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Montag, 19. Dezember 2011

2001 - A SPACE ODYSSEY


Der folgende Text stammt nicht von mir und trotzdem poste ich ihn, weil ich finde, dass er auf eine unvergleichliche Art beschreibt, was Kubricks Meisterwerk so zeitlos und wichtig macht. Viel Spaß beim Lesen!


"
Irgendwann in den (relativ frühen) Neunzigern :

Meine Hose hatte Löcher, mein Plattenteller trug die UK Subs und meine langen Haare trugen Flanellhemden.
Etwas später faszinierte mich ein mit nur noch wenig Fleisch behangenes Skelett namens Eddy, und aus den UK Sub wurde Maiden, aus Flanell wurden Nieten.
Das war, bevor ich die Mannen um Eddie Vedder entdeckte, genauso wie deren Vorbilder, dann die ganze Krautrockkultur (inclusive deren musikalische Brandsatzbeschleuniger auf Chemieebene).
Irgendwann erwischte ich mich auch noch dabei bei `block rockin beats`mitzunicken, und da beschloß ich still und heimlich, das diese ganze Sub-Genre-Nischen-Bildung mit all ihren Einschränkungen und Kategorisierungen doch eigentlich Mist sei.
Ganz egal, welche Nische man damit meint, sie engen immer ein.
Man schreit da nur angestachelt „Nonkonform !“ und „Fuck da Mainstream !“ und rennt dann doch nur in den selben Stammesfarben und Trachten rum, wie Zehntausend andere Idioten.
Und wehe man stellt mal was in Frage – darf man nicht – ausbrechen sowieso nicht, dann gibt’s ganz dumme Blicke, und kein Freibier mehr, und man müffelt dann so verdächtig.
Jugendbewegungen haben nur einen einzigen Zweck : Gemeinschaft, Gegen-Gemeinschaft, sich in dieser komischen Welt als Heranwachsender zurecht und Halt zu finden.
Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden !
Und jede neue Generation wird sich wie die Erstgeborenen fühlen, und die selben Spiegel und Konvention zu Brei schlagen wie ihre Elterngeneration....um sich dann später doch um den Hausrat und die Zinsen zu kümmern.
Ich sitze in meinem kleinen Zimmer, mit Ausblick auf eine ungebrochene Horizonzlinie und schreibe darüber – oftmals nur vergessenswürdige Schülerpoesie.
Es ist genau Neunzehnhundertzweiundneunzig...der Ruf von 2001 eilte der Erstsichtung dieses Filmes meilenweit vorraus.
Man, war ich enttäuscht.
So öde, so lang.So weilig.
In meinem Spiegel sitzt ein Fünzehnjähriger und grinst mich an.
Ich werfe einen Fußball in den Himmel.....
....
....und fange ihn als Herman-Hesse-Buch wieder auf.
Es ist Neunzehnhundertneunundneuzig.
2001 ist immernoch öde, aber besser.
HAL rockt, und das Ende hinterlässt eine merkwürdige, befremdliche Dauerschleife.
Wann immer ich an diesen Film zurückdenken werde, werde ich zuallererst das Ende sehen.
Die Subkultur-Grenzen sind in mir inzwischen gänzlich aufgeweicht, und neben Bob Marley steht Björk und Bolt Thrower im CD-Schrank.
Die letzten Schallplatten haben sich in einer Art Milleniums-Furcht und MP3-Player-Vorahnung schon unlängst auf Flohmärkten verdrückt (ICH ! DEPP!!!).
Ich schreibe immernoch, und die Fragen sind die selben :
Was zieh ich an, so ganz ohne Kuttenzwang ?
Und wer bin ich dann ?
Wer will ich wirklich sein ?
Janis singt „Freedom is just another word for nothing left to loose“ und zerstört Teenageridylle.
Ich fühle mich Heimatlos, und zum ersten Mal, ohne es in Worte fassen zu können, den Sternenhimmel nicht als wunderbare Photopostkarte, sondern als Verwantwortung und Zumutung.
In meinem Spiegel sitzt ein Zweiundzwanzigjähriger und grinst mich trotzdem an.
Ich werfe meine Hesse-Buch in die Luft........
...
.....und fange es als Kondolenzbuch wieder auf.
Es ist Zweitausendundzwei und meine Großmutter hat vor kurzem ihre eigenen Innerein ausgekotzt.
Wir wohnen jetzt fest in ihrem Haus, das sie uns hinterlassen hat, und ich arbeite seit kurzem.
Ich bin weder Popstar noch Rebell noch Literat noch Weltenretter oder wenigstens Astronaut geworden – fürs erste Schrubbe ich in erstaunlicher Höhe Leuchttürme.
Not for the fame, just for the money.
Aber die Aussicht ist gut – und die Ruhe.
Weg von Drama und Betroffenheit und zuviel geheuchelter Verwandschaft.
Selbst die identitätsstiftende Musik tritt hier in den Hintergrund.
Macht Platz für einen Mann names Lynch, für LOST HIGHWAY, einen Film der mich in Mark und Bein getroffen hat.
Seitdem schaue ich auf meine Filmsammlung, und sie ödet mich an.
Seitdem schaue ich auf mich selbst, und öde mich manchmal an.
Ich sehe mich, im Vollrausch, wie ich einmal ein Polizeischild randalierte.
Ich sehe mich, völlig bei Bewußtsein, an diesem hohen Aussichtspunkt baumeln.
Und ich denke mir : Wenigstens sind deine Haare noch lang, und deine Musik noch laut !
In meinem Spiegel sitzt ein Fünfundzwanzigjähriger und schaut mich fragend an.
Ich werfe einen Schwamm in die Luft...
...
..und fange ihn als Zugfahrkarte wieder auf.
Es ist Zweitausendundfünf, und nach einigen gescheiterten, anderweitigem Versuchen wird aus einer Fernbeziehung langsam ernst.
Erst große Liebe, dann zusammenziehen, dann da zusammen alt werden.
Niemand will auf Dauer sechs Stunden Zugfahrt, jeder will auf Dauer weg von Hotel Mama und hin zu neuer Nestwärme.
Das einzige, das auf Dauer die verlorenen Jugendideale ersetzt, und wenigstens zeitweise die ewigen Fragen abtötet.
Ich hatte schon vor Ewigkeiten den Fernsehr abgeschafft – sie schuf ihn wieder an.
Musik lief vornehmlich auf Zimmerlautstärke – und oftmals war es ihre, also keine gute !
Ich entdeckte eine, für mein Alter, beunruhigende Anzahl grauer Haare.
Ich war ein Nachtmensch, sie ein Vielschläfer.
Mein Biorhytmus lag in Scherben.
Und in einer der Nächte, in der ich da lag, neben mir, und neben ihr, wo sie mir im Schnarchen Geschichten davon erzählen konnte, wer sie war, und wie sie hierher gekommen war, in der ich mich fragte, ob es das alles wert gewesen sei, da flimmerte 2001 plötzlich über die leise gedrehte Mattscheibe.
Guter Film !
Der Film hatte genausoviele Fragen wie ich, und genauso wenig Antworten, aber er hatte einen Ersatz dafür gefunden, etwas was mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen fehlte : eine Utopie !
Manchmal wünschte ich mir immernoch heimlich, ich wäre Lemmy Kilmister.
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszenjähriger und fängt an mich hämisch auszulachen.
Es tut weh.
Ich werfe die Fernbedienung nach ihm...
..
...und fange sie selbst als Ehering wieder auf.
Es ist jetzt Zweitausendundelf.
Der Himmel über mir ist immernoch eine verdammte Zumutung.
Aber das ist alleine einschlafen inzwischen auch.
Wir haben den Orbit um unseren Planeten inzwischen mit allerlei Müll zugerammelt, um dieser Zumutung zu trotzen, um vielleicht andere Sterenkinder zu finden, um dem Nichts ein Etwas entgegenzusetzen.
Meine Frau hat derweil den Orbit um unser Bett mit Taschentüchern und Haargummis zugemüllt, und ich kenne inzwischen die ganze Crew von GREYS ANATOMIE beim Vornamen.
Dafür spielt sie inzwischen Videospiele und kennt Lynch genauso wie Trier.
Die Evolution in unserer Beziehung ist nicht zu übersehen.
Es wird nicht von Dauer sein, das weiß ich.
Selbst wenn das Leben, und wir es gegenseitig gut mit uns meinen, haben wir noch maximal vierzig-fünfzig Jahre, bis wir zu Sternenstaub werden.
Aber innerhalb dieser Zeit, das weiß ich jetzt, haben wir wenigstens etwas, das haltbarer ist als Teenagerträume und Nischenrebbelion.
Eine Utopie !
Inzwischen sogar : Ein Kinderwunsch.
Und was ist dieser Wunsch denn, außerhalb der biologischen Ebene, wenn nicht ein Hoffen und Verewiglichen, ein Weitergeben, und Vorrausblicken – kurz : das fleischgewordene Ergebnis einer Utopie.
Und 2001 ?
2001 - das weiß ich inzwischen - ist eines der größten menschlichen Werke, das außerhalb der Reproduktion, jemals der schnöden Unendlichkeit entgegengeworfen wurde.
Es exestiert monolithisch, bis heute, und trotz dem stummen Himmelszelt.
Es schreit :
“Hier steht ein Mensch ! Er denkt, er kotzt und er fühlt und er flucht ! Er ist das beste und schlimmste, was du schweigender Scheißhaufen von einem Universum jemals hervorgebracht hast.Und es ist ihm inzwischen egal, ob du mit ihm reden willst oder nicht, denn er hat längst seine eigenen Gespärchs und Antwortpartner gefunden ! In sich selbst ! In anderen ! In der beständigen Hoffnung auf nichts als die Hoffnung.“
In meinem Spiegel sitzt ein Sechszehnjähriger und lacht mich aus.
Doch er verblasst langsam und stetig.
Wahrscheinlich weil ich ihm glaubhaft versichert habe, das er sich jetzt verpissen kann.
Sein Film und Musikgeschmack war sowieso scheiße !"


