Sonntag, 27. Mai 2012

MOONRISE KINGDOM



Wes Anderson entführt uns in seinem Cannes-Eröffnungsfilm in ein Reich der Unschuld und Nostalgie.

Rhode Island in den Sechzigern, die Kinder Sam und Suzy verlieben sich ineinander, doch die Welt der Erwachsenen hat etwas dagegen. Die Beiden fliehen in die Wildnis, woraufhin eine Suchaktion beginnt, die für allerhand Wirbel sorgt.

Ohne auch nur einen weiteren Film von Wes Anderson gesehen zu haben, wage ich es eine Kritik zu „Moonrise Kingdom“ zu schreiben. Das wollte ich nur vorher geklärt haben. Natürlich habe ich eine ungefähre Ahnung wie Andersons Kino bisher aussah. Ich kenne Trailer, Artikel und Vorträge zu seinen Filmen. „Moonrise Kingdom“ bestätigte diese Ahnung deutlich. Wes Anderson, so scheint es, hat eine genaue Vorstellung davon, wie seine Filme auszusehen haben. Diese Vorstellung geht manchmal so weit, dass sich der eine oder andere Kritiker zum Wörtchen Manierismus hinreißen lässt. Auch ich stolperte über dieses Wort als ich im Kino saß und die Prolog-Sequenz bestaunte.

In präzisen und widernatürlichen Kamerafahrten erkundet der Zuschauer ein opulentes Landhaus auf einer Insel Neu-Englands. Dazu läuft eine Einführung zu Orchestermusik von Benjamin Britten, die sich drei Jungs auf einem kleinen Plastikplattenspieler anhören. Wir sehen ein Mädchen, dass liest und die Eltern, die räumlich getrennt, aber dennoch nah beieinander, ihr Tagwerk verrichten. Andersons Leitmotiv ist die Nostalgie, und zwar die ungebrochene. Während Woody Allen in „Midnight in Paris“ nostalgische Gefühle noch auf eine Belastungsprobe stellte, scheint Anderson diese kritische Distanz völlig abzugehen. Die Bilder und Farben, ja sogar die Kadragen erinnern ständig an alte Fotografien. Insoweit kann die Eröffnungssequenz auch als ein Blick in das heimische Fotoalbum gedeutet werden, jede Kamerafahrt gleich dem schweifenden Auge.

In den Bilder zeigt sich letztendlich auch Anderson komödiantische Meisterschaft. Während die meisten Regisseure Witz durch Dialoge erzeugen, funktioniert der Humor von „Moonrise Kingdom“ auf einer rein filmischen Ebene. Nun gut, natürlich gibt es auch witzige Dialoge, was bei der Anzahl entrückter Figuren auch kein Wunder ist, doch die Komik beginnt meistens bereits bei ihrem Aussehen, der Wahl des Kostüms, der Perspektive und des Kameraobjektivs. Ein Charakter zum Beispiel dient im Film als Kommentator, ein älterer Mann mit rotem Anorak und Wollmütze. Allein wie Anderson ihn ins Bild nimmt, ist unglaublich komisch, mal klein am unteren Bildrand oder von Kopf bis Fuß in modelhafter Pose. Das ist pure filmische Komödie, mit dem vollen Einsatz aller Ausdrucksmöglichkeiten. Darin erschließt sich auch Andersons hochgelobte Detailfreude. Jedes Bild ist genau komponiert und jede Requisite ist beseelt. Es ist die Aufgabe eines jeden Filmemachers sich dieser Möglichkeiten bewusst zu sein und sie zu nutzen. Polanski verbrachte einmal ewig um einen Aschenbecher im Bild zu drapieren, woraufhin der Schauspieler fragte, ob es hier nicht um ihn, sondern um den Aschenbecher ginge. Polanski antwortete: Es geht um alles, was sich im Bild befindet.

Wes Andersons überdeutliche Handschrift verführt natürlich leicht dazu den Film abzustoßen. Das ist auch kein Wunder. Wie viele Filme gibt es heutzutage noch die eine so große visuelle Wiedererkennbarkeit haben, in Zeiten von Cinemascope, Wackelkamera und Blau-Orange-Kontrasten? Allerdings, Andersons Neigung zum Kitsch und zur vordergründigen Skurrilität wird auch viele Zuschauer vergraulen, mich zum Glück nicht.

Hinter all der filmischen Raffinesse, versteckt sich zwar letztendlich nur eine weitere Geschichte über das Erwachsenwerden, dennoch gibt uns Andersons Film nochmal das Gefühl ein Kind zu sein und jeder, der eine so junge Liebe erlebt hat, kann diese Welt ebenso nachvollziehen. Als Kind wirkt sogar eine kleine Insel wie die große Welt und eine kleine Bucht wird zum Königreich des Erwachens.

Wertung: 7/10


"Moonrise Kingdom"
US 2012
Wes Anderson
mit Bruce Willis, Edward Norton, Tilda Swinton

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