser Gehirn die Sinneseindrücke erstmal verarbeiten muss, nein, auch unser Lidschlag gleicht einer Montage, nicht nur visuell sondern auch mental.

Wenn man Schauspieler mal genauer beobachtet, dann sieht man wie sie ihren Text in Gedankenpakete aufteilen, die je nach Aktion und Reaktion aufgegriffen und verworfen werden. Dieser Gedankenwechsel wird meistens durch einen Lidschlag unbewusst sichtbar. Deshalb nutzen so viele Cutter auch den Lidschlag als Moment eines Perspektivenwechsel, ein Lidschlag, ein neuer Gedanke. Dadurch kommt es realtiv selten vor, dass man Schauspieler in Filmen blinzeln sieht.

Nun bei „Enter the Void“ ist der Lidschlag nicht nur sichtbar, er fragmentiert, er strukturiert, er täuscht. Wirklich klar wird dieses Konzept im zweiten Teil des Films, wenn Noé den retrospektiven Blick Oscars mithilfe der Lidschläge wandern lässt, bei jedem Blinzeln, eine andere Erinnerung.

Im letzten Teil verschwindet der Lidschlag von der Leinwand. Eine Seele hat keine Augen mehr, aber sie scheint noch einen Blick und somit eine Subjektive zu haben. Hier betritt der Film metaphysische Gefilde, die nicht mehr der eigenen Wahrnehmung gleichen. Ab hier strukturiert sich der Film nur noch in vereinzelte Episoden, die durch Zeitsprünge getrennt sind.

Ohne den Lidschlag muss Noé ab jetzt alles so wirken lassen, als würde es in Echtzeit geschehen. So impliziert jede Reise an einen anderen Ort, eine Kamerafahrt durch Häuserwände und über Dächer. Wie schon zuvor beschrieben ist das bei einem Zeitsprung weitaus komplizierter. Hier greift Noé auf einen Trick zurück und behauptet einfach, die Seele könne mithilfe von Lichtquellen Zeit überbrücken (Ähm ja...). Schlecht sieht das ja auch nicht aus. Die enorme Weitwinkel-Verzerrung beim Vertigo-Effekt vor dem Eintritt ins Licht, sieht sehr gut und suggestiv aus, doch nach dem 10. Mal wird es hohl.

Da sind wir schon bei der größten Schwäche von „Enter the Void“. Noé hat sich ein so strenges stilistisches Konzept auferlegt, dass es unmöglich eine Handlung füllen kann. Besonders, da die wirkliche Handlung erst mit dem letzten Teil anfängt. Alles davor war nichts anderes als eine beeindruckende Exposition. Eigenartigerweise scheint Noé die Story wichtig zu sein oder die Figuren jedenfalls. Allerdings trifft das nicht auf den Zuschauer zu, der die 80 Minuten davor mit effektivem Wahrnehmungskino geplättet wurde.

Abgesehen davon, dass sich eine Subjektive überhaupt nicht zur Identifizierung eignet, auch wenn man das zuerst denken mag. Am besten identifiziert sich das Publikum mit Filmfiguren, die sie objektiv verfolgen und beobachten können. Auf der anderen Seite eignet sich ein Drogendealer sowieso schlecht als Sympath. Aber auch die anderen Figuren kommen durch die strenge Kameraarbeit, die meistens von oben filmt, schlecht rüber. Ein Mitfühlen und Fiebern wird somit absichtlich verhindert.

Was bleibt ist eine uninteressante Handlung, die an einem mit den immer gleichen Manierismen vorbeirauscht. Über 80 Minuten wird dem Zuschauer nichts neues, nichts einnehmendes oder folgenswertes geboten. Gerade zum Schluss wird es schlimm, wenn Noé eine Reihe von Sexszenen zeigt, die durch digital-leuchtende Genitalien reichlich verkitscht werden.

Ich will gar nicht gegen die experimentelle Seite des Films wettern. Das Problem sind nicht die avantgardistischen Formspielereien, sonder eher die Handlung. „Enter the Void“ glaubt bis zuletzt eine Geschichte erzählen zu müssen, was er gar nicht nötig hat. Dadurch dehnt sich der Film unerträglich und endet genauso unvermittelt wie er begann.

