
Disney setzt nach fast 30 Jahren einen seiner kultigsten Flops fort. Das technische Update tut dem Film dabei überaus gut, doch inhaltlich bewegt sich nichts.
Kevin Flynns 27-jähriger Sohn Sam ist auf der Suche nach seinem Vater, den er nur noch dunkel aus Kindheitserinnerungen kennt. Als er eines Tages einem Signal aus dem alten Büro seines Vaters nachgeht, wird der junge Rebell plötzlich selbst Teil der Computerwelt, in die sich sein Erzeuger schon vor Jahrzehnten geflüchtet hat. Diesmal ist es Sam Flynn, der sich in einer Welt zurechtfinden muss, die er allemal aus einem Spielautomaten kennt. Allerdings bedeutet ein Game Over in der digitalen Welt, auch das endgültige Aus für den Spieler selbst.
Die erste Frage, die mir beim Abspann von "Tron: Legacy" in den Kopf schoss, war: "Was haben die fünf Typen gemacht, die sich die Story ausgedacht haben?" Sie haben den Film praktisch kaputt gemacht. Nicht, dass ich bei dem Film eine tiefgehende Handlung erwartet hätte, aber das was uns "Tron: Legacy" präsentiert, ist weder Fisch noch Fleisch. Eigentlich gab es doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ich setze mich möglichst halbwegs ernsthaft mit meinem Thema auseinander, so wie das "Tron" getan hat, oder ich vertraue auf fast 30 Jahre Computer-Entwicklung und lass einen Optik-Porno vom Stapel, der sich gewaschen hat.
Joseph Kosinski und Autoren entscheiden sich irgendwie für den lausigen Mittelweg. Statt der Vision einer digitalisierten Welt, liefert uns der Film einen Fantasy-Roman in Neon-Optik, so belanglos wie ironiefrei. Da ist von Völkermord, Auserwählten und Jules Verne die Rede. Das alles wird bierernst durchgekaut und dennoch wirkt es so, als ob die Autoren keinen Bock auf den Film gehabt hätten. Am Anfang traut man sich ja schon ein bisschen augenzwinkernde Kapitalismuskritik, aber eben die ist auch so billig und doof, dass man nur schnellstmöglich in die fröhlich blaue Neon-Mittelerde-Welt will.
Habe ich eigentlich schon die grandiosen Figuren erwähnt? Da gibts den irgendwie rebellischen Helden und die irgendwie unschuldige, aber toughe Prinzessin, dazwischen sitzt Jeff Bridges als alter Guru und irgendwie böse ist dann noch so ein digital restaurierter Jeff Bridges mit nem coolen Mantel, aber ohne Hirn. Wie schon gesagt, brauche ich bei einem Film wie "Tron: Legacy" differenzierte Figuren? Nein, aber wenn schon, dann nur so wenig öde Dialogszenen wie möglich, aber unsere 5 Autoren von der Tankstelle wurden wohl nach Sprechzeilen bezahlt und so gibt es einfach viel zu viele und vorallem viel zu lange lahme Dialoge, inklusive Poesiealbumssprüche. Das nahm selbst der pornösen Optik den Reiz und sorgte im Mittelteil des Films für reichlich Slowdown.
Eigentlich gibt es nur zwei Figuren die den wahren Geist von "Tron" atmen. Das wären zum einen die sirenenhafte Beau Garrett, dessen blonde programme fatale den Film nicht nur visuell enorm aufwertet, sondern auch zeigt, wie man mit wenig Worten schauspielerisch Atmosphäre erzeugt. Dagegen kann Olivia Wilde als einzige weitere Frau nicht konkurrieren. Garrett ist filmisch. Wildes Figur funktionierte vielleicht mal auf dem Papier. Michael Sheen bietet dann den zweiten und letzten Charakter ohne Fremdscham-Potenzial. Sein Zuse ist eine Mischung aus Ziggy Stardust und Jim Carreys Riddler, eben ganz und gar ein Dandy, Spieler und Verräter. Auch hier reicht die Oberfläche vollkommen aus um filmisch zu wirken.
Inhaltlich ist "Tron: Legacy" also wirklich die Gurke, die viele erwartet haben, doch man hätte auch einfach ehrlich sein können und der Handlung so wenig Raum wie möglich einräumen können. Ich hätte mich nie daran gestört, wenn man mir nur einen Effekt-Clip nach dem nächsten durch die Augenhöhlen geblasen hätte, ehrlich gesagt, wäre es genau das, was ich mir von dem Film erhofft hatte. Nun gut, man soll ja nicht über zerbrochene Eier weinen, mal sehen zu was für ein Omelett "Tron: Legacy" dennoch taugt.
