Sonntag, 29. August 2010

RUBBER


Anhand einer Synopsis zu erklären was in „Rubber“ passiert, ist so sinnvoll wie ein lebendig gewordener Autoreifen mit telekinetischen Fähigkeiten. Nein, für einen Einblick in Quentin Dupieuxs Debüt eignet sich nur der hervorragende Teaser.

Nach dieser kurzen und intensiven Einführung bleiben dem Leser nur zwei Möglichkeiten. Wer vom Gesehenen fasziniert war, wird mir sicher mit voller Bereitschaft tiefer in den Kaninchenbau folgen. Wer verstört mit dem Kopf schüttelte, liest diesen Absatz wohl bereits nicht mehr und dreht schon seine Runden auf YouPorn oder sonstwo.

Na gut, bleiben nur wir übrig. Ohne ein großes Geheimnis darum zu machen, will ich schon mal anmerken, dass „Rubber“ der beste Film der letzten sieben Jahre ist und er wird es wohl auch schaffen zum besten Film 2010 zu avancieren.

Quentin Dupieux alias Mr. Ozio ist eigentlich ein französischer Musiker. Auf der einen Seite ist es verwunderlich, dass „Rubber“ so abgeklärt und selbstbezogen daher kommt. Filmemacher hinterfragen selten das Kino an sich bereits in ihrem ersten Film. Andererseits ist das in der Postmoderne wahrscheinlicher geworden und vielleicht liegt es auch an Dupieuxs Außenseiter-Perspektive, dass „Rubber“ ein Kommentar und kein Beitrag zum Kino geworden ist.

Ähnlich wie bei „Funny Games“ hat auch bei „Rubber“ das Publikum seine Unschuld verloren. Doch wo Haneke den Zuschauer direkt anklagt und quasi das Sehen des Films selbst moralisch hart verurteilt, geht „Rubber“ nicht so radikal vor und versucht eher die Kommunikation zwischen Leinwand und Zuschauerschaft zu thematisieren. Denn obwohl Dupieux und seine fiktiven Helden sich oftmals lustig über das Publikum machen und der Oberschurke des Films letztendlich das Publikum selbst ist, bleibt „Rubber“ stets eine Liebeserklärung an die Imagination des Zuschauers, denn er ist es, der den Film zum Leben erweckt.

Aus einem leblosen Gummireifen wird Robert, aus einer bloßen Abfolge von Bildern entsteht ein Film. Es ist wie mit dem bekannten Baum im Wald, der umfällt, aber nicht gesehen und gehört wird. Ist er dann überhaupt umgefallen? Genauso inexistent ist ein Film, der in einem leeren Kinosaal gezeigt wird.

Ich finde es immer sehr leidlich, wenn hoch gebildete Bildungsbürger mit reichlich Bildung das Kino als Kunst zweiter Klasse bezeichnen, als passive Kunst, wo sich der Zuschauer nur berieseln lassen braucht, während das geschriebene Wort dem Leser einiges an Fantasie abringt. Dabei zeigt „Rubber“ auf sogar sehr lustige Weise, wie viel der Zuschauer dem Film hinzufügen muss um ihn zum Leben zu erwecken. Selbst seltsamsten Wendungen und Schnitten versucht das Publikum mit Kraft seines Geistes einen Sinn zu geben und selbst wenn ein Film so unverschämt ist und uns bereits zu Beginn sagt, dass dies alles gar keinen Sinn haben wird, versuchen wir weiterhin zu verstehen, zu interpretieren und zu analysieren. Die von „Rubber“ gestellte Herausforderung kann man entweder als schamlose Arroganz begreifen oder als Kompliment an sein Publikum. Ich entscheide mich für letzteres.

„Rubber“ ist das Werk eines äußerst kritischen Künstlers, der dem Kino gleichzeitig hoffnungslos verfallen scheint. Eigentlich kann man sich gar nicht vorstellen welchen Film Dupieux als nächstes drehen wird, da er das Kino bereits bis in seine tiefsten Provinzen erkundet hat. Vielleicht war dies aber auch sein einziger Film. Andererseits würde ich mich über mehr Filme dieses neuen Talents freuen.

