Mittwoch, 29. Dezember 2010

Kino-Rückblick 2010


Das Jahr geht zu Ende. Übermorgen ist schon Silvester und bis dahin werde ich es wohl nicht mehr ins Kino schaffen. Das ist doch die perfekte Gelegenheit um das Kinojahr 2010 zu resümieren und die besten Filme des Jahres zu küren.

Insgesamt schien 2010 ein eher schwaches Kinojahr gewesen zu sein, doch das ist ein Irrtum. Ich war dieses Jahr öfter im Kino als jemals zuvor, 44 mal um genau zu sein und es waren zahlreiche gute Filme darunter. Vorallem die zweite Jahreshälfte trumpfte nochmal ordentlich auf.

Die Coen-Brüder eröffneten das Kinojahr positiv mit ihrer semi-biografischen Versuchsanordnung "A Serious Man".

Die Berlinale war durch Skandale, wie "Jud Süß" und "The Killer Inside Me" gekennzeichnet. Andere gute Filme waren "How I Ended This Summer", "Mammuth" und "Der Räuber". Nach der Berlinale, kamen mit "Shutter Island" und "Kick-Ass" weitere sehenswerte Filme ins Kino.

Vincenzo Natali ließ mit "Splice" den Kino-Sommer ungemütlich beginnen. Christopher Nolan lieferte daraufhin mit "Inception" den Hype des Jahres und zeigte, dass Hollywood noch nicht verloren war.

Das FantasyFilmFest war dieses Jahr herausragend gut und schenkte uns mit "Rubber" den ungewöhnlichsten Film seit Jahrzehnten. Auch die Kurzfilme hatten wiedereinmal ein hohes Niveau und Gregg Araki lieferte mit "KABOOM" den queersten Endzeit-Film ever ab.

Pixar gelang auch dieses Jahr ein Kunststück. "Toy Story 3" war kein billiges Sequel, sondern die ungewöhnlich erwachsene Erzählung eines Kinderzimmer-Genozids. Der Spross von David Bowie ließ mit seinem Debüt "Moon" den klassischen Sci-Fi wieder auferstehen und David Fincher bewies im Oktober, dass sein Kino noch lange nicht vorbei ist.

Den besten 3D-Film lieferte dieses Jahr Alexandre Aja mit seinem Neo-Trash-Splatter "Piranha", natürlich mit sehr viel Ironie und Gallonen von Kunstblut.

Den coolsten Film des Jahres bekam man mit "Scott Pilgrim vs. The World" zu sehen. Edgar Wright übertraf nochmal seine grandiosen Parodien "Shau of the Dead" und "Hot Fuzz" und zeigte dem amerikanischen Kino, was awesome wirklich bedeutet.

Von den zwei Dokumentarfilmen, die ich dieses Jahr gesehen habe, hat mir Banksys Street-Art-Doku "Exit Through the Gift Shop" am besten gefallen, vorallem weil man nie wusste inwieweit es sich wirklich um eine Doku handelte.

Zum Jahresende meldete sich Disney noch zur Stelle und zeigte mit "Rapunzel" eine herrlich komische Märchen-Adaption im Stile eines "North by Northwest".


Das Jahr war also reich an guten Filmen. Im folgenden werde ich einfach meine persönlichen Awards-of-the-year verleihen...


TOP 5

1. "Rubber" (Quentin Dupieux)

2. "Scott Pilgrim vs. The World" (Edgar Wright)

3. "The Social Network" (David Fincher)

4. "Moon" (Duncan Jones)

5. "The Killer Inside Me" (Michael Winterbottom)


BESTER DEUTSCH-SPRACHIGER FILM

"Der Räuber" (Benjamin Heisenberg)


GRÖßTE ÜBERRASCHUNG

"Splice" (Vincenzo Natali)


BESTER FILM EINER REGIE-LEGENDE

"Shutter Island" (Martin Scorsese)


BESTES DEBÜT

"Rubber" (Quentin Dupieux)


BESTER ANIMATIONSFILM

"Toy Story 3" (Lee Unkrich)


BESTE RETROSPEKTIVE

"The River" (Jean Renoir)