Vielleicht hätte ein bisschen weniger Melodram und ein bisschen mehr „Letztes Jahr in Marienbad“ gut getan. Gute Experimente brauchen sich nicht mit kitschig-konventionellen Plots beim Mainstreampublikum einschleimen. Das hatte der schlechtere „Irreversibel“ sogar „Enter the Void“ vorraus.

Ich bin zwar kein großer Fan von Gaspar Noé, aber beginnend mit dem heftigen Opening bis zur Hälfte des Films wird ein intellektueller Mindfuck geboten, der sich gewaschen hat. „Enter the Void“ ist Noés bisher bester Film und ein Fest für die Sinne.

Wertung: 6,5/10

Nur im Kino!


"Enter the Void"

FR, 2009

Gaspar Noé

mit Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy


Dienstag, 21. September 2010

JUD SÜß - FILM OHNE GEWISSEN



Roehlers "Jud Süß"-Making-Of ist vielleicht das mutigste, was sich ein deutscher Regisseur im Historiengenre in letzter Zeit getraut hat. Zu schade, dass "Inglorious Basterds" früher ins Kino kam, so müssen sich die Macher wohl einige Anschuldigungen gefallen lassen, sie schwimmen im Fahrwasser eines Tarantinos, dabei wurden beide Filme fast gleichzeitig gedreht und als Inglorious Basterds" ins Kino kam, war "Jud Süß" schon abgedreht.

Naja, die weiteren Anfeindungen belaufen sich auf die typische Anklage der Geschichtsverfälschung, wobei, wie schon gesagt, das doch seit Tarantinos Film ohnehin nicht mehr gilt, oder wollen wir diesen Diskurs an der Nationalität des Regisseurs festmachen? Ich hoffe nicht!

Wo Tarantino den Historienfilm in einen Italo-Western packt, geht Roehler weitaus reflektierter vor. Der Film handelt schließlich von einem Propagandafilm, also inszeniert er seinen Film auch so. Roehlers Film ist ein Propagandafilm par excellence, für die andere Seite versteht sich, für die politisch korrekte, wobei die gar nicht so leicht abzustecken ist.
Er hält sich kaum an Fakten und konstruiert seinen Film zu einem manipulativen Melodrama, wo sich die anfänglich helfenden Nazis für Marian zum Ende hin als Monster entpuppen, ähnlich wie die Hauptfigur des Süß im Originalfilm.

Die Kinobilder sind künstlich entsättigt und wirken wie Parodien bekannter deutscher Geschichtsbilder. Die Schauspieler bewegen sich auf allen Niveaus. Bleibtreus Goebbels ist eine skurrile Figur, mit der Kraft des Overactings. Umso auffälliger wirken da Moretti und Gedeck, die ihre Rollen ernst nehmen.

Der Film bietet eine Unmenge an Angriffspunkten, einen Haufen Schwächen, doch es hier fällt es mir wirklich leicht nur den Gesamteindruck zu bewerten. Denn ohnehin präsentiert sich Roehlers Film als deutsches Kinomoment des Jahres, nicht aus qualitativer Sicht, sondern eher aus utilitaristischer.

Was dem Film wirklich schadet ist sein Schwebezustand zwischen Blockbuster und Autorenfilm. Roehlers "Jud Süß" scheitert vielleicht an dieser Unentschlossenheit. Ich wünschte mir er hätte sich mehr getraut und weniger auf die Passionsgeschichte seiner Hauptfigur gesetzt. Allerdings ist das, was er sich traut für einen Mainstream-Film schon sehr viel.

Wie schon gesagt, es fällt leicht den Film nicht zu mögen. Er ist radikal. Er entblößt das moderne Nazi-Kino from Germany als andere Form des Propagandafilms. Er ist eine bösartige und manchmal witzige Satire zwischen Porträt und Melodram, mit bösen Seitenhieben in die Rippen der damaligen Filmindustrie, Veit Harlan als schmieriger Mitläufer, Schauspieler als Karriere geiles Pack, Michelango Antonioni als "Jud Süß"-lobender Kritiker, Bad Ass Roehler!