Ähnlich wie Nolan bei „Following“ hat auch Dupieux mit einem geringen Budget drehen müssen und Regie, Buch, Kamera, Schnitt und Musik selbst in die Hand genommen. Das Resultat ist nie unfreiwillig billig, bietet tolle Darsteller, abstrakte Bilder und einen starken Score, doch kann man „Rubber“ schlecht an seinem Handwerk und ihren Komponenten beurteilen. Dieser Film ist mehr als die Summe seiner Teile.


PS: Da der Film bis jetzt nur auf Festivals gezeigt wurde, hat er seine ganze Auswertung praktisch noch vor sich und obwohl er in der Schweiz bereits einen Kinoverleih gefunden hat (sehr löblich), bezweifle ich, dass der Film in der reaktionären Kinolandschaft Deutschlands einen Platz bekommt. So bleibt nur die Hoffnung auf einen guten Release auf DVD und Blu-Ray.

Doch, ein letzter Hinweis an alle Verleiher: Die Vorstellung auf dem FantasyFilmFest in Berlin war restlos ausverkauft (was sonst nur noch „Enter the Void“ schaffte). Das zeigt also, dass das Publikum wirklich etwas Neues sehen will. Es lechzt förmlich danach. Gebt „Rubber“ doch eine Chance!

Wertung: 9,5/10



"Rubber"

FR, 2010

Quentin Dupieux

mit Roxanne Mesquida, Stephen Spinella, Robert

Donnerstag, 5. August 2010

MOON



Allein das Poster von "Moon" beschwört alte Zeiten herauf, für einen Science-Fiction-Film doch recht unerwartet. Nur betrachtet man das Plakat genauer, entpuppt sich das Nostalgie-Element mehr als lässige Retroness.

Duncan Jones setzt diesen Aspekt auch filmisch um, aber inwieweit man hier von Retroness sprechen kann ist fraglich. Viel eher ist dieser "alte" Charme der langen Abstinenz guter Genre-Beiträge geschuldet.

Denn während Chris Nolan mit "Inception" das Blockbuster-Kino erneuert, wird durch "Moon" der Hard-Sci-Fi wieder zum Leben erweckt. Das ist aber auch nur die halbe Wahrheit.
Nochmal zur Definition: Als harte Science-Fiction werden Werke bezeichnet, die ein großes Augenmerk auf wissenschaftliche Genauigkeit und auf die tatsächliche Realisierbarkeit der technischen Neuerungen legen. Es steht also weniger die fantastische Ausschlachtung des Genres ("Star Wars") oder die Entwicklung einer Utopie/Dystopie im Vordergrund ("Blade Runner"), sondern der Einfluss neuer Technologien.

Nun kann Jones, wie zuvor erwähnt, die Definition nur zur Hälfte bedienen. Sowieso ist reine Hard-Sci-Fi eine ganz mühselige Sache, die wohl nur Nerds hinterm Ofen hervorlockt. In "Moon" geht es in erster Linie um die Hauptfigur Sam Bell, gespielt von Sam Rockwell. Die Technik muss hinten anstehen, hat aber auf das Leben unseres Protagonisten einen gravierenden Einfluss. So viel sei gesagt.

Wer den Film gerne anhand seines Twists und seiner Handlungsführung kritisieren möchte, soll das tun, aber ohne mich. Die clever gebaute Geschichte macht keine Geheimnisse und auch Jones schien kein Interesse daran gehabt zu haben, den Zuschauer lange auf die Folter zuspannen oder seine Wendungen als Ässe auszuspielen. Hier wird das Publikum nie auf eine falsche Fährte gelockt und bis zur Auflösung bei der Stange gehalten um dann fallen gelassen zu werden. Jones ist kein Shyalaman.

Trotz der fast schwerelosen Erzählweise des Films kommt nie ein Funken Langeweile auf. Die Dramaturgie funktioniert tadellos und rafft an den richtigen Stellen, z.B. wird nicht zu viel Zeit für die Exposition vergeudet. Die Einführung in Sams Welt wird elliptisch voran getrieben. Es sind eh die bekannten Einstellungen eines jeden Tagesablaufs. Nach gut 10 Minuten geht schon die eigentliche Handlung los.

