Dienstag, 24. Mai 2011

NEVER LET ME GO


Die schöne neue Welt liegt in Mark Romaneks drittem Film im England des vergangenen Jahrhunderts. Die ungewönliche Perspektive erlaubt einen hoffnungsvollen Blick in die kurzlebigen Herzen dreier Heranwachsender.

Kathy, Tommy und Ruth wachsen in Hailsham auf, eine Art Internat in einer idyllischen Hügellandschaft irgendwo in England. Sie wissen alerdings nicht, dass sie nur leben um später als menschliche Ersatzteillager zu dienen.


Utopien müssen nicht dringend in die Zukunft gelegt werden. Es ist sowieso ein offenes Geheimnis, dass Filme wie "Minority Report" oder "THX" mehr über die Gegenwart ihrer Entstehung erzählen als über den ernsthaft überlegten Fortgang der Menschheitsgeschichte spekulieren. Die Verfilmung von Kazuo Ishiguros Besteller "Never Let Me Go" verlegt seine Handlung deswegen umso wirkungsvoller in die Vergangenheit. Was auf den ersten Blick wie eine Verschlimmbesserung wirkt, bietet im Vergleich zu einer Gegenwartshandlung eine Vielzahl an neuen Überlegungen.

Mark Romaneks Film beginnt in den 50ern, einem Jahrzehnt großer wissenschaftlicher Errungenschaften und erhöhter Forschungsgläubigkeit. Die historische Lesart kommentiert die Gegenwart schärfer, da man eher dazu geneigt ist, begangene Fehler nicht ein zweites Mal zu machen, anstatt noch nicht begangenen entgegen der Neugier zu widerstehen. Auf der anderen Seite kann sich das Sub-Genre der Utopie so auf unscheinbare Weise vom unbeliebten Über-Genre des Sci-Fi emanzipieren, denn wissenschaftliche Novi sind hier nur in ihrem gesellschaftlichen Kontext interessant, nie als technische Konzepte.

Allein darin beißen sich Geschichts- und Zukunftsbild, denn Klontechnik und Organspenderschulen gehören nicht in unser Bild der 50er Jahre. In Romaneks Film erzeugt dieser Bruch eine Art Verfremdungseffekt. Uns wird weder eine Vision der Zukunft präsentiert noch eine wissenschaftliche Ausführung. "Never Let Me Go" gibt uns somit nie die Gelegenheit, dass wir uns von den Figuren und ihrer Geschichte ablenken könnten, hält unseren Blick aber auf einer natürlichen und kritischen Distanz um die Inhumanität der Filmwelt zu begreifen. Zuerst kommt man aber gar nicht auf den Gedanken, dass Romanek und sein Team irgendein Interesse daran hätten. Adam Kimmel lässt seine Kamera melancholisch durch die Sets gleiten. Jeder Lichtstrahl ist an seinem Platz und Rachel Portmans Kammermusik-Score legt sich wie süßer Sirup über jedes Bild.

Alles ist von einer friedlichen Ruhe durchzogen, als gäbe es keine Probleme, doch unter der schönen Oberfläche brodelt es mächtig. Sobald die junge Lehrerin -immer magisch Sally Hawkins- widerechtlich den Kindern von ihrem vorbestimmten Schicksal erzählt, legt sich ein Leichentuch über den Film. An diesem Zeitpunkt ist die Filmhandlung noch nicht weit fortgeschritten und so wird der Zuschauer gezwungen den Rest des Films mit Todgeweihten zu verbringen. Wie sehr beenflusst es Kinder, wenn sie den Ausgang ihres Lebens kennen? Romaneks Film ist vielmehr als eine bloße ethische Betrachtung.

Selbst für seine Plotpoints und melodramatischen Suspense scheint er keine außerordentliche Leidenschaft zu besitzen, denn die großen Geheimnisse werden schnell gelüftet und bereits mit einem kurzen Engangstext angedeutet. Nein, Garlands Drehbuch konzentriert sich ausschließlich auf die kurzen Biografien dreier Spender, ihre Träume, ihre Wünsche, ihr Erwachen und ihren Tod.

