Donnerstag, 29. Dezember 2011

Kino-Rückblick 2011


Wieder ist es vorbei und wir blicken zurück auf ein spürbar schwaches Kinojahr 2011. Was war da los? Die Ursachen sind mir nicht ganz klar, nur die Symptome sind mir bewusst. Ich war dieses Jahr viel seltener im Kino.

Dabei fing alles viel versprechend an. Darren Aronofsky sorgte gleich für einen Hype mit seinem Coming-of-Age-Drama "Black Swan". Für die einen der beste Film seit langem, für die anderen nur ein müder Diebstahl bei Polanski und Powell. Ich fand den Film äußerst mitreißend und konnte mich seiner Kraft schwer entziehen.

Dann folgte schon der erste Most-Wanted-Kandidat des Jahres, "Tron: Legacy". Das lang erwartete Sequel eines Disney-Klassikers, enttäuschte aber sehr. Abseits der stilbildenden Optik und der Musik von Daft Punk, hatte der Film kaum was zu bieten.

Die Berlinale war bei mir dieses Jahr recht kurz. Aus beruflichen Gründen konnte ich nicht so viele Filme sehen, wie ich wollte. Neben zwei Ingmar-Bergman-Streifen, habe ich mir noch einen kleinen französischen Film namens "Tomboy" angeguckt.

Die erste richtige Enttäuschung lieferte Danny Boyle mit seinem True-Story-Survival-Drama "127 Hours". Obwohl der Film handwerklich meisterhaft ist und James Franco ebenso, hatte man das alles schon vorher viel besser gesehen.

Im Februar kamen dann die Coens mit ihrem Remake "True Grit" nach Deutschland. Der Film war zwar kein Highlight, aber er schien wie aus einem Guss und trug den speziellen Coen-Touch.

Im Mai meldete sich Wes Craven mit dem neuesten Ableger der "Scream"-Reihe zurück. Ein großartiger Film, so stellt man sich vierte Teile vor. Auch Mark Romaneks Adaption "Never Let Me Go" war ein bemerkenswerter Film.

Die einzige Dokumentarfilm, den ich dieses Jahr gesehen habe, war "Unter Kontrolle", über den Zustand deutscher Atomkraftwerke, ein meditativer Film, der das politische Ende der Atomkraft hervorragend unterstrich.

Mitten im Juni, also genau auf der Hälfte des Jahres, erschien dann der Film auf den wohl alle Cineasten gewartet hatten, Terrence Malicks "The Tree of Life" und er enttäuschte und verzauberte zugleich.

Derek Cianfrances Liebesdrama "Blue Valentine" wurde wahrscheinlich für viele der Film des Jahres. Der Festival-Hit brillierte durch das Schauspiel von Michelle Williams und Ryan Gosling.

Den Skandal des Jahres lieferte definitv Lars von Trier mit seiner Pressekonferenz in Cannes, die sogar eine Ermittlung wegen Verharmlosung von Kriegsverbrechen nach sich zog. Sein neuer Film "Melancholia" hatte damit wenig zu tun. Pünktlich vor 2012 zeigte uns Von Trier seine Sicht auf den Weltuntergang.

Im November kam eine andere Regie-Legende zum Zug. David Cronenberg präsentierte uns sein historisches Drama "A Dangerous Method" über Sigmund Freud und Carl Gustav Jung.

Zum Abschluss gab es den schaurigen "The Skin I Live Within" von Pedro Almodóvar, ein typisch exzentrischer Film des bekannten Spaniers.


Nun, die Awards of the Year:

TOP 3

1. "The Tree of Life" (Terrence Malick)

2. "Melancholia" (Lars von Trier)

3. "Scream 4" (Wes Craven)


GRÖßTE ÜBERRASCHUNG

"Scream 4" (Wes Craven)


BESTER FILM EINER REGIE-LEGENDE

"The Tree of Life" (Terrence Malick)


BESTES DEBÜT

"Tomboy" (Celine Sciamma)


BESTE RETROSPEKTIVE

"Das Schlangenei" (Ingmar Bergman)

Berlinale


BESTER HEIMKINO-RELEASE

Star Wars: The Complete Saga

Blu-Ray


LOBENDE ERWÄHNUNG

"Black Swan" (Darren Aronofsky)


GRÖßTE ENTTÄUSCHUNG

"A Dangerous Method" (David Cronenberg)


SCLECHTESTER FILM DES JAHRES

"127 Hours" (Danny Boyle)


Ich hoffe ihr hattet ein schöneres Kinojahr. Das nächste Jahr scheint vielversprechend zu werden. Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch und viele Erlebnisse im Projektorlicht.


Most-Wanted 2012

1. "Prometheus" (Ridley Scott)

Start: 09.08.2012

2. "Django Unchained" (Quentin Tarantino)

Start: 27.12.2012

3. "Cosmopolis" (David Cronenberg)

Start: unbekannt

4. "The Dark Knight Rises" (Christopher Nolan)

Start: 26.07.2012

5. "War Horse" (Steven Spielberg)

Start: 16.02.2012

6. "The Girl with the Dragon Tattoo" (David Fincher)

Start: 12.01.2012

7. "Hugo Cabret" (Martin Scorsese)

Start: 09.02.2012

8. "The Artist" (Michel Hazanavicius)

Start: 26.01.2012

9. "Life of Pi" (Ang Lee)

Start: 20.12.2012

10. "Dark Shadows" (Tim Burton)

Start: 10.05.2012


Montag, 19. Dezember 2011

2001 - A SPACE ODYSSEY


Der folgende Text stammt nicht von mir und trotzdem poste ich ihn, weil ich finde, dass er auf eine unvergleichliche Art beschreibt, was Kubricks Meisterwerk so zeitlos und wichtig macht. Viel Spaß beim Lesen!


"
Irgendwann in den (relativ frühen) Neunzigern :

Meine Hose hatte Löcher, mein Plattenteller trug die UK Subs und meine langen Haare trugen Flanellhemden.
Etwas später faszinierte mich ein mit nur noch wenig Fleisch behangenes Skelett namens Eddy, und aus den UK Sub wurde Maiden, aus Flanell wurden Nieten.
Das war, bevor ich die Mannen um Eddie Vedder entdeckte, genauso wie deren Vorbilder, dann die ganze Krautrockkultur (inclusive deren musikalische Brandsatzbeschleuniger auf Chemieebene).
Irgendwann erwischte ich mich auch noch dabei bei `block rockin beats`mitzunicken, und da beschloß ich still und heimlich, das diese ganze Sub-Genre-Nischen-Bildung mit all ihren Einschränkungen und Kategorisierungen doch eigentlich Mist sei.
Ganz egal, welche Nische man damit meint, sie engen immer ein.
Man schreit da nur angestachelt „Nonkonform !“ und „Fuck da Mainstream !“ und rennt dann doch nur in den selben Stammesfarben und Trachten rum, wie Zehntausend andere Idioten.
Und wehe man stellt mal was in Frage – darf man nicht – ausbrechen sowieso nicht, dann gibt’s ganz dumme Blicke, und kein Freibier mehr, und man müffelt dann so verdächtig.
Jugendbewegungen haben nur einen einzigen Zweck : Gemeinschaft, Gegen-Gemeinschaft, sich in dieser komischen Welt als Heranwachsender zurecht und Halt zu finden.
Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden !
Und jede neue Generation wird sich wie die Erstgeborenen fühlen, und die selben Spiegel und Konvention zu Brei schlagen wie ihre Elterngeneration....um sich dann später doch um den Hausrat und die Zinsen zu kümmern.
Ich sitze in meinem kleinen Zimmer, mit Ausblick auf eine ungebrochene Horizonzlinie und schreibe darüber – oftmals nur vergessenswürdige Schülerpoesie.
Es ist genau Neunzehnhundertzweiundneunzig...der Ruf von 2001 eilte der Erstsichtung dieses Filmes meilenweit vorraus.
Man, war ich enttäuscht.
So öde, so lang.So weilig.
In meinem Spiegel sitzt ein Fünzehnjähriger und grinst mich an.
Ich werfe einen Fußball in den Himmel.....
....
....und fange ihn als Herman-Hesse-Buch wieder auf.
Es ist Neunzehnhundertneunundneuzig.
2001 ist immernoch öde, aber besser.
HAL rockt, und das Ende hinterlässt eine merkwürdige, befremdliche Dauerschleife.
Wann immer ich an diesen Film zurückdenken werde, werde ich zuallererst das Ende sehen.
Die Subkultur-Grenzen sind in mir inzwischen gänzlich aufgeweicht, und neben Bob Marley steht Björk und Bolt Thrower im CD-Schrank.
Die letzten Schallplatten haben sich in einer Art Milleniums-Furcht und MP3-Player-Vorahnung schon unlängst auf Flohmärkten verdrückt (ICH ! DEPP!!!).
Ich schreibe immernoch, und die Fragen sind die selben :
Was zieh ich an, so ganz ohne Kuttenzwang ?
Und wer bin ich dann ?
Wer will ich wirklich sein ?
Janis singt „Freedom is just another word for nothing left to loose“ und zerstört Teenageridylle.
Ich fühle mich Heimatlos, und zum ersten Mal, ohne es in Worte fassen zu können, den Sternenhimmel nicht als wunderbare Photopostkarte, sondern als Verwantwortung und Zumutung.
In meinem Spiegel sitzt ein Zweiundzwanzigjähriger und grinst mich trotzdem an.
Ich werfe meine Hesse-Buch in die Luft........
...
.....und fange es als Kondolenzbuch wieder auf.
Es ist Zweitausendundzwei und meine Großmutter hat vor kurzem ihre eigenen Innerein ausgekotzt.
Wir wohnen jetzt fest in ihrem Haus, das sie uns hinterlassen hat, und ich arbeite seit kurzem.
Ich bin weder Popstar noch Rebell noch Literat noch Weltenretter oder wenigstens Astronaut geworden – fürs erste Schrubbe ich in erstaunlicher Höhe Leuchttürme.
Not for the fame, just for the money.
Aber die Aussicht ist gut – und die Ruhe.
Weg von Drama und Betroffenheit und zuviel geheuchelter Verwandschaft.
Selbst die identitätsstiftende Musik tritt hier in den Hintergrund.
Macht Platz für einen Mann names Lynch, für LOST HIGHWAY, einen Film der mich in Mark und Bein getroffen hat.
Seitdem schaue ich auf meine Filmsammlung, und sie ödet mich an.
Seitdem schaue ich auf mich selbst, und öde mich manchmal an.
Ich sehe mich, im Vollrausch, wie ich einmal ein Polizeischild randalierte.
Ich sehe mich, völlig bei Bewußtsein, an diesem hohen Aussichtspunkt baumeln.
Und ich denke mir : Wenigstens sind deine Haare noch lang, und deine Musik noch laut !
In meinem Spiegel sitzt ein Fünfundzwanzigjähriger und schaut mich fragend an.
Ich werfe einen Schwamm in die Luft...
...
..und fange ihn als Zugfahrkarte wieder auf.
Es ist Zweitausendundfünf, und nach einigen gescheiterten, anderweitigem Versuchen wird aus einer Fernbeziehung langsam ernst.
Erst große Liebe, dann zusammenziehen, dann da zusammen alt werden.
Niemand will auf Dauer sechs Stunden Zugfahrt, jeder will auf Dauer weg von Hotel Mama und hin zu neuer Nestwärme.
Das einzige, das auf Dauer die verlorenen Jugendideale ersetzt, und wenigstens zeitweise die ewigen Fragen abtötet.
Ich hatte schon vor Ewigkeiten den Fernsehr abgeschafft – sie schuf ihn wieder an.
Musik lief vornehmlich auf Zimmerlautstärke – und oftmals war es ihre, also keine gute !
Ich entdeckte eine, für mein Alter, beunruhigende Anzahl grauer Haare.
Ich war ein Nachtmensch, sie ein Vielschläfer.
Mein Biorhytmus lag in Scherben.
Und in einer der Nächte, in der ich da lag, neben mir, und neben ihr, wo sie mir im Schnarchen Geschichten davon erzählen konnte, wer sie war, und wie sie hierher gekommen war, in der ich mich fragte, ob es das alles wert gewesen sei, da flimmerte 2001 plötzlich über die leise gedrehte Mattscheibe.
Guter Film !
Der Film hatte genausoviele Fragen wie ich, und genauso wenig Antworten, aber er hatte einen Ersatz dafür gefunden, etwas was mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen fehlte : eine Utopie !
Manchmal wünschte ich mir immernoch heimlich, ich wäre Lemmy Kilmister.
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszenjähriger und fängt an mich hämisch auszulachen.
Es tut weh.
Ich werfe die Fernbedienung nach ihm...
..
...und fange sie selbst als Ehering wieder auf.
Es ist jetzt Zweitausendundelf.
Der Himmel über mir ist immernoch eine verdammte Zumutung.
Aber das ist alleine einschlafen inzwischen auch.
Wir haben den Orbit um unseren Planeten inzwischen mit allerlei Müll zugerammelt, um dieser Zumutung zu trotzen, um vielleicht andere Sterenkinder zu finden, um dem Nichts ein Etwas entgegenzusetzen.
Meine Frau hat derweil den Orbit um unser Bett mit Taschentüchern und Haargummis zugemüllt, und ich kenne inzwischen die ganze Crew von GREYS ANATOMIE beim Vornamen.
Dafür spielt sie inzwischen Videospiele und kennt Lynch genauso wie Trier.
Die Evolution in unserer Beziehung ist nicht zu übersehen.
Es wird nicht von Dauer sein, das weiß ich.
Selbst wenn das Leben, und wir es gegenseitig gut mit uns meinen, haben wir noch maximal vierzig-fünfzig Jahre, bis wir zu Sternenstaub werden.
Aber innerhalb dieser Zeit, das weiß ich jetzt, haben wir wenigstens etwas, das haltbarer ist als Teenagerträume und Nischenrebbelion.
Eine Utopie !
Inzwischen sogar : Ein Kinderwunsch.
Und was ist dieser Wunsch denn, außerhalb der biologischen Ebene, wenn nicht ein Hoffen und Verewiglichen, ein Weitergeben, und Vorrausblicken – kurz : das fleischgewordene Ergebnis einer Utopie.
Und 2001 ?
2001 - das weiß ich inzwischen - ist eines der größten menschlichen Werke, das außerhalb der Reproduktion, jemals der schnöden Unendlichkeit entgegengeworfen wurde.
Es exestiert monolithisch, bis heute, und trotz dem stummen Himmelszelt.
Es schreit :
“Hier steht ein Mensch ! Er denkt, er kotzt und er fühlt und er flucht ! Er ist das beste und schlimmste, was du schweigender Scheißhaufen von einem Universum jemals hervorgebracht hast.Und es ist ihm inzwischen egal, ob du mit ihm reden willst oder nicht, denn er hat längst seine eigenen Gespärchs und Antwortpartner gefunden ! In sich selbst ! In anderen ! In der beständigen Hoffnung auf nichts als die Hoffnung.“
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszehnjähriger und lacht mich aus.
Doch er verblasst langsam und stetig.
Wahrscheinlich weil ich ihm glaubhaft versichert habe, das er sich jetzt verpissen kann.
Sein Film und Musikgeschmack war sowieso scheiße !"


