Samstag, 19. Juni 2010

HOSTEL: PART II



Fortsetzungen sind ja bei Horrorfilmen so eine Sache. Schließlich sind die guten Horrorfilme nichts anderes als die schlimmsten Albträume und welche Person, die von einem schweißtreibenden Albtraum aufwacht, schläft gerne wieder ein um weiter zu träumen?

Bei Filmen machen wir das aber anscheinend gerne. Anders lässt es sich nicht erklären, dass manche Horrorfilme unendlichfach fortgesetzt werden. Die Qualität nimmt dabei meistens ab, leider. Trotzdem, ein guter Horrorfilm, wie "Hostel" zum Beispiel, hat es verdient fortgesetzt zu werden. Das Potenzial war da, Eli Roth hat es genutzt.

Zu allererst resetet er den Plot. Der Held des ersten Teils muss verschwinden. Roth schließt scheinbar nahtlos an, schockt den Zuschauer kurz, nur um dann doch alle Versprechen wahr zu machen. All das Leid und die Spannung, die man durch Paxtons Augen in "Part One" erlebt hatte, sollen sich als nutzlos erweisen. Das ist der Preis der Fortsetzung. Sie kann ein Happy-End revidieren.

Neues Spiel, neues Glück, nun werden 3 neue Figuren ins slowakische Rennen geschickt und diesmal sind es Frauen, was die Machtstrukturen und Interpretationsmöglichkeiten des "Part One" in völlig neue Muster rückt. Es mag bescheuert sein, auf den ersten Blick, einfach die Männer durch Frauen zu ersetzen, aber bei "Hostel" ändert das schon gehörig viel. Allein das hätte schon für den "Part Two" gereicht. Zusätzlich gibt uns Roth noch einen tieferen Einblick in die Welt der Täter. Was ist das für eine Organisation, was sind ihre Mitglieder und wie bereiten sich die Kunden auf ihr Rendez-vous vor?

Anhand von zwei Freunden, der eine will sich als Mann fühlen und muss dafür eine Frau zu Tode foltern und der andere versucht krampfhaft zu verstehen, warum er so was überhaupt machen will, untermauert Roth nochmal die Gültigkeit seiner obskuren Welt. Wer sich noch nach dem ersten Teil gefragt hat, wie gestört die Täter eigentlich sein müssen, wird nach Teil 2 anerkennen, dass es schon fast etwas konservatives an sich hat. Die Nachfrage ist leider höher als erwartet und das macht es umso realer.

Clevererweise hat Roth seinem Filmtitel ja nur ein simples "Part II" angehängt, denn wie etwas ganzes fühlt sich das auch nicht an. Dieser Film ergänzt wirklich nur den ersten Teil um viele Aspekte, er vertieft, wagt machmal mehr und soll all das erzählen, was im ersten Teil zu kurz kam. Somit könnte man "Part One" und "Part Two" als Ganzes betrachten. Sie vervollständigen sich. Würde man Teil 2 nicht das höhere Budget ansehen, wären sie sogar stilistisch wie Zwillinge.

Eigentlich macht "Part II" vieles besser als Teil 1, nur fehlte mit dem Vorwissen dieser Reiz des Neuen. Während man sich bei "Hostel" nie sicher war, wohin die Reise wirklich geht und man mit derbem naturalistischen Splatter in den Sessel gepresst wurde, erlebt man die Geschehnisse des zweiten Teils eher aus einer distanzierteren Position, zwar schockieren die Folter-Exzesse immernoch, aber man fühlt sich seltener wie mit auf den Stuhl geschnallt.

Wertung: 7/10


"Hostel 2"
USA, 2007
Eli Roth
mit Laura German, Roger Bart, Heather Matarazzo


In Deutschland gibt es 2 DVD-Fassungen. Im Vergleich zur amerikanischen Unrated-Fassung fehlen in der Kinofassung mehr als 2 Minuten, beim Extended-Cut sind es lediglich 7 Sekunden. Während es die Kinofassung frei erhältlich und sogar auf Blu-Ray zu kaufen gibt, bekommt man den Extended-Cut nur unter der Ladentheke. Ich empfehle natürlich nur die US-Unrated-Fassung. Wer es in deutsch braucht, sollte natürlich zum Extended-Cut greifen. Genauere Infos über die Unterschiede der einzelnen Fassungen gibt es hier.