Carey Mulligan spielt die eigentliche Hauptrolle aus deren Perspektive wir den Film erleben, getragen durch ihre Off-Kommentare. Ich würde so gerne weiterschreiben, doch es geht nicht. Im Gegensatz zu Knightleys und Garfields Figuren, hat es Garland auf peinliche Weise verpennt seiner Hauptfigur ein Innenleben zu schenken, obwohl da doch irgendetwas sein muss. Jedenfalls gelingt es Mulligan überraschenderweise ihre Figur durch Schauspiel zu füllen, wirklich sichtbar ist dennoch wenig, denn das Drehbuch nutzt ihre Figur wirklich nur als Guckloch.

Das irritiert besonders im Zusammenspiel mit den anderen Figuren, denn wo Ruth und Tommy eine Psychologie, Schwächen und Stärken haben, da bleibt Kathy stumm und blass. Man weiß nur: Sie liebt Tommy und hat ebenso Angst vor dem Tod. Die Suche nach ihrem Original ist dem Film gerade einmal eine Szene wert. Das Beziehungsdrama um Kathy und Tommy wird dagegen zum roten Faden erhoben und Knightleys Ruth ist nicht mehr als ein Spielverderber. Dennoch, Keira Knightley macht auch hier mehr als sie muss. Ähnlich wie Mulligan, füllt sie die etwas flache Figur mit echtem Leben.

Die gelungenste Figur des Films ist allerdings Tommy, der von Garfield mit großer Verwandlungsfreude gespielt wird. Wer ihn in "The Social Network gesehen hat, weiß was ich meine. Tommy ist impulsiv und überraschend, zart und aggresiv, eine Vermengung wunderbarer Gegensätze. Abseits seiner Zuneigung zu Kathy, wird er zudem von großen Dämonen geplagt. Er sucht seine Seele. "Never Let Me Go" stellt nämlich auf fast vermessene Weise die Frage, ob Klone überhaupt eine Seele haben und den echten Menchen ebenbürtig seien. Umso verwirrender ist die Stärke des Films diese Frage unbeanwortet zu lassen.

Romaneks Film ist im guten wie im schlechten ein Film der unbeantworteten Fragen. Seien es die angerissenen Thesen oder die dünne Figurenzeichnung, weshalb man sich auch öfter fragt, was Tommy, Ruth und Kathy daran hindert einfach mal zu versuchen dem Apparat zu entkommen. Nun gut, letztendlich wird vieles relativiert, ebenso die Kritik an menschlichen Ersatzteillagern. "Am Ende haben wir doch alle das Gefühl zu kurz gelebt zu haben.", meint Kathy zum Schluss. Mit diesem Gefühl werden wir aus dem Kino entlassen. Mutig.

Wertung: 6/10


"Alles, was wir geben mussten"
US 2010
Mark Romanek
mit Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley


Nur im Kino!

Freitag, 20. Mai 2011

HOSTEL


2005 kreierte Eli Roth den stärksten Horrorfilm des Jahrzehnts und etablierte einen omnipräsenten Bösewicht, das Lächeln George Washingtons.


Drei junge Männer, zwei Amerikaner und ein Isländer, reisen durch Europa, wo sie junge Frauen kennenlernen wollen. In Amsterdam treffen sie einen Mann, der ihnen sagt, dass es in Bratislava einen Ort gibt, an dem die Mädchen auf Männer wie sie warten – insbesondere auf Amerikaner. Also fahren sie dort hin, und die Versprechungen des Fremden erweisen sich als wahr: In der gesuchten Herberge gesellen sich schnell zwei exotische Schönheiten zu ihnen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie in der Hölle auf Erden gelandetet sind…

Wie soll man dem Grauen begegnen? Wie manifestiert es sich? „Horror“, ein Wort und so viele Widersprüche. Ursprünglich war das Genre nur ein kleiner Zweig am ohnehin verkümmerten Baum der fantastischen Literatur. Ob nun Bram Stokers Ur-Vampir, Stevensons „Dr. Jekyll“ oder Shelleys „Frankenstein“, die Ängste, die sie schürten waren stets paranormaler Natur, aus Quellen der Hölle oder der pervertierten Wissenschaft. Der frühe Horrorfilm übernahm die übernatürlichen Sujets der Literatur fast kommentarlos. Nosferatu bzw. Dracula, Frankenstein und Werwölfe lehrten dem Kino-Publikum das fürchten, dabei waren diese schauderhaften Fantasiefiguren doch nur Manifestationen einer grausameren Realität. Im Laufe der Geschichte hat sich das Genre zum Glück geöffnet und spätestens seit den 70er darf man sich im Horrorfilm vor Hausfrauen, Gangstern und Messerstechern fürchten. Welche Möglichkeiten der Angst gibt es noch?