Ich danke dem Urheber für diesen schönen Text.



Meine Wertung: 10/10 !



"2001 - Odyssee im Weltraum"
US 1968
Stanley Kubrick
mit Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester

Sonntag, 18. Dezember 2011

THE ADJUSTMENT BUREAU


Philip K. Dicks Sci-Fi-Stories wurden schon vielfach verfilmt. Nun erweiterte Hollywood die Reihe um eine Schmonzette. Das fehlte noch.

David Norris, Kongressabgeordneter, trifft die Ballerina Elise. Beide verlieben sich, doch eine mysteriöse Organisation, die das Schicksal der Welt steuert, will die beiden auseinander bringen. Der Plan sieht anders aus.

„Blade Runner“ und „Minority Report“ sind nur zwei Geschichten aus der Feder des letzten großen Sci-Fi-Autoren der Literaturgeschichte. Beide wurden auch zu großen Filmen. Nun wagte sich Regie-Debütant und Drehbuch-Veteran George Nolfi an die Dick-Geschichte „Adjustment Team“. Viel mit Sci-Fi hat die Vorlage nichts zu tun. Es ist eher eine metaphysische Geschichte über das Unvermögen der Menschheit seinen freien Willen vernünftig zu nutzen, so dass Dick unser Schicksal in die Hände einer mächtigen Gemeinschaft legte, eine bitter-süße Resignation, die 1954, nach zwei Weltkriegen, verständlich erschien.

Die aktuellen Ereignisse gaben Nolfi und seinem Team genügend Anlässe die Geschichte zu modernisieren, dennoch entschied man sich für die älteste Geschichte der Welt, boy meets girl.

Matt Damon trifft Emily Blunt, laut „Plan“ darf das nicht sein, obwohl sie „füreinander bestimmt“ sind, und so macht das „Adjustment Team“ den frisch Verliebten das Leben schwer bis Gott interveniert. Klingt schrecklich? Ist es auch. Da ich die Vorlage nicht gelesen habe, kann ich nicht sagen wie viel Kitsch auf Dicks Mist gewachsen sind, trotzdem, man muss nicht alles kommentarlos übernehmen.

In der Umsetzung ist Nolfis Film zwar eher konservativ und beschwört sogar in den Kostümen die 50er Jahre, doch Momente der Langeweile tauchen selten auf. Nolfi, der u.a. am Drehbuch von „The Bourne Ultimatum“ schrieb, ist geübt in Thriller-Dramaturgie. Man darf zwar nichts erwarten, was man bei Hitchcock nicht schon besser gesehen hat, aber „The Adjustment Bureau“ funktioniert als Unterhaltungsfilm überraschend gut.

Allerdings bietet eine solche Geschichte größere Möglichkeiten. Allein in der Figur des Thompson zeigt der Film kurz was möglich gewesen wäre. Dennoch, große Themen wie Freiheit und Determination schwemmt der Film eiskalt mit seiner Love Story hinweg.

Am Ende bleiben nur Damon und Blunt auf dem Dach eines Hochhauses. Zuletzt gelingt dem Film doch noch einer schöner Akzent. Den beiden Verliebten wird bewusst, dass sie an der Schale des Universums gekratzt haben, und da schießt es mir wieder in den Kopf, Philip K. Dick.

Wertung: 4/10


"Der Plan"

US 2011

George Nolfi

mit Matt Damon, Emily Blunt, Terence Stamp

Mittwoch, 30. November 2011

RETTET DIE KURBEL!


Siehe hier:
http://www.youtube.com/watch?v=uMlojK2fzks

Wieder soll ein Kino im alten Westen Berlins verschwinden. Doch gegen die Schließung des traditionsreichen Kiez-Kinos "Die Kurbel" hat sich ein Rettungsbündnis formiert, dass am 24. November mit Wunderkerzen und Prominenz lauthals vor dem Kino protestierte. Occupy Meyerinckplatz!

Autor: Conrad Mildner
Kamera: Michael Stumpp
Ton: Thomas Ballschmieter

www.rettetdiekurbel.de
www.facebook.com/rettetdiekurbel
www.rettetdiekurbel.blogspot.com

Freitag, 11. November 2011

A DANGEROUS METHOD


Nach dem routinierten "Eastern Promises", liefert der kanadische Meisterregisseur David Cronenberg einen Film ab, der sich mit dem Aufbrechen von Mustern auseinandersetzt und der gleichzeitig in seinen eigenen gefangen bleibt.

Carl Gustav Jungs neue Patientin, Sabina Spielrein, leidet an aggressiven und hysterischen Anfällen. Um sie zu kurieren, wendet er eine Methode Sigmund Freuds an, die nach und nach nicht nur die verschütteten Leidenschaften Sabinas offen legen, sondern auch seine eigenen.

Den Menschen überwinden, zum Guten wie zum Schlechten, das war der Kern vieler Cronenberg-Filme. Der bekannte Ausspruch "Lang lebe das neue Fleisch!" belegt das zweifellos. Auch in "A Dangerous Method" geht es letztendlich darum dem Menschen den Spiegel vorzuhalten und das Bild, was er sieht, zu verändern, nur diesmal hält unser aller liebster Kanadier die körperliche Ebene heraus. Die Reise geht in die Tiefen unserer Psyche, jedenfalls behauptet das der Film.

Es ist ein Film der Behauptungen, der großen Worte, geworden. Christopher Hampton adaptierte sein eigenes Theaterstück für Cronenberg, aber was wurde da eigentlich adaptiert? Wahrscheinlich wurden viele Szenen einfach nur an verschiedene Orte verlegt, damit das Ganze filmischer wirkt. Ein Stück "lüften", so nannte es Hitchcock und riet davon ab, denn gerade die Einheit von Ort und Zeit machen ein Theaterstück stark und verfilmenswert. Filme wie "Bug" oder "Death and the Maiden" sind bekannte Positivbeispiele.

Doch Hamptons Drehbuch geht auf eine Besichtigungstour durch Wien, ja sogar bis nach Amerika. Wen würde es stören, wenn es wenigstens gut getrickst wäre. Die schlechten Bluebox-"Effekte" erinnern dann doch mehr an Theater als an Film. Die Lüftung des Stücks ist nicht unbedingt ein großer Nachteil, aber die Art wie es gemacht wurde ist äußerst unkreativ. Allein wenn man bedenkt, was der frühe Cronenberg daraus gemacht hätte. Wenn C. G. Jung von seinen Träumen erzählt hätte, er hätte sie nicht einfach nur erzählt, der Zuschauer wäre mit ihm abgestiegen in seine Traumwelt und die Grenzen zwischen Realität und der eigenen Wahrnehmung wären zunehmend verschwommen. Der Film gibt oft Gelegenheit dazu, es geht schließlich auch um das Unterbewusste.

Aber Cronenberg, Hampton und Suschitzky entschieden sich für eine gänzlich nüchterne Erzählung, wobei das nichts neues ist. Seitdem Cronenberg mit Suschitzky zusammenarbeitet, ergänzen sich ihre Unterschiede fabelhaft. Während Cronenbergs Inszenierungen beinah explodieren vor Subtext, Sex und Körperlichkeit, geht Suschitzkys nüchterne Kamera fast schon klinisch an die Geschichte heran, nur wenige bewegte Aufnahmen, klare gerade Linien, fahle Farben. Dadurch wirkte die Gewalt in Cronenbergs Filmen auch immer so brutal. Die Kamera filmte einfach ab, fast wertungslos.

Diese Reibungen sind nun verschwunden. Cronenberg inszeniert Hamptons Script nach den Manieren der damaligen Zeit und Suschitzkys Postkarten-Ästhetik gaukelt dem Zuschauer ein stets sonniges und blauhimmeliges Österreich vor. Vielleicht will der Film von einer vermeintlich heilen Welt erzählen, außern hui, innen pfui, sozusagen, doch er gibt filmisch gesehen wenig Hinweise darauf. Selbst die wenigen Sexszenen sind (für einen Cronenberg) äußerst bieder inszeniert. Da erstaunt es schon, dass sich gerade die Kamera dann doch öfter hinauswagt, um wenigstens ab und zu die Geschichte zu unterlaufen, indem sie z.B. Figurenkonstellationen durch Tilt-Shift-Objektive begreifbar macht, sie verzerrt und aus dem üblichen Rahmen herausfallen lässt. Diese Einstellungen tauchen öfter auf, besonders eindringlich ist sie bei Jungs Experiment am Anfang des Films, die einzige Szene, die den gewissen Cronenberg-Touch besitzt.

Am besten begreift man "A Dangerous Method" als einen akademischen Film, was auch immer man sich darunter vorstellt. Die Theorien der beiden Psychoanalytiker, die im Laufe des Films immer mehr auseinander driften, bringt der Film verständlich, aber wortlastig rüber, wobei wirklichen Psychologiefreunden wahrscheinlich ein Aha-Effekt verwehrt bleibt.