Berlinale


BESTER HEIMKINO-RELEASE

Alien Anthology

Blu-Ray


LOBENDE ERWÄHNUNG

"Inception" (Christopher Nolan)


GRÖßTE ENTTÄUSCHUNG

"Alice im Wunderland" (Tim Burton)


SCLECHTESTER FILM DES JAHRES

"The Silent House" (Gustavo Hernández)


Ich hoffe das gibt euch eine gute Zusammenfassung des Kinos in 2010. Das neue Jahr hält wieder einige Wunder bereit. Man darf gespannt sein. ich wünsche euch schon mal einen guten Rutsch und eine heftige Silvester-Party. Wer es sich lieber mit Filmen gemütlich machen möchte, der hat nun genügend Vorschläge bekommen.


Zum Abschluss hier noch eine kurze Auflistung meiner persönlichen Most-Wanted 2011!


1. "Night Train" (Nicolas Roeg)

Start: unbekannt

2. "The Tree of Life" (Terrence Malick)

Start: Juni (?)

3. "The Talking Cure" (David Cronenberg)

Start: unbekannt

4. "Source Code" (Duncan Jones)

Start: 5. Mai

5. "Tron: Legacy" (Joseph Kosinski)

Start: 27. Januar



THE KILLER INSIDE ME


Der britische Tausendsassa Michael Winterbottom verlässt seine bisherige semi-dokumentarische Phase und liefert eine hoch-fiktive Literaturverfilmung ab, in der Casey Affleck als Psychopath und Halbgott auftritt.


Ich habe keine Ahnung was mit den Kritikern los ist. Durchschnittsfilme, wie "Im Schatten" und "Orly" werden in den Himmel gelobt ("Is' ja Berliner Schule, muss ja gut sein"), während Michael Winterbottoms neuer Film, aufgrund von halbgaren Skandalvorwürfen und Frauenfeindlichkeitsanschuldigungen (longest word, i've ever wirtten), verrissen wird, ja sogar ausgebuht wurde und wer die Pressekonferenz gesehen hat, merkt die enorme Antipathie gegenüber Winterbottom und seinem neuen Film.

Dabei ist "The Killer inside me" in vielerlei Hinsicht ein herausragender Film. Ein Kritiker fragte Winterbottom sogar, mit leicht fiesem Unterton, ob dieser Film überhaupt zur Berlinale passen würde. Das könnte man auch als Kompliment begreifen. Denn dieser Film pfeift auf Naturalismus, jedweden populär-politischen Diskurs und freudlose Inszenierungen. Hier geht es um Verve, Stil und Pulp, ja Pulp, aber nicht im Sinne eines Tarantinos, viel eher Pulp im Ausmaß einer griechischen Tragödie.

Gehen wir mal zuerst auf die "skandalöse" Gewalt ein. Meine Begleitung und ich betreten den Friedrichstadtpalast. Die Kartenabreißerin schaut auf unsere Tickets, nickt und sagt: "Sie werden einen starken Magen brauchen." Ich schmunzle, ich hatte ja schon im Internet gelesen, dass der Film in Sundance Wellen geschlaben haben soll. Parallelen zu "Antichrist" kommen mir in den Sinn. Dennoch, unterschiedlicher könnten beide Filme kaum sein. Kurzum, die Gewalt in "The Killer inside me" ist zu keiner Sekunde skandalös um des Skandals-Willen, darüberhinaus ist sie nie prätenziös, verherrlichend oder irgendwie handlungsfördernd. Obwohl, die Kamera ständig draufhält, bleibt die Gewalt stets eine Verletzung anderer, schmerzhaft und unkonsumierbar.

Genug davon, kommen wir zum eigentlich interessanten, dem virtuosen Casey Affleck, der seinen Anti-Helden mit einem so unterschwelligen Sadismus gibt, ihn gleichzeitig romatisch, witzig und liebenswert zeichnet, dass die Identifikationsmöglichkeiten von Zuschauer und Figur an ihre Grenzen getrieben werden. Die Gefahr besteht, sich mit einem Mörder gleichzuschalten, doch Winterbottoms Inszenierung weiß das zu verhindern. Er sorgt für die nötige Distanz. Sei es durch Brüche zwischen Bild- und Tonebene oder den lückenemitierenden Schnitt.

