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Sonntag, 29. Januar 2012

FAUST


Angesicht seines Prestige ist es doch ziemlich eigenartig warum Goethes "Faust" so selten verfilmt wurde. Alexander Sokurov hat die Ehrfurcht erfolgreich besiegt und ein Meisterwerk hinterlassen.

Professor Faust hat jeden Lebenswillen verloren. Er glaubt nicht an eine menschliche Seele, da er sie bei seinen anatomischen Untersuchungen nicht finden konnte. Aufgrund von Geldmangel sucht Faust einen Pfandleiher auf, der sich als Mephistopheles persönlich entpuppt und ihm neue Perspektiven unterbreitet.

Ehrlich gesagt fallen mir nur zwei bekannte "Faust"-Verfilmungen ein. Da gibt es einmal den Film-Theater-Hybriden mit Gustaf Gründgens von 1960 und F.W. Murnaus Stummfilm von 1926. Beide Filme könnten nicht unterschiedlicher sein. Wo Gorskis "Faust" die direkte Adaption von Goethes Vorlage sucht und den Ursprung als Theaterstück in den Mittelpunkt rückt, da ging Murnau weitaus freier mit der Vorlage um und nutzte damals alle erkenntlichen filmischen Mittel um die Vorlage von allem theatralischen zu befreien, zumal die Handlung nicht nur auf Goethes Stück fußte, sondern auch Motive aus Christiopher Marlowes "Doctor Faustus" verwendete.

Müsste man entscheiden welcher Verfilmung Alexander Sokurovs aktuelle Interpretation am nächsten komme, so käme unbeirrbar Murnaus Film heraus. Beide sind im Kino zu Hause, allerdings mit einem markanten Unterschied. Murnau kam nie in die Verlegenheit einen Tonfilm drehen zu müssen. Sein revolutionäres Kino speiste sich nur aus Bildern und nahm auf Sprache wenig Rücksicht, weshalb Goethes Poesie im Stummfilm völlig auf der Strecke blieb.

Sokurov ist dazu gezwungen den Film als audiovisuelle Kunstform anzuerkennen, es fällt ihm aber nicht schwer. Sieht man seinen "Faust", so sticht einem förmlich die Liebe zur Sprache ins Ohr. Nicht umsonst lautet der Untertitel "frei nach Johann Wolfgang von Goethe". Zwar bedient sich Sokurov auch reichlich bei Thomas Manns "Doktor Faustus", dennoch das direkte Zitat sucht er nur bei Goethe.

Die Drehbuch-Autoren und Übersetzer haben einen faszinierenden Sprachbastard erschaffen. Sokurov verlegt die Faust-Sage in die Zeit des Biedermeier und lässt seine Figuren mal zeitgenössisch, mal modern sprechen, nur ab und zu, in der sonst komplett reimfreien Sprache, tauchen Verse aus Goethes Tragödie auf, wobei Sokurov keine Furcht davor hatte, sie für sich zu vereinnahmen, sodass es auch mal Mephistopheles, hier Wucherer, sein darf, der nicht Margarete, sondern ihrem Hausmädchen "Arm und Geleit" anbietet. Ungewöhnlich ist auch der Charakter des Gesprochenen. Sokurov drehte den Film mit russischen und deutschen Schauspielern, entschied sich dann aber dafür den Film komplett neu auf deutsch zu synchronisieren, wodurch jeder Satz leicht abgehoben wirkt und mit Absicht so klingt als wäre es kein O-Ton, als würden Gretchen und Faust beinahe telepathisch kommunizieren. Man sieht die Liebe zur Sprache ist unverkennbar, aber niemals wird ihr so viel Raum gegeben, dass man denken könnte "Faust" würde auch als Hörspiel funktionieren. Denn da sind sich Sokurov und Murnau sehr ähnlich. Sie lieben das Kino noch mehr und beide Filme, so abgenutzt es klingt, kann man als reinstes Kino bezeichnen.

Großen Anteil an der bildlichen Magie dieses Films hat der französische Kameramann Bruno Delbonnel, bekannt durch seine Arbeit an "Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain", der "Faust" im veralterten Academy-Format drehte, was dem bekannten Seitenverhältnis 4:3 entspricht. Ob sich darin eine visuelle Nähe zu Murnaus Film zeigt, ist unklar. Die engen Bilder wiederum passen perfekt zu den kleinformatigen Kulissen, den engen Gassen und Fluren. Im Gegensatz zu Delbonnels bekannter Vorliebe für kräftige Farbpaletten, gibt sich "Faust" mit sanften Pastelltönen zufrieden, die durch das weiche Licht einem nebulösen Traum ähneln.

Vieles in Sokurovs Film erinnert an einen Traum, sei es das sprunghafte Erzählen oder die nie zur Ruhe kommende Kamera, die den Schauspielern teilweise so eng auf die Pelle rückt, dass der Zuschauer das Gefühl hat eben "Teil dieser Kraft" zu werden. Die Faust-Legende als Traum aus der Vergangenheit? Sokurovs Modernisierungen degradieren den Doktor zum Schlächter, der gleich zu Beginn grob eine Leiche zerlegt und Wissenschaft nur als Zeitvertreib bezeichnet. Viel wichtiger ist das Geld, denn auf das kann selbst ein angesehener Professor nicht verzichten. Der Teufel verwaltet natürlich die Finanzen und alle Stadtbewohner stehen bereits in seiner Schuld.

Sokurov raubt der Vorlage ihren Romantizismus. Der Pakt mit dem Teufel ist nichts einzigartiges. Mephisto kommt auch nicht zu Faust, sondern umgekehrt. Es gibt keine Hexenküche, keine Verjüngung. Sokurov profaniert den Stoff, macht ihn weltlich und stellt Fausts sexuelles Verlangen nach Margarete noch stärker als Goethe in den Mittelpunkt. Selbst die Seele hat hier keinen Raum mehr. In diesem Film gibt es sie nicht, wodurch letztendlich Mephisto als Verlierer da steht. Faust weiß, dass die Seele nicht existiert, aber er erkennt, dass sein Wissen ihm Macht verleiht. Am Ende siegt die Informations- über die Finanzgesellschaft und Faust reiht sich ein das Viereck mächtiger Männer, die Sokurov in seiner Tetralogie behandelte.

"Frei nach Johann Wolfgang von Goethe" trifft es wohl sehr gut. Es ist mehr ein Sokurov-Faust geworden, ein Faust der Finanzkrise und Weltuntergangsstimmung. Der Zynismus wird wohl nicht jedem gefallen, die langsame Erzählweise ebenso. Trotzdem kann man den Film als turning point bezeichnen, als die wahrscheinlich wichtigste Literaturverfilmung der letzten Jahre, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet, Politik und Kunst verführt, Traum und Wirklichkeit verschmilzt, sowie Philosophie und Wissenschaft verheiratet. Alexander Sokurovs "Faust" ist nichts anderes als die verfilmte String-Theorie unserer Tage.

Wertung: 9/10


"Faust"
RU 2011
Alexander Sokurov
mit Johannes Zeiler, Anton Adasinsky, Isolda Dychauk

Samstag, 14. Januar 2012

THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO


Das Thema lässt ihn nicht los. Nach seinem Generationenfilm „The Social Network“, interessiert sich David Fincher mal wieder für einen Serienkiller.


Harriet Vanger verschwindet spurlos während eines Familientreffens. Jahrzehnte bleibt ihr Schicksal ungeklärt. Jahrzehnte, in denen Henrik Vanger zum Geburtstag stets das gleiche Geschenk erhält: eine gepresste Blüte hinter Glas. Was nur ist damals mit Harriet geschehen? Mittlerweile 82 Jahre alt, lässt Henrik Vanger diese Frage keine Ruhe. Ein letztes Mal versucht er, doch noch eine Antwort zu finden, und kontaktiert den Journalisten Mikael Blomkvist. Gemeinsam mit der Hackerin Lisbeth Salander, von der er unerwartet Unterstützung erhält, stößt Blomkvist schnell auf erste Spuren.

Man kann schon fast dankbar dafür sein, dass Hollywood so schnell nach der schwedischen Verfilmung von Stieg Larssons Millenium-Trilogie, eine eigene Adaption auf den Markt schmeißt, denn das sichtlich kapitalistische Interesse, dass Hollywood dabei hegt, sorgte bereits im Vorfeld der Produktion für reichlich Zündstoff in diversen Foren. Wozu braucht man zwei Jahre nach der ersten Verfilmung eine zweite? Nun ja, wir brauchen sie wahrscheinlich nicht. Bei uns hatte die Trilogie großen Erfolg, in ganz Europa, und selbst in Amerika lief „The Girl With The Dragon Tattoo“, zwar mit Untertiteln, aber er lief, nur nicht sehr erfolgreich. Das gemeine amerikanische Publikum hat wahrscheinlich nicht das größte Interesse daran sich einen Film mit Untertiteln anzusehen, also so wie bei uns. Nur, wir haben eine überaus professionelle Synchronisationsbranche und was der gemeine Amerikaner wahrscheinlich noch mehr hasst als Untertitel sind Synchronisationen, verständlich. Da dem gemeinen Deutschen das ja egal ist, konnte er sich ganz nach Belieben die schwedischen Millenium-Filme ansehen.