Hamptons Script erzählt eine erwachsene Geschichte und Cronenberg filmte sie nüchtern ab. Der Verdacht einer Auftragsarbeit liegt nahe, obwohl der Stoff so zu ihm passt. Seine Schauspielarbeit bleibt trotzdem famos. Zu Knightley kann man stehen wie man will, doch einem Starlet, das beschließt verrückt zu spielen, wird oftmals Over-Acting unterstellt, ohne zu bedenken, dass es in der Realität viel schlimmer sein kann. Keira macht ihre Sache gut, besonders in der zweiten Hälfte des Films. Viggo Mortensen lässt den Zuschauer vergessen, dass mal Christoph Waltz für die Rolle vorgesehen war. Freud wirkt unglaublich sympathisch und einnehmend und bleibt dennoch eine ambivalente Figur. Sein schulmeisterischer Anspruch wechselt stets zwischen Stärke und Schwäche, seine Autorität ebenso. Dennoch gehört dieser Film Michael Fassbender, der Jung zum eigentlichen Highlight macht. Er kommt in der ersten Hälfte noch recht langweilig daher. Die zweite Hälfte ist sowieso in allen Belangen besser. Hamptons Geschichte braucht sehr lange um in Gang zu kommen. Erst wenn alle Konflikte lebendig sind, brodeln sie knisternd unter der Oberfläche der belanglosesten Dialogszenen, wodurch der Film erst seine Spannung erhält. Fassbenders Figur driftet dann zunehmend in sein inneres Chaos ab. Der Film macht das fast nie sichtbar, Fassbender tut es zu jeder Zeit.

Es ist ein Film über den Beginn der Psychoanalyse geworden, zwischen Wissenschaft und Hokus-Pokus am Fallbeispiel C.G. Jungs. Die Geschichte wirkt selten wie ein dramatisches Stück, mehr wie ein Bio-Pic, eine historische Rekonstruktion im TV-Format. Irgendwie wird da von einer vergangenen Welt erzählt, die kurz vor ihrem Scheitelpunkt stand. Es werden Fragen zu Gleichberechtigung und Antisemitismus gestellt. Der Blick in die Zukunft, was unsere Vergangenheit ist, spielt eine große Rolle und natürlich ist da noch die Vision vom Menschen, der sich in das verwandeln kann, was er sein will, wo wir wieder bei Cronenberg wären, den man ansonsten hier mit der Lupe suchen muss. Talking Heads, hin oder her, Hamptons vielschichtiges Script lädt ins Theater ein, doch das Kino ist für einen Film wie diesen eher der falsche Ort.

Wertung: 5/10


"Eine dunkle Begierde"
CA, DE, GB 2011
David Cronenberg
mit Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen

Sonntag, 6. November 2011

SISTERS


Kino außer Rand und Band. Brian de Palmas Frühwerk ist ein beeindruckender Flächenbrand.

Grace Collier beobachtet wie ein Mann, in der Wohnung gegenüber, bestialisch ermordet wird. Als die Polizei nichts findet bzw. nichts finden will, macht sich Grace selbst auf den Täter zu finden. Die Suche führt sie zum Fall eines verschwundenen siamesischen Zwillingspaares.

Nicht im geringsten fällt es leicht das zu glauben, was da auf dem Bildschirm vor sich geht. Selbst wenn man Hitchcock in und auswendig kennt und man sogar die Handlung von "Sisters" (beinah) mühelos vorhersehen kann, man glaubt es doch nicht. "Obsession", de Palmas Durchbruch, mag zwar die stringentere Hitchcock-Hommage sein, aber sie ist auch gefährlich nah am Plagiat.

"Sisters" dagegen zerlegt Hitchcock in seine Einzelteile und ordnet sie überraschend neu an, schon allein was die Perspektive auf den "unschuldig Verfolgten" angeht. De Palma hat seinen Film mit Anspielungen und Zitaten übersät und bringt es doch fertig sie so für sich zu vereinnahmen, dass sie schon fast originell erscheinen. Man braucht nur an die erste Mordszene zu denken. Der Cutter Paul Hirsch unterlegte die Szene damals zu Demonstrationszwecken mit Musik aus „Psycho“, was De Palma so begeisterte, dass er mit viel Geld Bernard Herrmann ins Boot holte, den er vorher für tot gehalten hatte. Gerade Herrmanns Score sorgt für den stärksten Hitchcock-Touch, obwohl sich der Meister gekonnt selbst reflektiert. Die Musik von „Sisters“ wirkt manchmal wie eine Karikatur seiner alten Werke, weniger originell, aber dafür wild geremixt bis an die Grenze zur Penetranz.

Anstatt, wie in „Obsession“, die Handlung von "Vertigo" neuzuspinnen, bearbeitet "Sisters" eine Geschichte aus De Palmas eigener Feder. Wunderlicherweise nimmt sein Film bereits Eigenarten der Cronenberg-Filme zuvor, der 2 Jahre später sein Kinodebüt mit "Shivers" ablieferte und erst 1988 eine ähnliche, wenn auch weitaus taktvollere, Zwillingsgeschichte auf die Leinwand brachte. Man sieht: Nicht nur De Palma kann "kopieren", man kann auch De Palma "kopieren". Dieses Wechselspiel ist in der Postmoderne ohnehin geläufig, obwohl ich bezweifle, dass es wirklich so etwas wie eine Postmoderne gibt, da jeder Filmemacher jeder Epoche darauf aufbaut, was seine Vorgänger geschaffen haben, aber das ist eine andere Geschichte.

"Sisters" war ein Frühwerk De Palmas mit äußerst geringem Budget. Das sieht man dem Film auch teilweise an, aber es erstaunt wie mitreißend er dennoch ist. Der Stilwille fesselt und kittet die komplett Amoklaufende Dramaturgie, die in ihrer Unausgegorenheit schon wieder sympathisch wirkt, vom Trash-Faktor ganz zu schweigen. Die minutenlange Splitscreen-Seqzuenz mit ihren Überschneidungen war zwar nichts neues. De Palma holte sie praktisch aus der Mottenkiste hervor, trotzdem wurde es sein Markenzeichen. Spätestens mit „Carrie“ wurde die Technik wieder salonfähig.

De Palmas (postmoderne) Krakenarme reichen natürlich noch viel weiter. Im grenzdebilen aber faszinierenden Finale taucht der Film metertief in die Psychen seiner Figuren ein, vermischt Buñuel mit Polanski, „Rosemary's Baby“ trifft auf den „andalusischen Hund“. Die wahre Meisterschaft De Palmas liegt also nicht im Verschleiern seiner Referenzen, sondern in seiner Ehrlichkeit. Er huldigt seinen Vorbildern und schlachtet sie dennoch gnadenlos aus, verkürzt sie, denkt sie neu, so weit bis sie ihm gehören, bis sie dem Film dienen, der unterm Strich „ein Brian de Palma Film“ ist.

"Sisters" ist letztendlich ein einzigartiger Thriller, der ganz auf die Kraft des Kinos vertraut, der manchmal eine saubere Geschichte nur des Effekts wegen vernachlässigt. Allein darin erscheint die Essenz großer Frühwerke. Da ist ein Filmemacher, der etwas zu sagen hat, aber niemand hört auf ihn. Er baut sich ein kleines Podest um die Massen zu überragen. Was bliebe ihm anderes übrig als laut zu brüllen? Für die einen laut genug, damit sie ihn gerade hören können, andere dagegen müssen sich bei dem Lärm die Ohren zu halten.

Wertung: 9/10


"Schwestern des Bösen"

US 1973

Brian de Palma

mit Jennifer Salt, Margot Kidder, William Finley

Samstag, 5. November 2011

THE DEAD ZONE


Fatale Hellsicht, Stephen Kings und David Cronenbergs Zusammenarbeit war zwar kurz, aber dafür auch äußerst effektiv.

Bevor ich mich nächste Woche mit Cronenbergs neuem Film beschäftige, stand noch "The Dead Zone" auf meiner Liste, ein Film, dem ich komischerweise lange aus dem Weg gegangen bin, wahrscheinlich, weil mich dieser Mainstreamspaziergang nicht besonders interessierte. Das war ein Fehler, denn man kann nicht behaupten, dass in „The Dead Zone“ nicht genügend Cronenberg stecken würde.

Johnny Smith überlebt nur knapp einen Autounfall und fällt für fünf Jahre ins Koma. Als er wieder erwacht hat sich alles verändert. Seine Freundin hat einen anderen geheiratet. Er ist seinen Job los und ihn plagen fürchterliche Kopfschmerzen. Als er die Hand einer Krankenschwester berührt, sieht er ihre Tochter in einem brennenden Haus festsitzen. Das Mädchen kann gerettet werden. Johnny hat nun die Gabe des „zweiten Gesichts“ oder ist es doch ein Fluch?

Körper und Geist sind untrennbar. Wenn man Cronenbergs Filme auf einen Satz herunterbrechen müsste, würde man wahrscheinlich zu dieser Aussage kommen. Ob nun der Geist das Fleisch manipuliert („The Brood“) oder das Fleisch den Geist („The Fly“), das ist egal, auch in „The Dead Zone“ stehen sie in einem Verhältnis.

Johnny, ergreifend gespielt von Christopher Walken, ist nach seinem Unfall ein gebrechlicher Mann, körperlich verkümmert und schwach, doch im Gegenzug beschenkte ihn das Schicksal mit medialen Fähigkeiten. Quit pro quo, Cronenbergs Figuren sind immer ausbalanciert, erst der Kampf beider Waagschalen bringt das Ungleichgewicht. Der Fluch hat sogar noch größere Auswirkungen. Je öfter Johnny von seiner neuen Kraft Gebrauch macht, desto mehr nähert er sich dem körperlichen Zerfall, bis zum Tod. Im Kern wird die Frage nach einem gewissenhaften Leben gestellt. Johnny kann sich entweder isolieren und weiterleben oder er kann seine Gabe verantwortungsvoll nutzen und zugrunde gehen, Einsamkeit oder Tod? Wofür würden sie sich entscheiden? Zu den größten Qualitäten des Films zählt eindeutig seine doch sehr nüchterne Inszenierung, die vor allem durch die klaren Bilder Mark Irwins zustande kommt. Der Film lässt einen sogar manchmal vergessen, es mit übernatürlichen Kräften zu tun zu haben, es scheint völlig normal. Umso mehr lässt er uns an der Tragödie Johnnys Anteil nehmen, der zu verstehen versucht, ob er es mit einer Gabe, einem Fluch oder einem kosmischen Witz zu tun hat.

Die Handlung verläuft eher episodenhaft, was erklärt, warum daraus später nochmal eine Fernsehserie wurde, allerdings weiß man auch lange Zeit nicht wohin die Reise überhaupt geht. Wie soll diese Geschichte nur enden? Mit dem Auftritt Martin Sheens wird das klarer. Sheen ist das zweite schauspielerische Highlight des Films, der die Manierismen eines schleimigen Politikers bis zur Mimikry beherrscht. Er ist laut, manipulativ und unausstehlich.

So ein bisschen, erinnert „The Dead Zone“ an ein Cronenberg'sches „Taxi Driver“. Johnny und Travis, beides Ausgestoßene, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen. „The Dead Zone“ spielt dazu noch mit Fragen des Superhelden-Mythos. Bei Scorsese wird daraus ein zweischneidiges Blutbad, bei Cronenberg ist es die letzte Hoffnung der Menschheit. Gewalt als Rettung ist im Genrekino Amerikas nicht neu, obwohl der Film diese Lösung auch gekonnt hinterfragt. Warum er zur Flinte greift, das wird eindringlich klar, Cronenbergs Inszenierung dagegen lässt einen zweifeln. So scheint es schon erschreckend, wie stringent Johnny seinem Plan nachgeht. Erst kurz vor dem Schuss, ein kleines Zögern und letztendlich kommt doch alles anders. Der Film wehrt sich gegen eine einfache Lösung. Travis überlebt in „Taxi Driver“ seinen Amoklauf und wird zum Helden stilisiert. Johnny stirbt und bleibt als hinterhältiger Attentäter im Bewusstsein. Das Happy End bleibt somit unvollständig, etwas fehlt und das ist auch gut so.