Mittwoch, 16. Juni 2010

TO LIVE AND DIE IN L.A.



Ein begabter Künstler verbrennt seine Bilder, weil er sie nicht für gut genug hält, obwohl viele etwas anderes sagen, für ihn sind sie es nicht. Er hört zwar auf "seine" Bilder zu malen, aber er hört nicht auf Künstler zu sein. Er sucht sich eine andere Herausforderung. Er fängt an Geld zu drucken, es nachzuahmen, zu imitieren, was weitaus schwieriger sein kann als "eigene" Bilder zu malen. Die perfekte Kopie als Kunstwerk. Ein lukratives Geschäft noch dazu und dennoch, wenn der Schwindel droht aufzufliegen, endet auch das im Feuer. Alles endet im Feuer!

Diese paar Zeilen charakterisieren einen faszinierenden Schurken, gespielt von Willem Dafoe, aus William Friedkins Polizei-Epos "To Live And Die In L.A.". Die relativ einfache Handlung über einen Cop, dessen Partner von einem Geldfälscher ermordet wird und deshalb Rache schwört, vergrößerte Friedkin mit der Kameralinse auf epische Ausmaße. Dieser Film lebt von seinen Fußnoten, Randgeschichten und Nebenfiguren, besonders von Willem Dafoe, ebenso von seinem Stadtbild und Zeitkolorit.

Los Angeles ist hier Dantes glühendes Inferno, eine Industrie- und Autobahnhölle. Keine romantischen Hollywood-Hills und verzierten Sunset-Boulevards mehr, sondern staubige, breite Straßen, flirrendes Rotlicht, Prostitution, Kunst, Drogen, Kriminalität vermengt in einem Konzentrat, was sich Leben nennt.

Dabei bleibt der Film eine Liebeserklärung an seine Stadt ohne sie zu glorifizieren. Friedkin zeigt L.A. so wie es war, ein anonymer, pumpender Moloch, in dem geliebt und getötet wird. Dazu lieferte Robby Müller die passenden dokumentarisch-anmutenden Bilder. Hitzflimmern bei Sonnenuntergang, wacklige Zoom-Aufnahmen von Elektrizitätswerken, jedes Bild scheint mit einem Maximum an Atmosphäre aufgeladen, als wäre die Luft wie Gelantine, als könnte alles im nächsten Moment vor Erschöpfung zusammenbrechen.

Die Handlung verläuft chronologisch ebenso einem Nullpunkt entgegen, ganz wie es sich für eine Tragödie um Rache, Verrat und Täuschung gehört, die nur zufällig im Cop-Millieu spielt. Schon von Anfang an, weiß man wie dieses Todesroulette endet.

Von der grandiosen Vorspann-Sequenz bis zum allesverschlingenden Feuer, zeigt der Film nichts anderes als eine tiefe Bewunderung für das Endliche, das Nicht-Absolute, das Nicht-Perfekte, das respektabel Menschliche.

Wertung: 8/10


"Leben und Sterben in L.A."
USA, 1985
William Friedkin
mit William Petersen, Willem Dafoe, John Turturro



Auf DVD & Blu-Ray in sehr guter Qualität, aber leider ohne Extras, erhältlich.


Montag, 14. Juni 2010

SPLICE



Natalis Familiedrama "Splice" ist ein Experiment (wie alle seine Filme). Äußerlich auf den Pfaden des Sci-Fi-Kinos wandelnd, kristallisiert sich mit zunehmender Filmdauer eine Vielzahl von Strömungen heraus und ähnlich wie bei Cronenberg werden diese unterschiedlichen Stimmungen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern sie tragen zum Gesamt-Ton bei. So verwundert es nicht, dass "Splice" überhaupt gar keinen Bock darauf hat, sich auf sein Genre reduzieren zu lassen.

