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Sonntag, 29. Juli 2012

THE CONVERSATION


"You're not supposed to feel anything about them."

Es gibt so viele Beispiele für Filmemacher, die am Anfang ihrer Karriere strahlend leuchten und dann immer mehr verglimmen. Francis Ford Coppola ist sehr wohl Teil dieses Kreises. Sein Abstieg ist einer der steilsten. Wie so viele Filmemacher des New-Hollywood war auch er Teil der Roger-Corman-Schmiede, lernte dort das Handwerk und realisierte erste Filme. Der Durchbruch kam dann mit „Der Pate“ und dem eindringlichen Nachschlag „Der Pate II“. Beide Filme räumten wie verrückt bei den Oscars ab. Coppola bekam alle Freiheiten und drehte „Der Dialog“, einen minimalistischen Thriller über einen Abhörspezialisten.

Harry Caul (Gene Hackman) lebt für den Beruf. Sein Privatleben ist auf das mindeste reduziert, gerade soviel um nicht wahnsinnig zu werden, könnte man meinen. Für ihn sind die Menschen, die er abhört, bloße Stimmen. Er kennt sie nicht, will sie nicht kennen lernen, doch ein neuer Auftrag ändert alles, da er Harrys dunkle Vergangenheit heraufbeschwört und der Profi beginnt seine eigenen Regeln zu brechen.

Allein beim Lesen der Inhaltsangabe werden die weitreichenden Verweise von Coppolas Film klar. Nicht ohnehin fühlt man sich an den letzten großen deutschen Oscar-Gewinner „Das Leben der Anderen“ erinnert. Auch Christopher Nolan hat sich für sein Debüt „Following“ wahrscheinlich hier bedient. Dabei erzählt der „Der Dialog“ gar keine neue Geschichte. Die Wurzeln des Films liegen bei Hitchcock und dem Film noir. Es ist eine reizvolle Erzählung über Überwachung, soziale Codes und Obsession. Dazu kommt die Bedeutung des Films als Zeitdokument. Coppola zeichnet Nixons Amerika, was ja ein Amerika des Misstrauens war. Der Watergate-Skandal in Form einer Parabel über einen Abhörprofi, der die Welt zu interpretieren versucht und daran kläglich scheitert.

Es gibt keine Szene in der Harry Caul nicht zu sehen ist. „Der Dialog“ bleibt stets subjektiv und daher täuschend. Caul ist wiederum auch nur ein Zuschauer, wie wir. Coppola arbeitet klar mit filmischen Codes, verwendet überwiegend Teleobjektive und voyeuristische Perspektiven. Der Zuschauer beobachtet Harry. Harry beobachtet ein Paar im Park. Zwei Ebenen, die sich spiegeln, wobei es Harry, wie auch uns, schwer fällt menschliches Verhalten zu deuten. Somit erarbeitet Coppola in seinem Film auch eine Kritik am Kinobild, das letztendlich oberflächlich bleibt. Ein Blick unter die Haut ist nicht möglich, theoretisch jedenfalls.

Es gibt einen Moment im Film in dem der Blick Harrys und der Blick des Zuschauers divergieren, wo beide Ebenen nicht mehr kohärent zueinander sind. In einer Traumsequenz gibt uns Coppola Einblick in Harrys Seele. Seine Ängste werden nun ganz deutlich. Der Mann, der für viele nur ein Rätsel ist, kommt uns auf einmal sehr nahe. Wir können nun unter Harrys Haut sehen, doch er kann es nicht. Die Tragödie ist vorprogrammiert.

In Coppolas Werk nimmt „Der Dialog“ eine Sonderstellung ein, ähnlich wie „Punch-Drunk Love“ von Paul Thomas Anderson. Beide sind kleine Produktionen, die zwischen fast megalomanischen Filmen entstanden sind. Coppola verschwand nach dem Film drei Jahre im Dschungel und kehrte mit „Apocalypse Now“ wieder, einem Film, der schier alle Grenzen bricht. „Der Dialog“ ist, wie eingangs erwähnt, eher ein minimalistischer Thriller, kein Film, der vor Spannung zerbirst, aber ein Film mit ungemeinen Suspense. Es geht um das große Dilemma: „Kann ich dem trauen, was da auf der Leinwand passiert?“ Auch bekannt als der Leitsatz des 70er-Jahre-Kinos: „Nichts ist wie es scheint.“

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 9,5/10

"Der Dialog"

USA 1974
Francis Ford Coppola
mit Gene Hackman, John Cazale, Harrison Ford

Sonntag, 6. November 2011

SISTERS


Kino außer Rand und Band. Brian de Palmas Frühwerk ist ein beeindruckender Flächenbrand.