Damit sich auch das amerikanische Publikum ungezwungen in die Welt Stieg Laarsons stürzen konnte, drehte MGM eine eigene englische Version. Es roch nach Geld. Spätestens da, stank es aber schon für viele Fans der ersten Verfilmungen. Sollen die Amerikaner doch ihren Film haben, wir brauchen ihn nicht. Falsch gedacht, denn wenn es eine Nation auf der Welt gibt von dem unser Kinokulturapparat abhängig ist, dann ist es Amerika. Mit strahlenden Augen starren wir über den großen Teich und sind unfähig mal nicht auf die neue Komödie mit Adam Sandler oder den neuen „Transformers“ von Michael Bay zu verzichten; und auch wenn die amerikanische Verfilmung viel Missgunst provoziert, so wird bereits der Großteil ins Kino gehen, weil er die beiden Verfilmungen vergleichen will, weil er noch nicht die schwedischen Filme kennt, weil er auf Daniel Craig steht, weil er gerade das Buch geschafft hat durchzulesen oder weil er sich einfach den neuen David-Fincher-Film ansehen will, so wie in meinem Fall. Denn spätestens seitdem bekannt wurde, dass der Kultregisseur, und einzige ernstzunehmende auteur Hollywoods, die Regie übernimmt, vollzog sich bei vielen Skeptikern ein Paradigmenwechsel.

Fincher ist der perfekte Mann für diesen Film. Er kennt das Genre in und auswendig und mit zwei Filmen wie „Se7en“ und „Zodiac“ auf dem Konto ist auch klar warum. „Se7en“ war die kunstvolle Konstruktion einer Mordserie, die erst durch ihre Vollendung die Form des bloßen Verbrechens transzendiert. Der Serienkiller ist hier Prophet, Künstler und Drehbuchautor, alles auf einmal. In „Zodiac“ bleibt der Killer im Dunkeln. Hier ging es Fincher mehr um die gesellschaftlichen Reaktionen. Der Täter ist hier eine Projektion seiner Verfolger, der sich in allem und jedem versteckt. Spätestens mit „Zodiac“ schien Fincher alles erzählt zu haben, umso verwunderlicher, warum er sich nun eines klassischen Whodunits annahm, denn was unterscheidet „The Girl With The Dragon Tattoo“ von einem aufgeblähten „Tatort“?

Nach einer kurzen Szene, in der Henrik Vanger wieder eine Blume zum Geburtstag bekommt, wird der Film mit der von Onur Senturk gestalteten Vorspannsequenz eröffnet. Viele Jahre ist es her, dass ein Fincher-Film mit ausgefeilten Opening Titles geschmückt wurde, um genau zu sein, 10 Jahre. In der Zwischenzeit wurden die Titel, wie auch die Filme, nüchterner und klarer. Der mit Zeichen durchtränkte Vorspann von „The Girl With The Dragon Tattoo“ wirkt wie ein Alptraum aus purem Schwarz. Texturen aus Plastik, Öl und Fleisch verbinden sich miteinander und formen neue Figuren. Ein Gesicht wird in Stücke geschlagen und ein Insekt schlüpft heraus. Computerkabel, wie Schlangen wickeln sich um den Körper und dringen in die Haut ein.

Obwohl der Vorspann Finchers frühen, exzentrischen Arbeiten entsprungen zu sein scheint, setzt er seine Form des fast analytischen Erzählens weiter fort. Wieder einmal zeichnet sich Jeff Cronenweth für die Kameraarbeit verantwortlich. Die kühlen und kristallklaren Bilder der digitalen Kinokamera unterlaufen die Handlung, die sich aus Geheimnissen, Perversion und geballten Gefühlen speist, jedenfalls auf dem Blatt Papier. Fincher zeigt in den 168 Minuten nicht ein einziges Mal Interesse an den sentimentalen Möglichkeiten des Stoffes. Selbst Lisbeth Salanders Passionsgeschichte zu Beginn beobachtet die Kamera mit einer distanzierenden Zurückhaltung, umso unsichtbarer ist der Schnitt. Dafür inszeniert Fincher mit feiner Naht, wenn er z.B. Lisbeths Nahaufnahmen überwiegend auf Augenhöhe filmt und ihrem Peiniger nur aus der Frosch- und Vogelperspektive begegnet. Cronenweths Bilder konzentrieren den Blick auf die Figuren ohne manipulativ zu sein. Seine Kamera ist zurückhaltend, aber nicht unsichtbar, was man besonders in den vielen Recherchesequenzen bemerkt, in denen die Linse beinah einen Fetisch für Akten, Mikrofilme und Computerbildschirme entwickelt und diese aus unzähligen Perspektiven abfilmt.

Es geht um Spuren der Schuld, eingeschrieben im transparenten Raum des Internets, versteckt in Details von Fotografien oder eingraviert auf dem Bauch eines Vergewaltigers. Zaillians Skript folgt diesen Spuren auf vielfältige Art. Am Ende sind wir alle nur Überbleibsel unserer eigenen Biografien und auch unsere Kinder bleiben nicht verschont. Schuld ist erblich, besonders in so einer Familie wie den Vangers.

Ich kenne die Vorlage nicht, aber gerade in der Erzählung leistet sich der Film einige Schwächen. Der erkennbaren Komplexität des Stoffes begegnet Zaillan mit Auslassungen, manchmal an der falschen und manchmal an der richtigen Stelle. Am stärksten hat darunter Mikael Blomkvist gelitten, dessen Gerichtsurteil zu Beginn kaum beleuchtet und auf rein dramaturgische Gründe reduziert wird, wobei die existenzielle Enge in die Blomkvist geraten sein soll, nie spürbar wird. Umso unverständlicher ist es, dass dieser Plot zum Ende hin nochmal aufgegriffen wird.

Leider vermag es auch nicht Daniel Craig seine Rolle schwerer zu machen. Für einen gescheiterten Journalisten bleibt Craig zu souverän und das in jeder Situation. Selbst als Gefangener wirkt Blomkvist wie ein Gewinner mit athletischem Körperbau. Diametral dazu steht Rooney Mara, die sich erfolgreich in Lisbeth Salander verwandelt hat. Ihre Figur scheint zerbrechlich, was sie in den Momenten der Wut umso glaubwürdiger macht, wobei Finchers distanzierende Regie ihrem Schicksal nie die Menschlichkeit raubt. Seine Kamera schenkt ihr die größte Aufmerksamkeit. Sie ist die Heldin des Films.

Trotz der Voraussicht auf einen zweiten und dritten Teil, bleibt „The Girl With The Dragon Tattoo“ ein überraschend geschlossener Film, der wirklich alle seine Geschichten konsequent zu Ende erzählt, wobei man sich ernsthaft darüber ärgern darf, dass die Beziehung zwischen Blomkvist und Salander so einen billigen Schluss spendiert bekam. Inwieweit das die nächsten Teile revidieren können, wird sich zeigen. Genauso fragwürdig ist auch Finchers Rolle dabei, der wahrscheinlich wenig Interesse daran hat sich für eine Reihe verwursten zu lassen. Wirkliche Gegenargumente fallen mir nicht ein. Obwohl der erste amerikanische Larsson-Film ein wunderbar eleganter Kriminalthriller geworden ist, fügt er Finchers Werk und dem Genre sowieso eher wenig dazu.

Wertung: 6/10



"Verblendung"
US 2011
David Fincher
mit Rooney Mara, Daniel Craig, Joely Richardson

Montag, 19. Dezember 2011

2001 - A SPACE ODYSSEY


Der folgende Text stammt nicht von mir und trotzdem poste ich ihn, weil ich finde, dass er auf eine unvergleichliche Art beschreibt, was Kubricks Meisterwerk so zeitlos und wichtig macht. Viel Spaß beim Lesen!


"
Irgendwann in den (relativ frühen) Neunzigern :