Auch der restliche Cast ist großartig, allen voran Jessica Alba und Kate Hudson, die als einzige Starlets auftreten, ebenso inszeniert werden und in Hitchcock-Manier den Film frühzeitig verlassen. Alba und Hudson spielen Figuren, fernab von Klischees, schauspielerisch so ausgezeichnet, dass ihre Ermordungen umso schockierender wirken.

Was überrascht ist die relativ unauffällige Kamera. Die wirkliche Posen und Gemälde, will dieser Film nicht liefern. Er kommt nicht in die Verlegenheit sich mit Bildern eines Roger Deakins aus "No Country for Old Men" messen lassen zu müssen. Viel eher wirken die Einstellungen improvisiert, aber ästhetisch, nie dokumentarisch, sondern immer ausgefeilt. Die mit der Handkamera eingefangenen Cinemascope-Bilder, erinnern in ihren besten Momenten an das Kino eines Nicolas Roeg und Anthony Richmond.

Was am Ende wohl vielen Zuschauer durch den Kopf ging, war die Frage nach dem "Warum?". Jedenfalls fiel diese Frage auch bei der Pressekonferenz. Wer ein ausführliches Psychogramm erwartet, wird enttäuscht. Afflecks John Ford ist mehr als ein Mörder mit schlechter Kindheit. Die wenigen Anspielungen, die Winterbottom sich leistet, haben mehr mit den Frauenfiguren als mit der Wurzel des Bösen zu tun. Der Background des Mörders ist hier wirklich nur Background und manifestiert sich z.b. in dem Elterhaus in dem Ford wohnt und den Arien, die er hört. Das sind Details, Striche, die die Figur umkreisen, sie aber nie zu Ende zeichnen.

Eigentlich sagt es Ford schon zu Beginn (Der Film besitzt viele Voice-Overs, überwiegend direkt dem Buch entlehnt). "In einer Kleinstadt, glaubt jeder dich zu kennen." und auch Winterbottom sagte bei der Pressekonferenz, dass es ihn mehr interessiert habe, wie sich die Figuren verhalten. Kenne ich mein gegenüber? Auch wenn ich mit ihm lebe, mit ihm schlafe, esse und trinke? Mordet es sich nicht einfacher, wenn alle glauben einen zu kennen? Und, viel wichtiger, wie verhält es sich umgekehrt? Man könnte sagen, den einzigen Fehler, den sich Ford leistet, ist zu Glauben er kenne seine Mitmenschen, aber sie ihn nicht. Diese Form der Arroganz, wird im Film oft angesprochen. "Lass dir deine Sprüche, für die Spatzen." sagt der Gewerkschaftsführer einmal zu ihm. Diese Arroganz bringt Ford zu Fall, denn sein Größenwahn ist schon so gewachsen, dass er sich selbst als Regisseur seines eigenen Films sieht.

Dieser nie frauenfeindliche Film, entwickelt nicht nur eine aufregende Vision über die Schwierigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sondern entblößt sogar den Filmemacher als den eigentlichen Mörder aller Mörder. Im Falle von Michael Winterbottom sollte man aber Gnade vor Recht walten lassen.

gesehen auf der Berlinale 2010

Wertung: 8/10



Der Film lief bisher nur auf Festivals und hat noch keinen deutschen Starttermin. In den USA und Großbritannien gibt es ihn allerdings schon auf DVD und Blu-Ray.


Sonntag, 5. Dezember 2010

CARLOS


Was ein großes tiefschürfendes Epos über den linken Terrorismus der 70er und seine Anbändelung mit dem Kapitalismus hätte werden können, gerät bei Assayas leider nur zu einem handwerklich außergewöhnlichen Reenactment-Tagebuch.


Edgar Ramirez verkörpert Carlos mit vollem Körpereinsatz, lässt sich Zeit für seinen Körperkult, seine Blicke und Eroberungen. Dennoch lässt uns Assayas auf Distanz. Wir erfahren über Carlos immer nur so viel wie es der historische Kontext zulässt. Der Film folgt einer unaufhaltsamen Geschichtsbuch-Chronologie.