Ich danke dem Urheber für diesen schönen Text.



Meine Wertung: 10/10 !



"2001 - Odyssee im Weltraum"
US 1968
Stanley Kubrick
mit Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester

Sonntag, 12. Juni 2011

HEARTS OF DARKNESS


Die legendären Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" gebährten eine ebenso legendäre Dokumentation, die in aller Ausführlichkeit, aber unterbewusst, das Kino an sich in Frage stellt.


Der in “Apocalypse Now” thematisierte Wahnsinn des Krieges wurde wohl durch den Wahnsinn der Dreharbeiten für diesen Film noch übertroffen. “Hearts of Darkness” ist eine Making-of-Dokumentation über Francis Ford Coppolas bahnbrechendes Werk.

Es scheint vielleicht ungewöhlich das "Making-Of" eines Films höher zu bewerten als den eigentlichen Film. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist "Hearts of Darkness" weit mehr als ein bloßes Making-Of, zum anderen bedingen sich die Existenzen beider Filme gegenseitig, weshalb man keinen der beiden objektiv schlechter oder besser einschätzen könnte.

Coppolas Über-Film bleibt also das Meisterwerk und wahrscheinlich sollte man ihn sich sowieso mehr als einmal ansehen um ihn wirklich zu fühlen. "Hearts of Darkness" kann man dieses Privileg zwar nicht anerkennen, aber dennoch gehört diese Dokumentation zu Coppolas Film, sie komplettiert ihn. Eigentlich komplettiert sie jeden Film, jedes künstlerisches Werk, was im tiefsten ja nichts anderes als eine Reise ins Herz der Finsternis sein sollte. Dieser Weg muss gegangen werden und entweder man kehrt heil zurück, so wie Coppola, oder man stirbt im Dschungel, so wie Kurtz.

Filmemachen im besonderen fordert ohnehin weitaus mehr, eben weil es eine sehr materielle Kunst ist, eine die man schlecht im Dunkeln machen kann. Sie lässt sich nicht nur mit Pinsel und Leinwand oder Stift und Papier erschaffen. Manchmal braucht man Hunderte von Komparsen, Tonnen von Stahl und Beton, Geld, Unmengen von Geld, Explosionen, Feuersbrünste, Drogen oder Waffen etc. Das alles für eine inszenierte Wirklichkeit?

Letztendlich sieht man es nur im Kino. Doch den wenigstens ist klar, dass hinter einer Exposion auf der Leinwand, auch eine echte Explosion steckt. Das ist die Unökonomie des Filmemachens. Du bläst ein Haus in Schutt und Asche. Du riecht es, schmeckst den Staub. Am Set bist du direkt im Geschehen. Im Kino schmeckst du nichts mehr. Wo liegt da der Sinn?

Martin Sheen, schwach vor Erschöpfung, betrunken, schlägt einen Spiegel ein. Sein Daumen blutet füchterlich. Er beschmiert seinen Körper mit Blut, wälzt sich nackt zwischen den Laken. Er weint und schreit, beinah gleichzeitig. Eine Prozedur von Tagen gerinnt auf der Leinwand zum halbsekündigen Destillat, wo man bereits die Hälfte verpasst, wenn man auch nur einmal blinzelt. Was bleibt? Wie soll der Zuschauer den selben Schmerz spüren? Ist das Zelluloid im Weg? Ist Filmemachen nichts anderes als eine Kunst-Installation mit schweren Handicaps?

Wie ist es heute? CGI relatviert viel und verschleiert noch mehr. Wenn man heute eine Explosion auf der Leinwand sieht, denkt man an den Computer. Wird dadurch alles besser? Ist der Animationsfilm die einzige filmische Kunst, wo nichts auf der Strecke bleibt, wo das Leid nicht umsonst scheint?