Meine Hose hatte Löcher, mein Plattenteller trug die UK Subs und meine langen Haare trugen Flanellhemden.
Etwas später faszinierte mich ein mit nur noch wenig Fleisch behangenes Skelett namens Eddy, und aus den UK Sub wurde Maiden, aus Flanell wurden Nieten.
Das war, bevor ich die Mannen um Eddie Vedder entdeckte, genauso wie deren Vorbilder, dann die ganze Krautrockkultur (inclusive deren musikalische Brandsatzbeschleuniger auf Chemieebene).
Irgendwann erwischte ich mich auch noch dabei bei `block rockin beats`mitzunicken, und da beschloß ich still und heimlich, das diese ganze Sub-Genre-Nischen-Bildung mit all ihren Einschränkungen und Kategorisierungen doch eigentlich Mist sei.
Ganz egal, welche Nische man damit meint, sie engen immer ein.
Man schreit da nur angestachelt „Nonkonform !“ und „Fuck da Mainstream !“ und rennt dann doch nur in den selben Stammesfarben und Trachten rum, wie Zehntausend andere Idioten.
Und wehe man stellt mal was in Frage – darf man nicht – ausbrechen sowieso nicht, dann gibt’s ganz dumme Blicke, und kein Freibier mehr, und man müffelt dann so verdächtig.
Jugendbewegungen haben nur einen einzigen Zweck : Gemeinschaft, Gegen-Gemeinschaft, sich in dieser komischen Welt als Heranwachsender zurecht und Halt zu finden.
Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden !
Und jede neue Generation wird sich wie die Erstgeborenen fühlen, und die selben Spiegel und Konvention zu Brei schlagen wie ihre Elterngeneration....um sich dann später doch um den Hausrat und die Zinsen zu kümmern.
Ich sitze in meinem kleinen Zimmer, mit Ausblick auf eine ungebrochene Horizonzlinie und schreibe darüber – oftmals nur vergessenswürdige Schülerpoesie.
Es ist genau Neunzehnhundertzweiundneunzig...der Ruf von 2001 eilte der Erstsichtung dieses Filmes meilenweit vorraus.
Man, war ich enttäuscht.
So öde, so lang.So weilig.
In meinem Spiegel sitzt ein Fünzehnjähriger und grinst mich an.
Ich werfe einen Fußball in den Himmel.....
....
....und fange ihn als Herman-Hesse-Buch wieder auf.
Es ist Neunzehnhundertneunundneuzig.
2001 ist immernoch öde, aber besser.
HAL rockt, und das Ende hinterlässt eine merkwürdige, befremdliche Dauerschleife.
Wann immer ich an diesen Film zurückdenken werde, werde ich zuallererst das Ende sehen.
Die Subkultur-Grenzen sind in mir inzwischen gänzlich aufgeweicht, und neben Bob Marley steht Björk und Bolt Thrower im CD-Schrank.
Die letzten Schallplatten haben sich in einer Art Milleniums-Furcht und MP3-Player-Vorahnung schon unlängst auf Flohmärkten verdrückt (ICH ! DEPP!!!).
Ich schreibe immernoch, und die Fragen sind die selben :
Was zieh ich an, so ganz ohne Kuttenzwang ?
Und wer bin ich dann ?
Wer will ich wirklich sein ?
Janis singt „Freedom is just another word for nothing left to loose“ und zerstört Teenageridylle.
Ich fühle mich Heimatlos, und zum ersten Mal, ohne es in Worte fassen zu können, den Sternenhimmel nicht als wunderbare Photopostkarte, sondern als Verwantwortung und Zumutung.
In meinem Spiegel sitzt ein Zweiundzwanzigjähriger und grinst mich trotzdem an.
Ich werfe meine Hesse-Buch in die Luft........
...
.....und fange es als Kondolenzbuch wieder auf.
Es ist Zweitausendundzwei und meine Großmutter hat vor kurzem ihre eigenen Innerein ausgekotzt.
Wir wohnen jetzt fest in ihrem Haus, das sie uns hinterlassen hat, und ich arbeite seit kurzem.
Ich bin weder Popstar noch Rebell noch Literat noch Weltenretter oder wenigstens Astronaut geworden – fürs erste Schrubbe ich in erstaunlicher Höhe Leuchttürme.
Not for the fame, just for the money.
Aber die Aussicht ist gut – und die Ruhe.
Weg von Drama und Betroffenheit und zuviel geheuchelter Verwandschaft.
Selbst die identitätsstiftende Musik tritt hier in den Hintergrund.
Macht Platz für einen Mann names Lynch, für LOST HIGHWAY, einen Film der mich in Mark und Bein getroffen hat.
Seitdem schaue ich auf meine Filmsammlung, und sie ödet mich an.
Seitdem schaue ich auf mich selbst, und öde mich manchmal an.
Ich sehe mich, im Vollrausch, wie ich einmal ein Polizeischild randalierte.
Ich sehe mich, völlig bei Bewußtsein, an diesem hohen Aussichtspunkt baumeln.
Und ich denke mir : Wenigstens sind deine Haare noch lang, und deine Musik noch laut !
In meinem Spiegel sitzt ein Fünfundzwanzigjähriger und schaut mich fragend an.
Ich werfe einen Schwamm in die Luft...
...
..und fange ihn als Zugfahrkarte wieder auf.
Es ist Zweitausendundfünf, und nach einigen gescheiterten, anderweitigem Versuchen wird aus einer Fernbeziehung langsam ernst.
Erst große Liebe, dann zusammenziehen, dann da zusammen alt werden.
Niemand will auf Dauer sechs Stunden Zugfahrt, jeder will auf Dauer weg von Hotel Mama und hin zu neuer Nestwärme.
Das einzige, das auf Dauer die verlorenen Jugendideale ersetzt, und wenigstens zeitweise die ewigen Fragen abtötet.
Ich hatte schon vor Ewigkeiten den Fernsehr abgeschafft – sie schuf ihn wieder an.
Musik lief vornehmlich auf Zimmerlautstärke – und oftmals war es ihre, also keine gute !
Ich entdeckte eine, für mein Alter, beunruhigende Anzahl grauer Haare.
Ich war ein Nachtmensch, sie ein Vielschläfer.
Mein Biorhytmus lag in Scherben.
Und in einer der Nächte, in der ich da lag, neben mir, und neben ihr, wo sie mir im Schnarchen Geschichten davon erzählen konnte, wer sie war, und wie sie hierher gekommen war, in der ich mich fragte, ob es das alles wert gewesen sei, da flimmerte 2001 plötzlich über die leise gedrehte Mattscheibe.
Guter Film !
Der Film hatte genausoviele Fragen wie ich, und genauso wenig Antworten, aber er hatte einen Ersatz dafür gefunden, etwas was mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen fehlte : eine Utopie !
Manchmal wünschte ich mir immernoch heimlich, ich wäre Lemmy Kilmister.
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszenjähriger und fängt an mich hämisch auszulachen.
Es tut weh.
Ich werfe die Fernbedienung nach ihm...
..
...und fange sie selbst als Ehering wieder auf.
Es ist jetzt Zweitausendundelf.
Der Himmel über mir ist immernoch eine verdammte Zumutung.
Aber das ist alleine einschlafen inzwischen auch.
Wir haben den Orbit um unseren Planeten inzwischen mit allerlei Müll zugerammelt, um dieser Zumutung zu trotzen, um vielleicht andere Sterenkinder zu finden, um dem Nichts ein Etwas entgegenzusetzen.
Meine Frau hat derweil den Orbit um unser Bett mit Taschentüchern und Haargummis zugemüllt, und ich kenne inzwischen die ganze Crew von GREYS ANATOMIE beim Vornamen.
Dafür spielt sie inzwischen Videospiele und kennt Lynch genauso wie Trier.
Die Evolution in unserer Beziehung ist nicht zu übersehen.
Es wird nicht von Dauer sein, das weiß ich.
Selbst wenn das Leben, und wir es gegenseitig gut mit uns meinen, haben wir noch maximal vierzig-fünfzig Jahre, bis wir zu Sternenstaub werden.
Aber innerhalb dieser Zeit, das weiß ich jetzt, haben wir wenigstens etwas, das haltbarer ist als Teenagerträume und Nischenrebbelion.
Eine Utopie !
Inzwischen sogar : Ein Kinderwunsch.
Und was ist dieser Wunsch denn, außerhalb der biologischen Ebene, wenn nicht ein Hoffen und Verewiglichen, ein Weitergeben, und Vorrausblicken – kurz : das fleischgewordene Ergebnis einer Utopie.
Und 2001 ?
2001 - das weiß ich inzwischen - ist eines der größten menschlichen Werke, das außerhalb der Reproduktion, jemals der schnöden Unendlichkeit entgegengeworfen wurde.
Es exestiert monolithisch, bis heute, und trotz dem stummen Himmelszelt.
Es schreit :
“Hier steht ein Mensch ! Er denkt, er kotzt und er fühlt und er flucht ! Er ist das beste und schlimmste, was du schweigender Scheißhaufen von einem Universum jemals hervorgebracht hast.Und es ist ihm inzwischen egal, ob du mit ihm reden willst oder nicht, denn er hat längst seine eigenen Gespärchs und Antwortpartner gefunden ! In sich selbst ! In anderen ! In der beständigen Hoffnung auf nichts als die Hoffnung.“
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszehnjähriger und lacht mich aus.
Doch er verblasst langsam und stetig.
Wahrscheinlich weil ich ihm glaubhaft versichert habe, das er sich jetzt verpissen kann.
Sein Film und Musikgeschmack war sowieso scheiße !"


Ich danke dem Urheber für diesen schönen Text.



Meine Wertung: 10/10 !



"2001 - Odyssee im Weltraum"
US 1968
Stanley Kubrick
mit Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester

Freitag, 11. November 2011

A DANGEROUS METHOD


Nach dem routinierten "Eastern Promises", liefert der kanadische Meisterregisseur David Cronenberg einen Film ab, der sich mit dem Aufbrechen von Mustern auseinandersetzt und der gleichzeitig in seinen eigenen gefangen bleibt.

Carl Gustav Jungs neue Patientin, Sabina Spielrein, leidet an aggressiven und hysterischen Anfällen. Um sie zu kurieren, wendet er eine Methode Sigmund Freuds an, die nach und nach nicht nur die verschütteten Leidenschaften Sabinas offen legen, sondern auch seine eigenen.