Der Film hat eigentlich gar keine 7 Punkte verdient, doch er war die größte Überraschung auf der diesjährigen Berlinale. Letztendlich: Sehenswert!


Wertung: 7/10



"Jud Süß - Film ohne Gewissen"
BRD, 2010
Oskar Roehler
mit Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu



Ab 23. September nur im Kino!


Samstag, 29. Mai 2010

DAYS OF HEAVEN



Nach diesem Film verschwand Terrence Malick für 20 Jahre und kehrte mit dem interessanten Film "Der schmale Grat" zurück, der seinen vorherigen 2 Filmen, u.a. "Days of Heaven" nicht ebenbürtig sein konnte.

Es ist die Geschichte eines kurzen Aufstiegs, aufgebaut auf einer Lüge, die gleichzeitig der Untergang ist. Es ist ein Melodram ohne spektakulären Plot und ohne klar erkennbare Spannung. Trotzdem befolgt dieser Film mit zynischer Konsequenz die Regeln des Genres. Denn es trifft immer das schlimmste ein.

Teilweise erinnert der Film an Malicks Erstling "Badlands". Beide Filme haben ein tiefen pessimistischen Grundton. "Days of Heaven" wird dagegen sogar nihilistisch. Denn was hier falsch oder richtig sein soll ist unerklärlich. Ein Urteil kann man sich genauso wenig über die Protagonisten erlauben.
Hier nutzt Malick die Regeln des Melodrams gekonnt für sich, in dem er die Determination der Figuren zum Thema erhebt. Einen Sinn im Leben, ein Ziel, eine Funktion sucht hier jede der Figuren, die Armen wie die Reichen. "Days of Heaven" schaffte es im Gegensatz zu "Badlands" mich wirklich zu berühren.
Das liegt zum einen an der zarten und desillusionierten Erzählerstimme des Mädchens, an Brooke Adams, aber am meisten an Sam Shepard. Nie hätte ich für möglich gehalten, was für ein Schauspieler er sein kann. Der Farmer ist keine besonders auffällige Rolle, ähnelt mehr dem passiven Zuschauer und doch ist er Dreh- und Angelpunkt der Handlung, bei dem man die Sehnsucht, das Leid und die Furcht vor dem Tod am meisten spürt, obwohl er nicht einmal davon spricht.

Zu Malicks besten Werk wird der Film allerdings erst durch die Kamera Nestor Almendros. Die Entscheidung der beiden Filmemacher, die Aussenszenen nur während der Magic Hour zu drehen, war ein Genie-Streich. Zum einen unterstreicht das Zwiellicht den schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit. Auf der anderen Seite betont das warme tiefstehende Licht auch die innere Kälte der Figuren, die wie dunkele Flecken mit langen Schatten durch die goldenen Kornfelder wandern.
Jede Einstellung ist etwas besonderes, auch wenn sie gar nicht danach aussieht. Die Topografie, die Weite, das riesige Farmerhaus winzig am Horizont, das im Wind wehende Korn, die erschreckenden Bilder der Heuschrecken.

Malick benötigte 2 Jahre für den Schnitt und noch heute ernähren sich Filmemacher von seiner Melo-Ballade, u.a. P.T. Anderson für "There will be Blood".
"Days of Heaven" ist das schönste, poetischste und gleichzeitig pessimistischste Melodram aller Zeiten!

Wertung: 10/10


"In der Glut des Südens"
USA, 1978
Terrence Malick
mit Richard Gere, Brooke Adams, Sam Shepard


Die deutsche DVD bietet leider keine Extras, dafür aber eine gute Bild- und Tonqualität. Der Originalton ist glücklicherweise vorhanden, trotz der gelungenen Synchronisation.
Importwilligen rate ich aber zur US-DVD des Edel-Labels Criterion. Seit März gibt es da sogar eine Blu-Ray-Version des Films. Wer einen Region-A-Player besitzt, sollte sich von dem hohen Preis nicht abschrecken lassen. Für diesen Film wurde die Blu-Ray erfunden!
Einen Vergleich der verschiedenen Versionen findet man hier.