Es sei vermessen zu behaupten, "Hearts of Darkness" stelle all diese Fragen, von dem Buchstaben-Trio CGI ganz zu schweigen und dennoch ist diese Dokumentation auf den Spuren eines Gleichnisses, einer Gegenüberstellung von Wirklichkeit und Zelluloid. Was macht den Film so besonders, dass er es sich leisten kann, die Wirklichkeit so zu verstümmeln? Welchen Zweck haben die Anstrengungen von hunderten Menschen eine Kulisse zu errichten, die in spontaner Zerstörungswut abgefackelt wird, wenn das gedrehte Material aber noch nicht mal als Abspann taugt? Coppola wurde zu Kurtz. Jeder Regisseur muss kurzzeitig zu Kurtz werden. Nur so darf man poetische Schönheit beim Schlachten eines lebendigen Tieres empfinden und es unverfroren als Aufnahme für den Film verwenden. Bei dieser Produktion sind natürlich Tiere zu Schaden gekommen. Scheiß drauf! Wie kann sich das Kino da noch rechtfertigen?

"Apocalypse Now", wie auch "Hearts of Darkness" sind durchzogen von der Dialektik zwischen Leben und Tod, oder Tod und Wiedergeburt. Die Sonne geht zwar unter, sie geht aber auch wieder auf. Wenn man die Dreharbeiten eines Films als Zerstörung begreift, dann ist doch die Projektion im Kino nichts anderes als eine Wiedergeburt, ja sogar eine unendliche. Das Kino ist deshalb eine so große Kunst, weil es Zeitreisen ermöglicht, weil es unsterblich macht. Für Tarkovksy war der Film das einzige Medium das Zeit konservieren konnte. Den verstorbenen Marlon Brando auf der Leinwand zu sehen, mag vielleicht nicht das gleiche sein, wie leibhaftig vor ihm zu stehen, aber dennoch bleibt er bei uns.

Wertung: 10/10 !



"Reise ins Herz der Finsternis"
US 1991
Fax Bahr, George Hickenlooper, Eleanor Coppola
mit Francis F. Coppola, Martin Sheen, Marlon Brando



Endlich in Deutschland in der "Full Disclosure Edition" bei Arthaus erhältlich.
Allerdings nur auf Blu-Ray. DVD-Jünger müssen noch auf Importe zurückgreifen.


Mittwoch, 20. April 2011

DON'T LOOK NOW


In Nicolas Roegs unsterblichen Meisterwerk geraten Gefühl und Vernunft auf schmerzvolle Weise gegeneinander und dem Medium Film wird ganz nebenbei auf ungeahnte Weise neues Leben eingehaucht.


John Baxter kommt mit seiner Frau Laura nach Venedig. Beide trauern um ihre Tochter, die erst kürzlich ertrunken ist. Als sie zwei mysteriösen Schwestern begegnen, geraten beide in den Bann unheimlicher Visionen.

Daphne du Maurier sollte jedem Filmfan ein Begriff sein, schuf die britische Autorin doch die Vorlagen zu zahlreichen Filmklassikern, vornehmlich Hitchcockwerke, von "Rebecca" bis "The Birds". Für die Verfilmung ihrer Erzählung "Don't Look Now" (DT: "Dreh dich nicht um") wurde allerdings der aufstrebende Regisseur und ehemalige Kameramann Nicolas Roeg verpfilchtet, der aus der symbolreichen Geschichte einen okkultistischen Fieberalptraum schuf, der mit Hitchcocks Kino nichts mehr zu tun hatte, ja, sogar dessen Antithese darstellt.

Während Roeg seine ersten beiden Filme noch selbst fotografierte, stand mit Anthony Richmond nun das erste mal ein anderer hinter der Kamera. Es ist unklar inwieweit sich die beiden Filmemacher ähnelten oder Roeg seinen Kameramann beeinflusste, klar ist, dass die personelle Änderung keinen Bruch in der visueller Gestaltung erzeugte. Auffällig ist aber, dass in "Performance" und "Walkabout" die Kamera weitaus exotischere Winkel sucht als in "Don't Look Now", was dieser größeren Prestige-Produktion damals wohl eher zu Gesicht stand. Die auffällige Farbdramaturgie ist ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal von Richmonds erstem Roeg-Film. Er taucht Venedig in schwelendes grau und beige. Selten, aber umso gezielter, kommt die Farbe Rot zum Einsatz, die gleichzeitg das visuelle Leitthema des Film darstellt, roter Regenmantel, rotes Blut. Die Schuld ist rot, ebenso ist es die Farbe der Warnung. Dieser steile Kontrast unterstreicht wunderbar die zahlreichen Brüche und Gegensätze innerhalb des Films.

Visuell ist "Don't Look Now" sowieso ein Film des genauen Hinsehens, des zweiten Blicks. Obwohl Roeg in zahlreichen Interviews insistiert, dass er weder probt, noch seine Filme großartig plant, erstaunt es umso mehr, dass die zahlreichen Details scheinbar wie gezielt inszeniert wirken. Wirklich verstehen und begreifen kann man diese filmische Collage nur, wenn man sich das Puzzle noch einmal von weitem ansieht, wenn man den Film einfach ein zweites Mal schaut.

Gerade in der viel-kritisierten, angeblich langweiligen, Mitte des Films, lässt sich Roeg Zeit eine subtile Stimmung der Verschwörung und Überwachung zu kreieren, von der sich Donald Sutherlands Figur aufsaugen lässt. Immer wieder lenkt die Kamera mit schnellen Zooms und heftigen Schwenks auf mehrdeutige Objekte oder unbehagliche Blicke vertrauensunwürdiger Nebenfiguren, vom Polizeikommissar bis zu den netten alten Damen. Am Ende kann der Zuschauer niemanden mehr trauen und auch er flüchtet sich in die unheilsamen Visionen der Hauptfigur.

"Sehen heißt Glauben!" spricht John Baxter zu sich, doch was ist, wenn man mehr sieht, als man glauben könnte? "Don't Look Now" zeigt uns wie kein zweiter Film, wie abhängig wir von unseren Vorstellungen und Vorurteilen sind. Keiner von uns geht mit offenen Augen durch die Welt. Wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Roegs Film, getarnt als psycholgischer Horror-Thriller, ist somit viel eher eine philosophische Aufarbeitung der Erkenntnistheorie und ebenso eine Abrechnung mit dem kritischen Rationalismus. Die Moderne, mit all ihrer Wissenschaft, die Aufklärung, mit seiner angeblichen Unmündigkeit, sie alle werden hier zur Schlachtbank geführt und zerschmettert mit dem vollen Einsatz von Kamera, Schnitt und Musik.