Grace Collier beobachtet wie ein Mann, in der Wohnung gegenüber, bestialisch ermordet wird. Als die Polizei nichts findet bzw. nichts finden will, macht sich Grace selbst auf den Täter zu finden. Die Suche führt sie zum Fall eines verschwundenen siamesischen Zwillingspaares.

Nicht im geringsten fällt es leicht das zu glauben, was da auf dem Bildschirm vor sich geht. Selbst wenn man Hitchcock in und auswendig kennt und man sogar die Handlung von "Sisters" (beinah) mühelos vorhersehen kann, man glaubt es doch nicht. "Obsession", de Palmas Durchbruch, mag zwar die stringentere Hitchcock-Hommage sein, aber sie ist auch gefährlich nah am Plagiat.

"Sisters" dagegen zerlegt Hitchcock in seine Einzelteile und ordnet sie überraschend neu an, schon allein was die Perspektive auf den "unschuldig Verfolgten" angeht. De Palma hat seinen Film mit Anspielungen und Zitaten übersät und bringt es doch fertig sie so für sich zu vereinnahmen, dass sie schon fast originell erscheinen. Man braucht nur an die erste Mordszene zu denken. Der Cutter Paul Hirsch unterlegte die Szene damals zu Demonstrationszwecken mit Musik aus „Psycho“, was De Palma so begeisterte, dass er mit viel Geld Bernard Herrmann ins Boot holte, den er vorher für tot gehalten hatte. Gerade Herrmanns Score sorgt für den stärksten Hitchcock-Touch, obwohl sich der Meister gekonnt selbst reflektiert. Die Musik von „Sisters“ wirkt manchmal wie eine Karikatur seiner alten Werke, weniger originell, aber dafür wild geremixt bis an die Grenze zur Penetranz.

Anstatt, wie in „Obsession“, die Handlung von "Vertigo" neuzuspinnen, bearbeitet "Sisters" eine Geschichte aus De Palmas eigener Feder. Wunderlicherweise nimmt sein Film bereits Eigenarten der Cronenberg-Filme zuvor, der 2 Jahre später sein Kinodebüt mit "Shivers" ablieferte und erst 1988 eine ähnliche, wenn auch weitaus taktvollere, Zwillingsgeschichte auf die Leinwand brachte. Man sieht: Nicht nur De Palma kann "kopieren", man kann auch De Palma "kopieren". Dieses Wechselspiel ist in der Postmoderne ohnehin geläufig, obwohl ich bezweifle, dass es wirklich so etwas wie eine Postmoderne gibt, da jeder Filmemacher jeder Epoche darauf aufbaut, was seine Vorgänger geschaffen haben, aber das ist eine andere Geschichte.

"Sisters" war ein Frühwerk De Palmas mit äußerst geringem Budget. Das sieht man dem Film auch teilweise an, aber es erstaunt wie mitreißend er dennoch ist. Der Stilwille fesselt und kittet die komplett Amoklaufende Dramaturgie, die in ihrer Unausgegorenheit schon wieder sympathisch wirkt, vom Trash-Faktor ganz zu schweigen. Die minutenlange Splitscreen-Seqzuenz mit ihren Überschneidungen war zwar nichts neues. De Palma holte sie praktisch aus der Mottenkiste hervor, trotzdem wurde es sein Markenzeichen. Spätestens mit „Carrie“ wurde die Technik wieder salonfähig.

De Palmas (postmoderne) Krakenarme reichen natürlich noch viel weiter. Im grenzdebilen aber faszinierenden Finale taucht der Film metertief in die Psychen seiner Figuren ein, vermischt Buñuel mit Polanski, „Rosemary's Baby“ trifft auf den „andalusischen Hund“. Die wahre Meisterschaft De Palmas liegt also nicht im Verschleiern seiner Referenzen, sondern in seiner Ehrlichkeit. Er huldigt seinen Vorbildern und schlachtet sie dennoch gnadenlos aus, verkürzt sie, denkt sie neu, so weit bis sie ihm gehören, bis sie dem Film dienen, der unterm Strich „ein Brian de Palma Film“ ist.