Den Menschen überwinden, zum Guten wie zum Schlechten, das war der Kern vieler Cronenberg-Filme. Der bekannte Ausspruch "Lang lebe das neue Fleisch!" belegt das zweifellos. Auch in "A Dangerous Method" geht es letztendlich darum dem Menschen den Spiegel vorzuhalten und das Bild, was er sieht, zu verändern, nur diesmal hält unser aller liebster Kanadier die körperliche Ebene heraus. Die Reise geht in die Tiefen unserer Psyche, jedenfalls behauptet das der Film.

Es ist ein Film der Behauptungen, der großen Worte, geworden. Christopher Hampton adaptierte sein eigenes Theaterstück für Cronenberg, aber was wurde da eigentlich adaptiert? Wahrscheinlich wurden viele Szenen einfach nur an verschiedene Orte verlegt, damit das Ganze filmischer wirkt. Ein Stück "lüften", so nannte es Hitchcock und riet davon ab, denn gerade die Einheit von Ort und Zeit machen ein Theaterstück stark und verfilmenswert. Filme wie "Bug" oder "Death and the Maiden" sind bekannte Positivbeispiele.

Doch Hamptons Drehbuch geht auf eine Besichtigungstour durch Wien, ja sogar bis nach Amerika. Wen würde es stören, wenn es wenigstens gut getrickst wäre. Die schlechten Bluebox-"Effekte" erinnern dann doch mehr an Theater als an Film. Die Lüftung des Stücks ist nicht unbedingt ein großer Nachteil, aber die Art wie es gemacht wurde ist äußerst unkreativ. Allein wenn man bedenkt, was der frühe Cronenberg daraus gemacht hätte. Wenn C. G. Jung von seinen Träumen erzählt hätte, er hätte sie nicht einfach nur erzählt, der Zuschauer wäre mit ihm abgestiegen in seine Traumwelt und die Grenzen zwischen Realität und der eigenen Wahrnehmung wären zunehmend verschwommen. Der Film gibt oft Gelegenheit dazu, es geht schließlich auch um das Unterbewusste.

Aber Cronenberg, Hampton und Suschitzky entschieden sich für eine gänzlich nüchterne Erzählung, wobei das nichts neues ist. Seitdem Cronenberg mit Suschitzky zusammenarbeitet, ergänzen sich ihre Unterschiede fabelhaft. Während Cronenbergs Inszenierungen beinah explodieren vor Subtext, Sex und Körperlichkeit, geht Suschitzkys nüchterne Kamera fast schon klinisch an die Geschichte heran, nur wenige bewegte Aufnahmen, klare gerade Linien, fahle Farben. Dadurch wirkte die Gewalt in Cronenbergs Filmen auch immer so brutal. Die Kamera filmte einfach ab, fast wertungslos.

Diese Reibungen sind nun verschwunden. Cronenberg inszeniert Hamptons Script nach den Manieren der damaligen Zeit und Suschitzkys Postkarten-Ästhetik gaukelt dem Zuschauer ein stets sonniges und blauhimmeliges Österreich vor. Vielleicht will der Film von einer vermeintlich heilen Welt erzählen, außern hui, innen pfui, sozusagen, doch er gibt filmisch gesehen wenig Hinweise darauf. Selbst die wenigen Sexszenen sind (für einen Cronenberg) äußerst bieder inszeniert. Da erstaunt es schon, dass sich gerade die Kamera dann doch öfter hinauswagt, um wenigstens ab und zu die Geschichte zu unterlaufen, indem sie z.B. Figurenkonstellationen durch Tilt-Shift-Objektive begreifbar macht, sie verzerrt und aus dem üblichen Rahmen herausfallen lässt. Diese Einstellungen tauchen öfter auf, besonders eindringlich ist sie bei Jungs Experiment am Anfang des Films, die einzige Szene, die den gewissen Cronenberg-Touch besitzt.

Am besten begreift man "A Dangerous Method" als einen akademischen Film, was auch immer man sich darunter vorstellt. Die Theorien der beiden Psychoanalytiker, die im Laufe des Films immer mehr auseinander driften, bringt der Film verständlich, aber wortlastig rüber, wobei wirklichen Psychologiefreunden wahrscheinlich ein Aha-Effekt verwehrt bleibt.

Hamptons Script erzählt eine erwachsene Geschichte und Cronenberg filmte sie nüchtern ab. Der Verdacht einer Auftragsarbeit liegt nahe, obwohl der Stoff so zu ihm passt. Seine Schauspielarbeit bleibt trotzdem famos. Zu Knightley kann man stehen wie man will, doch einem Starlet, das beschließt verrückt zu spielen, wird oftmals Over-Acting unterstellt, ohne zu bedenken, dass es in der Realität viel schlimmer sein kann. Keira macht ihre Sache gut, besonders in der zweiten Hälfte des Films. Viggo Mortensen lässt den Zuschauer vergessen, dass mal Christoph Waltz für die Rolle vorgesehen war. Freud wirkt unglaublich sympathisch und einnehmend und bleibt dennoch eine ambivalente Figur. Sein schulmeisterischer Anspruch wechselt stets zwischen Stärke und Schwäche, seine Autorität ebenso. Dennoch gehört dieser Film Michael Fassbender, der Jung zum eigentlichen Highlight macht. Er kommt in der ersten Hälfte noch recht langweilig daher. Die zweite Hälfte ist sowieso in allen Belangen besser. Hamptons Geschichte braucht sehr lange um in Gang zu kommen. Erst wenn alle Konflikte lebendig sind, brodeln sie knisternd unter der Oberfläche der belanglosesten Dialogszenen, wodurch der Film erst seine Spannung erhält. Fassbenders Figur driftet dann zunehmend in sein inneres Chaos ab. Der Film macht das fast nie sichtbar, Fassbender tut es zu jeder Zeit.

Es ist ein Film über den Beginn der Psychoanalyse geworden, zwischen Wissenschaft und Hokus-Pokus am Fallbeispiel C.G. Jungs. Die Geschichte wirkt selten wie ein dramatisches Stück, mehr wie ein Bio-Pic, eine historische Rekonstruktion im TV-Format. Irgendwie wird da von einer vergangenen Welt erzählt, die kurz vor ihrem Scheitelpunkt stand. Es werden Fragen zu Gleichberechtigung und Antisemitismus gestellt. Der Blick in die Zukunft, was unsere Vergangenheit ist, spielt eine große Rolle und natürlich ist da noch die Vision vom Menschen, der sich in das verwandeln kann, was er sein will, wo wir wieder bei Cronenberg wären, den man ansonsten hier mit der Lupe suchen muss. Talking Heads, hin oder her, Hamptons vielschichtiges Script lädt ins Theater ein, doch das Kino ist für einen Film wie diesen eher der falsche Ort.

Wertung: 5/10


"Eine dunkle Begierde"
CA, DE, GB 2011
David Cronenberg
mit Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen

Dienstag, 24. Mai 2011

NEVER LET ME GO


Die schöne neue Welt liegt in Mark Romaneks drittem Film im England des vergangenen Jahrhunderts. Die ungewönliche Perspektive erlaubt einen hoffnungsvollen Blick in die kurzlebigen Herzen dreier Heranwachsender.

Kathy, Tommy und Ruth wachsen in Hailsham auf, eine Art Internat in einer idyllischen Hügellandschaft irgendwo in England. Sie wissen alerdings nicht, dass sie nur leben um später als menschliche Ersatzteillager zu dienen.


Utopien müssen nicht dringend in die Zukunft gelegt werden. Es ist sowieso ein offenes Geheimnis, dass Filme wie "Minority Report" oder "THX" mehr über die Gegenwart ihrer Entstehung erzählen als über den ernsthaft überlegten Fortgang der Menschheitsgeschichte spekulieren. Die Verfilmung von Kazuo Ishiguros Besteller "Never Let Me Go" verlegt seine Handlung deswegen umso wirkungsvoller in die Vergangenheit. Was auf den ersten Blick wie eine Verschlimmbesserung wirkt, bietet im Vergleich zu einer Gegenwartshandlung eine Vielzahl an neuen Überlegungen.

Mark Romaneks Film beginnt in den 50ern, einem Jahrzehnt großer wissenschaftlicher Errungenschaften und erhöhter Forschungsgläubigkeit. Die historische Lesart kommentiert die Gegenwart schärfer, da man eher dazu geneigt ist, begangene Fehler nicht ein zweites Mal zu machen, anstatt noch nicht begangenen entgegen der Neugier zu widerstehen. Auf der anderen Seite kann sich das Sub-Genre der Utopie so auf unscheinbare Weise vom unbeliebten Über-Genre des Sci-Fi emanzipieren, denn wissenschaftliche Novi sind hier nur in ihrem gesellschaftlichen Kontext interessant, nie als technische Konzepte.

Allein darin beißen sich Geschichts- und Zukunftsbild, denn Klontechnik und Organspenderschulen gehören nicht in unser Bild der 50er Jahre. In Romaneks Film erzeugt dieser Bruch eine Art Verfremdungseffekt. Uns wird weder eine Vision der Zukunft präsentiert noch eine wissenschaftliche Ausführung. "Never Let Me Go" gibt uns somit nie die Gelegenheit, dass wir uns von den Figuren und ihrer Geschichte ablenken könnten, hält unseren Blick aber auf einer natürlichen und kritischen Distanz um die Inhumanität der Filmwelt zu begreifen. Zuerst kommt man aber gar nicht auf den Gedanken, dass Romanek und sein Team irgendein Interesse daran hätten. Adam Kimmel lässt seine Kamera melancholisch durch die Sets gleiten. Jeder Lichtstrahl ist an seinem Platz und Rachel Portmans Kammermusik-Score legt sich wie süßer Sirup über jedes Bild.