Der italienische Komponist Pino Donaggio lieferte hier seine erste Filmmusik ab, die nicht besser sein könnte. Schnelle Streicher, atonale Flötentöne, ein dumpfes Klavier, elektronische Töne, düstere Percussions, erst der vielschichtiger Score treibt "Don't Look Now" in die Höhen eines ernsthaften Horrorfilms. Später arbeitete Donaggio mit Argento und De Palma, was seine Eignung für dieses Genre noch einmal bestätigte.

Julie Christie und Donald Sutherland spielen das Baxter-Ehepaar. Christie wurde bereits von Roeg bei früheren Filmen fotografiert. Sutherland arbeitete das erste mal mit ihm. Rausgekommen ist eine der authentischsten Schauspielereignisse der 70er Jahre. Christie, bildschön und mit reiferem Gesicht, verkörpert die Laura als fragile Heldin, während Sutherland in seiner verkopften Rolle weitaus brüchiger erscheint. Die virtuose Leistung der Schauspieler, besonders bei der berüchtigten Liebesszene, führte damals zu einem kleinen Skandal, da die Leute dachten die beiden Schauspieler hätten wirklich miteinander geschlafen. Lars von Trier gelang selbiges in seinem Quasi-Remake "Antichrist" nicht, obwohl er sogar Nahaufnahmen vom Geschlechtsverkehr hineinschnitt. Roeg brauchte das nicht. Die Leistung der beiden Darsteller begeisterte auch Daphne du Maurier, die nach der Premiere auf Roeg zuging und ihm beschrieb wie sehr sie sich an wirkliche Ehepaare erinnert fühlte.

Allerdings, erst Roegs Einsatz des auktorialen Schnitts erhob den Film endgültig in den Olymp des Kinos. Angefangen bei der unvorhersehbar geschnittenen Todesszene der Tochter bis zur berühmten Sexszene, die das Liebesspiel mit dem anschließenden Anziehen ineinander montiert, was gleichzeitg Sinnbild der Dualität von Gefühl und Vernunft darstellt. Roegs undurchsichtiger und hoch-atmosphärischer Film kann sich nicht auf eine konventionelle Plot-Montage verlassen. Der Film muss hier zu seinem eigenem Rhythmus finden, muss die Möglichkeit besitzen vor- und zurückzuspringen, zu fragmentieren, seine Gedanken zu ordnen. Er muss sein eigenes Bewusstsein entwickeln. "Don't Look Now" ist somit der einzige Film, wo man glaubt, man würde dem Projektor beim Denken zuschauen.

Wertung: 10/10 !


"Wenn die Gondeln Trauer tragen"
IT, GB 1973
Nicolas Roeg
mit Julie Christie, Donald Sutherland, Hilary Mason



Bisher nur auf DVD erhältlich.
Arthaus hat aber für den Herbst eine Blu-Ray angekündigt.


Donnerstag, 31. März 2011

BAD TIMING


"A sick film made by sick people for sick people."

Was auf den ersten Blick, wie ein Filmzitat anmutet, war in Wahrheit der Satz eines Produzenten nachdem er Nicolas Roegs „Bad Timing“ gesehen hatte. Leider war das erst der Anfang.
Der Schock der britischen Verleihfirma war ebenfalls groß, so groß, dass sie sich kurzerhand dazu entschlossen auf ihr Logo in den Kinokopien zu verzichten. Auch das Publikum wollte den Film nicht sehen und unter den Kritikern hielten sich Verriss und Belobigung die Waage.
Ein Kritiker rühmte „Bad Timing“ als den britischen „Vertigo“, ein Ritterschlag, der gleichzeitig das Dilemma impliziert. Denn so wie Hitchcocks Meilenstein, fristete „Bad Timing“ auch lange Zeit ein Schattendasein, doch wo Hitchcock sein Publikum eigenverantwortlich auf Entzug setzte, hatte Roeg nicht die Wahl. Sein Film verschwand einfach in den Archiven. Für seine Wiederbelebung zeichnete sich das ehrwürdige US-DVD-Label Criterion verantwortlich.

Man ist es ja langsam gewöhnt, dass weniger geachtete Werke von großen Regisseuren leicht dem Revisionismus anheim fallen, doch „Bad Timing“ hat diese Neubetrachtung wirklich verdient.
Dieser Film ist nicht nur der Schlüssel zu Roegs Werk, sondern gleichzeitig auch der Scheitelpunkt seiner Karriere. So schlecht wie „Bad Timing“ wurde keiner seiner Filme vorher rezipiert, was Roegs Unabhängigkeit enorm schmälerte. Danach folgte zwar mit „Eureka“ ein hochkarätig-besetzter Hollywoodfilm, doch hier waren die Produzenten selbst so schockiert vom Ergebnis, dass sie den Film schnell verschwinden ließen und Roeg eine Abfuhr erteilten, wodurch sein Abstieg endgültig besiegelt wurde.

„Bad Timing“ erzählt die Geschichte einer Amour Fou zwischen einem Psychologie-Dozenten (Art Garfunkel) und einer getriebenen, Freiheitssüchtigen Frau (Theresa Russell). Der Film beginnt mit den Bildern eines Ausstellung, wir sehen Gemälde des Jugendstils, dazu Tom Waits, statische Aufnahmen, Kamerafahrten um die Protagonisten, Schnitt, Totale, Beide sind im selben Raum schauen in unterschiedliche Richtungen, der Dozent verlässt das Bild, Titel, „Bad Timing“, er kommt wieder zurück, läuft an der Kamera vorbei. Wir sind in Wien, der Stadt Klimts, der Stadt der Psychoanalyse. Ein Krankenwagen bei Nacht, ein Kleinwagen am Tag, an der Österreich-tschechischen Grenze, sie steigt aus, dazu ein älterer Mann, im Hintergrund läuft Pachelbels Kanon in D-Dur, sie sehen sich an, er lächelt, sie ist verunsichert, er will ihr den Ring vom Finger ziehen, sie lehnt ab, sie trennen sich. In knapp fünf Minuten sehen wir geballtes Leben, ungeschönt, uninszeniert und undokumentarisch, auf eine Weise die man schlecht beschreiben kann. Man muss sie sehen.

Roeg erzählt den ganzen Film als zeitverschränkten stream of consciousness. Szenen junger unbeschwerter Liebe werden direkt Bilder der Depression und Obsession entgegengeschnitten. Dieses komplexe Erzählspiel treibt Roeg so weit, dass es letztendlich egal wird, in welcher Reihenfolge die Geschichte wirklich erzählt werden muss. Die Kausalität eines Plots ist hier völlig uninteressant, wodurch „Bad Timing“ jedem melodramatischen Fettnäpfchen ausweichen kann. Sogar auf eine klassische Kennen-Lern-Szene der Liebenden verzichtet der Film, was die chronologische Zusammensetzung nochmals erschwert, da einem der Anfang fehlt. Wie bei jedem Puzzle will man an den Rändern anfangen zu puzzlen, doch Roeg zwingt uns in der Mitte anzufangen, direkt im Herz, damit wir nicht an die Ränder denken, damit wir sie vergessen.