"Sisters" ist letztendlich ein einzigartiger Thriller, der ganz auf die Kraft des Kinos vertraut, der manchmal eine saubere Geschichte nur des Effekts wegen vernachlässigt. Allein darin erscheint die Essenz großer Frühwerke. Da ist ein Filmemacher, der etwas zu sagen hat, aber niemand hört auf ihn. Er baut sich ein kleines Podest um die Massen zu überragen. Was bliebe ihm anderes übrig als laut zu brüllen? Für die einen laut genug, damit sie ihn gerade hören können, andere dagegen müssen sich bei dem Lärm die Ohren zu halten.

Wertung: 9/10


"Schwestern des Bösen"

US 1973

Brian de Palma

mit Jennifer Salt, Margot Kidder, William Finley

Mittwoch, 20. April 2011

DON'T LOOK NOW


In Nicolas Roegs unsterblichen Meisterwerk geraten Gefühl und Vernunft auf schmerzvolle Weise gegeneinander und dem Medium Film wird ganz nebenbei auf ungeahnte Weise neues Leben eingehaucht.


John Baxter kommt mit seiner Frau Laura nach Venedig. Beide trauern um ihre Tochter, die erst kürzlich ertrunken ist. Als sie zwei mysteriösen Schwestern begegnen, geraten beide in den Bann unheimlicher Visionen.

Daphne du Maurier sollte jedem Filmfan ein Begriff sein, schuf die britische Autorin doch die Vorlagen zu zahlreichen Filmklassikern, vornehmlich Hitchcockwerke, von "Rebecca" bis "The Birds". Für die Verfilmung ihrer Erzählung "Don't Look Now" (DT: "Dreh dich nicht um") wurde allerdings der aufstrebende Regisseur und ehemalige Kameramann Nicolas Roeg verpfilchtet, der aus der symbolreichen Geschichte einen okkultistischen Fieberalptraum schuf, der mit Hitchcocks Kino nichts mehr zu tun hatte, ja, sogar dessen Antithese darstellt.

Während Roeg seine ersten beiden Filme noch selbst fotografierte, stand mit Anthony Richmond nun das erste mal ein anderer hinter der Kamera. Es ist unklar inwieweit sich die beiden Filmemacher ähnelten oder Roeg seinen Kameramann beeinflusste, klar ist, dass die personelle Änderung keinen Bruch in der visueller Gestaltung erzeugte. Auffällig ist aber, dass in "Performance" und "Walkabout" die Kamera weitaus exotischere Winkel sucht als in "Don't Look Now", was dieser größeren Prestige-Produktion damals wohl eher zu Gesicht stand. Die auffällige Farbdramaturgie ist ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal von Richmonds erstem Roeg-Film. Er taucht Venedig in schwelendes grau und beige. Selten, aber umso gezielter, kommt die Farbe Rot zum Einsatz, die gleichzeitg das visuelle Leitthema des Film darstellt, roter Regenmantel, rotes Blut. Die Schuld ist rot, ebenso ist es die Farbe der Warnung. Dieser steile Kontrast unterstreicht wunderbar die zahlreichen Brüche und Gegensätze innerhalb des Films.

Visuell ist "Don't Look Now" sowieso ein Film des genauen Hinsehens, des zweiten Blicks. Obwohl Roeg in zahlreichen Interviews insistiert, dass er weder probt, noch seine Filme großartig plant, erstaunt es umso mehr, dass die zahlreichen Details scheinbar wie gezielt inszeniert wirken. Wirklich verstehen und begreifen kann man diese filmische Collage nur, wenn man sich das Puzzle noch einmal von weitem ansieht, wenn man den Film einfach ein zweites Mal schaut.

Gerade in der viel-kritisierten, angeblich langweiligen, Mitte des Films, lässt sich Roeg Zeit eine subtile Stimmung der Verschwörung und Überwachung zu kreieren, von der sich Donald Sutherlands Figur aufsaugen lässt. Immer wieder lenkt die Kamera mit schnellen Zooms und heftigen Schwenks auf mehrdeutige Objekte oder unbehagliche Blicke vertrauensunwürdiger Nebenfiguren, vom Polizeikommissar bis zu den netten alten Damen. Am Ende kann der Zuschauer niemanden mehr trauen und auch er flüchtet sich in die unheilsamen Visionen der Hauptfigur.