Alles ist von einer friedlichen Ruhe durchzogen, als gäbe es keine Probleme, doch unter der schönen Oberfläche brodelt es mächtig. Sobald die junge Lehrerin -immer magisch Sally Hawkins- widerechtlich den Kindern von ihrem vorbestimmten Schicksal erzählt, legt sich ein Leichentuch über den Film. An diesem Zeitpunkt ist die Filmhandlung noch nicht weit fortgeschritten und so wird der Zuschauer gezwungen den Rest des Films mit Todgeweihten zu verbringen. Wie sehr beenflusst es Kinder, wenn sie den Ausgang ihres Lebens kennen? Romaneks Film ist vielmehr als eine bloße ethische Betrachtung.

Selbst für seine Plotpoints und melodramatischen Suspense scheint er keine außerordentliche Leidenschaft zu besitzen, denn die großen Geheimnisse werden schnell gelüftet und bereits mit einem kurzen Engangstext angedeutet. Nein, Garlands Drehbuch konzentriert sich ausschließlich auf die kurzen Biografien dreier Spender, ihre Träume, ihre Wünsche, ihr Erwachen und ihren Tod.

Carey Mulligan spielt die eigentliche Hauptrolle aus deren Perspektive wir den Film erleben, getragen durch ihre Off-Kommentare. Ich würde so gerne weiterschreiben, doch es geht nicht. Im Gegensatz zu Knightleys und Garfields Figuren, hat es Garland auf peinliche Weise verpennt seiner Hauptfigur ein Innenleben zu schenken, obwohl da doch irgendetwas sein muss. Jedenfalls gelingt es Mulligan überraschenderweise ihre Figur durch Schauspiel zu füllen, wirklich sichtbar ist dennoch wenig, denn das Drehbuch nutzt ihre Figur wirklich nur als Guckloch.

Das irritiert besonders im Zusammenspiel mit den anderen Figuren, denn wo Ruth und Tommy eine Psychologie, Schwächen und Stärken haben, da bleibt Kathy stumm und blass. Man weiß nur: Sie liebt Tommy und hat ebenso Angst vor dem Tod. Die Suche nach ihrem Original ist dem Film gerade einmal eine Szene wert. Das Beziehungsdrama um Kathy und Tommy wird dagegen zum roten Faden erhoben und Knightleys Ruth ist nicht mehr als ein Spielverderber. Dennoch, Keira Knightley macht auch hier mehr als sie muss. Ähnlich wie Mulligan, füllt sie die etwas flache Figur mit echtem Leben.

Die gelungenste Figur des Films ist allerdings Tommy, der von Garfield mit großer Verwandlungsfreude gespielt wird. Wer ihn in "The Social Network gesehen hat, weiß was ich meine. Tommy ist impulsiv und überraschend, zart und aggresiv, eine Vermengung wunderbarer Gegensätze. Abseits seiner Zuneigung zu Kathy, wird er zudem von großen Dämonen geplagt. Er sucht seine Seele. "Never Let Me Go" stellt nämlich auf fast vermessene Weise die Frage, ob Klone überhaupt eine Seele haben und den echten Menchen ebenbürtig seien. Umso verwirrender ist die Stärke des Films diese Frage unbeanwortet zu lassen.

Romaneks Film ist im guten wie im schlechten ein Film der unbeantworteten Fragen. Seien es die angerissenen Thesen oder die dünne Figurenzeichnung, weshalb man sich auch öfter fragt, was Tommy, Ruth und Kathy daran hindert einfach mal zu versuchen dem Apparat zu entkommen. Nun gut, letztendlich wird vieles relativiert, ebenso die Kritik an menschlichen Ersatzteillagern. "Am Ende haben wir doch alle das Gefühl zu kurz gelebt zu haben.", meint Kathy zum Schluss. Mit diesem Gefühl werden wir aus dem Kino entlassen. Mutig.

Wertung: 6/10


"Alles, was wir geben mussten"
US 2010
Mark Romanek
mit Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley


Nur im Kino!

Mittwoch, 20. April 2011

DON'T LOOK NOW


In Nicolas Roegs unsterblichen Meisterwerk geraten Gefühl und Vernunft auf schmerzvolle Weise gegeneinander und dem Medium Film wird ganz nebenbei auf ungeahnte Weise neues Leben eingehaucht.


John Baxter kommt mit seiner Frau Laura nach Venedig. Beide trauern um ihre Tochter, die erst kürzlich ertrunken ist. Als sie zwei mysteriösen Schwestern begegnen, geraten beide in den Bann unheimlicher Visionen.

Daphne du Maurier sollte jedem Filmfan ein Begriff sein, schuf die britische Autorin doch die Vorlagen zu zahlreichen Filmklassikern, vornehmlich Hitchcockwerke, von "Rebecca" bis "The Birds". Für die Verfilmung ihrer Erzählung "Don't Look Now" (DT: "Dreh dich nicht um") wurde allerdings der aufstrebende Regisseur und ehemalige Kameramann Nicolas Roeg verpfilchtet, der aus der symbolreichen Geschichte einen okkultistischen Fieberalptraum schuf, der mit Hitchcocks Kino nichts mehr zu tun hatte, ja, sogar dessen Antithese darstellt.

Während Roeg seine ersten beiden Filme noch selbst fotografierte, stand mit Anthony Richmond nun das erste mal ein anderer hinter der Kamera. Es ist unklar inwieweit sich die beiden Filmemacher ähnelten oder Roeg seinen Kameramann beeinflusste, klar ist, dass die personelle Änderung keinen Bruch in der visueller Gestaltung erzeugte. Auffällig ist aber, dass in "Performance" und "Walkabout" die Kamera weitaus exotischere Winkel sucht als in "Don't Look Now", was dieser größeren Prestige-Produktion damals wohl eher zu Gesicht stand. Die auffällige Farbdramaturgie ist ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal von Richmonds erstem Roeg-Film. Er taucht Venedig in schwelendes grau und beige. Selten, aber umso gezielter, kommt die Farbe Rot zum Einsatz, die gleichzeitg das visuelle Leitthema des Film darstellt, roter Regenmantel, rotes Blut. Die Schuld ist rot, ebenso ist es die Farbe der Warnung. Dieser steile Kontrast unterstreicht wunderbar die zahlreichen Brüche und Gegensätze innerhalb des Films.

Visuell ist "Don't Look Now" sowieso ein Film des genauen Hinsehens, des zweiten Blicks. Obwohl Roeg in zahlreichen Interviews insistiert, dass er weder probt, noch seine Filme großartig plant, erstaunt es umso mehr, dass die zahlreichen Details scheinbar wie gezielt inszeniert wirken. Wirklich verstehen und begreifen kann man diese filmische Collage nur, wenn man sich das Puzzle noch einmal von weitem ansieht, wenn man den Film einfach ein zweites Mal schaut.

Gerade in der viel-kritisierten, angeblich langweiligen, Mitte des Films, lässt sich Roeg Zeit eine subtile Stimmung der Verschwörung und Überwachung zu kreieren, von der sich Donald Sutherlands Figur aufsaugen lässt. Immer wieder lenkt die Kamera mit schnellen Zooms und heftigen Schwenks auf mehrdeutige Objekte oder unbehagliche Blicke vertrauensunwürdiger Nebenfiguren, vom Polizeikommissar bis zu den netten alten Damen. Am Ende kann der Zuschauer niemanden mehr trauen und auch er flüchtet sich in die unheilsamen Visionen der Hauptfigur.

"Sehen heißt Glauben!" spricht John Baxter zu sich, doch was ist, wenn man mehr sieht, als man glauben könnte? "Don't Look Now" zeigt uns wie kein zweiter Film, wie abhängig wir von unseren Vorstellungen und Vorurteilen sind. Keiner von uns geht mit offenen Augen durch die Welt. Wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Roegs Film, getarnt als psycholgischer Horror-Thriller, ist somit viel eher eine philosophische Aufarbeitung der Erkenntnistheorie und ebenso eine Abrechnung mit dem kritischen Rationalismus. Die Moderne, mit all ihrer Wissenschaft, die Aufklärung, mit seiner angeblichen Unmündigkeit, sie alle werden hier zur Schlachtbank geführt und zerschmettert mit dem vollen Einsatz von Kamera, Schnitt und Musik.

Der italienische Komponist Pino Donaggio lieferte hier seine erste Filmmusik ab, die nicht besser sein könnte. Schnelle Streicher, atonale Flötentöne, ein dumpfes Klavier, elektronische Töne, düstere Percussions, erst der vielschichtiger Score treibt "Don't Look Now" in die Höhen eines ernsthaften Horrorfilms. Später arbeitete Donaggio mit Argento und De Palma, was seine Eignung für dieses Genre noch einmal bestätigte.