Nicolas Roeg ist bekannt als der Anti-Hitchcock, als ein Regisseur, der weder probt, noch mit Storyboards arbeitet. Wer zu viel plant, verpasst das beste. Da wird improvisiert oder eine Szene aus unvernünftig-vielen Perspektiven gedreht mit einem Berg an Material. Es wird auf Anschlüsse gepfiffen, Schnittfehler inbegriffen. Die Kamera reagiert, zoomt und schwenkt was das Zeug hält. Bei Roeg ist Kino Labor ohne Kittel. Seine Filme sind nicht real. Sie sind hyperreal.
„Bad Timing“ erstaunt Angesichts seines perfekten Flusses. Die Montage wirkt wie geplant, ebenso die Auflösung. Bei einer Verhör-Szene zwischen dem Polizeiinspektor und dem Dozenten, schneidet Roeg schnell und gezielt zwischen objektiven Over-Shoulders und subjektiven POVs, was die Anspannung beider Figuren perfekt unterstützt.

Roegs Handschrift ist in „Bad Timing“ stärker als in all seinen anderen Filmen, besonders was die Thematik angeht. Faszinierend, wenn nicht sogar phänomenal, ist die Reduktion dieses Liebesfilms auf das reine Innenleben der Figuren, ihr Gefühlsmix, ihre Lüste und Wünsche. Der einzige externe Konflikt, den Roeg nutzt, entsteht durch die Figur des Polizeiinspektors Netusil (Harvey Keitel), der herausfinden will, ob es sich bei dem vermeintlichen Selbstmordversuch Milenas nicht doch um mehr handelt. Seine Recherche ist Rahmenhandlung und Aufhänger der Erzählung, doch der eigentliche Film speist sich nur aus reinen Gefühlsbildern.

„Bad Timing“ war der erste Roeg-Film in dem seine Muse Theresa Russell mitspielte. Mit ihr änderten sich seine Frauenfiguren enorm. Russell ist weder eine Nachfolgerin Agutters, Christies oder Clarks, die allesamt ruhige Gegenentwürfe zu den hitzigen Helden waren. Russell spielt dagegen in „Bad Timing“, „Eureka“, „Insignificance“ und „Track 29“ stets extrovertierte Heldinnen, die oft an der Schale der Zurechnungsfähigkeit kratzen. Ihre Milena in „Bad Timing“ ist wie Feuer, entzündet durch Liebe, Drogen und Alkohol. Art Garfunkel, nach Mick Jagger und David Bowie der dritte Popstar, den Roeg als Hauptdarsteller verpflichtete, gibt seiner harmlosen Gestalt, eine tiefe, fast kalte Stimme. Garfunkels Blicke wirken oft wie versteinert, das Auftreten eines Rationalisten und Intellektuellen, eines Mannes, der meint den Geist zu kennen.

Im Großen erzählt Roeg, wie schon bei „Don't Look Now“, über das Versagen der Moderne. Garfunkels Figur ist hin- und hergerissen zwischen seinen bürgerlichen Lebensvorstellungen und dem hemmungslosen Hedonismus, den er mit Milena erleben kann. Sein Wankelmut, zwischen Lust und Verstand, treibt auch sie in den Wahnsinn. Sie trinkt, versucht sich zu trennen, kommt nicht los, nimmt zu viele Tabletten und ruft ihn ein letztes mal an. Er zögert, fährt zu ihr und stellt sie zur Rede. Als sie ohnmächtig wird, zögert er noch mehr. Er hört Musik, versucht sich abzulenken, dann doch, gewinnt das Es, die Libido, das Unterbewusste die Oberhand. Er vergewaltigt sie, verwischt die Spuren und ruft erst dann den Krankenwagen. Zum Schluss verliert auch hier unser zivilisatorisches Schutzschild.

„Bad Timing“ wird noch in tausend Jahren wahr sein. Er ist zeitlos, weil er sich aus Gefühlen speist, nicht aus Politik, Geschichte oder anderen Zeitgeistern. Nicolas Roeg war seiner Zeit anscheinend voraus. Nach Tarantino und Nolan fällt es uns dagegen leichter mit solchen Erzählkonstrukten zu hantieren. Doch wo der eine künstlich sein will und der andere spannend, da will Roeg nur, das wir uns hinsetzen und erleben.

Wertung: 10/10



"Black Out - Anatomie einer Leidenschaft"
GB 1980
Nicolas Roeg
mit Theresa Russell, Art Garfunkel, Harvey Keitel


In Deutschland nur als miese DVD erhältlich. In den USA gibt es die tolle Criterion-Edition, wahrscheinlich auch bald auf Blu-Ray.

Montag, 12. Juli 2010

FOLLOWING



Im Angesicht des baldigen Kinostarts von "Inception" und der seit "The Dark Knight" vorherrschenden Nolan-Euphorie, möchte ich doch gerne nochmal auf dieses kleine Meisterwerk aufmerksam machen, was dem Großteil der Nolanisten wohl noch unbekannt ist, obwohl es den Film seit "The Dark Knight" in einer mehr als günstigen DVD-Fassung gibt.

Für meine Begriffe ist "Following" nicht nur eine filmische Offenbarung, sondern in erster Linie wirklich Nolans bester Film. Auf den ersten Blick mag es traurig erscheinen, dass die späteren, teureren und prestigeträchtigeren Filme eines Regisseurs nicht mit seinem Debüt mithalten können. Allerdings gibt es auch nur ein paar Filmemacher, die einen Film in der Klasse von "Following" vorzuweisen haben. In dieser Hinsicht kann Nolan schon auf sich stolz sein. Es ist ja nicht so, dass seine späteren Filme wirklich schlechter waren. Sie waren trotzdem noch überdurchschnittlich gut. "Memento" kommt qualitativ noch am nächsten an "Following" heran. "Insomnia" war ein sehr trockenes und unaufgeregtes Remake, was mich sehr gefesselt hat. "Batman begins" ist das Sinnbild eines geglückten Reboots, obwohl das Original besser war. "The Prestige" ist ein filmisches Gewitter, überkonstruiert und voller Leidenschaft für seine Erzählung. "The Dark Knight" war dann natürlich der kommerzielle Breakthrough den man Nolan gegönnt hatte. Mit "Inception" kommt nun ein noch teurerer und aufwendigerer Blockbuster, allerdings zu 100% aus der Feder Nolans selbst und somit die Chance auf ein anspruchsvolles Kino-Erlebnis, mit Betonung auf Erlebnis!