"Sehen heißt Glauben!" spricht John Baxter zu sich, doch was ist, wenn man mehr sieht, als man glauben könnte? "Don't Look Now" zeigt uns wie kein zweiter Film, wie abhängig wir von unseren Vorstellungen und Vorurteilen sind. Keiner von uns geht mit offenen Augen durch die Welt. Wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Roegs Film, getarnt als psycholgischer Horror-Thriller, ist somit viel eher eine philosophische Aufarbeitung der Erkenntnistheorie und ebenso eine Abrechnung mit dem kritischen Rationalismus. Die Moderne, mit all ihrer Wissenschaft, die Aufklärung, mit seiner angeblichen Unmündigkeit, sie alle werden hier zur Schlachtbank geführt und zerschmettert mit dem vollen Einsatz von Kamera, Schnitt und Musik.

Der italienische Komponist Pino Donaggio lieferte hier seine erste Filmmusik ab, die nicht besser sein könnte. Schnelle Streicher, atonale Flötentöne, ein dumpfes Klavier, elektronische Töne, düstere Percussions, erst der vielschichtiger Score treibt "Don't Look Now" in die Höhen eines ernsthaften Horrorfilms. Später arbeitete Donaggio mit Argento und De Palma, was seine Eignung für dieses Genre noch einmal bestätigte.

Julie Christie und Donald Sutherland spielen das Baxter-Ehepaar. Christie wurde bereits von Roeg bei früheren Filmen fotografiert. Sutherland arbeitete das erste mal mit ihm. Rausgekommen ist eine der authentischsten Schauspielereignisse der 70er Jahre. Christie, bildschön und mit reiferem Gesicht, verkörpert die Laura als fragile Heldin, während Sutherland in seiner verkopften Rolle weitaus brüchiger erscheint. Die virtuose Leistung der Schauspieler, besonders bei der berüchtigten Liebesszene, führte damals zu einem kleinen Skandal, da die Leute dachten die beiden Schauspieler hätten wirklich miteinander geschlafen. Lars von Trier gelang selbiges in seinem Quasi-Remake "Antichrist" nicht, obwohl er sogar Nahaufnahmen vom Geschlechtsverkehr hineinschnitt. Roeg brauchte das nicht. Die Leistung der beiden Darsteller begeisterte auch Daphne du Maurier, die nach der Premiere auf Roeg zuging und ihm beschrieb wie sehr sie sich an wirkliche Ehepaare erinnert fühlte.

Allerdings, erst Roegs Einsatz des auktorialen Schnitts erhob den Film endgültig in den Olymp des Kinos. Angefangen bei der unvorhersehbar geschnittenen Todesszene der Tochter bis zur berühmten Sexszene, die das Liebesspiel mit dem anschließenden Anziehen ineinander montiert, was gleichzeitg Sinnbild der Dualität von Gefühl und Vernunft darstellt. Roegs undurchsichtiger und hoch-atmosphärischer Film kann sich nicht auf eine konventionelle Plot-Montage verlassen. Der Film muss hier zu seinem eigenem Rhythmus finden, muss die Möglichkeit besitzen vor- und zurückzuspringen, zu fragmentieren, seine Gedanken zu ordnen. Er muss sein eigenes Bewusstsein entwickeln. "Don't Look Now" ist somit der einzige Film, wo man glaubt, man würde dem Projektor beim Denken zuschauen.

Wertung: 10/10 !


"Wenn die Gondeln Trauer tragen"
IT, GB 1973
Nicolas Roeg
mit Julie Christie, Donald Sutherland, Hilary Mason



Bisher nur auf DVD erhältlich.
Arthaus hat aber für den Herbst eine Blu-Ray angekündigt.


Sonntag, 9. Januar 2011

THE DUELLISTS

Jeder fängt mal klein an. Mit "The Duellists" startete Ridley Scott seine große Karriere und zeigte offen und ehrlich, wer ihn beeinflusste und was ihn auszeichnet.

Ridley Scott gehört ohne Zweifel zu den interessantesten Hollywood-Regisseuren, eben weil er auch ein auteur ist. Seine Filme kann man allerdings schwerlich katalogisieren und thematisch einordnen. Noch stärker als Spielberg hat es Scott darauf angelegt, möglichst viele unterschiedliche Filme zu drehen. Das war schließlich auch der Grund warum er sich für "Alien" entschied. Nach "The Duellists" bot man ihm einen weiteren Kostümfilm an. Er lehnte ab und ging nach Hollywood.