Der Begriff „Torture-Porn“ ist relativ neu und kam spätestens durch den Erfolg zweier Filme in aller Munde, „Saw“ und „Hostel“. Der „Folter-Porno“ beschreibt einen Film der sein Publikum durch naturalistische Darstellungen von Folterszenarien stimuliert, was schon ziemlich krank klingt, denn inwieweit kann Folter überhaupt unterhaltsam sein? Wo liegt die Perspektive des Zuschauers, beim Opfer oder beim Täter? Obwohl „Hostel“ und „Saw“ hier in einen Topf geworfen werden, kann man allein bei dieser Fragestellung völlig konträre Positionen erkennen. „Saw“ schlägt sich zwar nicht auf die Seite der Täter, doch argumentiert er aus Tätersicht. Jigsaw foltert um die Welt zu einem besseren Ort zu machen und seine Opfer sind meist bemitleidenswerte Egoisten ohne viel Persönlichkeit, die in ungemein kreativen Tötungsmaschinen nach langen Qualen sterben dürfen. Die Lust an der Kunst des langsamen Tötens ist das eigentliche Credo der „Saw“-Reihe, „Torture-Porn“ in Reinform also. Eli Roths „Hostel“ verfolgt dagegen eine ganz andere Perspektive. Das Foltern an sich steht ebenso wenig im Vordergrund wie eine moralische Legitimation. Das einzige was beide Filme eint ist der Schmerz.

Die Möglichkeiten der Angst scheinen nach einem Film wie „Hostel“ sowieso grenzenlos, denn Eli Roth gelingt es das Genre auf eine neue Ebene des Terrors zu heben. Weder ein Jason, noch ein Freddy müssen hier vorbeischauen um zu filetieren. Gewalt und Angst lauern nun überall, fest verankert in der Gesellschaft. Das Geld zwingt Engel wie Teufel zur Kooperation. Dein bester Freund, dein Nachbar, die Zugbekanntschaft, der Rezeptionist, die Hotelbegegnung, alle sind in Roths Film Kollabolateure. Die Welt ist böse. Selbst unsere Protagonisten sind „Eingeweihte“. Sie erkaufen sich zu Beginn des Films ebenso Macht, wie sie später der reinen Ohnmacht ausgesetzt sind. In der grandiosen Exposition erzählt Roth mit Mitteln der Teenie-Komödie von der Geilheit Amerikas, den Stereotypen der alten Welt, dem Heterosexismus und der Übersetzung von Geld ins Fleisch, nur um sie dann mit mittelalterlichen Folterszenarien zu spiegeln.

Auf den ersten Blick prangert „Hostel“ somit nicht nur den Menschenhandel, sondern auch den globalisierten Kapitalismus an, der stets darauf bedacht ist, dass zu liefern, wofür irgendjemand bereit ist zu zahlen. Doch im Großen behandelt der Film den Ausbruch der Gesellschaft aus ethischen Grenzen. Es geht hier klar um Dominanz, den Wunsch Macht über einen anderen auszuüben, doch inwieweit ist das heute noch möglich? Auch darin wird der Kapitalismus reflektiert. Es mag gewiss stimulierend sein, wenn man ein Unternehmen führt, Geld verdient, Personal entlässt und noch mehr Geld verdient, doch letztendlich ist das nur eine Form der entfremdeten Dominanz. So als würde man seine Mahlzeit mit Besteck verzehren. Der Antagonist des Films jedenfalls isst sein Essen mit Händen. Er will fühlen, was da für ihn gestorben ist. Das Böse will sich von der Zivilisation emanzipieren, einen Menschen foltern, sein Innerstes nach außen kehren und völlige Kontrolle über seinen Körper gewinnen. Weg mit den Gesetzen! Weg mit der Moral! Tod dem Humanismus und her mit dem Bohrer! Nein, her mit den freien Märkten!

Wertung: 8/10


"Hostel"

US 2005

Eli Roth

mit Jay Hernandez, Derek Richardson, Barbara Nedeljáková


Ungeschnitten auf Blu-Ray und DVD erhältlich.


Sonntag, 15. Mai 2011

SCREAM 4

Wie Meta kann man sein? Diese Frage stellt sich Wes Cravens neuester Auswurf seines Scream-Franchises unaufhörlich und beweist, dass vierte Teile doch Sinn machen können.