Inwieweit die größeren Budgets Nolans spätere Filme schlechter gemacht haben, will ich garnicht beurteilen. Man merkt aber eine Tendenz, wobei man -wie schon gesagt- die Nolan gerne verzeiht, eben weil er so ein Meisterwerk wie "Following" als DEBÜT(!) abgeliefert hat.

Was ist denn nun dieses ominöse "Following"? Der Film geht knapp 80 Minuten, wurde auf 16mm-s/w-Film gedreht (nix mit miniDV!) und mit Freunden und Verwandten realisiert. Die Dreharbeiten zogen sich über ein Jahr hin und wurden abseits der Arbeit und des Studiums durchgezogen. Nolan studierte damals noch Anglizistik. Sein Team rekrutierte er überwiegend aus dem Uni-eigenen Filmklub mit dem Nolan schon den ebenfalls wunderbaren Kurzfilm "Doodlebug" produzierte. "Following" ist ein waschechter No-Budget-Film bei einem Budget von ca. 6000 Pfund, die in erster Linie wohl für das Filmmaterial drauf gegangen sind. Er war somit weitaus günstiger als andere bekannte Low-Budget-Debüts wie z.B. "Pi" oder "Clerks".

Das wirklich herausragende an "Following" ist, dass man ihm sein (wirklich geringes) Budget kaum ansieht. Im Gegensatz zu anderen bekannten No-Budget-Debüts, wie Peter Jacksons "Bad Taste" oder Robert Rodriguezs "El Mariachi" sind alle Produktionstechnischen Mittel auf das Drehbuch angepasst. Der Film brauchte einfach nicht mehr Geld. Bei den anderen genannten Filmen sieht man das geringe Budget, wodurch die Filme absichtlich wie B-Movies wirken und es wahrscheinlich nicht anders konnten. So könnten angehende Filmemacher zu dem Trugschluss kommen, dass man mit so einem kleinen Budget wirklich nur Trash-Filme drehen kann. "Following" widerlegt das meisterhaft.

Selbst die schauspielerischen Leistungen fallen nie negativ auf, was bei No-Budget-Filmen mehr die Regel darstellt, obwohl das doch eigentlich etwas ist, was am wenigsten kostet. Es müssen ja nicht immer ausgebildete Schauspieler sein.
Wenn man den Film öfter sieht, fällt einem umso stärker auf wie genial man das Budget genutzt hat. Ich wage sogar zu behaupten, dass "Following" mit mehr Geld schwächer geworden wäre. Gerade die Form des Guerilla-Filmmakings, Handkamera auf die Schulter, Schauspieler auf die Straße und los gehts, passt inhaltlich so verdammt gut zu "Following". Ey, es geht schließlich um einen Typen, der einfach durch die Fussgängerpassagen läuft und anfängt Leute zu verfolgen. Sowas wirkt doch nicht, wenn man für viel Geld die Straße absperrt und alles voller Statisten stellt. Nolan wollte echte Passanten, echte Kamerablicke, echten Voyeurismus (das Hauptthema Followings).

Auch die Kamera ist ein wahrer Schmaus (von Nolan selbst geführt). Natürlich sieht man das sie nicht viel Geld gekostet hat, aber sie ist nicht nur völlig ausreichend, sondern diese Form war mehr als notwendig. Nolan beschwört den Film-noir wie kein zweiter. Das Schwarz-Weiß in "Memento" war dagegen viel zu sehr Hochglanz. "Following" liegt zwar näher an "Außer Atem" als an "Laura" z.B., aber das Bild eines amoralischen Großstadtssumpfes wird durch die teils wackligen Handkamera-Aufnahmen und das natürliche Licht umso ungekünzelter.

Eigentlich gibt es an diesem Wunderwerk von Film nicht zu bemeckern, falls ja, wäre das kleinlich. Was hier geleistet wurde, geht über alles hinaus zu dem Hollywood-Produktionen jemals fähig wären. "Following" atmet bei jedem Frame echtes Leben. Es ist ein Kunstwerk, ein wirkliches Kunstwerk. Auch wenn Nolan sich vielleicht nicht als Künstler sieht. Er ist es. "Following" beweist es.

Ich habe nun realtiv wenig über den Film direkt gesprochen. Wer will schon eine reine Aneinanderreihung von orgasmischen Lobhuldigungen lesen?
Egal, der Film ist einfach überragend. Seht ihn euch bitte an! Seht ihn euch bitte mehrmals an! Mehr kann ich nicht sagen.

Manche denken sich bestimmt: "Ist mir doch egal wie der Film gemacht wurde. Was zählt ist der Film." Wenn man der Meinung ist, dass Filme einfach so aus dem Boden wachsen, kann man das so sehen. Spätestens seit der Nouvelle Vague sollte ja die Entstehung eines Films teil des Werkes sein.

Auf der anderen Seite könnte man fragen: "Warum hat der denn 6000 Pfund für Filmmaterial ausgegeben? Hätte ja auch auf DV drehen können. Hätte er noch mehr Geld gespart." Denjenigen stecke ich Kopf-schüttelnd meinen Mittelfinger entgegen. Nolan ist ein Filmfreak. Er liebt Film, also diesen veralterten Plastikstreifen und er dreht bis heute auf Film, auch "Inception", was auch der Grund ist, warum der Film nicht in 3D kommt, sehr sympathisch!

Ich komme mal zum Schluss. Was bleibt ist die Gewissheit, dass "Following" ein absolutes Meisterwerk ist und der Apell: "Gute Filme müssen nicht viel Geld kosten!" Keine neue Weisheit, aber sie wird gerne vergessen.

Wertung: 10/10 !


"Following"
GB, 1998
Christopher Nolan
mit Jeremy Theobald, Alex Haw, Lucy Russell


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Samstag, 29. Mai 2010

CRASH


James Ballard ist Filmproduzent und treibt es mit einer Kameraassistentin. Seine Frau macht es mit ihrem Fluglehrer. Das Sexualleben der beiden ist am Nullpunkt angekommen. Monotonie und Kälte haben sich in die Beziehung eingeschlichen. Erst als James einen Autounfall hat, kommen neue Gefühle in ihm auf. Die Überlebende des anderen Autos Dr. Remington spürt dasselbe. Beide kommen in die Kreise von Vaughan, einem Besessenen, der den Crash als neue Form der Sexualität proklamiert.

Als Cronenbergs Film 1996 in Cannes uraufgeführt wurde, verließen Scharen von Leuten den Kinosaal und beschimpften den Film als langweilige Pornografie. Viele andere dagegen sahen in dem Film ein Meisterwerk. Die Jury bezog zu dieser Kontroverse Stellung, indem sie an den Regisseur einen Spezialpreis für Mut und Originalität verlieh.

David Cronenberg begann seine Karriere mit Horrorfilmen, meistens Genrehybriden zwischen Horror, Sci-Fi und Thriller, darunter auch Kritikererfolge wie „Videodrome“ (1983). Mit dem Remake „Die Fliege“ (1986) drehte er seinen erfolgreichsten Film. Zuletzt drehte er die Crime-Ballade „Tödliche Versprechen“ (2007).