Alle Scott-Filme haben natürlich diesen gewissen Touch, der sich am intensivsten auf der visuellen Ebene entfaltet. Scott hat ein tolles Auge und denkt als Regisseur wie ein Kameramann und Cutter. Über Jahre konnte er in der Werbebranche seine Sinne schulen und inszenierte erst sehr spät sein Kino-Debüt. Scotts Werk ist in seinem Umfang einzigartig, von der romantischen Komödie bis zum Kriegsfilm ist alles dabei. Allein darin findet sich eine thematische Linie, im fröhlichen Genre-Wechsel. Umso verwunderlicher ist, dass seine zwei prestigeträchtigsten Filme im gleichen Genre beheimatet sind. "Alien" und "Blade Runner" waren mehr als Klassiker. Der Erste war ein Meilenstein des New Hollywood. Der Zweite war unverhohlen Scotts "Citizen Kane".

Danach, immer mehr Filme, gebetsmühlenartig graste Scott die verschiedensten Genres ab, doch an seinen 2. und 3. Film kam kein einziger mehr heran. Was blieb war der kommerzielle Erfolg, als letzte Bastion eines Regisseur um für seine Filme Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Die 90er sind ein einziges auf und ab. Auf "Thelma und Louise" folgen Filme wie "1492" und "Die Akte Jane", medienwirksame Spektakel und Star-Vehikel. 1992 wird "Blade Runner" als Meisterwerk wiederentdeckt, indem Scott dem Director's Cut seinen wahren Namen gab. Das Jahrzehnt beendete er dann mit einem Film, der sogar seine bisherigen zwei Klassiker zu überschatten droht. "Gladiator" war nicht nur eine exzellente Geldmaschine und die Rehabilitation eines totgeglaubten Genres. Scott bekam den Oscar und mehr Prestige als ihm "Alien" und "Blade Runner" je hätten einbringen können. Sein Name wurde zur Marke, zum Aushängeschild. "Gladiator" beschenkte ihn nicht nur mit Russell Crowe, sondern auch mit einer Kubrick-artigen Immunität.

Ab da wollte sich Scott alles erlauben. Es folgt das unverfilmbare Sequel zu "The Silence of the Lambs". "Hannibal" wird ein Medienereignis. Darauf folgt "Blackhawk Down", beinah ein Kultfilm. "Matchstick Men" ist dagegen winzig und klein. Ein verschrobener, verfilmter Taschenspielertrick. Dennoch, dem Erfolg von "Gladiator" konnte nichts das Wasser reichen. Scott dreht wieder einen Sandalenfilm. "Königreich der Himmel" verfliegt allerdings im Wind. Danach beginnt ein Crowe-Marathon, "Ein gutes Jahr", "American Gangster", "Body of Lies" und "Robin Hood", kein Film wie der andere, das Bindeglied ist einzig Russell Crowe.

Es scheint so, dass Ridley Scott bereits mit einer scheinbar magischen Aura umgeben ist. Ihn kann nichts mehr erschüttern. Er hat alles verdient, was man verdienen kann. So erklärt sich sein fast verbrecherisch ruhiger Habitus in manchen Making-Ofs, mit der dicken Zigarre und seinem genüsslichen britischen Akzent. Doch, so ein Geist kann nicht ruhen und angesichts der zig Projekte an denen Scott parallel zu arbeiten scheint, kann man auch nicht von Altersmüdigkeit sprechen.

Doch was sind eigentlich die Vorbilder von Ridley Scott? Selbst jemand der schon Vorbild für zig andere Regisseure ist, muss sich sein Handwerk bei anderen abgeguckt haben. An "Alien" sehen wir Scotts große Vorliebe für "2001" und Stanley Kubrick, doch das war schließlich sein 2. Film und die Referenz lässt sich auch mehr durch das Genre erklären. Nein, der beste Gradmesser für die Vorbilder eines Regisseurs ist sein Debüt-Film. Hier steckt der Filmemacher meistens alles rein, was ihm lieb und teuer ist. Sieht man Chris Nolans "Following", dann sieht man viel Hitchcock und Godard. Sieht man Tykwers "Die tödliche Maria", dann sieht man Murnau und Cronenberg. Erst im späteren Werksverlauf fügen die Filmemacher ihren Filmen immer mehr eigene Handschrift hinzu, manche früher, manche später, manche leider garnicht.

