Mittwoch, 30. November 2011

RETTET DIE KURBEL!


Siehe hier:
http://www.youtube.com/watch?v=uMlojK2fzks

Wieder soll ein Kino im alten Westen Berlins verschwinden. Doch gegen die Schließung des traditionsreichen Kiez-Kinos "Die Kurbel" hat sich ein Rettungsbündnis formiert, dass am 24. November mit Wunderkerzen und Prominenz lauthals vor dem Kino protestierte. Occupy Meyerinckplatz!

Autor: Conrad Mildner
Kamera: Michael Stumpp
Ton: Thomas Ballschmieter

www.rettetdiekurbel.de
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www.rettetdiekurbel.blogspot.com

Freitag, 11. November 2011

A DANGEROUS METHOD


Nach dem routinierten "Eastern Promises", liefert der kanadische Meisterregisseur David Cronenberg einen Film ab, der sich mit dem Aufbrechen von Mustern auseinandersetzt und der gleichzeitig in seinen eigenen gefangen bleibt.

Carl Gustav Jungs neue Patientin, Sabina Spielrein, leidet an aggressiven und hysterischen Anfällen. Um sie zu kurieren, wendet er eine Methode Sigmund Freuds an, die nach und nach nicht nur die verschütteten Leidenschaften Sabinas offen legen, sondern auch seine eigenen.

Den Menschen überwinden, zum Guten wie zum Schlechten, das war der Kern vieler Cronenberg-Filme. Der bekannte Ausspruch "Lang lebe das neue Fleisch!" belegt das zweifellos. Auch in "A Dangerous Method" geht es letztendlich darum dem Menschen den Spiegel vorzuhalten und das Bild, was er sieht, zu verändern, nur diesmal hält unser aller liebster Kanadier die körperliche Ebene heraus. Die Reise geht in die Tiefen unserer Psyche, jedenfalls behauptet das der Film.

Es ist ein Film der Behauptungen, der großen Worte, geworden. Christopher Hampton adaptierte sein eigenes Theaterstück für Cronenberg, aber was wurde da eigentlich adaptiert? Wahrscheinlich wurden viele Szenen einfach nur an verschiedene Orte verlegt, damit das Ganze filmischer wirkt. Ein Stück "lüften", so nannte es Hitchcock und riet davon ab, denn gerade die Einheit von Ort und Zeit machen ein Theaterstück stark und verfilmenswert. Filme wie "Bug" oder "Death and the Maiden" sind bekannte Positivbeispiele.

Doch Hamptons Drehbuch geht auf eine Besichtigungstour durch Wien, ja sogar bis nach Amerika. Wen würde es stören, wenn es wenigstens gut getrickst wäre. Die schlechten Bluebox-"Effekte" erinnern dann doch mehr an Theater als an Film. Die Lüftung des Stücks ist nicht unbedingt ein großer Nachteil, aber die Art wie es gemacht wurde ist äußerst unkreativ. Allein wenn man bedenkt, was der frühe Cronenberg daraus gemacht hätte. Wenn C. G. Jung von seinen Träumen erzählt hätte, er hätte sie nicht einfach nur erzählt, der Zuschauer wäre mit ihm abgestiegen in seine Traumwelt und die Grenzen zwischen Realität und der eigenen Wahrnehmung wären zunehmend verschwommen. Der Film gibt oft Gelegenheit dazu, es geht schließlich auch um das Unterbewusste.

Aber Cronenberg, Hampton und Suschitzky entschieden sich für eine gänzlich nüchterne Erzählung, wobei das nichts neues ist. Seitdem Cronenberg mit Suschitzky zusammenarbeitet, ergänzen sich ihre Unterschiede fabelhaft. Während Cronenbergs Inszenierungen beinah explodieren vor Subtext, Sex und Körperlichkeit, geht Suschitzkys nüchterne Kamera fast schon klinisch an die Geschichte heran, nur wenige bewegte Aufnahmen, klare gerade Linien, fahle Farben. Dadurch wirkte die Gewalt in Cronenbergs Filmen auch immer so brutal. Die Kamera filmte einfach ab, fast wertungslos.