Julie Christie und Donald Sutherland spielen das Baxter-Ehepaar. Christie wurde bereits von Roeg bei früheren Filmen fotografiert. Sutherland arbeitete das erste mal mit ihm. Rausgekommen ist eine der authentischsten Schauspielereignisse der 70er Jahre. Christie, bildschön und mit reiferem Gesicht, verkörpert die Laura als fragile Heldin, während Sutherland in seiner verkopften Rolle weitaus brüchiger erscheint. Die virtuose Leistung der Schauspieler, besonders bei der berüchtigten Liebesszene, führte damals zu einem kleinen Skandal, da die Leute dachten die beiden Schauspieler hätten wirklich miteinander geschlafen. Lars von Trier gelang selbiges in seinem Quasi-Remake "Antichrist" nicht, obwohl er sogar Nahaufnahmen vom Geschlechtsverkehr hineinschnitt. Roeg brauchte das nicht. Die Leistung der beiden Darsteller begeisterte auch Daphne du Maurier, die nach der Premiere auf Roeg zuging und ihm beschrieb wie sehr sie sich an wirkliche Ehepaare erinnert fühlte.

Allerdings, erst Roegs Einsatz des auktorialen Schnitts erhob den Film endgültig in den Olymp des Kinos. Angefangen bei der unvorhersehbar geschnittenen Todesszene der Tochter bis zur berühmten Sexszene, die das Liebesspiel mit dem anschließenden Anziehen ineinander montiert, was gleichzeitg Sinnbild der Dualität von Gefühl und Vernunft darstellt. Roegs undurchsichtiger und hoch-atmosphärischer Film kann sich nicht auf eine konventionelle Plot-Montage verlassen. Der Film muss hier zu seinem eigenem Rhythmus finden, muss die Möglichkeit besitzen vor- und zurückzuspringen, zu fragmentieren, seine Gedanken zu ordnen. Er muss sein eigenes Bewusstsein entwickeln. "Don't Look Now" ist somit der einzige Film, wo man glaubt, man würde dem Projektor beim Denken zuschauen.

Wertung: 10/10 !


"Wenn die Gondeln Trauer tragen"
IT, GB 1973
Nicolas Roeg
mit Julie Christie, Donald Sutherland, Hilary Mason



Bisher nur auf DVD erhältlich.
Arthaus hat aber für den Herbst eine Blu-Ray angekündigt.


Montag, 4. April 2011

A.I.


Einer der am meisten unterschätzten Filme aller Zeiten, Spielbergs Opus Magnum über Menschlichkeit im Künstlichen wächst bei jedem Sehen etwas mehr. Ein Kunstwerk, was erkämpft werden will.


Ein Erzähler erhebt seine Stimme. Er berichtet uns vom eskalierten Klimawandel, Überbevölkerung und Geburtenkontrolle und wie all diese Dinge Grundlage einer rasch wachsenden Roboter-Industrie wurden. Eigentlich fehlt nur noch das „Es war einmal...“ zu Beginn, doch das wäre bei einem Science-Fiction-Film doch reichlich unangebracht gewesen. „A.I.“ ist dennoch ein Märchen, ein Abenteuerfilm, eine Initiationsgeschichte und in seinem schwer deutbaren Zielgruppenmuster letztendlich auch ein Kinderfilm.

In dieser Steven-Spielberg-Adaption einer Stanley-Kubrick-Geschichte wird von einem Roboterkind erzählt, dass als erstes seiner Art die Fähigkeit besitzt, aufrichtig zu lieben. Das schreibt sich leichter als man denkt. Auch Spielberg sucht am Anfang nach klaren Worten und lässt William Hurt im ruhigen Prolog über all die Thesen sprechen, denen sich „A.I.“ in den folgenden 140 Minuten widmen wird. Die einfach gestrickte Eröffnungsszene mag zwar auf den ersten Blick den Weg des geringsten Widerstandes gehen, doch von weitem ist Spielbergs Film ein großes Gedankenexperiment, dass auch versucht Themen wie Menschlichkeit, Liebe und Identität filmisch auf den Grund zu gehen. Kann man Liebe überhaupt filmen? Gefühle, die im Verborgenen liegen, keine physische Form besitzen und somit von der Kamera nicht erfasst werden können. Ein Dokufilmer würde hier eindeutig an seine Grenzen kommen, doch die Fiktion erlaubt es uns das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Haley-Joel Osment spielt David, das künstliche Kind, humanistisches Ideal und somit inkompatibel zu den „echten“ Menschen. Seine Menschenmutter verstößt ihn, nachdem Davids aufrichtige Liebe zur Bedrohung der fleischlichen Familie wurde. Sie entschließt sich ihn im Wald auszusetzen, statt zu töten, wie in „Hänsel und Gretel“. Sein sehnsuchtsvoller Blick im Seitenspiegel ist das letzte was sie sieht. Es ist der Beginn einer Reise, einer Art „Coming of Human“. Die klassische Märchendramaturgie der sich Spielberg hier bedient ist frei von jedweden postmodernen Spielereien. „A.I.“ ist so konzipiert als wäre er der erste und letzte Film der Welt, vollkommen eigenständig, frei von Zynismus, Sarkasmus oder Ironie. Hier gibt es keine intellektuellen doppelten Böden, vielleicht sogar keine richtige Meta-Ebene, da „A.I.“ jeden Gedanken und jedes Gefühl in Bilder umsetzt und dem Zuschauer auf die Netzhaut projiziert. Selten gibt es Filme, die so offen und ehrlich sind. Spielbergs Film ist so verletzlich und angreifbar, wie seine Hauptfigur, wie ein neugeborenes Kind. Milderung, den Weg der Mitte sucht man hier vergebens. Jeder Ton wird so gehört, wie er auch gespielt wurde, sei er auch noch so hoch oder tief. So ein fast reiner Gefühlsfilm wird auch gerne mit Kitsch verwechselt. „A.I.“ ist in jedem Fall sentimental, aber das ist kein Makel, sondern Stärke.

Spielbergs Filme waren ohnehin schon immer sentimental. „A.I.“ ist die Quintessenz seiner Filme. Auch hier muss sich der Held an die Hölle gewöhnen, muss versuchen seine Unschuld zu bewahren. Sie sind tragische Cervantes-que Figuren. David ist jedoch der sturste, der mit dem größten Durchhaltevermögen. In den früheren Spielbergfilmen kam meistens das Happy End zur Hilfe. Nur so konnten seine Helden erlöst werden. Davids Schicksal endet ambivalent, sperrig und unbefriedigend. Man kann es Erlösung nennen, aber es ist dennoch nur Verblendung und Täuschung. Hier ist der Einfluss Kubricks am stärksten zu spüren, obwohl es sich um ein Spielberg-Ende handelt. Wenn David neben seiner Mutter einschläft, in der Gewissheit, nie wieder aufzuwachen, dann ist der Zuschauer hin- und hergerissen, zwischen Liebe und Hass, zwischen Bewunderung und Mitleid. Es ist wie Selbstmord, aber dennoch hat David das höchste Glück gefunden. Was gibt es noch für ihn? Nichts. Überleben ist hier Tod, Sterben jedoch leben, ein Happy-End ohne Fortsetzung.

Wertung: 9,5/10



"A.I. - Künstliche Intelligenz"
US 2001
Steven Spielberg
mit Haley-Joel Osment, Jude Law, Frances O'Connor


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!

Samstag, 26. März 2011

127 HOURS


In Danny Boyles Abenteuer-Drama sehen wir einen enormen James Franco, der versucht in einem unverhältnismäßigen Bildersturm zu überleben.

"127 Hours" ist ohne Frage einer der untypischsten Hollywoodfilme der letzten Jahre. So war es auch schon bei "Slumdog Millionaire". Danny Boyle hat sich erfolgreich in ein System eingenistet, dass es nicht schafft ihn zu kontrollieren. Der Underdog aus England bleibt seiner Feder treu und inszeniert weiterhin mit schrägem Ansatz und Videoclip-Ästhetik, doch sein neuer Film sendet ein bitteres Signal, das Prinzip Boyle steckt in der Sackgasse. Eben wie die Figur Aron, eingeklemmt zwischen Fels und Stein, in der Falle sitzt, so merkt man auch "127 Hours", dass man hier mit viel Gewalt versucht hat einen vernünftigen Film zurechtzubiegen.

Ja, da ist sie wieder, die alte Leier der "wahren Begebenheiten", die doch so schwer ins Kino passen, wenn man sie nicht einigermaßen adaptiert. Boyle, der sichtlich beeindruckt ist von der Geschichte, beginnt zu imitieren, Kleidung, Namen, Orte, Handlung, so weit es dramaturgisch irgendwie möglich ist. Der Film mag zwar erfreulicherweise ohne ein "based on a true story" zu Beginn auskommen, allerdings, und das ist noch viel schlimmer, lässt Boyle am Ende den echten Aron auftreten und korrumpiert damit nicht nur Francos Darstellung, sondern degradiert seinen Film zu einem einzigen großen Fake.