Ridley Scott gehört definitv nicht dazu, sein visueller Stil ist Handschrift und Marke geworden. Obwohl er aus der Werbung kam, haben seine überästhetisierten Bilder wenig mit Werbung zu tun. Sie sehen wunderschön und poetisch aus, aber sie sehen selten nach Hochglanz aus, jedenfalls in Scotts Anfangstagen. Andere spätere Filme, z.B. "Matchstick Men" arbeiten dann schon mit einer Art Werbeästhetik. Dieses feine Gespür für Kadragen, Licht, Schatten und Farben kann man natürlich nicht einfach so erlernen. Talent gehört immer dazu, aber auch die richtigen Vorlagen sind wichtig. In Scotts Debütfilm sieht man weder Hitchcock, noch Godard. "The Duellists" steht ganz im Zeichen eines anderen großen britischen Filmemachers, bei dem sich Scott wie kein zweiter bediente, Nicolas Roeg.

Als "The Duellists" 1977 ins Kino kam, hatte Roeg seine ganz großen Filme schon hinter sich gebracht. "Performance", "Walkabout", "Don`t Look Now", "The Man who fell to earth", vier absolute Meisterwerke von unendlicher Kinomagie und Schönheit. In "The Duellists" versuchte Scott daran anzuschließen, was ihm nur bedingt gelang. Der Einsatz des Zooms, die Handkamerasequenzen, die möglichst natürliche Lichtführung, die Arbeit mit sichtbaren Lichtquellen, die gedeckte Farbpalette und natürlich die zeitlich ungebundene, teilweise äußerst rasante Montage, all diese Roeg-Charakteristika nutzt Scott auch in seinem Erstlingsfilm, teilweise bis zur Mimikry, manchmal aber auch gelingt ihm der persönliche Touch. Was Scott und Roeg beide gleichfalls auszeichnet, ist Atmosphäre, also die Kunst künslich zu sein ohne künstlich zu wirken. So wie man sich in Venedigs Labyrinth in Roegs "Don't Look Now" verlierte, so wird man in die napoleonische Zeit von Scott "The Duellists" hineingezogen. Atmosphäre kann man nicht aus dem Stehgreif erzeugen. Es ist das perfekte Zusammenspiel von Kamera, Licht, Kostümen, Schauspielern, Set-Design, Requisiten und Schnitt. Das Drehbuch hat meiner Meinung nach eher selten etwas damit zu tun, es kann sogar viel Atmossphäre zerstören. Scotts Film basiert auf einer Geschichte von Joseph Conrad, genannt "The Duel", eine Geschichte mit scheinbar vielen Zeitsprüngen. Vom Aufstieg bis zum Fall Napoleons treffen die beiden Duellanten (richtiges Wort!) immer wieder aufeinander. Dieser Verlauf diktiert auch die Struktur des Films. Mir gefiel diese Art der Erzählung nicht. Anscheinend war sie zu literarisch, keine Ahnung, aber der Atmosphäre hat es eindeutig nicht geholfen. Dennoch gibt einige äußerst herausragende Sequenzen, allein die letzten beiden Duelle sind Zeugnisse von Scotts ganzer Kraft.

Es ist natürlich eine Geschichte über Vernunft und Unvernunft, ein Duell der beiden, ausgetragen durch zwei gegensätzliche Charaktere. Keith Carradine spielt den opportunistischen, rationalen und wohlerzogenen Frauenhelden, während Harvey Keitel, den irrationalen, gewalttätigen und leidenschaftlichen Heißsporn spielt. Letztendlich interessiert sich der Film mehr für Carradines Figur, doch wäre eine gleichgestellte Betrachtung nicht angemessener gewesen? So verkommt Keitels Figur oftmals zum bloßen Villian, den man nach einiger Zeit ebenso lästig findet wie der Held. Nur im letzten Moment, wahrscheinlich beabsichtigt, lässt uns der Film einmal ganz allein mit Keitel. Der Film endet mit einem Caspar-David-Friedrichschem Plagiat, genauso schön wie schauderhaft, ein Moment der Zwielichts, in der Keitel sich umbringen kann oder nicht, erfüllt durch Sinnverlust. Bereits zuvor heißt es schon, er habe diese leeren Augen. Die Nahaufnahme zum Schluss bestätigt das.