Daft Punks Soundtrack erinnert in seinen schwächeren reinen Score-Elementen an die Konserve-Musik eines Hans Zimmers, doch gibt es trotzdem eine Menge Highlights fürs Ohr. Neben dem elektrifizierenden "Derezzed", gefiel mir das "Adagio" besonders gut, das man während des Films leider nur bei einer der vielen lausigen Dialoge säuseln hört. Auch andere überwiegend eletronische Score-Flächen sind überaus passend und atmen den typischen Daft-Punk-Charme.
Natürlich darf man bei einer Kritik zu "Tron: Legacy" die Optik nicht vergessen. Eigentlich hasse ich dieses Wort. Eine Optik ist für mich ein Objektiv, aber in den letzten Jahren steht der Begriff auch öfter für die visuelle Gesamtgestaltung eines Films, was traurigerwiese oft über alles andere gestellt wird. Bei "Tron: Legacy" muss das aber mal so sein und ich werde auch das Wort Optik benutzen. Stil passt nicht, da der Film einfach keinen Stil hat. Dafür ist er zu fahrig und überladen. Dennoch, man bekommt eine formidable Optik geboten. Zwar funktioniert die Gestaltung immer nach dem gleichen Schema -solange irgendwo Neonröhren hängen ist es Tronig- aber das reichte mir vollkommen aus. Der Look ist herrlich retro und ein reiner Designfetisch. Angefangen von Jeffs "2001"-Gedächtnis-Bunker bis hin zu den fliegenden Zügen, die wie Kampfschiffe der Protoss aus "StarCraft II" aussehen. Letztendlich soll alles nur cool aussehen und das gelingt "Tron: Legacy" auch. Selbst 3D macht hier Sinn. Ähnlich wie in "The Wizard of Oz" setzt Kosinski den Effekt erzählerisch ein. Unsere menschliche Welt ist 2D, sobald der Film in die digitale Welt verschwindet, eröffnet er uns die dritte Dimension. Unterm Strich ist das zwar auch nur ein Gimmick, aber schon ein sehr wertvolles.
Um "Tron: Legacy" so gut es geht zu genießen, sollte man sich auf keinen Fall Gedanken über die ausgelassenen Möglichkeiten der Autoren machen. Allein wenn man daran denkt zu was für einem Zeit-Kommentar der Film fähig gewesen wäre, man braucht sich doch nur an die Facebook-Folge bei "South Park" erinnern. Egal, als überlanger Effekt-Porno funktioniert "Tron: Legacy" dennoch. Das wird allerdings nicht im geringsten dem legendären Vorgänger gerecht.
Wertung: 5/10
"Tron: Legacy"
US 2010
Joseph Kosinski
mit Jeff Bridges, Olivia Wilde, Garrett Hedlund
Nur im Kino!
In der Flut der Selbstjustizfilme der letzten Jahre, gelingt Pierre Morel mit „Taken“ ein waschechter Vigilante-Film, spannend, brutal und unerbittlich.
Liam Neeson spielt so als hätte man ihn nie in anderen Rollen gesehen. Souverän verkörpert er den Actionhelden als verletzliche Gestalt. Ein Schwarzenegger und Stallone hätten das nicht spielen können, allein von der Statur. Neesons Figur löst seine Probleme mit Intuition, Schnelligkeit und Erfahrung, selten mit Kraft. Den Muskelbepackten Actionstars der Alt-Zeit hätte man den gebrochenen CIA-Agenten im Ruhestand nicht abgekauft. Neeson dagegen ist schlank wie eine Gräte, drahtig möchte man sagen. Sein Gesicht ist verhärmt, schmal und faltig. Ein Besetzungscoup!
"Taken" fällt erstmal gar nicht so auf in der Welle der Selbstjustiz-Filme der letzten Jahre. Seit "Kill Bill" ist Rache wieder tierisch in und leider selten ebenso gut verfilmt worden. Mit "Taken" liefert der französische Kameramann und Action-Regisseur Pierre Morel dagegen einen sehr guten Vigilante-Film ab.