Die Exposition ist dennoch wunderbar. Nur eine Hauptfigur, kaum Bewegungsspielraum, ein Handlunsort und ein existenzieller Konflikt, das ist erzählerisch gewagt und für einen großen Regisseur ebenso eine wahre Herausforderung. Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, wie man so einen Film erzählt, Boyles Herangehensweise gefiel mir aber überhaupt nicht. Mit allen Gottgegebenen Waffen eines Filmemachers geht Boyle auf die Geschichte los und lässt keinen Stein auf dem anderen. Die Kamera sucht sich jeden Winkel und versucht aus einem Bild eine Million Bilder herauszuholen. Die Montage muss das mitmachen und generiert einen Bildersturm, der in keinem Verhältnis zur Handlung steht. Denn ganz ehrlich, wie bei "Sunshine" geht mir auch bei "127 Hours" nicht der Gedanke aus dem Sinn, dass Boyles Bilder in erster Linie cool sein sollen. Sie sollen in erster Linie schick, erregend und eye-catchy sein. Vielleicht passen solche Bilder aber gar nicht zu einer solchen Geschichte. Boyles Formalismus ist so penetrant, dass man von der Geschichte wenig mitbekommt.

Ich hege ja eine große Bewunderung für Regisseure, die lieber mit schier unendlichem Ideenreichtum eine Handlung bebildern als sie nur durch Dialoge voranzutreiben. Ich will Boyle dieses Talent auch gar nicht absprechen. Allein das Gefühl von Einsamkeit oder schlicht von Durst erzählt Boyle auf einer reinen Bildebene, getragen von einer cleveren Montage oder gigantischen Kamerafahrten. Dennoch, erzeugen seine Bilder stets eine rein künstliche, leicht-ironische und distanzierte Atmosphäre. Diese Geschichte bietet aber nie eine Gelegenheit zur Distanz, schon allein weil es keine Meta-Ebene gibt. Darauf könnte man auch locker verzichten, wenn Boyle den Weg der Empathie eingeschlagen hätte. Aron bleibt fern und da man weiß, dass er gerettet wird, steckt „127 Hours“ zudem in einem schweren dramaturgischen Dilemma. Letztendlich wartet man nur auf den Super-Gau, darauf, dass sich Aron den Arm abtrennt. Boyle ist klug genug diese Sequenz nicht unnötig in die Länge zu ziehen, short and shocking. Fünf Minuten rechtfertigen aber noch keinen Film.

Boyles großes Vorbild, Nicolas Roeg, hat in „Walkabout“ gezeigt, wie man das Verloren-Sein in der Natur verfilmt. Würde man sich beide Filme parallel ansehen, man würde eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten und gleichfalls herbe Unterschiede erkennen, denn während Boyle seine Bilder nur schräg kadriert, weil es cool aussieht, neigt Roeg seine Kamera nur, wenn eine Figur ihren Kopf zur Seite legt, eben wenn es gute Gründe dafür gibt.

Wertung: 4,5/10


"127 Hours"

GB, USA, 2010

Danny Boyle

mit James Franco, Kate Mara, Amber Tamblyn


Nur im Kino!


Mittwoch, 29. Dezember 2010

THE KILLER INSIDE ME


Der britische Tausendsassa Michael Winterbottom verlässt seine bisherige semi-dokumentarische Phase und liefert eine hoch-fiktive Literaturverfilmung ab, in der Casey Affleck als Psychopath und Halbgott auftritt.


Ich habe keine Ahnung was mit den Kritikern los ist. Durchschnittsfilme, wie "Im Schatten" und "Orly" werden in den Himmel gelobt ("Is' ja Berliner Schule, muss ja gut sein"), während Michael Winterbottoms neuer Film, aufgrund von halbgaren Skandalvorwürfen und Frauenfeindlichkeitsanschuldigungen (longest word, i've ever wirtten), verrissen wird, ja sogar ausgebuht wurde und wer die Pressekonferenz gesehen hat, merkt die enorme Antipathie gegenüber Winterbottom und seinem neuen Film.

Dabei ist "The Killer inside me" in vielerlei Hinsicht ein herausragender Film. Ein Kritiker fragte Winterbottom sogar, mit leicht fiesem Unterton, ob dieser Film überhaupt zur Berlinale passen würde. Das könnte man auch als Kompliment begreifen. Denn dieser Film pfeift auf Naturalismus, jedweden populär-politischen Diskurs und freudlose Inszenierungen. Hier geht es um Verve, Stil und Pulp, ja Pulp, aber nicht im Sinne eines Tarantinos, viel eher Pulp im Ausmaß einer griechischen Tragödie.

Gehen wir mal zuerst auf die "skandalöse" Gewalt ein. Meine Begleitung und ich betreten den Friedrichstadtpalast. Die Kartenabreißerin schaut auf unsere Tickets, nickt und sagt: "Sie werden einen starken Magen brauchen." Ich schmunzle, ich hatte ja schon im Internet gelesen, dass der Film in Sundance Wellen geschlaben haben soll. Parallelen zu "Antichrist" kommen mir in den Sinn. Dennoch, unterschiedlicher könnten beide Filme kaum sein. Kurzum, die Gewalt in "The Killer inside me" ist zu keiner Sekunde skandalös um des Skandals-Willen, darüberhinaus ist sie nie prätenziös, verherrlichend oder irgendwie handlungsfördernd. Obwohl, die Kamera ständig draufhält, bleibt die Gewalt stets eine Verletzung anderer, schmerzhaft und unkonsumierbar.

Genug davon, kommen wir zum eigentlich interessanten, dem virtuosen Casey Affleck, der seinen Anti-Helden mit einem so unterschwelligen Sadismus gibt, ihn gleichzeitig romatisch, witzig und liebenswert zeichnet, dass die Identifikationsmöglichkeiten von Zuschauer und Figur an ihre Grenzen getrieben werden. Die Gefahr besteht, sich mit einem Mörder gleichzuschalten, doch Winterbottoms Inszenierung weiß das zu verhindern. Er sorgt für die nötige Distanz. Sei es durch Brüche zwischen Bild- und Tonebene oder den lückenemitierenden Schnitt.

Auch der restliche Cast ist großartig, allen voran Jessica Alba und Kate Hudson, die als einzige Starlets auftreten, ebenso inszeniert werden und in Hitchcock-Manier den Film frühzeitig verlassen. Alba und Hudson spielen Figuren, fernab von Klischees, schauspielerisch so ausgezeichnet, dass ihre Ermordungen umso schockierender wirken.

Was überrascht ist die relativ unauffällige Kamera. Die wirkliche Posen und Gemälde, will dieser Film nicht liefern. Er kommt nicht in die Verlegenheit sich mit Bildern eines Roger Deakins aus "No Country for Old Men" messen lassen zu müssen. Viel eher wirken die Einstellungen improvisiert, aber ästhetisch, nie dokumentarisch, sondern immer ausgefeilt. Die mit der Handkamera eingefangenen Cinemascope-Bilder, erinnern in ihren besten Momenten an das Kino eines Nicolas Roeg und Anthony Richmond.

Was am Ende wohl vielen Zuschauer durch den Kopf ging, war die Frage nach dem "Warum?". Jedenfalls fiel diese Frage auch bei der Pressekonferenz. Wer ein ausführliches Psychogramm erwartet, wird enttäuscht. Afflecks John Ford ist mehr als ein Mörder mit schlechter Kindheit. Die wenigen Anspielungen, die Winterbottom sich leistet, haben mehr mit den Frauenfiguren als mit der Wurzel des Bösen zu tun. Der Background des Mörders ist hier wirklich nur Background und manifestiert sich z.b. in dem Elterhaus in dem Ford wohnt und den Arien, die er hört. Das sind Details, Striche, die die Figur umkreisen, sie aber nie zu Ende zeichnen.

Eigentlich sagt es Ford schon zu Beginn (Der Film besitzt viele Voice-Overs, überwiegend direkt dem Buch entlehnt). "In einer Kleinstadt, glaubt jeder dich zu kennen." und auch Winterbottom sagte bei der Pressekonferenz, dass es ihn mehr interessiert habe, wie sich die Figuren verhalten. Kenne ich mein gegenüber? Auch wenn ich mit ihm lebe, mit ihm schlafe, esse und trinke? Mordet es sich nicht einfacher, wenn alle glauben einen zu kennen? Und, viel wichtiger, wie verhält es sich umgekehrt? Man könnte sagen, den einzigen Fehler, den sich Ford leistet, ist zu Glauben er kenne seine Mitmenschen, aber sie ihn nicht. Diese Form der Arroganz, wird im Film oft angesprochen. "Lass dir deine Sprüche, für die Spatzen." sagt der Gewerkschaftsführer einmal zu ihm. Diese Arroganz bringt Ford zu Fall, denn sein Größenwahn ist schon so gewachsen, dass er sich selbst als Regisseur seines eigenen Films sieht.

Dieser nie frauenfeindliche Film, entwickelt nicht nur eine aufregende Vision über die Schwierigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sondern entblößt sogar den Filmemacher als den eigentlichen Mörder aller Mörder. Im Falle von Michael Winterbottom sollte man aber Gnade vor Recht walten lassen.

gesehen auf der Berlinale 2010

Wertung: 8/10



Der Film lief bisher nur auf Festivals und hat noch keinen deutschen Starttermin. In den USA und Großbritannien gibt es ihn allerdings schon auf DVD und Blu-Ray.