Seit der letzten grausamen Mordserie in Woodsboro ist viel Zeit ins Land gegangen. Sidney Prescott hat sich gut erholt und ist auf großer Buchtour, da sie sich seit Jahren nur noch dem Schreiben widmet. Doch als Sidney wiederkehrt, erfährt sie, dass erneut zwei High-School-Schülerinnen brutal ermordet wurden. Die Geistermaske hat wieder zugeschlagen und ein neuer Albtraum beginnt.


„Terminator: Salvation“, „Alien – Resurrection“, „Die Hard 4.0“, „Indiana Jones and the Kindom of the Crystal Skull“, die Liste von Hollywoods Trilogie-Durchbrüchen ist lang und bekanntlich unbeliebt. Ich wage mal die Behauptung aufzustellen, dass es keinen vierten Teil gibt, der in irgendeiner Form den vorherigen Filmen das Wasser reichen könnte. Trotzdem sind in den letzten Jahren die verspäteten Fortsetzungen, so nenne ich sie mal, wie Heuschrecken über uns gekommen. Teilweise sogar mit beachtlichem Erfolg, was die Chancen auf einen fünften Teil umso wahrscheinlicher macht, was allerdings sehr, sehr selten vorkommt, jedenfalls bei Blockbustern. „Indy 5“ soll ja irgendwann kommen, wenn es nach George Lucas gehen würde. „Die Hard“ scheint endlich vorbei zu sein. Einen fünften Teil von „Alien“ wünschen sich zwar viele Fans, aber davor schreckt sogar Hollywood zurück und der nächste „Terminator“-Film wird, ganz seltsam, ein neuer dritter Teil werden. Über die Vier kommen die wenigsten hinaus und selbst die wird immer mehr gemieden. Der neue Trend sind Prequels und Remakes, neuerdings Reboots. Ob „X-Men“ oder „Spider-Man“, sie alle trauen sich nicht die Trilogie zu durchbrechen, sondern schreiben sie entweder komplett neu oder fügen ein Preludium hinzu.

Dieser Trend ist natürlich auch nicht am Horrorfilm spurlos vorbeigegangen. Vor „Scream“ war das Zeitalter der großen Reihen, „Halloween“, „Nightmare“ und „Hellraiser“ verdienten ihre Brötchen in erster Linie durch ihre schon fast lächerliche Anzahl an Fortsetzungen. Nach „Scream 3“ kam der Remake-Wahn. Japan-Horror und Americas New Horror der 70er waren die Zielscheiben. Schade für das Genre war der Prestige-Status dieser Produktionen. Die originellen Filme gab es ja weiterhin, aber die Marketing-Macht lag bei den Remakes. Nur „Hostel“ und „Saw“ schafften den Sprung ins breitere Bewusstsein. Der erste war ein verkanntes Genre-Highlight und durfte, dank eines gewährten zweiten Teils, nochmal ordentlich aufdrehen. Der letztere war eher ein überraschendes Thriller-Debüt und wurde durch seine sechs Fortsetzungen immer uninteressanter. Dennoch, das originelle Horrorkino lebt weiter, seit ein paar Jahren vornehmlich in Frankreich und das sogar mit internationalem Erfolg. Die heutige Genre-Landschaft ist enorm vielseitig. Allein ein Besuch beim Fantasy-Filmfest beweist das. Von Kunst bis Trash kann man dort alles finden, ob nun Remake, Sequel oder erster Teil.

Und jetzt ist „Scream 4“ da, gegen jede Regel und gegen jedes Klischee. Die vierten Teile sind out, biedere Slasher sowieso und Meta-Sein ist auch ein alter Hut. Trotzdem leisten sich Williamson und Craven nach elf Jahren einen Trilogie-Durchbruch, der gleichzeitig einen Neu-Beginn darstellen soll. Denn angeblich ist „Scream 4“ der Auftakt einer neuen Trilogie mit einer neuen Generation. In Anbetracht des mäßigen Erfolgs des Films darf man aber hoffen, dass das ein leeres Versprechen bleibt, damit sich „Scream“ nicht auch noch so zu Tode läuft wie andere Genre-Konsorten.