Adrien Brody und Sarah Polley passen chemisch sehr gut zusammen. Schon auf dem Papier hat Natali den beiden Hauptfiguren eine enormen Überbau an Motivationen, Hintergründen und Ambivalenz aufgeladen. Den beiden Charakterdarstellern wiederum gelingt es spielend leicht ihre Figuren vom Papier zu lösen und zum Leben zu erwecken. "Splice" funktioniert nur, weil Brody und Polley funktionieren. Anfangs gönnt sich der Film einen wohltuenden ironischen Unterton, garniert mit splattrigen Einlagen und nerdigen Witzen. Erst gegen Ende, verabschiedet sich Natali von allem Schmückenden und lässt nur noch seine Figuren stehen.

Vielleicht leidet "Splice" unter seiner heftigen Überkonstruiertheit, die nunmal zu einer Versuchsanordnung dazu gehört. Jedenfalls lässt Natali selten eine Möglichkeit zur Dramatisierung ungenutzt. Jede Andeutung wird auch eingelöst. Eine sexuelle Anspielung reicht nicht allein, sie muss eskalieren. Da leistet sich der Film Schwächen, nicht weil er seine Familientragödie bis zum Inzest zu Ende denkt, sondern eher, weil es vorhersehbar bleibt. Eine wirkliche Story-Wendung, die man im Genre erwartet, kann der Film nicht liefern. Selbst den Moment, wenn sich "Splice" zum waschechten Monsterfilm wandelt, hat der Zuschauer schon erwartet.

Es bleiben ganz andere Qualitäten, z.B. Delphine Chanéac. Sie spielt Dren, das Mischwesen, die hybride Schönheit. Ihr differenziertes Spiel sorgt für komische Gänsehaut. Mit glaubhaften kindlichen Zügen und einer tierischen Erotik bewegt sich Dren immer auf dem schmalen Grat zwischen Monster und Mensch, wobei man garnicht so recht sagen kann, welche ihrer Eigenschaften für was verantwortlich sind. In erster Linie wird klar, dass man das Monströse ebenso im Menschen finden kann, wie umgekehrt. Das trifft vielleicht auf das Elternpaar noch eher zu. Besonders Sarah Polleys Figur geht ganz eigene tragische Wege. Da zeigt der Film sogar größtes Feingefühl und man kann Natali nur dankend die Hand schütteln dafür, dass er das Kindheitstrauma der Mutter nicht an die große Glocke gehängt hat. Hier bleibt es mal bei ein paar Anspielungen, die dadurch noch viel stärker wirken.

Was macht uns zu einem guten Menschen? Unsere Erziehung oder unsere Gene? Ist Drens aufkeimende Aggresivität eine Ausprägung ihrer Gene oder liegt das eher an den repressiven Erziehungsmethoden der Nerd-Eltern? Inwieweit gibt die Mutter die Gewalt weiter? Was haben die sexuellen Spannungen zwischen Vater und Tochter damit zu tun. Stellenweise reift "Splice" bei diesen Fragen zu wahrer Größe, weil er eben auf gründliche Charaktere setzt, die die teils derbe Handlung zusammenhalten.
Die vielen negativen Kritiken kann ich stellenweise sogar nachvollziehen, aber jetzt mal ehrlich, deswegen eine schlechte Bewertung zu geben, da rebellieren meine Gene dann endgültig.

Wertung: 7,5/10


"Splice - Das Genexperiment"
USA, 2009
Vincenzo Natali
mit Adrien Brody, Sarah Polley, Delphine Chanéac


Nur im Kino!


A SINGLE MAN


Wenn Mode-Designer anfangen Filme zu drehen, dann muss die Oberfläche glänzen. Wer tiefer gehen will, sollte sich bei "A Single Man" auf Hindernisse einstellen.


Tom Ford fährt in seinem Regie-Debüt alle Gestaltungsmittel auf, die es gibt, aufwendige Kadragen, Zeitlupen, Shutter-Effekte, wohl komponierte Szenenbilder im Einklang mit schönen Kostümen. Die Kamera arbeit praktisch jede Brennweite mindestens einmal ab und der Einklang von Bild und Ton sucht die vollendete Note.
Es geht ums ganze, um den perfekten Film, wo jeder Frame nötig, wichtig und für sich sich selbst stehen kann, doch nur in der Bewegung sein wahres Gesicht offenbart.