Das ist natürlich alles herrlich fiktiv und ebenso wunderbar konstruiert. Hier ist Amerika das Paradies und Europa eine gefährliche Zone. Da gibt es den reuesüchtigen Vater, der nur Zeit mit seiner Tochter verbringen will. Da ist die unnachsichtige Exfrau, die ihm die vergangenen Entbehrungen nicht verzeihen will und da ist der neue etwas füllige Papa, mit viel Geld und einem Weihnachtsmannbart. Ach ja, und dann sich da noch die Bösen, die Geschäftemacher, die mörderischen Albaner, die opportunistischen Franzosen und wohlhabenden Scheichs.
Abgesehen von Amerikas Sonderstellung, erscheint Morels Film eher wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Land als wie eine Diffamierung des selbigen. Vielleicht fehlt ihm auch einfach die nötige Bindung zu den Vereinigten Staaten.
An der Oberfläche ist der Film eine Aufräumsituation gegen Missstände. Eine klare one-against-all Situation in der man niemanden trauen kann, ein simpler Gut-gegen-Böse-Konflikt. Doch eigentlich verhandelt "Taken" den Konflikt zwischen Zivilisation und Kriminalität. In Morels Film ist die Zivilisation mit ihren geregelten Einkommen, Supermärkten und großspurigen Geburtstagsfeiern zwar etwas schützenswertes, aber auch eine Situation des Stillstands, des herum vegetierenden Glücks und der Abwesenheit wichtiger Ziele. Eine Situation mit der Neesons Figur sehr schlecht zurechtkommt, wenn da nicht seine Tochter wäre. Ihn interessieren Grillabende und Geburtstagsfeiern, Popsternchen und Karaoke-Maschinen genauso viel wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Das Leben abseits der Legalität, dass er vorher geführt hat, machte ihn stark, aber auch zerbrechlich und auch im Bezug auf das Kino bietet diese Seite der Welt weitaus interessantere Momente als das normale Leben direkt vor der Haustür. Dementsprechend sind Happy-Ends gar nicht so wünschenswert. Sobald das Ziel erreicht ist, also wenn alle Konflikte gelöst sind, dann wird es schnell langweilig.
Die Zeit zwischen Exposition und Happy-End nutzt „Taken“ formidabel aus. Morel gelingt es durchgängig die Spannung zu halten und lässt seinen Helden wie einen Übermenschen Paris durchflügen. Man muss sich klar sein, dass man es mit einem reinen Unterhaltungs- und Genrefilm zu tun hat, der auf political correctness keine Rücksicht nehmen kann, sonst würde er enorm an Zündkraft einbüßen. Schließlich baut man ein Verhältnis zum Protagonisten auf, Morels Ziel: die komplette Enthüllung oder auch Demontage. Der anfänglich liebenswerte Familienvater wird immer mehr zur unerbittlichen Killermaschine. Schritt für Schritt wird Mills Handeln härter. Sobald er die Frau seines französischen Freundes mit dem Tode bedroht, wird wohl auch der letzte Zuschauer zweifeln, ob das noch alles gerechtfertigt sei. Mills Vorgehen wird, anders als in „24“, nämlich niemals glorifiziert, aber auch ebenso wenig verurteilt, keine Kritik, keine Propaganda, bloßes Handeln, reiner Plot und geradlinige, nüchterne Action. Diese Uneindeutigkeit hält der Film bis kurz vor Schluss durch. Wenn der letzte Bösewicht vernichtet ist und Vater und Tochter sich glücklich in die Arme fallen, kehrt der Film wieder in die Zivilisation zurück. Wir befinden uns praktisch wieder in der Ausgangssituation, als wäre nichts gewesen. Das Schicksal der Tochter ist es, ein Pop-Star zu werden. Dafür opfert der Film noch eine letzte leicht-ironische Szene, ähnlich doppeldeutig wie das Ende von Spielbergs „Krieg der Welten“.
„Taken“ ist in erster Linie Kinetik und somit fulminantes Kino. Liam Neeson ist großartig und auch wenn sich Pierre Morels Kamera etwas zu sehr am unübersichtlichen Action-Kino der Neuzeit anlehnt, seine Montage ist dagegen rasant und pfiffig. Große Innovationen darf man in diesem „Guilty Pleasure“ nicht erwarten, dafür aber viele Überraschungen.
Wertung: 7,5/10
"96 Hours"
USA, FR, 2008
Pierre Morel
mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen
Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!