Wertung: 7/10


"The Dead Zone"

US, CA 1983

David Cronenberg

mit Christopher Walken, Brooke Adams, Martin Sheen

Sonntag, 23. Oktober 2011

TOP 10: TODE


Wie stirbt es sich am besten? Diese Frage haben sich wahrscheinlich schon viele gestellt. Das Kino hat uns diese Frage auch schon mehrfach beantwortet. Ich habe mich gefragt, was sind die zehn besten Todesszenen der Filmgeschichte. Die Auswahl ist natürlich höchst subjektiv und voller Spoiler. Es ist also Vorsicht geboten.


Um zum Video zu gelangen, einfach auf das Bild klicken!


Die angesprochenen Filme:

- "Außer Atem"
- "Reservoir Dogs"
- "Double Indemnity"
- "All That Jazz"
- "Caché"
- "Assault"
- "Shining"
- "Minority Report"
- "Don't Look Now"
- "Topaz"

Donnerstag, 6. Oktober 2011

MELANCHOLIA


Nachdem in zahlreichen Filmen, die Bosheit des Menschen bewiesen wurde, macht sich Lars von Trier auf uns endgültig zu vernichten. Doch was kommt danach?

Justine und Michael feiern ihre Hochzeit, doch das Glück wird von einem außer Kontrolle geratenen Planeten überschattet, der auf die Erde zu stürzen droht. Darüber hinaus wird das sowieso bereits angespannte Verhältnis zwischen Justine und ihrer Schwester Claire an diesem Tag auf eine schwere Probe gestellt.

„Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“, gäbe es einen passenderen Untertitel für Lars von Triers neuen Film? Leider ist er schon vergeben. Caspar David Friedrich schuf bereits ein gleichnamiges Gemälde, dass eben Mann und Frau den Mond betrachtend zeigte. Die Figuren in „Melancholia“ starren auch oft in den Himmel. Sie erblicken aber nicht den Mond, sondern einen mysteriösen Planeten, der unausweichlich auf die Erde zusteuert. Die Ängste sind die gleichen. Faszination und Furcht, irrationale Gefühle, der Mond ist deren Symbol, Melancholia ihre absolute Manifestation.

Von Trier schwelgt in der deutschen Romantik, lässt in einem sieben minütigen Prolog malerische Tableaus zu Wagners Klängen tanzen und verliert sich fast in der Unendlichkeit seiner Zeitlupen bis zur CGI-Kollision der zwei Planeten. In nur einem Wimpernschlag verschwindet unser schöner blauer Planet. Was Kubrick einst noch mit Strauß feierte, findet durch Wagner seine Vollstreckung. Das Vorspiel aus „Tristan und Isolde“ wird das einzige Musikstück des Films bleiben und einem immer wieder begegnen, seinem zarten Schrecken tut dies allerdings keinen Abbruch.

Schmerz durchzieht den neuen Film des streitbaren Dänen auf eine unnachahmliche Weise. Er ist nicht körperlich wie in „Antichrist“ oder moralisch wie in „Dogville“. Das erste Mal in Triers Werk kennen seine Schmerzen keine Ursachen. Sie sind einfach da. Es fühlt sich an wie Melancholie oder auch Depression, letztendlich ist es dieser berüchtigte Weltschmerz, der die Seelen zweier Schwestern packt. Der Weltuntergang erscheint dadurch fast nur wie ein Symptom.

Justine zerbricht am Prozedere ihrer Hochzeit und kann ihr Schauspiel nicht aufrecht erhalten. Die Depression lässt sich nicht mehr verdrängen. Der grundlose Schmerz sticht. Das erste von zwei Kapiteln in Triers Film beschäftigt sich ganz mit dem Ausbruch dieses Schmerzes. In einer wunderbar fatalistischen Aufstellung von Familienszenen, die in den besten Momenten an Vinterbergs Meisterwerk „Festen“ erinnern, entblättert der Autor seine Figuren bis sie alle nackt vor einem stehen. Die Besetzung ist makellos. Wie soll es auch anders sein?

Was Lars von Trier gelingt ist ein direkter Draht zwischen Justine und dem Zuschauer. Wie soll man Verständnis für dieses unvernünftige Gefühl der grundlosen Traurigkeit schaffen? Lässt sich Melancholie transzendieren? Friedrich wusste wie. Trier übersetzt es in bewegte Bilder.

Erst im zweiten Kapitel gibt sich „Melancholia“ als Endzeit-Film zu erkennen. Justines Depression hindert sie bereits an den einfachsten täglichen Aufgaben. Ihre scheinbar gefestigte Schwester Claire kümmert sich aufopferungsvoll um sie, doch auch sie verspürt Angst. Am Himmel leuchtet ein Planet heller als alles andere. Selbst der Mond ist keine Konkurrenz. Auch ihr Mann schaut hinauf, allerdings aus Neugier. Beide betrachten den riesigen Himmelskörper mit ganz unterschiedlichen Gefühlen.

Lars von Triers Weltuntergang ist unausweichlich und dennoch hofft man bis zuletzt, dass er überwunden werden kann, eben weil uns Hollywood jahrzehntelang gelehrt hat: Die Apokalypse ist verhinderbar und wenn nicht, dann gibt es wenigstens ein Leben danach, eine letzte Hoffnung sozusagen. Doch bereits im Prolog wurde uns doch klar gemacht: Es gibt kein Danach, nur ein Davor. Wie lebt man nun in diesem Davor? Triers apokalyptische Träume drehen sich einzig um die Gefühle seiner Figuren. Niemand ist da, der die Welt retten könnte, noch nicht mal Kiefer Sutherland vermag das. Es gibt keine Pläne, keine Ansprachen von Präsidenten und keine Wissenschaftler vor Videoleinwänden, wie schon oft gesagt, keine Hoffnung.

Claire will es nicht wahr haben. Sie verneint den Weltuntergang bis zuletzt. Ihr Schmerz ist so klar, als könnte man ihn anfassen. Ihre Souveränität weicht einer Handlungsunfähigkeit, die ihrer Schwester nicht unähnlich scheint. Doch Trier kippt das Verhältnis der beiden erheblich. Justine ist im Angesicht Ragnaröks im Vorteil. Ihre Welt ist bereits untergegangen. In einer brillant gespielten Szene diskutieren die beiden Schwestern über das Ende der Welt. Während Claire sich an die Möglichkeit des Überlebens klammert, entgegnet Justine kühl, dass es niemanden interessiert, wenn die Menschheit verschwindet. Wir sind allein im Universum und keiner wird um uns weinen.

Das große Dogma des Sci-Fi-Films „Wir sind nicht allein.“ verkehrt Trier hier ins komplette Gegenteil und schafft einen nihilistischen Gedanken, der sich tief in den Kopf gräbt und die wissenschaftlichen Vorstellungen von parallelen Welten und fremden Leben wie religiöse Jenseitsträume wirken lässt. Wie der Himmel aussieht ist doch ziemlich egal, es gibt ihn trotzdem nicht.

Der Zuschauer glaubt trotzdem nicht daran. Vielleicht liegt es daran, dass Trier seinen Film „nur“ in zwei Kapitel geteilt hat, egal. Sobald Melancholia auf das Publikum eingestürzt ist, erscheinen die Credits und trotzdem keimte bei vielen die Hoffnung oder die Angst der Film würde noch weitergehen. Warum sollte er das? Warum sollte jemand überleben? Gibt es kein klareres Ende als der Tod aller? Dieser unbeirrbare Glaube an ein Jenseits könnte ja schon fast als Gottesbeweis angesehen werden.

Ich frage mich schon woran der Mann und die Frau auf Friedrichs Bild denken. Glauben sie der Mond würde auf sie einstürzen oder lässt sie der Himmelskörper von einer anderen Welt träumen? Nun gut, vielleicht lindert das weiche Licht auch nur ihren Schmerz darüber nicht zu wissen was wirklich passiert, wenn es vorbei ist.

Wertung: 8/10


"Melancholia"

DK 2011

Lars von Trier

mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland

Sonntag, 17. Juli 2011

THE TREE OF LIFE

Flüstern im Dunkeln, die Geburt des Universums, eine Familie am Abgrund, Terrence Malick versucht in seinem neuen Film die ganze Geschichte zu erzählen.

Texas, 1960: Jack kommt als Sohn der O'Briens zur Welt. Zusammen mit seinen zwei jüngeren Geschwistern, wächst er unter der strengen Hand des Vaters und der Gnade der Mutter auf. Mit 19 Jahren stirbt sein Bruder, was Jack bis heute nicht loslässt.

In der nordischen Mythologie heißt der Lebensbaum, der alle Welten zusammenhält, Yggdrasil. Schlangen nagen an seinen Wurzeln, die Götter sitzen in den Zweigen und seine Äste reichen vom Jenseits zum Diesseits und zurück. Wenn der Baum stürzt, geht die Welt unter. Yggdrasil ist Kosmos und Zentrum allen Seins.

Nach Malicks zwanzigjähriger Leinwandabstinenz hat der amerikanische Autorenfilmer nicht gerade den Ruf „kleine“ Geschichten zu erzählen. „The Thin Red Line“ oder „The New World“, obwohl in klaren narrativen Konzepten eingebettet, erzählten mehr als nur über den Krieg oder die Erschließung Amerikas. Was ist der Mensch? Was ist die Natur? Das sind die großen Fragen, die Malick schon seit Anbeginn seiner Karriere interessieren.

In „Badlands“ bricht ein Liebespaar aus der Zivilisation aus und landet im Dickicht der Natur, doch letztendlich ist auch das kein Ausweg, keine geeignete Flucht vor der Schuld und den Schergen der Polizei. „Days of Heaven“ erinnert in vielen Momenten an Malicks Debüt. Auch hier macht sich ein Paar schuldig, versucht das Schicksal zu überlisten und scheitert wieder am menschlichen Wesen. Die Tage des Himmels dagegen verbrachten sie auf den Ährenreichen Feldern in der Glut der Sonne oder im gefrorenen Tau des Morgens. Malicks Filme sind durchtränkt von den ewig gleichen Fragen und das seit fast vierzig Jahren.

„The Tree Of Life“ steht in seinen Ambitionen den bisherigen Filmen in nichts nach. Das genaue Gegenteil ist eher der Fall. Wieder werden ähnliche Fragen gestellt, doch diesmal will Malick nichts auslassen. „The Tree Of Life“ ist beabsichtigtes Hauptwerk und ebenso ein Brückenschlag zu seinen früheren Filmen. So wie Yggdrasil, verbindet er alle Themen in Malicks Werk, greift sie wieder auf und denkt sie weiter, weiter als je zuvor.

Nur, fällt der „Tree of Life“, begräbt er auch Malicks künstlerische Integrität unter sich. Ein Scheitern ist nicht möglich und war doch noch nie so wahrscheinlich. Nach seiner Premiere in Cannes spaltete sich die Presse. Die einen sprachen von einem peinlichen Offenbarungseid, die anderen ließen sich von Malicks „opus magnum“ gänzlich gefangen nehmen. Gerettet hat ihn letztendlich die Goldene Palme und sein nächster Film steht bereits in den Startlöchern.

In den, objektiv betrachtet, recht kurzen 138 Minuten geht es weder konkret um den mythischen Baum des Lebens, noch wird er einmal erwähnt. Malick zeigt uns nicht Brad Pitt als Conquistador auf der Suche nach der Quelle des Lebens, wie es Aronofsky in seinem naiven „The Fountain“ gemacht hat. Der Titel ist hier viel eher Kommentar und Zugangshilfe, Er dient ja nicht nur dafür um dem Film einen Namen zu geben, sondern um zu umschreiben, was einen erwartet.