Obwohl es sich um die Verfilmung eines Sci-Fi-Romans handelt, weicht Cronenberg bewusst Konventionen des Genres aus. „Crash“ spielt im hier und jetzt, im Jahre 1996.

Der Film verfolgt eine Gruppe von Menschen mit einer Obsession. Cronenberg geht es nur um diese Gruppe. Der Rest wird ausgegrenzt, in Autos gesperrt, die anonym den Highway entlang fahren, immer der Spur entlang, ohne auszubrechen. Ähnlich wie in den Filmen David Finchers, setzt Cronenberg auf einen hermetisch abgeriegelten Kosmos. Der Film spielt überwiegend in engen Autos, auf leeren Parkplätzen und Autofriedhöfen. Selbst das Krankenhaus in dem James am Anfang liegt ist vollkommen leer. „Diese Station ist für die Opfer von Flugzeugabstürzen reserviert“ sagt James an dieser Stelle.

Der Film will uns keinen ausführlichen Blick auf eine Utopie gewähren. Es scheint eher so, als hätte sich ein Teil dieser Utopie wie ein Splitter in der Gegenwart eingenistet, in Form dieser Gruppe von „Crashophilen“. Vaughan sagt zu James an einer Stelle des Films: „Das ist die Zukunft und sie sind bereits ein Teil davon“

Während Ballard noch in seinem Roman kritisch die Möglichkeit einer solchen Zukunft beäugt, ist sie bei Cronenberg schon längst vorhanden. Es lohnt sich überhaupt nicht sich kritisch mit ihr auseinander zusetzen, wenn die Zukunft schon längst zur Gegenwart geworden ist.

Deshalb setzt er in seinem Film auf das bloße Zeigen, anstatt auf eine distanzierte Betrachtung. Cronenberg versucht die Erlebnisse der Gruppe erfahrbar zu machen. „Crash“ ist Erfahrungskino. Die Kamera bleibt dicht bei den Figuren. Viele Nahaufnahmen und Inserts visualisieren das verbogene Metall, das zersplitternde Glas und die bluttriefenden Autositze. Bei den Fahrszenen nimmt die Kamera nie die Perspektive des Passanten ein, an dem die Autos vorbei fahren, sondern sie bleibt an den Autos dran, macht den Zuschauer zu einem Teil des Fahrerlebnis. Nachdem James Mitglied von Vaughans Gruppe wird, unterwirft sich auch die Handlung vollkommen dem Erfahrungskino. Ab hier wird der Film zu einer Aneinanderreihung verschiedenster Crash- und Sexszenen. Ab hier setzt Cronenberg komplett auf den Rhythmus, der vom Schnitt, der Geschwindigkeit der Autos und den kopulierenden Bewegungen der Figuren beeinflusst wird. Jede Szene erfährt eine Steigerung zur vorher gegangenen.

Crash“ ist auch ein exzellentes Beispiel dafür wie der auteur Cronenberg sein frühes Werk reflektiert. Der Film setzt sich ironisch mit der Transformation und Deformation des Körpers auseinander. Als James Vaughan nach seinem „Projekt“ fragt, antwortet Vaughan, dass es ihm um „die Umformung des menschlichen Körpers durch die moderne Technologie“ geht. Also das gleiche Thema wie in „Videodrome“ oder „Die Fliege“, wo die Hauptfigur am Ende sogar mit der Technologie verschmilzt. Doch ist „Crash“ nicht als ernsthafte Variation dieses Themas angelegt. Der Film bricht die Deformationsidee nach einiger Zeit, als Vaughan sein wahres Projekt erklärt. James fragt ihn dann was aus dem Deformationsgedanken geworden ist. Darauf antwortet Vaughan, beinah beleidigend für viele frühe Cronenbergfilme: „Das ist nur ein primitives Science-Fiction-Konzept.“

Was Vaughan wirklich prophezeit ist eine neue Form von Sexualität, die er Psychopathologie nennt. Es geht nicht mehr um Sex zwischen zwei Menschen, sondern um Sex zwischen Mensch und Maschine, in diesem Fall, dem Automobil. Der Koitus ist der Crash. Die sexuelle Energie der Verstorbenen wird dabei auf die Überlebenden übertragen und das schneidende Metall der Karosserie schlitzt neue Körperöffnungen in die Unfallopfer. Eine Szene im Film zeigt den Sex zwischen James und Vaughans Geliebter Gabrielle, die nur noch durch ein Gerüst aus Kunststoff und Metall zusammen gehalten wird. James entdeckt dabei Gabrielles riesige Narbe an ihrem Bein als neue Vagina. Auch die Trennung von Geschlechtern verschwimmt letztendlich. James hat später Sex mit Vaughan und Gabrielle und Dr. Remington haben am Ende Sex in Vaughans Unfallwagen.

Abschließend muss gesagt werden, dass, obwohl „Crash“ eine bizarre Obsession behandelt und diese sogar versucht erfahrbar zu machen, der Film nicht zu Todesgeilheit anregen will. Die Figuren wehren sich dagegen, dass man sich mit ihnen identifiziert und die fluorzierenden Bilder, die ständig vom Schatten des Todes bedeckt sind, verstören den Zuschauer zunehmend. Man will diese Zukunft nicht von der Vaughan spricht. Cronenberg lässt sie uns erfahren um uns vor ihr zu warnen.

Wertung: 10/10


"Crash"

CA, FR, GB, 1996

David Cronenberg

mit James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas


Die einzig erwähnenswerte deutsche DVD gibt es beim MCP-Label , das eigentlich nur Scheiß-DVDs produziert, doch hier anscheinend mal was richtig gemacht hat.


JURASSIC PARK


Das Film-Event der 90er ist, aus der Distanz betrachtet, nicht nur eine technische Pionierarbeit, sondern viel mehr das Meisterwerk des Blockbuster-Kinos.

Ein Milliardär hat eine Reihe von Experten auf seine Insel eingeladen, um sie mit dem Unvorstellbaren zu konfrontieren: Dank ausgefeilter Klontechnik zum Leben wiedererweckte Dinosaurier.

Man kann seine Augen nicht abwenden bei diesem Meisterwerk, dass ich bestimmt schon tausend mal gesehen habe und mitsprechen kann.
Ich liebe ja das europäische Kino und natürlich auch die Avantgarde, aber Spielbergs Dino-Thriller treibt mir immer wieder Staunen ins Gesicht. Er ist einer der guten Gründe warum Hollywood existiert und warum man sich nicht vor guter Unterhaltung fürchten sollte.

