Lasst alle Helden bei mir sein!
Thors Bruder Loki (Tom Hiddleston) kehrt zurück auf die Erde. Er stiehlt den Tesserakt, einen Würfel mit unendlicher Energie, um ein Portal zu bauen, damit seine Alienarmee auf die Erde kommen kann und die Menschheit unterjocht. Nick Fury (Samuel L. Jackson) reaktiviert daraufhin die Avengers-Initiative, einen Verbund, der mächtigsten Superhelden der Welt.
Wagt man einen Blick zurück, zum Anbeginn der Comic-Kinowelle, auf das Jahr 2000, damals erschien Bryan Singers "X-Men", so hat man heute einfach den Überblick verloren. Man fragt sich nur noch: Welcher Superheld wurde eigentlich noch nicht verfilmt? Anscheinend gibt es nicht mehr so viele, sonst würde man "Spider Man" nicht rebooten und "The Avengers" wäre wohl auch nicht entstanden.
Seit "X-Men" hat sich das Comic-Kino sehr verändert. Was früher als Kassengift galt, ist heute ein sicheres Pferd in Hollywood. Auch der Umgang mit den Stoffen hat sich verändert. Anders als bei einer Literaturadaption, bin ich bei einer Comicumsetzung an visuelle Vorbilder gebunden. Schwierig ist dennoch der Unterschied zwischen Realperson und gezeichneter Figur. Wo im Comic ein buntes Heldenkostüm mit Strapsen und Cape schulterzuckend hingenommen wird, ja sogar Teil einer langentwickelten amerikanischen Comic-Geschichte ist, die mit Farben arbeitet, wie keine zweite Kultur, während in Japan Manga immernoch schwarz-weiß ist, erscheinen derartige Ausstattungen im Kino wie eine leibhaftige Varieté-Show, da aber hinter jeder guten Comicvorlage stets eine große epische Erzählung steckt, waren auch gerade die seriösen Perspektiven von Comicverfilmungen reizvoll, was durch buntaufgetakelte Superhelden leicht hätte korrumpiert werden können. Schon Tim Burton verabschiedete sich in den 90er Jahren lautstark vom Adam-West-Batman und schuf eine düstere und hochdramatische Comicsymphonie. "X-Men" tat ähnliches, entsättigte die Kostüme und fasste alle Sci-Fi-Elemente in ein Glas-Beton-Stahldesign. Als Höhepunkt dieser Entwicklung können Christopher Nolans "Batman"-Filme angesehen werden. Ein Backlash war die Folge. Batman habe sich schon so weit von seiner Vorlage entfernt, dass der Comiccharakter komplett verschwand, lautete das Urteil vieler Fans.
Das hat Hollywood, speziell Marvel verstanden. Seit der ersten hochgelobten Eigenproduktion "Iron Man", arbeitet das Studio an einem "Cinematic Universe", zu dem nicht nur die "Iron Man"-Filme, sondern auch "The Incredible Hulk" von 2008, "Thor" und "Captain America: The First Avenger" gehören. Alle diese Filme sind teil einer neuen filmischen Welt, die nun mit Joss Whedons "The Avengers" ihre Vollendung erfährt. Man könnte sagen, wir sind in der Comicfilm-Postmoderne angelangt, denn nach zahlreichen ästhetischen Experimenten, wie "Sin City" oder Ang Lees "Hulk" von 2003, gibt es keine Ängste mehr. Das Publikum nimmt nun Superhelden in bunten, wie auch in schwarzen Kostümen ernst. Die bekannten narrativen Muster des Mythos, denen sich jeder Superheldenfilm bedient, haben auch schon die Zuschauer verinnerlicht, was Auslassungen in den Erzählungen möglich macht, was wiederum Raum für mehr Schauwerte, wie sie das Blockbusterkino benötigt, schafft.