Lubezkis Kamera nimmt auffällig oft Bäume ins Bild, umkreist sie oder steigt an ihren Ästen empor. Als Gleichnis wird ebenso auf den Baum der O'Briens Bezug genommen, den der Vater zu Beginn von Jacks Leben in den Garten pflanzt und der nun praktisch mit ihm mitwächst. Doch all das erzählt Malick mehr am Rande. Was den Film am stärksten dominiert ist seine Gegenüberstellung von Schicksal und Zufall, Gnade und Natur.

Malick wuchs christlich geprägt auf, studierte Philosophie und endete beim Film. Jacks Leben verläuft anders und dennoch ist „The Tree Of Life“ ein sehr autobiografischer Film geworden, der das eigene Leben durchleuchtet und neu denkt. Das große Dilemma, was Malick quält, ist die Unwissenheit darüber ob Gott existiert. Der Film ist weder ein Gottesbeweis, noch eine Verleugnung oder ein religiöses Plädoyer, was ihm ja bereits oft unterstellt wurde.

Die Stimmen, niemand setzt Off-Kommentare so vollendet ein, sind von der gleichen Unwissenheit geprägt, wie die des Regisseurs. Ihre fundamentalen Fragen richten sie an ein uneindeutiges Du, ohne zu wissen ob es existiert. Malicks Sozialisation, Jacks Herkunft, beide kennen keinen Zweifel an Gott. Es gibt Kirchen und die Bibel als Beweise, alles von Menschenhand geschaffen, doch die Natur widerspricht Gott unaufhörlich. Wem soll ich glauben? Diese Unsicherheit ist der eigentliche Grundtenor und so ist dieser Film kein prätentiöser Gottesdienst geworden. Er stellt Fragen, große Fragen, also das was die Kunst sowieso am besten kann.

Viel logischer erscheint mir die Erklärung, dass es heutzutage einfach out ist sich mit Gott zu beschäftigen. Gott ist schließlich tot. Bei alten Filmen tolerieren wir das ja noch, aber bei zeitgenössischen? Sobald jemand das G-Wort in den Mund nimmt, fürchtet unsere atheistische Seite bekehrt zu werden, reiner Überlebensinstinkt und folglich Beißreflex. Malick, der stramm auf die siebzig zugeht, kann diese Frage nun nicht so leicht für sich beantworten, will er auch gar nicht. Selbst wenn seine persönlichen Interessen dem Zeitgeist widerstreben, dreht er einen Film darüber, sympathisch, wie ich finde.

„The Tree Of Life“ geht weit über das Theodizee-Problem hinaus. Malick interessiert sich nicht nur für die Moral Gottes und seine Motivationen „böses“ zu tun. Sein Film teilt sich in mehrere Teile, ohne konkrete Grenzen oder Titel, wie sie noch Kubrick für „2001“ verwendet hat. Im ersten Teil behandelt Malick den Tod des Bruders, die Qual der Familie, die Überlebensschuld Jacks. Warum musste er sterben? War es Schicksal oder Zufall? Die Stimmung des Verlusts, die Trauer und die stummen Blicke fangen Malick und Lubezki meisterhaft ein. Die Off-Stimmen vermitteln introspektiv was in den Figuren vorgeht. Jessica Chastain und Brad Pitt beeindrucken schon zu Beginn.

Sehr fließend wechselt der Film von der Thematik des Todes zum Ursprung des Lebens. Auf die beiläufige Bitte eines der Kinder an ihre Mutter ihnen eine Geschichte von vor ihrer Zeit zu erzählen, folgt eine Collage über die Entstehung des Universums und des Lebens, wobei Malick sakral-anmutende Gesänge mit naturalistischen Bildern der Urknall-Theorie kollidieren lässt. Auch hier stellt sich wieder die Frage nach dem Schicksal. War es vorherbestimmt, dass Leben entsteht oder gilt die frustrierende, wissenschaftliche Auffassung, dass der Mensch nur ein Lottogewinn ist. Malicks Montage schürt jedenfalls Ehrfurcht und verkleinert absichtlich die Figuren. So oder so, dass sie leben ist ein Wunder.

Der Genesis-Bildersturm legt eine kurze Pause in der Zeit der Dinosaurier ein. Nun gut, man kann schwer davon absehen, dass die VFX-Abteilung hier weit hinter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Außerdem kann man das befremdliche Gefühl nachvollziehen, auf einmal mit Dinosauriern konfrontiert zu sein, so ganz nebenbei, ohne Brimborium und außerordentlichem Interesse. Dabei ist die kleine Parabel, die sich Malick traut anhand von zwei Sauriern zu erzählen, eine gelungene Ouvertüre für den weiteren Film. Ein Jäger verschont sein Opfer, gegen jede Vorhersehung und der Regisseur lässt das ganze auch noch unkommentiert, wodurch wir wieder bei der Frage wären, ob Gott hier interveniert hat oder ob der Saurier gefürchtet hat, sich eine Krankheit einzufangen, wenn er die geschwächte Beute frisst.

Auf den Tod der Dinosaurier, folgt das Leben der Menschen, speziell der O`Briens. Malick fügt fließend das Leben Jacks an die Entstehung der Welt an. Hier liegt das Hauptaugenmerk. Die experimentelle Montage weicht zunehmend einer narrativen ohne auch nur annähernd konservativ zu werden. Malicks Schnitt und Lubezkis Kamera schaffen es mit wenigen Bildern enormes zu erzählen, seien es Konflikte oder Zeitsprünge. Alles fließt, so als sei alles beabsichtigt, was anhand der Flut an Bildern kaum vorstellbar ist. Die Regie vollbringt jedenfalls außerordentliches. Vielleicht demonstriert gerade der Mittelteil des Films Malicks ganzen Können, besonders, weil er auch am zugänglichsten ist und wir ganz in die innere Welt Jacks abtauchen können. „The Tree Of Life“ erklärt sich hier am besten. Wenn man den Ursprung des Universums als Stamm ansieht, dann ist Jack ein Ast. Alle sind miteinander verbunden. Jacks Ast teilt sich aber auch immer wieder auf, Sinnbild der Möglichkeiten eines Menschenlebens. Was für Entscheidungen fälle ich, welche Wege bleiben mir für immer verwehrt. Im Hauptteil des Films erzählt eben Malick von nichts anderem, Jacks Entscheidungen auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Lubezki positioniert seine Kamera stets auf Augenhöhe der Kinder. Das Weitwinkelobjektiv nimmt die Welt staunend wahr. Alles erscheint überlebensgroß und verzerrt. Die Geschichte ist universell. Jeder kann sich in ihr spiegeln. Die Kinder machen Fehler, rebellieren gegen ihren Vater, ebenso wie gegen Gott. Wir sind hautnah dabei, wenn Jack zum ersten mal wissentlich falsches tut. Wir erleben sein sexuelles Erwachen, seine Rachsucht, sein Mitgefühl. Atemberaubend, wie es Malick gelingt diese Lebensbilder zu formulieren, als würde man im Kino als Jack wiedergeboren werden. Er ist hin und hergerissen zwischen den moralischen Ansprüchen seiner Eltern. Warum sollte er gutes tun, wenn Gott ebenso böses tut? Existiert Gott denn überhaupt? Wofür dann die Moral? Habe ich überhaupt einen freien Willen oder ist alles Zufall?

Hunter McCracken brilliert in jeder Einstellung. Faszinierend, wie er nur mit Mimik und Gestik erzählen kann. Ebenso Brad Pitt, der hier eine seiner besten Leistungen abliefert. Pitt spielt den Vater nicht als stählerne Autorität. Vielmehr ist Mr. O'Brien Projektionsfläche des Sohnes. Pitt variiert stets im Bezug zu Jacks Entwicklung. Als der Sohn in der Pubertät gegen den Vater rebelliert und dieser ihn nicht bändigen kann, verfällt Pitts Figur in eine fast verletzliche Resignation und es ist einer der schönsten Momente des Films, wenn beide sich beim Unkraut jäten wieder näher kommen, selbst wenn die Konflikte ungelöst bleiben.

Malick lässt die Familie zerbrechen, zu groß sind die Wunden. Als der Vater seinen Job verliert, muss die Familie umziehen und begibt sich in eine ungewisse Zukunft. Wir wissen nur, das eine Kind stirbt. Jack wird Architekt und sich unter seinen eigenen Schöpfungen begraben, aus Schuld oder was auch immer.

Im letzten Akt stellt Malick die Frage nach dem Jenseits. Ohne es konkret zu benennen, entwirft er seine Vision des Himmels, die, respektive zum Bild des Lebensbaums, zeigt, wie alle Menschen miteinander verbunden sind, sich wiedersehen und verzeihen. Diese Vorstellung kann ebenso ein Traum Jacks sein, aber das ist nicht wichtig. Es schließt den Film und Malick kann sich sicher sein, alles erzählt zu haben, mehr oder weniger hatte er auch nicht vor.

Wertung: 8,5/10


"The Tree Of Life"

IN, GB, USA 2011

Terrence Malick

mit Hunter McCracken, Brad Pitt, Jessica Chastain


Im Kino!

Sonntag, 12. Juni 2011

HEARTS OF DARKNESS


Die legendären Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" gebährten eine ebenso legendäre Dokumentation, die in aller Ausführlichkeit, aber unterbewusst, das Kino an sich in Frage stellt.


Der in “Apocalypse Now” thematisierte Wahnsinn des Krieges wurde wohl durch den Wahnsinn der Dreharbeiten für diesen Film noch übertroffen. “Hearts of Darkness” ist eine Making-of-Dokumentation über Francis Ford Coppolas bahnbrechendes Werk.

Es scheint vielleicht ungewöhlich das "Making-Of" eines Films höher zu bewerten als den eigentlichen Film. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist "Hearts of Darkness" weit mehr als ein bloßes Making-Of, zum anderen bedingen sich die Existenzen beider Filme gegenseitig, weshalb man keinen der beiden objektiv schlechter oder besser einschätzen könnte.

Coppolas Über-Film bleibt also das Meisterwerk und wahrscheinlich sollte man ihn sich sowieso mehr als einmal ansehen um ihn wirklich zu fühlen. "Hearts of Darkness" kann man dieses Privileg zwar nicht anerkennen, aber dennoch gehört diese Dokumentation zu Coppolas Film, sie komplettiert ihn. Eigentlich komplettiert sie jeden Film, jedes künstlerisches Werk, was im tiefsten ja nichts anderes als eine Reise ins Herz der Finsternis sein sollte. Dieser Weg muss gegangen werden und entweder man kehrt heil zurück, so wie Coppola, oder man stirbt im Dschungel, so wie Kurtz.

Filmemachen im besonderen fordert ohnehin weitaus mehr, eben weil es eine sehr materielle Kunst ist, eine die man schlecht im Dunkeln machen kann. Sie lässt sich nicht nur mit Pinsel und Leinwand oder Stift und Papier erschaffen. Manchmal braucht man Hunderte von Komparsen, Tonnen von Stahl und Beton, Geld, Unmengen von Geld, Explosionen, Feuersbrünste, Drogen oder Waffen etc. Das alles für eine inszenierte Wirklichkeit?

Letztendlich sieht man es nur im Kino. Doch den wenigstens ist klar, dass hinter einer Exposion auf der Leinwand, auch eine echte Explosion steckt. Das ist die Unökonomie des Filmemachens. Du bläst ein Haus in Schutt und Asche. Du riecht es, schmeckst den Staub. Am Set bist du direkt im Geschehen. Im Kino schmeckst du nichts mehr. Wo liegt da der Sinn?

Martin Sheen, schwach vor Erschöpfung, betrunken, schlägt einen Spiegel ein. Sein Daumen blutet füchterlich. Er beschmiert seinen Körper mit Blut, wälzt sich nackt zwischen den Laken. Er weint und schreit, beinah gleichzeitig. Eine Prozedur von Tagen gerinnt auf der Leinwand zum halbsekündigen Destillat, wo man bereits die Hälfte verpasst, wenn man auch nur einmal blinzelt. Was bleibt? Wie soll der Zuschauer den selben Schmerz spüren? Ist das Zelluloid im Weg? Ist Filmemachen nichts anderes als eine Kunst-Installation mit schweren Handicaps?