Ehrlich gesagt hat "Moon" nur sympathische Schwächen zu bieten. Das was dem Film am meisten schadet ist die eingangs erwähnte Retroness. Beim Schauen des Films hat man nie das Gefühl etwas neues zusehen. Obwohl der Film der erste Hard-Sci-Fi nach langer Durststrecke ist, legt Jones es nicht an das Genre in neue Sphären zu führen. Besonders stilistisch fallen diese Mängel auf. Das Heraufbeschwören von Klassikern wie "Solaris", "2001" und "Silent Running" hat zwar einen cineastischen Charme, aber das Bild der originären Vision leidet darunter. So suhlt sich "Moon" oft in seiner Retrospektive, z.B. wenn er klassische Musik durchs Weltall säuseln lässt, ein geliebtes Klischee. Dennoch, auch wenn Duncan Jones auf Altbewährtes zurückgreift, beeindruckt sein Film durch die ergreifende Geschichte.

Mit dem Erscheinen des zweiten Sams gewinnt der Film ungemein an Fahrt und wandelt sich zum feinen Drama. "Moon" ist der erste Film den ich kenne, der sich so genau mit den psychischen Konsequenzen des Klones beschäftigt und es sogar wagt beide Kopien aufeinander treffen zulassen. Die Szenen zwischen Rockwell und Rockwell gehören somit zu den stärksten des Films. Ähnlich wie Jeremy Irons in "Dead Ringers" gelingt Rockwell die klare Zeichnung zweier unterschiedlicher Charaktere. Obwohl der Film uns visuell hilft (der eine ist ein körperliches Wrack, der andere ist frisch geschlüpft), stellt Rockwell sie als zwei unterschiedliche Figuren dar.

Allein darin steckt die Kernessenz von Jones Klon-Psychogramm. Er formuliert das Klonen nicht als der Geburt menschlich unterlegenen Entstehungsprozess. Trotz der gleichen Erinnerungen und des identischen Äußeren ist jeder Klon anders und für sich ein Individium. Wie bei jedem großen Humanisten definiert sich auch bei Jones das Menschsein über sein moralisches Handeln. In diesem Kontext wirkt es nicht unglaubwürdig das Sam seinem Roboter Gerty klar macht: "Wir sind Menschen."

"Moon" liefert eine glaubwürdige Abhandlung über den Einfluss des Klonens und erinnert in seinen besten Momenten an eine Art Bergman-in-Space. Obwohl sich der Film stilistisch "nur" im Dunstkreis seiner klassischen Vorbilder befindet, darf Angesichts der Rückkehr eines totgeglaubten Genres euphorisch gejubelt werden.

Wertung: 8/10


"Moon"
GB, 2009
Duncan Jones
mit Sam Rockwell, Kevin Spacey (Stimme)



Bei uns bisher nur im Kino, in vielen anderen Ländern bereits auf Blu-Ray & DVD!


Montag, 2. August 2010

INCEPTION

Chris Nolans Blockbuster entführt den Zuschauer in die alte Welt ohne 3D und Franchises. Das ist zwar erfrischend, aber leider auch nicht neu.

Dank modernster Technologie ist es in naher Zukunft möglich, in Träume und somit in das Unterbewusstsein von Menschen einzusteigen. Das Einsteigen bedeutet mithin auch die Möglichkeit des Stehlens fremder und bisher ureigenster Ideen. Ein Meisterdieb auf dem neuesten Gebiet der Firmenspionage ist Dom Cobb, was ihn nicht nur im positiven Sinn zu einem besonders gefragten Mann macht. Um endlich wieder ein normales Leben führen zu können, muss er nur noch den einen letzten Job erledigen.

Blockbuster aus Hollywood haben ein Ziel. Sie wollen Massen erreichen. Dementsprechend ist der Erfolg eines Blockbusters nichts anderes als die Reflektion des Massengeschmacks. Es ist daher schon fast zynisch oder kulturpessimistisch, dass die grassierende Abwesenheit von Originalität, die Hollywood heutzutage dominiert und sich in endlosen Mustern aus Sequels, Prequels, Reboots, Remakes und Franchises präsentiert, solch kommerziell erfolgreiche Blüten trägt. Dass Kino auch immer schon Ware war, die verkauft werden muss, will keiner bestreiten. Schon zu Urtagen musste man einen Penny einwerfen um auf dem Jahrmarkt die Bilder tanzen zu sehen. Schaut man aber auf die Entwicklung des Massengeschmacks (und welche Genres er beeinflusst hat), so zeichnet sich ein Bild, dass die heutige Zuschauerschaft wie eine Herde Schafe wirken lässt.