Es ist das Streben des Designs perfekt zu sein. Die Kunst hat nicht diesen Anspruch, was nicht heißt, dass Design nicht auch Kunst ist.

Tom Ford, eigentlich Designer, sucht nun diese Form des Gleichgewichts im Film, er macht keinen Film, er designt ihn. Was Robert Wilson mit dem Theater macht, dass macht Tom Ford mit dem Film. Er ist nicht der erste, aber er kommt vom Fach, was einen genaueren Blick auf "A Single Man" spannend macht.

Ein ehemaliger Kino-Designer war der große Stanley Kubrick, dessen obsessiver Perfektionismus bis zum Schluss unbefriedigt blieb. "Ich wäre ja schon glücklich, wenn ich nur 50% von dem was ich mir vorstelle, realisieren könnte." soll Kubrick mal gesagt haben und das bringt es auf den Punkt. Es ist wie der klassische Kampf Don Quichottes gegen die Windmühlen, aber es ist nötig. Der Filmemacher muss gegen die Windmühlen kämpfen, sonst kommt kein guter Film dabei heraus.

Das hat Tom Ford verstanden und das setzt er auch mit beinah zersetzender Strenge durch, wodurch "A Single Man", gemein ausgedrückt, wie ein überlanger Gucci-Spot wirkt. Auf der anderen Seite beeindrucken die wirklich erstklassigen Leistungen der Schauspieler, wobei man sich fragen darf, wie Ford das gemacht hat oder eher wieviel er gemacht hat. Colin Firth erarbeitet sich mit seiner Darstellung eine Jahrhundertperformance und bringt es fertig mit einem Lächeln mir Tränen in die Augen zu treiben. Bei aller überstrapazierten Ästhetik funktioniert die emotionale Kommunikation also erstaunlich gut.

Ebenso wichtig wie herausragend für den Film ist der Einsatz seiner Requisiten. "A Single Man" ist ein ganz und gar materieller Film. Der Revolver ist genauso wichtig wie der Charakter, der ihn verwendet. Ohnehin liebe ich die schon fast ikonografische Einstellung, wenn eine Pistole aus einer Schublade hervorgeholt wird und "A Single Man" zelebriert dieses Bild. Sei es eine Zigarette, eine Krawatte, eine Flasche Gin oder ein flauschiger Pulli. Die Requisiten spielen mit den Schauspielern oder umgekehrt? Es ist schon fast spirituell, wie Tom Ford es schafft toten Objekten Leben einzuhauchen, sie anzuordenen und in Szene zu setzen. Das kann vielleicht nur ein Designer und selbst Kubrick verstand es nicht, z.B. der Axt in "Shining" mehr Sinn zu geben als der Plot benötigt.

Vielleicht lenkt "A Single Man" durch seinen Materialismus von der Handlung ab. Die Story erschien mir nachhinein doch recht fade und die politischen Ansätze wurden eher angerissen als ernst diskutiert. Selbst die visuelle Ästhetik hat sich Ford bei anderen Filmen abgeguckt. "A Single Man" ist letztendlich postmodern und selten originell, wie die heutige Mode. Allerdings schafft Tom Ford es Dinge zum Sprechen zu bringen, dass fehlte doch noch, oder?

Wertung: 6,5/10


"A Single Man"
USA, 2009
Tom Ford
mit Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult


Nur im Kino!


VREDENS DAG



Nachdem Dreyer über 10 Jahre wieder als Journalist arbeiten musste, ohne einen einzigen Film zu drehen, bekam er Anfang der 40er endlich wieder die Chance.
Das historische Drama "Tag der Rache" ist eigentlich Dreyers erster Tonfilm, lässt man seinen letzten Film "Vampyr" (1932) außer Acht, der zwar schon als Tonfilm gilt, praktisch aber auf jeden Dialog verzichtet.