Wie ist es heute? CGI relatviert viel und verschleiert noch mehr. Wenn man heute eine Explosion auf der Leinwand sieht, denkt man an den Computer. Wird dadurch alles besser? Ist der Animationsfilm die einzige filmische Kunst, wo nichts auf der Strecke bleibt, wo das Leid nicht umsonst scheint?

Es sei vermessen zu behaupten, "Hearts of Darkness" stelle all diese Fragen, von dem Buchstaben-Trio CGI ganz zu schweigen und dennoch ist diese Dokumentation auf den Spuren eines Gleichnisses, einer Gegenüberstellung von Wirklichkeit und Zelluloid. Was macht den Film so besonders, dass er es sich leisten kann, die Wirklichkeit so zu verstümmeln? Welchen Zweck haben die Anstrengungen von hunderten Menschen eine Kulisse zu errichten, die in spontaner Zerstörungswut abgefackelt wird, wenn das gedrehte Material aber noch nicht mal als Abspann taugt? Coppola wurde zu Kurtz. Jeder Regisseur muss kurzzeitig zu Kurtz werden. Nur so darf man poetische Schönheit beim Schlachten eines lebendigen Tieres empfinden und es unverfroren als Aufnahme für den Film verwenden. Bei dieser Produktion sind natürlich Tiere zu Schaden gekommen. Scheiß drauf! Wie kann sich das Kino da noch rechtfertigen?

"Apocalypse Now", wie auch "Hearts of Darkness" sind durchzogen von der Dialektik zwischen Leben und Tod, oder Tod und Wiedergeburt. Die Sonne geht zwar unter, sie geht aber auch wieder auf. Wenn man die Dreharbeiten eines Films als Zerstörung begreift, dann ist doch die Projektion im Kino nichts anderes als eine Wiedergeburt, ja sogar eine unendliche. Das Kino ist deshalb eine so große Kunst, weil es Zeitreisen ermöglicht, weil es unsterblich macht. Für Tarkovksy war der Film das einzige Medium das Zeit konservieren konnte. Den verstorbenen Marlon Brando auf der Leinwand zu sehen, mag vielleicht nicht das gleiche sein, wie leibhaftig vor ihm zu stehen, aber dennoch bleibt er bei uns.

Wertung: 10/10 !



"Reise ins Herz der Finsternis"
US 1991
Fax Bahr, George Hickenlooper, Eleanor Coppola
mit Francis F. Coppola, Martin Sheen, Marlon Brando



Endlich in Deutschland in der "Full Disclosure Edition" bei Arthaus erhältlich.
Allerdings nur auf Blu-Ray. DVD-Jünger müssen noch auf Importe zurückgreifen.


Dienstag, 24. Mai 2011

NEVER LET ME GO


Die schöne neue Welt liegt in Mark Romaneks drittem Film im England des vergangenen Jahrhunderts. Die ungewönliche Perspektive erlaubt einen hoffnungsvollen Blick in die kurzlebigen Herzen dreier Heranwachsender.

Kathy, Tommy und Ruth wachsen in Hailsham auf, eine Art Internat in einer idyllischen Hügellandschaft irgendwo in England. Sie wissen alerdings nicht, dass sie nur leben um später als menschliche Ersatzteillager zu dienen.


Utopien müssen nicht dringend in die Zukunft gelegt werden. Es ist sowieso ein offenes Geheimnis, dass Filme wie "Minority Report" oder "THX" mehr über die Gegenwart ihrer Entstehung erzählen als über den ernsthaft überlegten Fortgang der Menschheitsgeschichte spekulieren. Die Verfilmung von Kazuo Ishiguros Besteller "Never Let Me Go" verlegt seine Handlung deswegen umso wirkungsvoller in die Vergangenheit. Was auf den ersten Blick wie eine Verschlimmbesserung wirkt, bietet im Vergleich zu einer Gegenwartshandlung eine Vielzahl an neuen Überlegungen.

Mark Romaneks Film beginnt in den 50ern, einem Jahrzehnt großer wissenschaftlicher Errungenschaften und erhöhter Forschungsgläubigkeit. Die historische Lesart kommentiert die Gegenwart schärfer, da man eher dazu geneigt ist, begangene Fehler nicht ein zweites Mal zu machen, anstatt noch nicht begangenen entgegen der Neugier zu widerstehen. Auf der anderen Seite kann sich das Sub-Genre der Utopie so auf unscheinbare Weise vom unbeliebten Über-Genre des Sci-Fi emanzipieren, denn wissenschaftliche Novi sind hier nur in ihrem gesellschaftlichen Kontext interessant, nie als technische Konzepte.

Allein darin beißen sich Geschichts- und Zukunftsbild, denn Klontechnik und Organspenderschulen gehören nicht in unser Bild der 50er Jahre. In Romaneks Film erzeugt dieser Bruch eine Art Verfremdungseffekt. Uns wird weder eine Vision der Zukunft präsentiert noch eine wissenschaftliche Ausführung. "Never Let Me Go" gibt uns somit nie die Gelegenheit, dass wir uns von den Figuren und ihrer Geschichte ablenken könnten, hält unseren Blick aber auf einer natürlichen und kritischen Distanz um die Inhumanität der Filmwelt zu begreifen. Zuerst kommt man aber gar nicht auf den Gedanken, dass Romanek und sein Team irgendein Interesse daran hätten. Adam Kimmel lässt seine Kamera melancholisch durch die Sets gleiten. Jeder Lichtstrahl ist an seinem Platz und Rachel Portmans Kammermusik-Score legt sich wie süßer Sirup über jedes Bild.

Alles ist von einer friedlichen Ruhe durchzogen, als gäbe es keine Probleme, doch unter der schönen Oberfläche brodelt es mächtig. Sobald die junge Lehrerin -immer magisch Sally Hawkins- widerechtlich den Kindern von ihrem vorbestimmten Schicksal erzählt, legt sich ein Leichentuch über den Film. An diesem Zeitpunkt ist die Filmhandlung noch nicht weit fortgeschritten und so wird der Zuschauer gezwungen den Rest des Films mit Todgeweihten zu verbringen. Wie sehr beenflusst es Kinder, wenn sie den Ausgang ihres Lebens kennen? Romaneks Film ist vielmehr als eine bloße ethische Betrachtung.

Selbst für seine Plotpoints und melodramatischen Suspense scheint er keine außerordentliche Leidenschaft zu besitzen, denn die großen Geheimnisse werden schnell gelüftet und bereits mit einem kurzen Engangstext angedeutet. Nein, Garlands Drehbuch konzentriert sich ausschließlich auf die kurzen Biografien dreier Spender, ihre Träume, ihre Wünsche, ihr Erwachen und ihren Tod.

Carey Mulligan spielt die eigentliche Hauptrolle aus deren Perspektive wir den Film erleben, getragen durch ihre Off-Kommentare. Ich würde so gerne weiterschreiben, doch es geht nicht. Im Gegensatz zu Knightleys und Garfields Figuren, hat es Garland auf peinliche Weise verpennt seiner Hauptfigur ein Innenleben zu schenken, obwohl da doch irgendetwas sein muss. Jedenfalls gelingt es Mulligan überraschenderweise ihre Figur durch Schauspiel zu füllen, wirklich sichtbar ist dennoch wenig, denn das Drehbuch nutzt ihre Figur wirklich nur als Guckloch.

Das irritiert besonders im Zusammenspiel mit den anderen Figuren, denn wo Ruth und Tommy eine Psychologie, Schwächen und Stärken haben, da bleibt Kathy stumm und blass. Man weiß nur: Sie liebt Tommy und hat ebenso Angst vor dem Tod. Die Suche nach ihrem Original ist dem Film gerade einmal eine Szene wert. Das Beziehungsdrama um Kathy und Tommy wird dagegen zum roten Faden erhoben und Knightleys Ruth ist nicht mehr als ein Spielverderber. Dennoch, Keira Knightley macht auch hier mehr als sie muss. Ähnlich wie Mulligan, füllt sie die etwas flache Figur mit echtem Leben.

Die gelungenste Figur des Films ist allerdings Tommy, der von Garfield mit großer Verwandlungsfreude gespielt wird. Wer ihn in "The Social Network gesehen hat, weiß was ich meine. Tommy ist impulsiv und überraschend, zart und aggresiv, eine Vermengung wunderbarer Gegensätze. Abseits seiner Zuneigung zu Kathy, wird er zudem von großen Dämonen geplagt. Er sucht seine Seele. "Never Let Me Go" stellt nämlich auf fast vermessene Weise die Frage, ob Klone überhaupt eine Seele haben und den echten Menchen ebenbürtig seien. Umso verwirrender ist die Stärke des Films diese Frage unbeanwortet zu lassen.

Romaneks Film ist im guten wie im schlechten ein Film der unbeantworteten Fragen. Seien es die angerissenen Thesen oder die dünne Figurenzeichnung, weshalb man sich auch öfter fragt, was Tommy, Ruth und Kathy daran hindert einfach mal zu versuchen dem Apparat zu entkommen. Nun gut, letztendlich wird vieles relativiert, ebenso die Kritik an menschlichen Ersatzteillagern. "Am Ende haben wir doch alle das Gefühl zu kurz gelebt zu haben.", meint Kathy zum Schluss. Mit diesem Gefühl werden wir aus dem Kino entlassen. Mutig.

Wertung: 6/10


"Alles, was wir geben mussten"
US 2010
Mark Romanek
mit Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley


Nur im Kino!

Freitag, 20. Mai 2011

HOSTEL


2005 kreierte Eli Roth den stärksten Horrorfilm des Jahrzehnts und etablierte einen omnipräsenten Bösewicht, das Lächeln George Washingtons.


Drei junge Männer, zwei Amerikaner und ein Isländer, reisen durch Europa, wo sie junge Frauen kennenlernen wollen. In Amsterdam treffen sie einen Mann, der ihnen sagt, dass es in Bratislava einen Ort gibt, an dem die Mädchen auf Männer wie sie warten – insbesondere auf Amerikaner. Also fahren sie dort hin, und die Versprechungen des Fremden erweisen sich als wahr: In der gesuchten Herberge gesellen sich schnell zwei exotische Schönheiten zu ihnen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie in der Hölle auf Erden gelandetet sind…

Wie soll man dem Grauen begegnen? Wie manifestiert es sich? „Horror“, ein Wort und so viele Widersprüche. Ursprünglich war das Genre nur ein kleiner Zweig am ohnehin verkümmerten Baum der fantastischen Literatur. Ob nun Bram Stokers Ur-Vampir, Stevensons „Dr. Jekyll“ oder Shelleys „Frankenstein“, die Ängste, die sie schürten waren stets paranormaler Natur, aus Quellen der Hölle oder der pervertierten Wissenschaft. Der frühe Horrorfilm übernahm die übernatürlichen Sujets der Literatur fast kommentarlos. Nosferatu bzw. Dracula, Frankenstein und Werwölfe lehrten dem Kino-Publikum das fürchten, dabei waren diese schauderhaften Fantasiefiguren doch nur Manifestationen einer grausameren Realität. Im Laufe der Geschichte hat sich das Genre zum Glück geöffnet und spätestens seit den 70er darf man sich im Horrorfilm vor Hausfrauen, Gangstern und Messerstechern fürchten. Welche Möglichkeiten der Angst gibt es noch?