Donnerstag, 2. Dezember 2010

THE READER


Ich krame gerade in alten Texten rum, da lese ich meinen alten Kommentar zu Stephen Daldrys gefühlvoller Literaturverfilmung, die ich im Beisein von Kate und David auf der Berlinale genießen konnte.

"Der Vorleser" ist kein dickes Buch. Ich musste es in der Schule lesen und wurde mit einer Fülle an Themen konfrontiert, die man diesem kleinen unscheinbaren Roman nicht zugetraut hätte. Die Shoah, die deutsche Schuld, Vergebung, Liebe zwischen Jung und Alt und Analphabetismus sind die Kerne der Geschichte. Das Buch kam nicht ohne Kritik davon. Zu viel und doch so wenig wird erzählt und Empathie für die Täter waren die Kritikpunkte.

Daldrys Verfilmung kann diesen Schlingen nicht ausweichen. Allerdings muss man sich fragen inwieweit die angebrachten Punkte eine ernste Kritik sein sollen. Die Fülle an Themen gibt dem Film einen enormen Nährboden, der ihn vor der Unterkomplexität bewahrt. Anstatt nun mit einer epischen Länge daher zukommen, wie zuletzt, der auf einer Kurzgeschichte basierende "Benjamin Button", präsentiert sich der Film in angenehmen zwei Stunden in denen die vielen Fragmente noch viel verdichteter wirken und eine Spannung aus sich selbst heraus erzeugen.

"Der Vorleser" ist eine Geschichte über die Shoah in Privatem. Praktisch alles findet im Privatem statt. Hinter vorgehaltenem Mund, in den Köpfen der Menschen und in den Wohnungen. Nur selten gibt es ein öffentliches Aushandeln. Auch bei der Gerichtsverhandlung, spielen sich die wahren Verhandlungen unter der Oberfläche ab. Das begünstigt Daldrys intimer Blick, der ganz besonders in den Liebeszenen eine natürliche Ästhetik auszeichnet. Vorallem die Kamera, u.a. Roger Deakins, vollbringt Oscar-reifes.

Die größten Vorzüge dieser hervorragenden Literaturverfilmung liegen definitv bei den Schauspielern. Wenige ausländische Stars in einem großenteils deutschen Ensemble, dass besser rüberkommt als in jeder Bernd-Eichinger-Produktion. Allen voran David Kross, der seinen ganzen Mut zusammen nehmen musste und seine erste internationale Hauptrolle meistert. Helles Zentrum des Cast ist natürlich Kate Winslet, die in einer ganz neuen Rolle zusehen ist. Hanna ist nicht einfach nur die Geliebte. Sie ist Pro- und Antagonist und trotz ihrer sympathischen Erscheinung und ihrer lieben Art, stattet Winslet ihre Rolle, ganz besonders in den Streit- und Gerichtsszenen, mit Widerhaken aus, die ein Verhandeln über ihre Schuld ausschließen und sie zum stillen Monster werden lassen. Ralph Fiennes dagegen präsentiert einen gebrochenen Mann, dem es an nichts materiellem mangelt, doch der von innen von Schuld, Sehnsucht, aber auch Abscheu seiner großen Liebe gegenüber zerfressen ist.

Der Film entwickelt ein breites geschichtliches Panorama, was im Nachkriegsdeutschland beginnt und beinahe in der Gegenwart endet. Dabei begeht der Film nie den Fehler die Nazi-Vergangenheit Hannas zu bebildern und lässt somit Verständnis für die Richter aufkommen, die nunmal die schwere Bürde tragen zu entscheiden, was damals vorgefallen ist.

Daldrys Stil ist unverkennbar in den Film eingebrannt und passt sehr gut zur Geschichte. Wie schon bei "The Hours" gelingt ihm eine kunstvolle Verknüpfung der verschiedenen Erzählebenen. Zwar ist dies kein Episodenfilm, aber hier gilt es mehrere Zeitabschnitte miteinander zu verbinden. Auch das Daldry-typische Aufpumpen der Ton-Ebene funktioniert gut. In kräftigen Montagen hämmert die Musik im Hintergrund, während der alte Michael aus Büchern vorliest.

Gerade in den letzten Szenen erreicht der Film seine interessantesten Momente, da die Distanz zur Vergangenheit riesig erscheint, der Holocaust aber immer noch so nah ist wie zuvor und deshalb fällt es natürlich der KZ-Überlebenden schwer Hanna eine Absolution zu erteilen. Stellvertretend ist eine Vergebung der gesamten deutschen Schuld nicht möglich. Genauso wenig wie Michael seine Dämonen los wird. Der Film entwirft die Aussage, dass manche Taten nicht vergeben werden können, aber verspricht Linderung in dem Moment, in dem Michael seiner Tochter alles erzählt. Das Weitergeben des Erlebten an die nächste Generation ist die einzige Form der "Absolution" die möglich ist. Das ist ein großer und wahrer Film.

gesehen auf der Berlinale 2009

Wertung: 8/10

"Der Vorleser"
USA, BRD 2008
Stephen Daldry
mit Kate Winslet, David Kross, Ralph Fiennes

Montag, 14. Juni 2010

A SINGLE MAN


Wenn Mode-Designer anfangen Filme zu drehen, dann muss die Oberfläche glänzen. Wer tiefer gehen will, sollte sich bei "A Single Man" auf Hindernisse einstellen.


Tom Ford fährt in seinem Regie-Debüt alle Gestaltungsmittel auf, die es gibt, aufwendige Kadragen, Zeitlupen, Shutter-Effekte, wohl komponierte Szenenbilder im Einklang mit schönen Kostümen. Die Kamera arbeit praktisch jede Brennweite mindestens einmal ab und der Einklang von Bild und Ton sucht die vollendete Note.
Es geht ums ganze, um den perfekten Film, wo jeder Frame nötig, wichtig und für sich sich selbst stehen kann, doch nur in der Bewegung sein wahres Gesicht offenbart.

Es ist das Streben des Designs perfekt zu sein. Die Kunst hat nicht diesen Anspruch, was nicht heißt, dass Design nicht auch Kunst ist.

Tom Ford, eigentlich Designer, sucht nun diese Form des Gleichgewichts im Film, er macht keinen Film, er designt ihn. Was Robert Wilson mit dem Theater macht, dass macht Tom Ford mit dem Film. Er ist nicht der erste, aber er kommt vom Fach, was einen genaueren Blick auf "A Single Man" spannend macht.

Ein ehemaliger Kino-Designer war der große Stanley Kubrick, dessen obsessiver Perfektionismus bis zum Schluss unbefriedigt blieb. "Ich wäre ja schon glücklich, wenn ich nur 50% von dem was ich mir vorstelle, realisieren könnte." soll Kubrick mal gesagt haben und das bringt es auf den Punkt. Es ist wie der klassische Kampf Don Quichottes gegen die Windmühlen, aber es ist nötig. Der Filmemacher muss gegen die Windmühlen kämpfen, sonst kommt kein guter Film dabei heraus.

Das hat Tom Ford verstanden und das setzt er auch mit beinah zersetzender Strenge durch, wodurch "A Single Man", gemein ausgedrückt, wie ein überlanger Gucci-Spot wirkt. Auf der anderen Seite beeindrucken die wirklich erstklassigen Leistungen der Schauspieler, wobei man sich fragen darf, wie Ford das gemacht hat oder eher wieviel er gemacht hat. Colin Firth erarbeitet sich mit seiner Darstellung eine Jahrhundertperformance und bringt es fertig mit einem Lächeln mir Tränen in die Augen zu treiben. Bei aller überstrapazierten Ästhetik funktioniert die emotionale Kommunikation also erstaunlich gut.

Ebenso wichtig wie herausragend für den Film ist der Einsatz seiner Requisiten. "A Single Man" ist ein ganz und gar materieller Film. Der Revolver ist genauso wichtig wie der Charakter, der ihn verwendet. Ohnehin liebe ich die schon fast ikonografische Einstellung, wenn eine Pistole aus einer Schublade hervorgeholt wird und "A Single Man" zelebriert dieses Bild. Sei es eine Zigarette, eine Krawatte, eine Flasche Gin oder ein flauschiger Pulli. Die Requisiten spielen mit den Schauspielern oder umgekehrt? Es ist schon fast spirituell, wie Tom Ford es schafft toten Objekten Leben einzuhauchen, sie anzuordenen und in Szene zu setzen. Das kann vielleicht nur ein Designer und selbst Kubrick verstand es nicht, z.B. der Axt in "Shining" mehr Sinn zu geben als der Plot benötigt.

Vielleicht lenkt "A Single Man" durch seinen Materialismus von der Handlung ab. Die Story erschien mir nachhinein doch recht fade und die politischen Ansätze wurden eher angerissen als ernst diskutiert. Selbst die visuelle Ästhetik hat sich Ford bei anderen Filmen abgeguckt. "A Single Man" ist letztendlich postmodern und selten originell, wie die heutige Mode. Allerdings schafft Tom Ford es Dinge zum Sprechen zu bringen, dass fehlte doch noch, oder?

Wertung: 6,5/10


"A Single Man"
USA, 2009
Tom Ford
mit Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult


Nur im Kino!