"The Duellists" ist ein kraftvoller Debütfilm, mit einem Reichtum an Referenzen, von Roeg bis "Barry Lyndon", und zwei starken Hauptdarstellern, der trotz einiger Drehbuchschwächen keinen Zweifel an den kommenen Großtaten Ridley Scotts aufkommen lässt.

Wertung: 6,5/10


"Die Duellisten"

GB, USA, 1977

Ridley Scott

mit Keith Carradine, Harvey Keitel, Cristina Raines


Auf DVD erhältlich!


Samstag, 29. Mai 2010

FRENZY



Stünde es nicht im Vorspann, ich würde es nicht glauben, dass Hitchcock hier Regie geführt hat. Die Rückkehr nach London scheint ihm neue Seiten entlockt zu haben.
Originalschauplätze, unsichtbare Studiobauten und eine für Hitchcock-Verhältnisse fast intuitive Kameraführung, ich bin baff! Man könnte fast denken: Das ist ein Independent-Film von einem aufstrebenden Talent, dass mit Experementierfreude und Gestaltungswillen die Welt um sich herum zerlegt, mithilfe von Krawatten.

Inhaltlich hat sich aber nichts geändert und das ist auch gut so. Ein Unschuldiger wird verdächtigt und muss sich rehabilitieren. Leider ist Mr. Brainley, anders als sein Name vermuten lässt, nicht besonders Vernunftbegabt und intelligent. Er ist ein Trinker und Verlierer und die haben es anscheinend schwer om London der 70er Jahre. Ohne Obdach, Geld und Job, sucht er seine Ex-Frau auf, die kurz darauf vom berüchtigten Krawattenmörder ermordet wird und so deutet alles auf den cholerischen Ex-Mann hin, dem ganz die feine britische Art entglitten zu sein scheint.
Nun könnte man denken, dieser Mr. Brainley sei unsere Hauptfigur. Nein, tut mir Leid, es ist der Krawattenmörder, genialisch verkörpert von Barry Foster. Den kennt ihr nicht? Ich auch nicht! Ist aber nicht schlimm, denn "Frenzy" wird nicht von Stars bevölkert, sondern von unverbrauchten Theatergesichtern.

Ohne es zum großen Sujet zu erheben, gelingt Hitchcock das glaubwürdige Porträt eines gestörten Mannes, der nach außen hin exzentrisch aber angenehm wirkt, doch innerlich längst verfault ist. Das komplette Gegenteil ist unser unglücklicher Mr. Brainley.
Hitchcock hat schon oft mit Täterperspektiven gearbeitet, aber mit "Frenzy" ist ihm diesbezüglich sein Meisterstück gelungen.
Auch die anderen Figuren werden hervorragend verkörpert. Schauspielerische Höchstleistungen wohin man auch sieht.

Die viel diskutierten Gewalt- und Nacktszenen sind, abgesehen davon dass sie heute keine Zensursula mehr hinterm Ofen hervorlockt, weder dem Zeitgeist noch dem mangelndem Einfallsreichtums Hitchs geschuldet. Mit der Rückkehr auf Londons Straßen, holt Hitchcock auch sein Kino zurück in die Wirklichkeit, könnte man sagen. Raus aus den verstaubten Hollywood-Studios direkt in die unmittelbare Wahrnehmung des Zuschauers, das Verringern der Distanz zwischen Leinwand und Publikum. Das Weltbild in "Frenzy" ist düster, durchzogen mit teils menschenverachtendem Humor der schwärzesten Sorte. Angesicht dieses düsteren Londons fällt es mir schwer zu glauben, dass "Frenzy" ohne Gewalt und nackter Haut genauso gut geworden wäre. Es wäre ein filmischeres London geworden, wo die Kamera rechtzeitig wegschwenkt und den Zuschauer somit aufatmen lässt. Das wäre für "Frenzy" eindeutig unpassend gewesen.

Beeindruckend finde ich auch den Score. Nachdem Hitchcock Henry Mancini gefeuert hatte, bekam der unbekannte Ron Goodwin den Job und kreierte einen Soundtrack, der Bernard Herrmann ebenbürtig ist. Sei es das pompöse Eröffungsstück oder das zarte Thema des Krawattenmörders, zum Fürchten schön.