Eigenartig an "Tag der Rache" ist, dass Dreyer seine stilistischen Stärken eher missachetet. Anstatt den inhaltlich todernsten Film mit konstanter Vehemenz in statische Tableaus zu fassen, experimentiert der Film mit den Möglichkeiten von Kamerafahrten, die von Dreyers Seite aus für Lebendigkeit sorgen sollen, leider aber enorme Brüche erzeugen und wie eine schlechte Anlehnung an den damaligen Zeitgeist wirken. Dabei ist doch klar, dass Dreyer seiner Zeit stets vorraus war und wo die damalige Regie-Elite sich an Studiobauten, Kameratricks und aufwendiger Musik ergötzte, drehte Dreyer lieber seine Filme an echten Schauplätzen, in wenigen langen Einstellungen und verzichtete größenteils auf Musik. Zwar ist Dreyers Stilwillen immernoch zu sehen und begeistert besonders in den Innenraumszenen, die nur mit wenigen Schauspielbewegungen und Raumveränderungen funktionieren, dennoch merkt man die zittrige Hand des Filmemachers nach 10-jähriger Abstinenz.

Die Handlung von "Tag der Rache" ist reich an Ebenen und komplexen Charakteren. Anhand einer Pfarrersfamilie wird die europäische Hexenverfolgung bebildert, ohne jeglichen Eventcharakter. So verzichtet Dreyer auf sichtbare brüllende Mengen, die den Tod der Frauen herbeijubeln. Viel eher entpuppt sich dieses Massenmordphänomen als ein Ventil privater Dilemmata, familiärer Tragödien, die mit dem Scheiterhaufen enden. Wichtig ist nicht, wie die Frauen misshandelt wurden, sondern, wie sie überhaupt in diese Lage kamen.

Oftmals zeigen sich leider die Schwächen des Drehbuchs, was, einfach gesagt, viel zu geschwätzig ist. Es wundert, dass bei Dreyers Stummfilmvergangenheit, der Film sich doch so stark auf seine Worte verlässt. Obwohl es oftmals Momente gibt in denen diese Geschwätzigkeit zur Atmosphäre und Authenzität beitragen, spätestens in den Liebesszenen fühlte ich mich bei soviel ausgeplapperter Gefühlsduselei erschlagen.

Wertung: 6/10



"Tag der Rache"
DK, 1943
Carl Theodor Dreyer
mit Thorkild Roose, Lisbeth Movin, Preben Lerdorff Rye



Den Film gibt es in der mehr als hochwertigen "Carl Theodor Dreyer Box" des Arthaus-Verlags. Bild & Ton sind dem Alter entsprechend tadellos und ein paar Extras gibt es auch.

Donnerstag, 3. Juni 2010

KICK-ASS



Vom "Sternenwanderer", Matthew Vaughns schrägem Kitsch-Märchen, ist in "Kick-Ass" nicht mehr viel zu sehen, doch gibt es ähnliche Schwächen zu entdecken. Obwohl Vaughn ein Händchen dafür hat bekannte Genres aus ihren Angeln zu heben, sie gegen den Strich zu bürsten und nicht in Verlegenheit gerät große Vorbilder nachzuäffen -hätte man denn nach "Herr der Ringe" einen Film wie "Der Sternenwanderer" erwartet?- so fehlt es immer an der letzten Konsequenz, dem Willen den Weg, den man eingeschlagen hat, auch zu Ende zu gehen und bei "Kick-Ass" sieht man das wieder deutlich.

Dabei beweist der Film in seiner 1. Stunde, warum er das Zeug zum Kultfilm hat, warum er das bessere "Watchmen" ist und warum Comic-Verfilmungen Sinn machen. Denn mal ehrlich, obwohl die Motivation des Helden aus seinen Comics heraus geboren wurde, wirkt das im Jahre 2010, in Zeiten von unzähligen Comic-Verfilmungen, TV-Serien und Videospielen reichlich überholt. Wer heutzutage sich von Superhelden begeistern lassen will, braucht kein einziges Comic aufzuschlagen. Dementsprechend könnte unser Held auch genausogut über Filme zu seiner Leidenschaft gefunden haben, aber getreu der Vorlage und dem nostalgischen Charme eines Comicbuch-Shops erliegend, sehe ich darüber hinweg. Das ursprüngliche "Kick-Ass"-Comic kann ich mir allerdings unbewegt schlecht vorstellen. Bei einer Geschichte, die sich um Medien-Terror und Voyeurismus dreht, eignet sich ein solch introspektives Medium, wie das Comic eher nicht. Ein Comic-Zeichner erschafft seine Welt mit Papier und Bleistift, aus sich heraus, da gibt es nichts voyeuristisches. Eine Kamera dagegen kann nur das filmen, was man ihr vorsetzt. Deshalb war es an der Zeit, dass "Kick-Ass" verfilmt wird, nicht als bewegtes Comic, aber als Comic-artiger Film.