Wie so oft scheint früher alles besser gewesen zu sein. Nun gehört es aber zum Verlauf der Geschichte, dass schlechte Ereignisse gerne verdrängt werden. Manchmal ist das gut, meistens eher nicht. Denn zu den wenigen Meilensteinen der Filmgeschichte gesellten sich zur damaligen Zeit ebenso eine Masse von hirnloser Fließbandware, die heute wie vergessen scheint. Logischerweise zeigt ein Blick in die Vergangenheit (je nach Betrachtung) mehr gute Filme als schlechte.

Nun hängt der Überlebensgrad eines guten Films (respektive Meisterwerks) stark vom kommerziellen Erfolg oder der Gönnerschaft einflussreicher Menschen ab. Ein Film kann noch so grandios, persönlich und künstlerisch wertvoll sein, wenn ihn niemand sehen will, gibt es selten eine Perspektive.

Ungerechterweise wird dieses Schicksal wohl viele gute Filme ereilt haben. Deshalb war und sollte es auch im Interesse eines jeden Filmemachers sein, sich auch ein Stück weit die Eigenschaften eines Produzenten anzueignen, damit sein Film auch gesehen wird oder er verzichtet gänzlich auf sein Publikum, was nicht unbedingt einen schlechteren Film bedeutet.

Die großen Blockbuster der Vergangenheit waren oftmals auch Meilensteine der Filmkunst, z.B. „Birth of a nation“, „Wizard of Oz“, „Lawrence of Arabia“ oder „Jaws“. Das waren ungemein erfolgreiche Filme, die genau den Massengeschmack trafen und trotzdem künstlerisch wertvoll waren.

Ein Blick in die Zukunft ist immer spannend. Denn wie werden die Blockbuster unserer Zeit später rezipiert? Wird man „Pirates of the Caribbean“ als Meilenstein bezeichnen? Kommt Michael Bay durch „Transformers“ doch noch zu unverhofften Regie-Ehren und wird in Zukunft mit Eisenstein verglichen? Es ist eindeutig eine spannende Angelegenheit. Welche Filme überleben die Zeit und was ist mehr daran beteiligt, der Erfolg oder das Werk?

Selbst „2001“ wurde zum Release verrissen. Damals sahen nur wenige den Klassiker, der er heute ist. Allerdings wurde Kubricks abnorme Weltraum-Reise von unerwartetem Erfolg gekrönt. Überlebte er nur weil er bis „Star Wars“ der erfolgreichste Sci-Fi-Film war? Das scheint fragwürdig.

Filme können nur durch ihr Publikum überleben, über Generationen hinweg. „Fantasia“ (ein kommerzieller Flop) war bis in die 70er fast komplett vergessen und gelangte nur durch den Release auf VHS zu neuen Ehren. Die damalige Studentenschaft erkannte das enorme Potenzial des Films beim Konsum von LSD. „Fantasia“ wurde so zu Disneys erfolgreichstem Drogenfilm.

Auch nachfolgende Filmemacher-Generationen sind stark am Überleben eines Films beteiligt. „2001“ gilt als Lieblingsfilm der jungen New-Hollywood-Bande (Scorsese, Coppola, Spielberg), die stets Bezug auf ihre Vorbilder nahmen und damit konkret ihren Ruf förderten und ihre Werke bekannter machten. Tarantino macht doch nichts anderes, für ihn ist Kino nur Zeitmaschine. Ginge es nach Tarantino bräuchte man gar keine neuen Filme mehr drehen. Dementsprechend wird man ihn später auch als den Archivar des Kinos begreifen, der er ist.

Schlussendlich, es geht also um Inspiration. Ein Film muss inspirierend sein für nachfolgende Generationen um sein Überleben zu sichern. Wenn ich also möglichst viele Menschen mit meinem Film erreiche und mein Film auch das künstlerische Format hat Menschen zu fesseln und nicht mehr los zu lassen, dann kann ich mich doch beruhigt zurücklehnen und hoffen, dass ich in 1000 Jahren wiedergeboren werde um meinen eigenen Namen in den Filmbüchern lesen zu können.