Die Frage ob Mord abseits der öffentlichen zivilen Welt statt findet, sei mit "Frenzy" endgültig geklärt. Hier schmeckt man, dass Mord ein fester Bestandteil unserer Welt ist, vielleicht sogar ein sehr sehr wichtiger Teil. Denken sie daran, wenn sie ihre nächste Portion Schweinsfüße essen!

Wertung: 8,5/10


"Frenzy"
GB, 1972
Alfred Hitchcock
mit Barry Foster, Alec McCowen, Vivien Merchant


Den Film gibt es einzeln und in verschiedenen Hitchcock-Boxen zu kaufen und bietet eine solide Qualität plus Making-Of.


DAYS OF HEAVEN



Nach diesem Film verschwand Terrence Malick für 20 Jahre und kehrte mit dem interessanten Film "Der schmale Grat" zurück, der seinen vorherigen 2 Filmen, u.a. "Days of Heaven" nicht ebenbürtig sein konnte.

Es ist die Geschichte eines kurzen Aufstiegs, aufgebaut auf einer Lüge, die gleichzeitig der Untergang ist. Es ist ein Melodram ohne spektakulären Plot und ohne klar erkennbare Spannung. Trotzdem befolgt dieser Film mit zynischer Konsequenz die Regeln des Genres. Denn es trifft immer das schlimmste ein.

Teilweise erinnert der Film an Malicks Erstling "Badlands". Beide Filme haben ein tiefen pessimistischen Grundton. "Days of Heaven" wird dagegen sogar nihilistisch. Denn was hier falsch oder richtig sein soll ist unerklärlich. Ein Urteil kann man sich genauso wenig über die Protagonisten erlauben.
Hier nutzt Malick die Regeln des Melodrams gekonnt für sich, in dem er die Determination der Figuren zum Thema erhebt. Einen Sinn im Leben, ein Ziel, eine Funktion sucht hier jede der Figuren, die Armen wie die Reichen. "Days of Heaven" schaffte es im Gegensatz zu "Badlands" mich wirklich zu berühren.
Das liegt zum einen an der zarten und desillusionierten Erzählerstimme des Mädchens, an Brooke Adams, aber am meisten an Sam Shepard. Nie hätte ich für möglich gehalten, was für ein Schauspieler er sein kann. Der Farmer ist keine besonders auffällige Rolle, ähnelt mehr dem passiven Zuschauer und doch ist er Dreh- und Angelpunkt der Handlung, bei dem man die Sehnsucht, das Leid und die Furcht vor dem Tod am meisten spürt, obwohl er nicht einmal davon spricht.

Zu Malicks besten Werk wird der Film allerdings erst durch die Kamera Nestor Almendros. Die Entscheidung der beiden Filmemacher, die Aussenszenen nur während der Magic Hour zu drehen, war ein Genie-Streich. Zum einen unterstreicht das Zwiellicht den schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit. Auf der anderen Seite betont das warme tiefstehende Licht auch die innere Kälte der Figuren, die wie dunkele Flecken mit langen Schatten durch die goldenen Kornfelder wandern.
Jede Einstellung ist etwas besonderes, auch wenn sie gar nicht danach aussieht. Die Topografie, die Weite, das riesige Farmerhaus winzig am Horizont, das im Wind wehende Korn, die erschreckenden Bilder der Heuschrecken.

Malick benötigte 2 Jahre für den Schnitt und noch heute ernähren sich Filmemacher von seiner Melo-Ballade, u.a. P.T. Anderson für "There will be Blood".
"Days of Heaven" ist das schönste, poetischste und gleichzeitig pessimistischste Melodram aller Zeiten!

Wertung: 10/10


"In der Glut des Südens"
USA, 1978
Terrence Malick
mit Richard Gere, Brooke Adams, Sam Shepard


Die deutsche DVD bietet leider keine Extras, dafür aber eine gute Bild- und Tonqualität. Der Originalton ist glücklicherweise vorhanden, trotz der gelungenen Synchronisation.
Importwilligen rate ich aber zur US-DVD des Edel-Labels Criterion. Seit März gibt es da sogar eine Blu-Ray-Version des Films. Wer einen Region-A-Player besitzt, sollte sich von dem hohen Preis nicht abschrecken lassen. Für diesen Film wurde die Blu-Ray erfunden!
Einen Vergleich der verschiedenen Versionen findet man hier.