Das hat Vaughn alles mit Bravour geleistet. Die vereinzelten Text-Boxen lassen das Nerd-Herz höher schlagen. Seine Exposition ist gezielt und scharf und mit genügend Verve stürzt sich Kick-Ass in die erste Metzelei.
Einem Mainstream-Film im Teenie-Milieu, garniert mit Litern würzigem Blut, fällt es leicht anzuecken. Schließlich nutzt Vaughn die Gewalt in "Kick-Ass" als Überraschungsmoment, wobei man sich schnell auf den Schlips getreten fühlt und laut "Gewaltverherrlichung!" brüllt. Dämlich! Gewaltverherrlichung funktioniert nur, wenn Gewalt positiv gezeichnet ist. In "Kick-Ass" hat die Gewalt bei aller Ästhetik und Cleverness aber immer dieses schockierende im Kern. Wenn Hit-Girl das erste Mal aufräumt, fragt sich doch jeder: "Geht das nicht ein bisschen zu weit?" Wenn man dann lacht, wirkt das wie ein "Ist ja nur Film...", mindert das aber die reale Gewalt? Nein!

Einen klaren Standpunkt erlaubt sich der Film im Bezug auf Voyeurismus. Wir sehen Gewalt, wir tun nichts dagegen. Gegen die Grausamkeiten auf der Leinwand können wir nichts ausrichten. Kino ist passiv. So ist es sinnlos, darüber zu spekulieren, warum es nötig ist Gewalt abzubilden, aber gleichzeitig zu verurteilen. Gerade die doppelten Böden machen "Kick-Ass" ja so spannend, das Schauen und das Wegschauen. Im Kino ist alles möglich.

Ein bisschen mehr Realismus hätte den Action-Sequenzen vielleicht gut getan. Macht es Sinn über eine Welt ohne Superhelden zu erzählen und gleichzeitig die Figuren übermenschliches vollbringen zu lassen? Gerade da zeigte sich die Vaughn-typische Unentschlossenheit. Will ich eine Dekonstruktion oder hyperreale Comic-Action, wie es sie schon x-mal vorher gab?

In Anbetracht der enormen Tiefe, die "Kick-Ass" als Hollywood-Film bietet, wirken die wenigen Anmerkungen von mir ein bisschen wie Meckern auf hohem Niveau und ich würde darüber auch gerne hinweg sehen, wenn die 2. Stunde nicht gewesen wäre.
Trotz brachialer und feuriger Unterhaltung, schlägt der Film eine Richtung ein, die wie ein Kniefall vor dem Mainstream wirkt. Anstatt die anfängliche Teenie-Komödie immer weiter zu zerlegen, bis der Film sich als die Tragödie entpuppt, die er sein sollte, verfällt "Kick-Ass" in bekannte Plot-Strukturen und arbeitet mit den gleichen Tricks wie alle anderen Comic-Verfilmungen auch, dazu gibt es die typische "Rettung-in-letzter-Sekunde", nachfolgend vom Happy-End, bis zum Türspalt der offen bleibt um ein Sequel durchzulassen. Alle Komplexität verfliegt für einen simplen Kampf von Gut gegen Böse. Interessante Figuren wie Big Daddy oder Hit-Girl verkommen zu Plot-Marionetten und Kick-Ass hat zum Ende eh keine tragende Rolle mehr.

Matthew Vaugh hat versucht mit aller Wut das Genre zu zerstören, doch irgendwie hat er es sich auf der Hälfte der Strecke anders überlegt. Schade, so bleibt "Kick-Ass" ein sehenswertes Spektakel unter einem Haufen von bewegten Comics.

Wertung: 7/10


"Kick-Ass"
USA, 2010
Matthew Vaughn
mit Aaron Johnson, Chloe Moretz, Nicolas Cage


Nur im Kino!