Obwohl man „Scream“, wie keine andere Reihe, unendlich fach fortsetzen könnte, so wie ein Kritiker, kommentieren Cravens Filme das Kino und speziell das Genre im zeitlichen Wandel. Das Horror-Kino von 1996 ist ein anderes als das von 2011 und so beginnt „Scream 4“ gleich mit einem Kommentar zum Thema Torture-Porn und steigert sich kontinuierlich. Allein in den ersten zehn Minuten köpft Williamsons Drehbuch alle Ausgeburten des aktuellen Genre-Kinos. Auf „Stab 6“ folgt „Stab 7“, die Film-im-Film-im-Film-Thematik hat sich zu Tode gelaufen. Der Meta-Scheiß war schon 1996 ausgelutscht. Mehr Blut, mehr Gewalt, mehr Twists kompensieren den Inhalt, den man schon zigfach gesehen hat, wo wir wieder beim Remake wären, dem sich „Scream 4“ hauptsächlich widmet. Cravens Film will mehr Reboot der Reihe sein als Sequel, aber, und das ist klar, will er ebenso die Remake-Techniken analysieren und die Unterschiede zum ersten Film verdeutlichen, was letztendlich nur in der Ausformung eines vierten Teils funktionierte.

So gibt es natürlich die bekannten „Final Three“, bestehend aus Sidney, Gale und Dewey, aber auch eine Menge neuer Charaktere, die alle irgendwie so wirken, wie das 2011er Update des ersten Films. Da gibt es eine neue Sidney und einen neuen Film-Buff, der sich mit den Regeln auskennt, den Regeln des Remakes in diesem Fall. Williamson und Craven schaffen es wieder vorzüglich die wilde Mixtur aus Whodunit, Slasher, Komödie und Metafilm zu brauen. Die Mordszenen haben sich auf ein vielfaches erhöht und fallen spürbar härter aus, obwohl der Film definitv nichts für Gorehounds ist, da sich Craven eine gewisse 90er Distanz gönnt.

Bei der Frage: „Wie Meta kann man sein?“, gelingt „Scream 4“ sogar eine Steigerung gegenüber seinem Vorgänger, der ja bekanntlich auf einem Film-Set spielte. Bei Teil 4 rückt die Meta-Ebene ironischerweise noch mehr in den Vordergrund, so weit sogar, dass sie auffällig die Handlung und die Motivationen der Figuren beeinflusst. Die Online-Generation sorgt nun mit ihren Webcams und Live-Chats für ihren eigenen doppelten Boden. Die Filmemacher stehen dem eher zwiegespalten gegenüber, was sich besonders im Over-the-Top-Finale offenbart. Wenn die Meta-Ebene im Vordergrund steht, dann wird auch das Publikum andauernd dazu gezwungen den Film als Film zu reflektieren, wodurch die guten Dialoge zünden, aber das Slashen harmloser gerät, was Craven mit reichlich Suspense und Blut zu kompensieren versucht.

Vierten Teilen wird ja gerne ein „zu viel“ unterstellt, z.B. versteckte sich Indiana Jones in einem Kühlschrank um einer Atombombenexplosion zu entgehen, was ihm auch gelang. Für viele war das eine bodenlose Peinlichkeit. Ich fand es großartig. Dieses Zu-Viel-Element ist nun als „Nuking the Fridge“ bekannt. In den Bereich einer Kühlschrank-Explosion kommt spätestens das Finalevon "Scream 4", wenn Williamsons Drehbuch alles vorherige ad absudum führt und die Regeln des Remakes konsequent zu Ende denkt. Auch wenn der Zuschauer es wieder einmal nicht schaffen wird den Mörder zu enttarnen, geschweige denn seine Motivation zu erraten, das Finale des vierten Teils ist das bisher zynischste, blutigste und witzigste zugleich.

Am Besten waren die Scream-Filme immer, wenn sie Bezug zur Wirklichkeit nahmen, wenn die Genre-Grenzen verschwammen und der Film offen die Frage stellte, inwieweit das Gesehene den Zuschauer beeinflusst („Macht es ihn gewalttätiger?“). Dieses Theorem durchzieht alle Teile und besonders im vierten Film wagen es Craven und Williamson eine scharfe und ehrliche Kritik zu formulieren, die zwar vielen alt-väterlich vorkommen wird, aber mit deren Wahrheit wir stets konfrontiert werden, wenn wir den Computer oder den Fernseher anschalten. Ghostface hat die Leinwand verlassen.

Wertung: 7,5/10


"Scream 4"
US 2011
Wes Craven
mit Neve Campbell, Courtney Cox, Emma Roberts

Nur im Kino!