Ich bin kein Orakel, doch ich wage zu behaupten, dass Christopher Nolan mit „Inception“ eben dies erreicht hat. Jenseits des großen Hypes (der vor allem „The Dark Knight“ zu verdanken ist), sieht man gerade an den Reviews und Publikumsreaktionen, dass hiervon niemand unberührt bleibt. Nolan wirkt wie ein Messias im Dunst der Exkremente, die Hollyood in den letzten Jahren über uns gegossen hat. Er ist kein Messias. Er ist kein Wunderkind (schon lange nicht mehr). Nolan scheint wohl einfach, dass zu machen, was jeder ehrliche Filmemacher tun sollte, nämlich seinen Film zu drehen. Denn bei allem cineastischen Brimborium bleibt „Inception“ angenehm persönlich und zeigt sich als klares Produkt seines Schöpfers.

In Nolans Werk geht es immer um Schöpfung und um das Verirrt-sein seiner Protagonisten. Seine Helden sind immer Reisende. Sie laufen durch Labyrinthe ihrer eigens geschaffenen Hölle. Dabei ist Nolan zudem ein so brillanter Stilist, dass er sich sogar die Mühe macht eben dieses Gefühl der Verirrtheit durch ausgeklügelte Story-Konstruktionen auf den Zuschauer zu übertragen, was seine Filme dazu noch ungemein unterhaltsam macht.

„Following“ handelte von einem ideenlosen Schriftsteller, der mehr Inspiration bekommt als er erwartet hat und letztendlich zum beinah griechischen Helden wird, den die Story des Lebens überlistet. In „Memento“ läuft der Protagonist durch das Labyrinth seiner eigenen Erinnerungen, die er sich mit kleinen Zetteln und Fotografien konserviert hat, da er selbst zur keiner eigenen Erinnerung mehr fähig ist. „Insomnia“ nimmt fast schon seinen neuesten Film ein wenig vorweg und begleitete einen Pacino, der traumwandlerisch der Wahrheit hinterherjagt. „Batman begins“ stellt den gebrochenen Helden wiederum als Schöpfer seines eigenen Schicksals dar. Zur höheren Aufgabe berufen, versucht er seinen Dämonen zu entfliehen, kann sich aber letztendlich nur als Spiegelbild seiner eigenen Ängste manifestieren. „The Prestige“ geht da noch viel weiter und zeigt zwei Männer wie zwei Seiten einer Medaille, die sich mit ihren eigenen Schöpfungen gegenseitig überbieten wollen. Dabei argumentiert Nolan mit seltener Leidenschaft was eine wahre Vision einen Künstler kosten kann. „The Dark Knight“ fügt die Idee des gespaltenen Helden dem Batman-Franchise hinzu und zeigt das Duell zwischen Schurke und Held als verzerrtes Spiegelkabinett.

Mit „Inception“ scheint Nolan nun seinem eigenen Schaffen einen Kommentar hinzuzufügen. Denn der Film liest sich auch als Metapher über den Prozess des Filmemachens. Wie arbeitet die Traumfabrik? Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Sci-Fi-Komponente des Films eher rudimentär wirkt. Die großen technischen Erklärungen lässt Nolan zum Glück aus. Ebenso vermeidet er die Zeichnung einer Utopie. Die Welt in „Inception“ ist die gleiche wie heute. Das Traum-sharing entpuppt sich dementsprechend wirklich als Gang ins Kino.

Man könnte „Inception“ also auch als das aufwendigste Making-Of aller Zeiten lesen. Das Making-Of, was alle Filme gemein haben. Denn all die Regeln die Ariadne zu Beginn des Films erklärt werden wirken wie Umschreibungen vieler Tipps aus bekannten Büchern über das Filmhandwerk.

Der Träumende und seine Projektionen stellen somit das Publikum dar, was überlistet und unterhalten werden möchte ohne dass es merkt, dass es träumt oder dass es einen Film sieht. Nolan gibt hiermit nicht nur Einblick in seine Arbeitsweise, sondern formuliert auch schonungslos den Sinn eines jeden Films. Es geht nicht um Ideendiebstahl, sondern um die Einpflanzung einer Idee. Filme, wie andere Kunstwerke, sollen Ideen vermitteln, die wuchern und gedeihen, Inspiration!