Die Handlung ist einfach und eine Art Abklatsch von Crichtons "Westworld". Sie ist nur Vehikel für eine Reihe von atemberaubenden Set-Pieces. Spielbergs Genie zeigt sich schon bei der Besetzung. Durch den Verzicht auf große Stars und durch den ausschließlichen Einsatz von Charakterdarstellern schafft er Nähe, da die Figuren authentisch gespielt werden und alle ihre kleinen Macken haben. Es wird ja oft auf den Figuren herumgestampft, ja wie flach sie doch seien. Die Zeichnung der Charaktere ist begrenzt, aber ausreichend. Spielberg nimmt sich viel Zeit am Anfang um die unterschiedlichen Figuren dem Zuschauer attraktiv zu machen. Dazu kommen die wohl besten Dialoge, die je in einem CGI-Blockbuster gesprochen wurden.

Um den ersten Saurier noch weiter hinauszuzögern präsentiert der Film zu Anfang auch seine Bio-ethische Fragestellung. Ob Leben kontrollierbar sei? Im Bezug auf die Klontechnik ist der Film für einen Blockbuster überraschend ausführlich und schafft es JEDEM die Idee vom Klonen zu erklären.

Sobald die Dinos von der Leine gelassen werden (und darauf hat der gierige Zuschauer gewartet) geht Spielberg gleich in die Vollen und wagt es den Zuschauer mit zwei Kindern allein im Wagen zurückzulassen, während ein T-Rex sein Interesse an der Karosserie bekundet.

Nach dem großen T-Rex-Beginn hört die Spannungsschraube aber nicht auf sich zu drehen. Jede darauffolgende Szene ist großes Suspense-Kino, was selbst Hitchcock nicht hätte besser machen können. Highlights sind die elektrisierende Kletter-Zaun-Montage und das Hide-and-Seek in der Edelstahl-Küche.

Im Gegensatz zu vielen anderen CGI-Blockbustern scheint JP nicht zu altern. Es ist erstaunlich wie gut sich die Effekte gehalten haben und wie bahnbrechend die Pionierarbeit damals war.
Krönender Abschluss dieser Tour-de-Force des Kinos ist die Filmmusik von John Williams, der mit seinem Score nicht nur Filmgeschichte geschrieben hat, sondern auch mit dem schönsten Walzer, der je in einem Thriller gespielt wurde, aufwarten kann. Harte Bläser, die Raptoren-Klänge intonieren, schnelle Streicher, die den nächsten Knall herbei musizieren. Hier sind Bild und Ton ein perfektes Paar.

Die eigentlichen Stars bleiben aber die Dinosaurier. Spielberg vertraut seinen Geschöpfen so sehr, dass er auf jedwede andere Ablenkung verzichtet. Ausgefeilte Kamerafahrten, expressives Lighting oder überschnelle Schnitte sucht man in JP vergebens. Hier sind die Computertricks das ausreichende Faszinosum und leider waren sie nie wieder so nützlich für die Erzählung wie in "Jurassic Park".

Wertung: 10/10 !


"Jurassic Park"
USA, 1993
Steven Spielberg
mit Sam Neill, Laura Dern, Jeff Goldblum


Den Film gibt es in bester Qualität in den unterschiedlichsten DVD-Editionen mit genügend Extras. Es bleiben praktisch keine Wünsche offen, bis auf die Blu-Ray-Fassung, die lässt noch auf sich warten.

DAYS OF HEAVEN



Nach diesem Film verschwand Terrence Malick für 20 Jahre und kehrte mit dem interessanten Film "Der schmale Grat" zurück, der seinen vorherigen 2 Filmen, u.a. "Days of Heaven" nicht ebenbürtig sein konnte.

Es ist die Geschichte eines kurzen Aufstiegs, aufgebaut auf einer Lüge, die gleichzeitig der Untergang ist. Es ist ein Melodram ohne spektakulären Plot und ohne klar erkennbare Spannung. Trotzdem befolgt dieser Film mit zynischer Konsequenz die Regeln des Genres. Denn es trifft immer das schlimmste ein.

Teilweise erinnert der Film an Malicks Erstling "Badlands". Beide Filme haben ein tiefen pessimistischen Grundton. "Days of Heaven" wird dagegen sogar nihilistisch. Denn was hier falsch oder richtig sein soll ist unerklärlich. Ein Urteil kann man sich genauso wenig über die Protagonisten erlauben.
Hier nutzt Malick die Regeln des Melodrams gekonnt für sich, in dem er die Determination der Figuren zum Thema erhebt. Einen Sinn im Leben, ein Ziel, eine Funktion sucht hier jede der Figuren, die Armen wie die Reichen. "Days of Heaven" schaffte es im Gegensatz zu "Badlands" mich wirklich zu berühren.
Das liegt zum einen an der zarten und desillusionierten Erzählerstimme des Mädchens, an Brooke Adams, aber am meisten an Sam Shepard. Nie hätte ich für möglich gehalten, was für ein Schauspieler er sein kann. Der Farmer ist keine besonders auffällige Rolle, ähnelt mehr dem passiven Zuschauer und doch ist er Dreh- und Angelpunkt der Handlung, bei dem man die Sehnsucht, das Leid und die Furcht vor dem Tod am meisten spürt, obwohl er nicht einmal davon spricht.

Zu Malicks besten Werk wird der Film allerdings erst durch die Kamera Nestor Almendros. Die Entscheidung der beiden Filmemacher, die Aussenszenen nur während der Magic Hour zu drehen, war ein Genie-Streich. Zum einen unterstreicht das Zwiellicht den schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit. Auf der anderen Seite betont das warme tiefstehende Licht auch die innere Kälte der Figuren, die wie dunkele Flecken mit langen Schatten durch die goldenen Kornfelder wandern.
Jede Einstellung ist etwas besonderes, auch wenn sie gar nicht danach aussieht. Die Topografie, die Weite, das riesige Farmerhaus winzig am Horizont, das im Wind wehende Korn, die erschreckenden Bilder der Heuschrecken.

Malick benötigte 2 Jahre für den Schnitt und noch heute ernähren sich Filmemacher von seiner Melo-Ballade, u.a. P.T. Anderson für "There will be Blood".
"Days of Heaven" ist das schönste, poetischste und gleichzeitig pessimistischste Melodram aller Zeiten!

Wertung: 10/10


"In der Glut des Südens"
USA, 1978
Terrence Malick
mit Richard Gere, Brooke Adams, Sam Shepard


Die deutsche DVD bietet leider keine Extras, dafür aber eine gute Bild- und Tonqualität. Der Originalton ist glücklicherweise vorhanden, trotz der gelungenen Synchronisation.
Importwilligen rate ich aber zur US-DVD des Edel-Labels Criterion. Seit März gibt es da sogar eine Blu-Ray-Version des Films. Wer einen Region-A-Player besitzt, sollte sich von dem hohen Preis nicht abschrecken lassen. Für diesen Film wurde die Blu-Ray erfunden!
Einen Vergleich der verschiedenen Versionen findet man hier.