Montag, 4. April 2011

A.I.


Einer der am meisten unterschätzten Filme aller Zeiten, Spielbergs Opus Magnum über Menschlichkeit im Künstlichen wächst bei jedem Sehen etwas mehr. Ein Kunstwerk, was erkämpft werden will.


Ein Erzähler erhebt seine Stimme. Er berichtet uns vom eskalierten Klimawandel, Überbevölkerung und Geburtenkontrolle und wie all diese Dinge Grundlage einer rasch wachsenden Roboter-Industrie wurden. Eigentlich fehlt nur noch das „Es war einmal...“ zu Beginn, doch das wäre bei einem Science-Fiction-Film doch reichlich unangebracht gewesen. „A.I.“ ist dennoch ein Märchen, ein Abenteuerfilm, eine Initiationsgeschichte und in seinem schwer deutbaren Zielgruppenmuster letztendlich auch ein Kinderfilm.

In dieser Steven-Spielberg-Adaption einer Stanley-Kubrick-Geschichte wird von einem Roboterkind erzählt, dass als erstes seiner Art die Fähigkeit besitzt, aufrichtig zu lieben. Das schreibt sich leichter als man denkt. Auch Spielberg sucht am Anfang nach klaren Worten und lässt William Hurt im ruhigen Prolog über all die Thesen sprechen, denen sich „A.I.“ in den folgenden 140 Minuten widmen wird. Die einfach gestrickte Eröffnungsszene mag zwar auf den ersten Blick den Weg des geringsten Widerstandes gehen, doch von weitem ist Spielbergs Film ein großes Gedankenexperiment, dass auch versucht Themen wie Menschlichkeit, Liebe und Identität filmisch auf den Grund zu gehen. Kann man Liebe überhaupt filmen? Gefühle, die im Verborgenen liegen, keine physische Form besitzen und somit von der Kamera nicht erfasst werden können. Ein Dokufilmer würde hier eindeutig an seine Grenzen kommen, doch die Fiktion erlaubt es uns das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Haley-Joel Osment spielt David, das künstliche Kind, humanistisches Ideal und somit inkompatibel zu den „echten“ Menschen. Seine Menschenmutter verstößt ihn, nachdem Davids aufrichtige Liebe zur Bedrohung der fleischlichen Familie wurde. Sie entschließt sich ihn im Wald auszusetzen, statt zu töten, wie in „Hänsel und Gretel“. Sein sehnsuchtsvoller Blick im Seitenspiegel ist das letzte was sie sieht. Es ist der Beginn einer Reise, einer Art „Coming of Human“. Die klassische Märchendramaturgie der sich Spielberg hier bedient ist frei von jedweden postmodernen Spielereien. „A.I.“ ist so konzipiert als wäre er der erste und letzte Film der Welt, vollkommen eigenständig, frei von Zynismus, Sarkasmus oder Ironie. Hier gibt es keine intellektuellen doppelten Böden, vielleicht sogar keine richtige Meta-Ebene, da „A.I.“ jeden Gedanken und jedes Gefühl in Bilder umsetzt und dem Zuschauer auf die Netzhaut projiziert. Selten gibt es Filme, die so offen und ehrlich sind. Spielbergs Film ist so verletzlich und angreifbar, wie seine Hauptfigur, wie ein neugeborenes Kind. Milderung, den Weg der Mitte sucht man hier vergebens. Jeder Ton wird so gehört, wie er auch gespielt wurde, sei er auch noch so hoch oder tief. So ein fast reiner Gefühlsfilm wird auch gerne mit Kitsch verwechselt. „A.I.“ ist in jedem Fall sentimental, aber das ist kein Makel, sondern Stärke.

Spielbergs Filme waren ohnehin schon immer sentimental. „A.I.“ ist die Quintessenz seiner Filme. Auch hier muss sich der Held an die Hölle gewöhnen, muss versuchen seine Unschuld zu bewahren. Sie sind tragische Cervantes-que Figuren. David ist jedoch der sturste, der mit dem größten Durchhaltevermögen. In den früheren Spielbergfilmen kam meistens das Happy End zur Hilfe. Nur so konnten seine Helden erlöst werden. Davids Schicksal endet ambivalent, sperrig und unbefriedigend. Man kann es Erlösung nennen, aber es ist dennoch nur Verblendung und Täuschung. Hier ist der Einfluss Kubricks am stärksten zu spüren, obwohl es sich um ein Spielberg-Ende handelt. Wenn David neben seiner Mutter einschläft, in der Gewissheit, nie wieder aufzuwachen, dann ist der Zuschauer hin- und hergerissen, zwischen Liebe und Hass, zwischen Bewunderung und Mitleid. Es ist wie Selbstmord, aber dennoch hat David das höchste Glück gefunden. Was gibt es noch für ihn? Nichts. Überleben ist hier Tod, Sterben jedoch leben, ein Happy-End ohne Fortsetzung.

Wertung: 9,5/10



"A.I. - Künstliche Intelligenz"
US 2001
Steven Spielberg
mit Haley-Joel Osment, Jude Law, Frances O'Connor


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!

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