Wirklich neu ist „Inception“ eher nicht und bis auf „Following“ und „Memento“ trifft das auch auf seine anderen Filme zu. Der Reiz seines ganzen Werk ist folglich eher mit dem Reiz eines guten Handwerkers zu vergleichen. Er ist niemand, der auf die Idee kommen würde zur Verbesserung der Stabilität einen Küchentisch um ein Bein zu erweitern, aber er baut den Tisch so als würde er eine Horde Elefanten aushalten.

So ist auch „Inception“ ein handwerkliches Wunderwerk, was besonders auf der dramaturgischen Ebene begeistert und so elegant durch die Geschichte, seine vielen Handlungsfäden und Set-Pieces führt, dass man als Träumender nie auf die Idee kommen würde aufzuwachen.

Dennoch, trotz seines erkennbaren Alleinstellungsmerkmal in der heutigen Filmlandschaft, schwimmt dieses Floß „Inception“ auf einem Meer von Schwächen, was überwiegend dem Mainstream geschuldet ist.

Wie eingangs erwähnt sollte ein jeder Filmemacher auch ein wenig Produzent sein. Nolan verortet seine komplexe Reise durch den Schöpfungsprozess eines Films fest im Unterhaltungskino der heutigen Zeit. „Inception“ wird zum Actionfilm. Nun zeigte sich schon in „The Dark Knight“ Nolans große Schwäche für Action-Szenen. Auch „Inception“ fehlt in den vielen Schießereien einfach der Überblick. Wally Pfisters Kamera klebt mit dem Teleobjektiv an den Gewehren ohne auch nur zu zeigen wer sie bedient und wohin sie schießen.

Zudem raubt diese Action-Komponente dem Film einige seiner besten Einfälle. Während Ariadne in ihrer Trainingsphase noch mit immer aufmüpfiger werdenden Passanten zu kämpfen hatte, was im späteren Heist-Plot eine ungemein dynamische Bedrohlichkeitssteigerung dargestellt hätte, verzichtet Nolan darauf komplett und lässt gleich zu Beginn des Coups die Projektionen mit Gewehren auflaufen.

Eine andere verständliche Schwachstelle ist die erste Stunde des Films, die sich fast ausschließlich mit der Erklärung der Spielregeln auseinandersetzen muss. Nolan hat zwar genug handwerkliches Geschick um sein Tutorial filmisch umzusetzen, aber ohne einseitige Erklärungsmonologe, die sich wie Propaganda anhören, kommt auch „Inception“ nicht aus. Es gilt somit die erste Stunde zu überstehen, hinterher zukommen und alles kapiert zu haben. Denn sobald die titelgebende Inception beginnt, gibt es kein zurück mehr. Gerade in der zweiten Hälfte fesselt und inspiriert der Film, da er vieles dem Zuschauer überlässt und nur noch wenig erklärt.

Die oftmals erwähnten flachen Figuren des Films sind in Nolans Filmen keine Seltenheit und werden durch die ausführlich designten Plots verursacht. Es sind halt nur Nebenfiguren. Denn gerade von Nolans Hauptfiguren kann man nicht behaupten sie seien flach. Oftmals liegt der Schlüssel zur Lösung von Nolans Plots in der Entschlüsselung seiner Helden. Erst mit der Auflösung von Memento bekam Guy Pearces Figur endgültig Tiefe und sein ganzer Konflikt breitete sich vor unseren Augen aus.

„Inception“ blickt auch wieder gezielt auf seinen Helden und vernachlässigt absichtlich den Rest. Das kann man kritisieren, wobei es clever war so talentierte Darsteller wie Page, Murphy, Levitt und Hardy zu besetzen, die allein durch Ausstrahlung ihre Figuren füllen.

Hier geht es eindeutig um Dom Cobb, gespielt von Leonardo DiCaprio, und seine Frau, die von der grandiosen Marion Cottilard verkörpert wird. Wie im sehr ähnlichen „Shutter Island“, spielt DiCaprio auch hier einen gebrochenen Mann mit problematischem Eheleben. Allerdings während DiCaprio in Scorsese Seelentraktat eine ungemeine Bandbreite an emotionalen Facetten abliefern konnte, kommt Cobbs Figur unangenehm angespannt daher. Besonders die vielen Erklärungen im Film verwehren den emotionalen Zugang zur Figur und auch DiCaprio wirkt so als wüsste er nicht ob jetzt sein Erklärungen wichtig sind oder seine Figur.