Ebenso ist die Dramaturgie sprunghaft. Manches wird lang gedehnt (OPEC-Anschlag), vieles nur angerissen. Das mag keine Überraschung sein und ist sowieso kein schlechtes Zeichen. Assayas gelingt es durchgehend den Fokus richtig zu setzen und internationale Zusammenhänge fast simpel auf Spielfilmformat herunter zubrechen.

Letztendlich ähnelt "Carlos" aber zu sehr einer Form von Kino mit der ich schon lange auf Kriegsfuß stehe. Obwohl der Film zu Beginn die Wahrhaftigkeit seiner Geschichte grundsätzlich anzweifelt, erzählt Assayas seinen Film trotzdem mit der "Aufgeregtheit" eines Universitäts-Professors. Anstatt er, wie David Fincher zuletzt in "The Social Network", sich an die Kraft des Fiktiven hält und die wahre Begebenheit nur als Anlass einer umfassenden Analyse nutzt, wirkt "Carlos" so als klammere sich Assayas an Akten, Protokollen und wahrscheinlich so zugetragenen Ereignissen fest. Dabei vermischt er kommentarlos inszenierte Nachrichtenbeiträge mit der Spielfilmhandlung. Ich fühlte mich stark an Uli Edels "Baader-Meinhof-Komplex" erinnert, der mit ähnlicher N24-Reenactment-Lust den Zuschauer den wirlichen Zugang zur Geschichte mit der Kraft des Unterhaltungskinos verbauen möchte.

In diesem blutleeren Kontext können nur die Figuren leiden, die durch ihre historische Aura zu Chiffren degradiert werden. Nur wenigen Charakteren gönnt Assayas genügend Fokus damit sie ihr eigenes fiktives Leben entwickeln können. Neben dem hervorragenden Christoph Bach und dem ebenso tollen Alexander Scheer, hat mich natürlich Edgar Ramirez begeistert, der besonders in der letzten Stunde sehr viel gewinnt.

Das beste an "Carlos", und das kann die zwiespältige Inszenierung auch nicht kaputt machen, ist sein Porträt, Carlos als Revolutionär und Privatperson. Eine gefährliche sexuelle Arroganz steht hier in Verbindung mit einer eisernen Ideologie, angeführt durch Waffengewalt. Die kommentarlosen Anschläge vermitteln da eher wenig. Viel packender sind dagegen Carlos Zeiten im Exil, zwischen Trunksucht und Hahnenkämpfen, billigen Huren und dem Hals in der Schlinge.
Hier gelingt Assayas eine glückliche Dekonstruktion, ganz mit den Mitteln des fiktiven. Wenn Carlos eine Prostituierte zusammenschlägt, weil sie sein Sperma ausgespuckt hat, dann hat der Terrorismus seinen ganzen Romantizismus verloren und bleibt in einer ekelhaften privaten Dimension gefangen.

Reszensiert wurde hier die Langversion (330 min).

Wertung: 6,5/10


"Carlos - Der Schakal"
FR, BRD 2010
Olivier Assayas
mit Edgar Ramirez, Nora von Waldstätten, Alexander Scheer



Den Film gibt es in der Kurzfassung (180 min) in vielen Kinos zu sehen. Die Langfassung gibt es mit nur wenigen Kopien sporadisch in unterschiedlichen Städten zu sehen.


Donnerstag, 2. Dezember 2010

THE READER


Ich krame gerade in alten Texten rum, da lese ich meinen alten Kommentar zu Stephen Daldrys gefühlvoller Literaturverfilmung, die ich im Beisein von Kate und David auf der Berlinale genießen konnte.

"Der Vorleser" ist kein dickes Buch. Ich musste es in der Schule lesen und wurde mit einer Fülle an Themen konfrontiert, die man diesem kleinen unscheinbaren Roman nicht zugetraut hätte. Die Shoah, die deutsche Schuld, Vergebung, Liebe zwischen Jung und Alt und Analphabetismus sind die Kerne der Geschichte. Das Buch kam nicht ohne Kritik davon. Zu viel und doch so wenig wird erzählt und Empathie für die Täter waren die Kritikpunkte.