Bei einem Film wie "The Avengers" kann man sowieso schlecht von einer Comicverfilmung sprechen. Nur ein Bruchteil des Publikums kennt die Vorlagen. All diese Figuren haben sich bereits emanzipiert und sind fest im Kino angekommen. Joss Whedon, bekannt als Drehbuchautor und TV-Serienschöpfer, hat nun nach "Serenity" mit "The Avengers" seinen zweiten Kinofilm gedreht und damit den ersten richtig guten Sommerblockbuster des Jahres geliefert.
Wenn man Joss Whedons bisherige Arbeit betrachtet, erstaunt es wie selbstverständlich sein Actionkino funktioniert. Das woran Kenneth Branagh mit "Thor" kläglich gescheitert ist, also mitreißend zu Erzählen, das gelingt "The Avengers" über 143 Minuten hinweg. Whedon schrieb selbst das Drehbuch und ohnehin wirkt "The Avengers" stets wie ein Autorenfilm. Da ist zum einen die sympathische Entscheidung des Bildformats von 16:9. Alle vorherigen Marvelfilme waren in Cinemascope. Das 16:9-Format ähnelt nicht nur Whedons Fernseharbeiten, sondern ist für Actionfilme ohnehin das bessere Format, da es nicht nur genug Raum in der Breite, sondern auch in der Höhe hat, was vorallem dem Showdown in Manhattan gut tut. Dazu gesellt sich Whedons Vorliebe für Ensembles. "Buffy", "Firefly", ja fast alle TV-Serien arbeiten mit großen Ensembles. Was im Fernsehen selbstverständlich ist, muss nicht fürs Kino gelten. Dennoch lebt "The Avengers" in erster Linie durch die Konflikte dieser völlig unterschiedlichen Helden und das Drehbuch nimmt sich ungemein viel Zeit für Dialoge und Charakterzeichnung. Es fällt einfach schwer irgendeine Figur nicht in sein Herz zu schließen, sei es der rüpelhafte Hühne Thor oder der Playboy Tony Stark aka Iron Man. Besonders gefiel mir aber Bruce Banner alias Hulk. Mark Ruffalo hat sich hiermit zur besten Besetzung dieser Figur empfohlen, zumal Whedon die Auftritte des Hulks auf ein Minimum beschränkt und Banners Tätigkeit als Wissenschaftler in den Fokus rückt.
Diese Rächer wirken wirklich wie eine Superhelden-WG, die sich zusammenraufen muss, ähnlich wie Buffy und ihre Freunde in Whedons bekannter TV-Serie und nicht von ungefähr wirken irgendwie alle Figuren, seien sie auch noch so alt, ein bisschen wie Teenager, was der primären Zielgruppe dieses Films zugute kommt. Eigentlich vernachlässigt das Drehbuch nur eine Sache, nämlich die Hintergründe. Was das nun genau für ein Ding ist, dieser Tesserakt und wer die Mächte hinter Loki sind, das lässt das Drehbuch einfach im Dunkeln und es ist letztendlich auch egal. Das sind doch alles nur MacGuffins.
Wenn man mal davon absieht, dass dieser Film eigentlich nichts zu erzählen hat und seine Imperialismus-Kritik schwer auf das heutige Amerika anwendbar ist, so hat Joss Whedon dennoch alles richtig gemacht. "The Avengers" ist brillant inszeniert, in jedweder Richtung. Allein die Endschlacht in New York dürfte Michael Bay vor Angst erzittern lassen und das von einem Regisseur der so etwas das erste Mal macht. Die Dialoge sind klug und ungemein witzig, sodass der Film als Komödie vielleicht noch eine bessere Figur macht, denn als Actionfilm. Wer keine Angst vor grandioser Unterhaltung hat, der geht einfach ins Kino. Die 3D-Brille stört nicht, ist aber auch nicht unbedingt nötig. Hier ist endlich das Superhelden-Epos, was alle anderen Superhelden überflüssig macht.
Wertung: 7/10
"Marvels The Avengers"
US 2012
Joss Whedon
mit Scarlett Johansson, Mark Ruffalo, Robert Downey Jr.