Marion Cottilard ist dagegen fest mit ihrer Figur verbunden. Nichts erinnert mehr an ihre schwache Frauenrolle in Manns „Public Enemies“ und schon gar nicht an ihre burleske Edith Piaf in „La Vie en Rose“. Nein, Cottilard liefert eine hinreißende Performance als Femme Fatale, die sogar in den größten melodramatischen Szenen berührt und glaubwürdig bleibt. Allein ihre Ausstrahlung bindet alle Blicke. Ja, es gibt Momente, da spielt sie DiCaprio fast an die Wand.

Es sind gerade die Szenen zwischen DiCaprio und Cottilard, die den Film reicher machen. Besonders die letzte Szene der beiden hat mich zutiefst berührt und illustriert Nolans Händchen für Schauspielerei.

Was viele Kritiker an „Inception“ bemängeln ist seine logische Struktur im Bezug auf sein Sujet. Bei einer Story die sich um Träume und die Kraft des Unterbewussten dreht, wirken Nolans Traumwelten wie Level eines Videospiels das klaren Regeln folgt. Es fehlt das Lückenhafte, Unlogische und vorallem Surreale, was das echte Träumen bestimmt.

Diese Schwäche muss sich „Inception“ eingestehen und sie wäre auch viel gravierender, wenn es denn wirklich ums Träumen ginge. Wie gesagt, es geht letztendlich ums Filmemachen, ums Erschaffen von Traumwelten, welche nicht als Träume enttarnt werden wollen und somit den Gesetzen unserer Welt gehorchen.

Ich werde dagegen etwas kritisieren, was viele als große Stärke interpretieren, die Optik des Films. „Inception“ wird ja schon als Kamera-Glanzleistung gefeiert, die neue Wege geht. Wally Pfisters Kamera geht viele Wege, aber keiner ist neu. Die Zeitlupen-Sequenzen und der Schwerelos-Kampf führen nur die Arbeit der Wachowsky-Brüder konsequent fort. Zudem gelingt dem Film kaum eine Einstellung, die etwas mit Poesie zu tun hat. Pfister filmt alles so, wie es schon etliche vor ihm gemacht haben. Seine Bilder vermitteln selten Ideen. Meistens sind dafür die Dialoge und der Schnitt verantwortlich. Auch die Lichtsetzung und Farbpalette sind die gleiche Sülze wie schon bei „The Dark Knight“. Entweder ist alles orange oder blau und das Licht ist meistens eine undefinierbare Schmiere. Einzig und allein „The Prestige“ zeigte ein aufregendes Kamera-Konzept. Warum kann Pfister das nicht wiederholen?

Letztendlich ist „Inception“ dennoch eine Wohltat des Blockbuster-Kinos und der beste Hollywood-Film der letzten Jahre. Die unübersehbaren Schwächen können zwar nicht ignoriert werden, aber Nolans fulminante Inszenierung lässt einen kaum darüber nachdenken.

Obwohl die Thematik der trügerischen Realitäten schon ein alter Hut ist und frühere Filme wie „Matrix“, „ExixtenZ“ und „Welt am Draht“ es bereits besser gemacht haben, gelingt es Nolan dem ganzen sogar noch etwas hinzuzufügen. Er verwertet das Dilemma um Traum und Wirklichkeit zur philosophischen Auseinandersetzung über den Prozess des Filmemachens.

Wir werden sehen, ob Nolan es gelungen ist genügend Menschen zu infizieren und sein Film noch in Zukunft mit staunenden Augen betrachtet wird. Im Angesicht der aktuellen kreativen Flaute Hollywoods, gönnt man „Inception“ einen Eintrag in die Filmgeschichtsbücher. Der Erfolg des Films zeigt schon mal, der Geschmack des Massenpublikums ist noch nicht verloren.

Wertung: 7,5/10


"Inception"

USA, 2010

Christopher Nolan

mit Leonardo DiCaprio, Marion Cottilard, Cillian Murphy


Nur im Kino!