Der Begriff „Torture-Porn“ ist relativ neu und kam spätestens durch den Erfolg zweier Filme in aller Munde, „Saw“ und „Hostel“. Der „Folter-Porno“ beschreibt einen Film der sein Publikum durch naturalistische Darstellungen von Folterszenarien stimuliert, was schon ziemlich krank klingt, denn inwieweit kann Folter überhaupt unterhaltsam sein? Wo liegt die Perspektive des Zuschauers, beim Opfer oder beim Täter? Obwohl „Hostel“ und „Saw“ hier in einen Topf geworfen werden, kann man allein bei dieser Fragestellung völlig konträre Positionen erkennen. „Saw“ schlägt sich zwar nicht auf die Seite der Täter, doch argumentiert er aus Tätersicht. Jigsaw foltert um die Welt zu einem besseren Ort zu machen und seine Opfer sind meist bemitleidenswerte Egoisten ohne viel Persönlichkeit, die in ungemein kreativen Tötungsmaschinen nach langen Qualen sterben dürfen. Die Lust an der Kunst des langsamen Tötens ist das eigentliche Credo der „Saw“-Reihe, „Torture-Porn“ in Reinform also. Eli Roths „Hostel“ verfolgt dagegen eine ganz andere Perspektive. Das Foltern an sich steht ebenso wenig im Vordergrund wie eine moralische Legitimation. Das einzige was beide Filme eint ist der Schmerz.

Die Möglichkeiten der Angst scheinen nach einem Film wie „Hostel“ sowieso grenzenlos, denn Eli Roth gelingt es das Genre auf eine neue Ebene des Terrors zu heben. Weder ein Jason, noch ein Freddy müssen hier vorbeischauen um zu filetieren. Gewalt und Angst lauern nun überall, fest verankert in der Gesellschaft. Das Geld zwingt Engel wie Teufel zur Kooperation. Dein bester Freund, dein Nachbar, die Zugbekanntschaft, der Rezeptionist, die Hotelbegegnung, alle sind in Roths Film Kollabolateure. Die Welt ist böse. Selbst unsere Protagonisten sind „Eingeweihte“. Sie erkaufen sich zu Beginn des Films ebenso Macht, wie sie später der reinen Ohnmacht ausgesetzt sind. In der grandiosen Exposition erzählt Roth mit Mitteln der Teenie-Komödie von der Geilheit Amerikas, den Stereotypen der alten Welt, dem Heterosexismus und der Übersetzung von Geld ins Fleisch, nur um sie dann mit mittelalterlichen Folterszenarien zu spiegeln.

Auf den ersten Blick prangert „Hostel“ somit nicht nur den Menschenhandel, sondern auch den globalisierten Kapitalismus an, der stets darauf bedacht ist, dass zu liefern, wofür irgendjemand bereit ist zu zahlen. Doch im Großen behandelt der Film den Ausbruch der Gesellschaft aus ethischen Grenzen. Es geht hier klar um Dominanz, den Wunsch Macht über einen anderen auszuüben, doch inwieweit ist das heute noch möglich? Auch darin wird der Kapitalismus reflektiert. Es mag gewiss stimulierend sein, wenn man ein Unternehmen führt, Geld verdient, Personal entlässt und noch mehr Geld verdient, doch letztendlich ist das nur eine Form der entfremdeten Dominanz. So als würde man seine Mahlzeit mit Besteck verzehren. Der Antagonist des Films jedenfalls isst sein Essen mit Händen. Er will fühlen, was da für ihn gestorben ist. Das Böse will sich von der Zivilisation emanzipieren, einen Menschen foltern, sein Innerstes nach außen kehren und völlige Kontrolle über seinen Körper gewinnen. Weg mit den Gesetzen! Weg mit der Moral! Tod dem Humanismus und her mit dem Bohrer! Nein, her mit den freien Märkten!

Wertung: 8/10


"Hostel"

US 2005

Eli Roth

mit Jay Hernandez, Derek Richardson, Barbara Nedeljáková


Ungeschnitten auf Blu-Ray und DVD erhältlich.


Sonntag, 15. Mai 2011

SCREAM 4

Wie Meta kann man sein? Diese Frage stellt sich Wes Cravens neuester Auswurf seines Scream-Franchises unaufhörlich und beweist, dass vierte Teile doch Sinn machen können.

Seit der letzten grausamen Mordserie in Woodsboro ist viel Zeit ins Land gegangen. Sidney Prescott hat sich gut erholt und ist auf großer Buchtour, da sie sich seit Jahren nur noch dem Schreiben widmet. Doch als Sidney wiederkehrt, erfährt sie, dass erneut zwei High-School-Schülerinnen brutal ermordet wurden. Die Geistermaske hat wieder zugeschlagen und ein neuer Albtraum beginnt.


„Terminator: Salvation“, „Alien – Resurrection“, „Die Hard 4.0“, „Indiana Jones and the Kindom of the Crystal Skull“, die Liste von Hollywoods Trilogie-Durchbrüchen ist lang und bekanntlich unbeliebt. Ich wage mal die Behauptung aufzustellen, dass es keinen vierten Teil gibt, der in irgendeiner Form den vorherigen Filmen das Wasser reichen könnte. Trotzdem sind in den letzten Jahren die verspäteten Fortsetzungen, so nenne ich sie mal, wie Heuschrecken über uns gekommen. Teilweise sogar mit beachtlichem Erfolg, was die Chancen auf einen fünften Teil umso wahrscheinlicher macht, was allerdings sehr, sehr selten vorkommt, jedenfalls bei Blockbustern. „Indy 5“ soll ja irgendwann kommen, wenn es nach George Lucas gehen würde. „Die Hard“ scheint endlich vorbei zu sein. Einen fünften Teil von „Alien“ wünschen sich zwar viele Fans, aber davor schreckt sogar Hollywood zurück und der nächste „Terminator“-Film wird, ganz seltsam, ein neuer dritter Teil werden. Über die Vier kommen die wenigsten hinaus und selbst die wird immer mehr gemieden. Der neue Trend sind Prequels und Remakes, neuerdings Reboots. Ob „X-Men“ oder „Spider-Man“, sie alle trauen sich nicht die Trilogie zu durchbrechen, sondern schreiben sie entweder komplett neu oder fügen ein Preludium hinzu.

Dieser Trend ist natürlich auch nicht am Horrorfilm spurlos vorbeigegangen. Vor „Scream“ war das Zeitalter der großen Reihen, „Halloween“, „Nightmare“ und „Hellraiser“ verdienten ihre Brötchen in erster Linie durch ihre schon fast lächerliche Anzahl an Fortsetzungen. Nach „Scream 3“ kam der Remake-Wahn. Japan-Horror und Americas New Horror der 70er waren die Zielscheiben. Schade für das Genre war der Prestige-Status dieser Produktionen. Die originellen Filme gab es ja weiterhin, aber die Marketing-Macht lag bei den Remakes. Nur „Hostel“ und „Saw“ schafften den Sprung ins breitere Bewusstsein. Der erste war ein verkanntes Genre-Highlight und durfte, dank eines gewährten zweiten Teils, nochmal ordentlich aufdrehen. Der letztere war eher ein überraschendes Thriller-Debüt und wurde durch seine sechs Fortsetzungen immer uninteressanter. Dennoch, das originelle Horrorkino lebt weiter, seit ein paar Jahren vornehmlich in Frankreich und das sogar mit internationalem Erfolg. Die heutige Genre-Landschaft ist enorm vielseitig. Allein ein Besuch beim Fantasy-Filmfest beweist das. Von Kunst bis Trash kann man dort alles finden, ob nun Remake, Sequel oder erster Teil.

Und jetzt ist „Scream 4“ da, gegen jede Regel und gegen jedes Klischee. Die vierten Teile sind out, biedere Slasher sowieso und Meta-Sein ist auch ein alter Hut. Trotzdem leisten sich Williamson und Craven nach elf Jahren einen Trilogie-Durchbruch, der gleichzeitig einen Neu-Beginn darstellen soll. Denn angeblich ist „Scream 4“ der Auftakt einer neuen Trilogie mit einer neuen Generation. In Anbetracht des mäßigen Erfolgs des Films darf man aber hoffen, dass das ein leeres Versprechen bleibt, damit sich „Scream“ nicht auch noch so zu Tode läuft wie andere Genre-Konsorten.

Obwohl man „Scream“, wie keine andere Reihe, unendlich fach fortsetzen könnte, so wie ein Kritiker, kommentieren Cravens Filme das Kino und speziell das Genre im zeitlichen Wandel. Das Horror-Kino von 1996 ist ein anderes als das von 2011 und so beginnt „Scream 4“ gleich mit einem Kommentar zum Thema Torture-Porn und steigert sich kontinuierlich. Allein in den ersten zehn Minuten köpft Williamsons Drehbuch alle Ausgeburten des aktuellen Genre-Kinos. Auf „Stab 6“ folgt „Stab 7“, die Film-im-Film-im-Film-Thematik hat sich zu Tode gelaufen. Der Meta-Scheiß war schon 1996 ausgelutscht. Mehr Blut, mehr Gewalt, mehr Twists kompensieren den Inhalt, den man schon zigfach gesehen hat, wo wir wieder beim Remake wären, dem sich „Scream 4“ hauptsächlich widmet. Cravens Film will mehr Reboot der Reihe sein als Sequel, aber, und das ist klar, will er ebenso die Remake-Techniken analysieren und die Unterschiede zum ersten Film verdeutlichen, was letztendlich nur in der Ausformung eines vierten Teils funktionierte.

So gibt es natürlich die bekannten „Final Three“, bestehend aus Sidney, Gale und Dewey, aber auch eine Menge neuer Charaktere, die alle irgendwie so wirken, wie das 2011er Update des ersten Films. Da gibt es eine neue Sidney und einen neuen Film-Buff, der sich mit den Regeln auskennt, den Regeln des Remakes in diesem Fall. Williamson und Craven schaffen es wieder vorzüglich die wilde Mixtur aus Whodunit, Slasher, Komödie und Metafilm zu brauen. Die Mordszenen haben sich auf ein vielfaches erhöht und fallen spürbar härter aus, obwohl der Film definitv nichts für Gorehounds ist, da sich Craven eine gewisse 90er Distanz gönnt.

Bei der Frage: „Wie Meta kann man sein?“, gelingt „Scream 4“ sogar eine Steigerung gegenüber seinem Vorgänger, der ja bekanntlich auf einem Film-Set spielte. Bei Teil 4 rückt die Meta-Ebene ironischerweise noch mehr in den Vordergrund, so weit sogar, dass sie auffällig die Handlung und die Motivationen der Figuren beeinflusst. Die Online-Generation sorgt nun mit ihren Webcams und Live-Chats für ihren eigenen doppelten Boden. Die Filmemacher stehen dem eher zwiegespalten gegenüber, was sich besonders im Over-the-Top-Finale offenbart. Wenn die Meta-Ebene im Vordergrund steht, dann wird auch das Publikum andauernd dazu gezwungen den Film als Film zu reflektieren, wodurch die guten Dialoge zünden, aber das Slashen harmloser gerät, was Craven mit reichlich Suspense und Blut zu kompensieren versucht.

Vierten Teilen wird ja gerne ein „zu viel“ unterstellt, z.B. versteckte sich Indiana Jones in einem Kühlschrank um einer Atombombenexplosion zu entgehen, was ihm auch gelang. Für viele war das eine bodenlose Peinlichkeit. Ich fand es großartig. Dieses Zu-Viel-Element ist nun als „Nuking the Fridge“ bekannt. In den Bereich einer Kühlschrank-Explosion kommt spätestens das Finalevon "Scream 4", wenn Williamsons Drehbuch alles vorherige ad absudum führt und die Regeln des Remakes konsequent zu Ende denkt. Auch wenn der Zuschauer es wieder einmal nicht schaffen wird den Mörder zu enttarnen, geschweige denn seine Motivation zu erraten, das Finale des vierten Teils ist das bisher zynischste, blutigste und witzigste zugleich.

Am Besten waren die Scream-Filme immer, wenn sie Bezug zur Wirklichkeit nahmen, wenn die Genre-Grenzen verschwammen und der Film offen die Frage stellte, inwieweit das Gesehene den Zuschauer beeinflusst („Macht es ihn gewalttätiger?“). Dieses Theorem durchzieht alle Teile und besonders im vierten Film wagen es Craven und Williamson eine scharfe und ehrliche Kritik zu formulieren, die zwar vielen alt-väterlich vorkommen wird, aber mit deren Wahrheit wir stets konfrontiert werden, wenn wir den Computer oder den Fernseher anschalten. Ghostface hat die Leinwand verlassen.