Daldrys Verfilmung kann diesen Schlingen nicht ausweichen. Allerdings muss man sich fragen inwieweit die angebrachten Punkte eine ernste Kritik sein sollen. Die Fülle an Themen gibt dem Film einen enormen Nährboden, der ihn vor der Unterkomplexität bewahrt. Anstatt nun mit einer epischen Länge daher zukommen, wie zuletzt, der auf einer Kurzgeschichte basierende "Benjamin Button", präsentiert sich der Film in angenehmen zwei Stunden in denen die vielen Fragmente noch viel verdichteter wirken und eine Spannung aus sich selbst heraus erzeugen.

"Der Vorleser" ist eine Geschichte über die Shoah in Privatem. Praktisch alles findet im Privatem statt. Hinter vorgehaltenem Mund, in den Köpfen der Menschen und in den Wohnungen. Nur selten gibt es ein öffentliches Aushandeln. Auch bei der Gerichtsverhandlung, spielen sich die wahren Verhandlungen unter der Oberfläche ab. Das begünstigt Daldrys intimer Blick, der ganz besonders in den Liebeszenen eine natürliche Ästhetik auszeichnet. Vorallem die Kamera, u.a. Roger Deakins, vollbringt Oscar-reifes.

Die größten Vorzüge dieser hervorragenden Literaturverfilmung liegen definitv bei den Schauspielern. Wenige ausländische Stars in einem großenteils deutschen Ensemble, dass besser rüberkommt als in jeder Bernd-Eichinger-Produktion. Allen voran David Kross, der seinen ganzen Mut zusammen nehmen musste und seine erste internationale Hauptrolle meistert. Helles Zentrum des Cast ist natürlich Kate Winslet, die in einer ganz neuen Rolle zusehen ist. Hanna ist nicht einfach nur die Geliebte. Sie ist Pro- und Antagonist und trotz ihrer sympathischen Erscheinung und ihrer lieben Art, stattet Winslet ihre Rolle, ganz besonders in den Streit- und Gerichtsszenen, mit Widerhaken aus, die ein Verhandeln über ihre Schuld ausschließen und sie zum stillen Monster werden lassen. Ralph Fiennes dagegen präsentiert einen gebrochenen Mann, dem es an nichts materiellem mangelt, doch der von innen von Schuld, Sehnsucht, aber auch Abscheu seiner großen Liebe gegenüber zerfressen ist.

Der Film entwickelt ein breites geschichtliches Panorama, was im Nachkriegsdeutschland beginnt und beinahe in der Gegenwart endet. Dabei begeht der Film nie den Fehler die Nazi-Vergangenheit Hannas zu bebildern und lässt somit Verständnis für die Richter aufkommen, die nunmal die schwere Bürde tragen zu entscheiden, was damals vorgefallen ist.

Daldrys Stil ist unverkennbar in den Film eingebrannt und passt sehr gut zur Geschichte. Wie schon bei "The Hours" gelingt ihm eine kunstvolle Verknüpfung der verschiedenen Erzählebenen. Zwar ist dies kein Episodenfilm, aber hier gilt es mehrere Zeitabschnitte miteinander zu verbinden. Auch das Daldry-typische Aufpumpen der Ton-Ebene funktioniert gut. In kräftigen Montagen hämmert die Musik im Hintergrund, während der alte Michael aus Büchern vorliest.

Gerade in den letzten Szenen erreicht der Film seine interessantesten Momente, da die Distanz zur Vergangenheit riesig erscheint, der Holocaust aber immer noch so nah ist wie zuvor und deshalb fällt es natürlich der KZ-Überlebenden schwer Hanna eine Absolution zu erteilen. Stellvertretend ist eine Vergebung der gesamten deutschen Schuld nicht möglich. Genauso wenig wie Michael seine Dämonen los wird. Der Film entwirft die Aussage, dass manche Taten nicht vergeben werden können, aber verspricht Linderung in dem Moment, in dem Michael seiner Tochter alles erzählt. Das Weitergeben des Erlebten an die nächste Generation ist die einzige Form der "Absolution" die möglich ist. Das ist ein großer und wahrer Film.

gesehen auf der Berlinale 2009

Wertung: 8/10

"Der Vorleser"
USA, BRD 2008
Stephen Daldry
mit Kate Winslet, David Kross, Ralph Fiennes