Freitag, 11. November 2011

A DANGEROUS METHOD


Nach dem routinierten "Eastern Promises", liefert der kanadische Meisterregisseur David Cronenberg einen Film ab, der sich mit dem Aufbrechen von Mustern auseinandersetzt und der gleichzeitig in seinen eigenen gefangen bleibt.

Carl Gustav Jungs neue Patientin, Sabina Spielrein, leidet an aggressiven und hysterischen Anfällen. Um sie zu kurieren, wendet er eine Methode Sigmund Freuds an, die nach und nach nicht nur die verschütteten Leidenschaften Sabinas offen legen, sondern auch seine eigenen.

Den Menschen überwinden, zum Guten wie zum Schlechten, das war der Kern vieler Cronenberg-Filme. Der bekannte Ausspruch "Lang lebe das neue Fleisch!" belegt das zweifellos. Auch in "A Dangerous Method" geht es letztendlich darum dem Menschen den Spiegel vorzuhalten und das Bild, was er sieht, zu verändern, nur diesmal hält unser aller liebster Kanadier die körperliche Ebene heraus. Die Reise geht in die Tiefen unserer Psyche, jedenfalls behauptet das der Film.

Es ist ein Film der Behauptungen, der großen Worte, geworden. Christopher Hampton adaptierte sein eigenes Theaterstück für Cronenberg, aber was wurde da eigentlich adaptiert? Wahrscheinlich wurden viele Szenen einfach nur an verschiedene Orte verlegt, damit das Ganze filmischer wirkt. Ein Stück "lüften", so nannte es Hitchcock und riet davon ab, denn gerade die Einheit von Ort und Zeit machen ein Theaterstück stark und verfilmenswert. Filme wie "Bug" oder "Death and the Maiden" sind bekannte Positivbeispiele.

Doch Hamptons Drehbuch geht auf eine Besichtigungstour durch Wien, ja sogar bis nach Amerika. Wen würde es stören, wenn es wenigstens gut getrickst wäre. Die schlechten Bluebox-"Effekte" erinnern dann doch mehr an Theater als an Film. Die Lüftung des Stücks ist nicht unbedingt ein großer Nachteil, aber die Art wie es gemacht wurde ist äußerst unkreativ. Allein wenn man bedenkt, was der frühe Cronenberg daraus gemacht hätte. Wenn C. G. Jung von seinen Träumen erzählt hätte, er hätte sie nicht einfach nur erzählt, der Zuschauer wäre mit ihm abgestiegen in seine Traumwelt und die Grenzen zwischen Realität und der eigenen Wahrnehmung wären zunehmend verschwommen. Der Film gibt oft Gelegenheit dazu, es geht schließlich auch um das Unterbewusste.

Aber Cronenberg, Hampton und Suschitzky entschieden sich für eine gänzlich nüchterne Erzählung, wobei das nichts neues ist. Seitdem Cronenberg mit Suschitzky zusammenarbeitet, ergänzen sich ihre Unterschiede fabelhaft. Während Cronenbergs Inszenierungen beinah explodieren vor Subtext, Sex und Körperlichkeit, geht Suschitzkys nüchterne Kamera fast schon klinisch an die Geschichte heran, nur wenige bewegte Aufnahmen, klare gerade Linien, fahle Farben. Dadurch wirkte die Gewalt in Cronenbergs Filmen auch immer so brutal. Die Kamera filmte einfach ab, fast wertungslos.

Diese Reibungen sind nun verschwunden. Cronenberg inszeniert Hamptons Script nach den Manieren der damaligen Zeit und Suschitzkys Postkarten-Ästhetik gaukelt dem Zuschauer ein stets sonniges und blauhimmeliges Österreich vor. Vielleicht will der Film von einer vermeintlich heilen Welt erzählen, außern hui, innen pfui, sozusagen, doch er gibt filmisch gesehen wenig Hinweise darauf. Selbst die wenigen Sexszenen sind (für einen Cronenberg) äußerst bieder inszeniert. Da erstaunt es schon, dass sich gerade die Kamera dann doch öfter hinauswagt, um wenigstens ab und zu die Geschichte zu unterlaufen, indem sie z.B. Figurenkonstellationen durch Tilt-Shift-Objektive begreifbar macht, sie verzerrt und aus dem üblichen Rahmen herausfallen lässt. Diese Einstellungen tauchen öfter auf, besonders eindringlich ist sie bei Jungs Experiment am Anfang des Films, die einzige Szene, die den gewissen Cronenberg-Touch besitzt.

Am besten begreift man "A Dangerous Method" als einen akademischen Film, was auch immer man sich darunter vorstellt. Die Theorien der beiden Psychoanalytiker, die im Laufe des Films immer mehr auseinander driften, bringt der Film verständlich, aber wortlastig rüber, wobei wirklichen Psychologiefreunden wahrscheinlich ein Aha-Effekt verwehrt bleibt.

Hamptons Script erzählt eine erwachsene Geschichte und Cronenberg filmte sie nüchtern ab. Der Verdacht einer Auftragsarbeit liegt nahe, obwohl der Stoff so zu ihm passt. Seine Schauspielarbeit bleibt trotzdem famos. Zu Knightley kann man stehen wie man will, doch einem Starlet, das beschließt verrückt zu spielen, wird oftmals Over-Acting unterstellt, ohne zu bedenken, dass es in der Realität viel schlimmer sein kann. Keira macht ihre Sache gut, besonders in der zweiten Hälfte des Films. Viggo Mortensen lässt den Zuschauer vergessen, dass mal Christoph Waltz für die Rolle vorgesehen war. Freud wirkt unglaublich sympathisch und einnehmend und bleibt dennoch eine ambivalente Figur. Sein schulmeisterischer Anspruch wechselt stets zwischen Stärke und Schwäche, seine Autorität ebenso. Dennoch gehört dieser Film Michael Fassbender, der Jung zum eigentlichen Highlight macht. Er kommt in der ersten Hälfte noch recht langweilig daher. Die zweite Hälfte ist sowieso in allen Belangen besser. Hamptons Geschichte braucht sehr lange um in Gang zu kommen. Erst wenn alle Konflikte lebendig sind, brodeln sie knisternd unter der Oberfläche der belanglosesten Dialogszenen, wodurch der Film erst seine Spannung erhält. Fassbenders Figur driftet dann zunehmend in sein inneres Chaos ab. Der Film macht das fast nie sichtbar, Fassbender tut es zu jeder Zeit.

Es ist ein Film über den Beginn der Psychoanalyse geworden, zwischen Wissenschaft und Hokus-Pokus am Fallbeispiel C.G. Jungs. Die Geschichte wirkt selten wie ein dramatisches Stück, mehr wie ein Bio-Pic, eine historische Rekonstruktion im TV-Format. Irgendwie wird da von einer vergangenen Welt erzählt, die kurz vor ihrem Scheitelpunkt stand. Es werden Fragen zu Gleichberechtigung und Antisemitismus gestellt. Der Blick in die Zukunft, was unsere Vergangenheit ist, spielt eine große Rolle und natürlich ist da noch die Vision vom Menschen, der sich in das verwandeln kann, was er sein will, wo wir wieder bei Cronenberg wären, den man ansonsten hier mit der Lupe suchen muss. Talking Heads, hin oder her, Hamptons vielschichtiges Script lädt ins Theater ein, doch das Kino ist für einen Film wie diesen eher der falsche Ort.

Wertung: 5/10


"Eine dunkle Begierde"
CA, DE, GB 2011
David Cronenberg
mit Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen

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