Wertung: 7,5/10


"Scream 4"
US 2011
Wes Craven
mit Neve Campbell, Courtney Cox, Emma Roberts

Nur im Kino!

Samstag, 30. April 2011

I LOVE YOU PHILLIP MORRIS


Ironie pur! Eine der erfrischendsten Komödien der letzten Jahre scheitert letztendlich am Versuch ernsthaft zu sein.

Der unauffällige Geschäftsmann Steven Russell führt ein geregeltes Leben mit Frau, Kind, Haus und sonntäglichem Gesang im Kirchenchor. Bis ein Autounfall ihm zu einer profunden Erkenntnis verhilft: Er ist schwul. Fortan lässt er keine Party, kein exklusives Restaurant und keinen knackigen Kerl mehr aus. Das pralle Leben erweist sich als kostspielig, aber Steven beweist ungemein viel Phantasie in der regelmäßigen Beschaffung der notwendigen Finanzmittel. Natürlich geht das nicht lange gut und er landet im Knast. Dort lernt Steven seine große Liebe, den zurückhaltenden Phillip Morris, kennen. Und damit fangen die Probleme für Steven überhaupt erst so richtig an.

"Brokeback Mountain trifft auf Catch me if you can", so steht es auf der DVD-Rückseite. Kein guter Start, bei solchen Marketing-Sprüchen kommt mir schnell das Kotzen. So nach dem Motto: "Wow, der Film hat mir gefallen und der andere Film hat mir auch gefallen, dann wird mir dieser Film ja doppelt so gut gefallen." Leider war es nicht so, "I love you Phillip Morris" ist weder so gut wie Ang Lees Meilenstein, noch so gut wie Spielbergs mitreißender Hochstaplerfilm. Vielleicht, weil er wieder einmal an dem Umstand scheitert Film und Realität miteinander verschweißen zu wollen.

Wie uns zu Filmbeginn schriftlich eingebläut wird, handelt es sich hier um eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit, oder so, was den Filmemachern in vielerlei Hinsicht das Leben erleichtern, aber auch verherrend erschweren kann. Denn, obwohl ich nicht so viel erklären muss, wie bei einem rein fiktiven Film, weil der Zuschauer vieles hinnimmt, da es ja in der Realität anscheindend so passiert ist, muss man als Filmemacher umso stärker sorgen, dass es sich echt anfühlt. Entweder man entfremdet ("Terminal") und hat dann mehr Freiheiten oder man zieht es beinhart durch ("Dog Day Afternoon"), aber "I love you Phillip Morris" wirkt so, als wolle er eine wahre Biografie schildern und auf der anderen Seite schmeckt er so künstlich wie ein Bum-Bum-Eis. Nun könnte man mit der ultima ratio der Ausreden argumentieren, es würde sich hier um ein Stilmittel handeln, aber so leicht ist es nicht.

Ich will allerdings erst mal versuchen zu begründen, warum der Film mir trotzdem gefällt. Er hat in jeder Hinsicht eine tolle Handlung. Das Leben schreibt eben immer noch die besten Geschichten und dem Drehbuch gelingt es auch dem schwierigen Spagat zwischen Komödie und Drama Rechnung zu tragen. Darüber hinaus gelingen den beiden Regisseuren tolle, rein visuelle erzählerische Momente, besonders bei den komischen Szenen. Sowieso ist der Film eine wirklich gute Komödie mit hohem Unterhaltungswert.

Ich hatte meinen Spaß, aber warum leistet er sich so ein schweres Versagen bei den ernsthaften Szenen? Lag es am Casting oder am Drehbuch? Von allem etwas, würde ich sagen. So gut das Script bei den komischen Momenten funktioniert, so kläglich scheitern die beiden Regisseure beim Drücken auf die Tränendrüse. Ich bin ja eigentlich auch nah am Wasser gebaut, aber selten war Weinen so nervig wie hier. Entweder steht im Drehbuch zu oft "They cry." oder die Regie verwechselt Mitgefühl mit Mitleid. Nur weil Gähnen ansteckend ist, muss das nicht auch für Tränen gelten. Meiner Meinung nach hat hier auch ganz klar das Casting versagt. Carrey und Gregor passen einfach nicht zusammen. Ihre Liebesszenen wirken künstlich. Ich sehe da nur zwei Hetero-Schauspieler, die schauspielen. Das ärgert umso mehr, da die Darsteller in ihren Solo-Szenen sehr gut spielen.

"I love you Phillip Morris" ist bis zur Hälfte eine rasante und intelligente Komödie, die mit ihrer hohen visuellen Brillianz begeistert, aber leider, besonders im letzten Drittel, den Sprung zum biografischen Drama nicht schafft und an seiner künstlichen Ernsthaftigkeit und seinem Nacherzählanspruch letztendlich scheitert.

Wertung: 5,5/10


"I Love You Phillip Morris"
US, FR, 2009
Glenn Ficarra, John Requa
mit Jim Carrey, Ewan McGregor, Leslie Mann



Auf DVD & Blu-ray erhältlich!

Mittwoch, 20. April 2011

DON'T LOOK NOW


In Nicolas Roegs unsterblichen Meisterwerk geraten Gefühl und Vernunft auf schmerzvolle Weise gegeneinander und dem Medium Film wird ganz nebenbei auf ungeahnte Weise neues Leben eingehaucht.


John Baxter kommt mit seiner Frau Laura nach Venedig. Beide trauern um ihre Tochter, die erst kürzlich ertrunken ist. Als sie zwei mysteriösen Schwestern begegnen, geraten beide in den Bann unheimlicher Visionen.

Daphne du Maurier sollte jedem Filmfan ein Begriff sein, schuf die britische Autorin doch die Vorlagen zu zahlreichen Filmklassikern, vornehmlich Hitchcockwerke, von "Rebecca" bis "The Birds". Für die Verfilmung ihrer Erzählung "Don't Look Now" (DT: "Dreh dich nicht um") wurde allerdings der aufstrebende Regisseur und ehemalige Kameramann Nicolas Roeg verpfilchtet, der aus der symbolreichen Geschichte einen okkultistischen Fieberalptraum schuf, der mit Hitchcocks Kino nichts mehr zu tun hatte, ja, sogar dessen Antithese darstellt.

Während Roeg seine ersten beiden Filme noch selbst fotografierte, stand mit Anthony Richmond nun das erste mal ein anderer hinter der Kamera. Es ist unklar inwieweit sich die beiden Filmemacher ähnelten oder Roeg seinen Kameramann beeinflusste, klar ist, dass die personelle Änderung keinen Bruch in der visueller Gestaltung erzeugte. Auffällig ist aber, dass in "Performance" und "Walkabout" die Kamera weitaus exotischere Winkel sucht als in "Don't Look Now", was dieser größeren Prestige-Produktion damals wohl eher zu Gesicht stand. Die auffällige Farbdramaturgie ist ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal von Richmonds erstem Roeg-Film. Er taucht Venedig in schwelendes grau und beige. Selten, aber umso gezielter, kommt die Farbe Rot zum Einsatz, die gleichzeitg das visuelle Leitthema des Film darstellt, roter Regenmantel, rotes Blut. Die Schuld ist rot, ebenso ist es die Farbe der Warnung. Dieser steile Kontrast unterstreicht wunderbar die zahlreichen Brüche und Gegensätze innerhalb des Films.

Visuell ist "Don't Look Now" sowieso ein Film des genauen Hinsehens, des zweiten Blicks. Obwohl Roeg in zahlreichen Interviews insistiert, dass er weder probt, noch seine Filme großartig plant, erstaunt es umso mehr, dass die zahlreichen Details scheinbar wie gezielt inszeniert wirken. Wirklich verstehen und begreifen kann man diese filmische Collage nur, wenn man sich das Puzzle noch einmal von weitem ansieht, wenn man den Film einfach ein zweites Mal schaut.

Gerade in der viel-kritisierten, angeblich langweiligen, Mitte des Films, lässt sich Roeg Zeit eine subtile Stimmung der Verschwörung und Überwachung zu kreieren, von der sich Donald Sutherlands Figur aufsaugen lässt. Immer wieder lenkt die Kamera mit schnellen Zooms und heftigen Schwenks auf mehrdeutige Objekte oder unbehagliche Blicke vertrauensunwürdiger Nebenfiguren, vom Polizeikommissar bis zu den netten alten Damen. Am Ende kann der Zuschauer niemanden mehr trauen und auch er flüchtet sich in die unheilsamen Visionen der Hauptfigur.

"Sehen heißt Glauben!" spricht John Baxter zu sich, doch was ist, wenn man mehr sieht, als man glauben könnte? "Don't Look Now" zeigt uns wie kein zweiter Film, wie abhängig wir von unseren Vorstellungen und Vorurteilen sind. Keiner von uns geht mit offenen Augen durch die Welt. Wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Roegs Film, getarnt als psycholgischer Horror-Thriller, ist somit viel eher eine philosophische Aufarbeitung der Erkenntnistheorie und ebenso eine Abrechnung mit dem kritischen Rationalismus. Die Moderne, mit all ihrer Wissenschaft, die Aufklärung, mit seiner angeblichen Unmündigkeit, sie alle werden hier zur Schlachtbank geführt und zerschmettert mit dem vollen Einsatz von Kamera, Schnitt und Musik.

Der italienische Komponist Pino Donaggio lieferte hier seine erste Filmmusik ab, die nicht besser sein könnte. Schnelle Streicher, atonale Flötentöne, ein dumpfes Klavier, elektronische Töne, düstere Percussions, erst der vielschichtiger Score treibt "Don't Look Now" in die Höhen eines ernsthaften Horrorfilms. Später arbeitete Donaggio mit Argento und De Palma, was seine Eignung für dieses Genre noch einmal bestätigte.

Julie Christie und Donald Sutherland spielen das Baxter-Ehepaar. Christie wurde bereits von Roeg bei früheren Filmen fotografiert. Sutherland arbeitete das erste mal mit ihm. Rausgekommen ist eine der authentischsten Schauspielereignisse der 70er Jahre. Christie, bildschön und mit reiferem Gesicht, verkörpert die Laura als fragile Heldin, während Sutherland in seiner verkopften Rolle weitaus brüchiger erscheint. Die virtuose Leistung der Schauspieler, besonders bei der berüchtigten Liebesszene, führte damals zu einem kleinen Skandal, da die Leute dachten die beiden Schauspieler hätten wirklich miteinander geschlafen. Lars von Trier gelang selbiges in seinem Quasi-Remake "Antichrist" nicht, obwohl er sogar Nahaufnahmen vom Geschlechtsverkehr hineinschnitt. Roeg brauchte das nicht. Die Leistung der beiden Darsteller begeisterte auch Daphne du Maurier, die nach der Premiere auf Roeg zuging und ihm beschrieb wie sehr sie sich an wirkliche Ehepaare erinnert fühlte.

Allerdings, erst Roegs Einsatz des auktorialen Schnitts erhob den Film endgültig in den Olymp des Kinos. Angefangen bei der unvorhersehbar geschnittenen Todesszene der Tochter bis zur berühmten Sexszene, die das Liebesspiel mit dem anschließenden Anziehen ineinander montiert, was gleichzeitg Sinnbild der Dualität von Gefühl und Vernunft darstellt. Roegs undurchsichtiger und hoch-atmosphärischer Film kann sich nicht auf eine konventionelle Plot-Montage verlassen. Der Film muss hier zu seinem eigenem Rhythmus finden, muss die Möglichkeit besitzen vor- und zurückzuspringen, zu fragmentieren, seine Gedanken zu ordnen. Er muss sein eigenes Bewusstsein entwickeln. "Don't Look Now" ist somit der einzige Film, wo man glaubt, man würde dem Projektor beim Denken zuschauen.

Wertung: 10/10 !


"Wenn die Gondeln Trauer tragen"
IT, GB 1973
Nicolas Roeg
mit Julie Christie, Donald Sutherland, Hilary Mason



Bisher nur auf DVD erhältlich.
Arthaus hat aber für den Herbst eine Blu-Ray angekündigt.