Diese Reibungen sind nun verschwunden. Cronenberg inszeniert Hamptons Script nach den Manieren der damaligen Zeit und Suschitzkys Postkarten-Ästhetik gaukelt dem Zuschauer ein stets sonniges und blauhimmeliges Österreich vor. Vielleicht will der Film von einer vermeintlich heilen Welt erzählen, außern hui, innen pfui, sozusagen, doch er gibt filmisch gesehen wenig Hinweise darauf. Selbst die wenigen Sexszenen sind (für einen Cronenberg) äußerst bieder inszeniert. Da erstaunt es schon, dass sich gerade die Kamera dann doch öfter hinauswagt, um wenigstens ab und zu die Geschichte zu unterlaufen, indem sie z.B. Figurenkonstellationen durch Tilt-Shift-Objektive begreifbar macht, sie verzerrt und aus dem üblichen Rahmen herausfallen lässt. Diese Einstellungen tauchen öfter auf, besonders eindringlich ist sie bei Jungs Experiment am Anfang des Films, die einzige Szene, die den gewissen Cronenberg-Touch besitzt.

Am besten begreift man "A Dangerous Method" als einen akademischen Film, was auch immer man sich darunter vorstellt. Die Theorien der beiden Psychoanalytiker, die im Laufe des Films immer mehr auseinander driften, bringt der Film verständlich, aber wortlastig rüber, wobei wirklichen Psychologiefreunden wahrscheinlich ein Aha-Effekt verwehrt bleibt.

Hamptons Script erzählt eine erwachsene Geschichte und Cronenberg filmte sie nüchtern ab. Der Verdacht einer Auftragsarbeit liegt nahe, obwohl der Stoff so zu ihm passt. Seine Schauspielarbeit bleibt trotzdem famos. Zu Knightley kann man stehen wie man will, doch einem Starlet, das beschließt verrückt zu spielen, wird oftmals Over-Acting unterstellt, ohne zu bedenken, dass es in der Realität viel schlimmer sein kann. Keira macht ihre Sache gut, besonders in der zweiten Hälfte des Films. Viggo Mortensen lässt den Zuschauer vergessen, dass mal Christoph Waltz für die Rolle vorgesehen war. Freud wirkt unglaublich sympathisch und einnehmend und bleibt dennoch eine ambivalente Figur. Sein schulmeisterischer Anspruch wechselt stets zwischen Stärke und Schwäche, seine Autorität ebenso. Dennoch gehört dieser Film Michael Fassbender, der Jung zum eigentlichen Highlight macht. Er kommt in der ersten Hälfte noch recht langweilig daher. Die zweite Hälfte ist sowieso in allen Belangen besser. Hamptons Geschichte braucht sehr lange um in Gang zu kommen. Erst wenn alle Konflikte lebendig sind, brodeln sie knisternd unter der Oberfläche der belanglosesten Dialogszenen, wodurch der Film erst seine Spannung erhält. Fassbenders Figur driftet dann zunehmend in sein inneres Chaos ab. Der Film macht das fast nie sichtbar, Fassbender tut es zu jeder Zeit.

Es ist ein Film über den Beginn der Psychoanalyse geworden, zwischen Wissenschaft und Hokus-Pokus am Fallbeispiel C.G. Jungs. Die Geschichte wirkt selten wie ein dramatisches Stück, mehr wie ein Bio-Pic, eine historische Rekonstruktion im TV-Format. Irgendwie wird da von einer vergangenen Welt erzählt, die kurz vor ihrem Scheitelpunkt stand. Es werden Fragen zu Gleichberechtigung und Antisemitismus gestellt. Der Blick in die Zukunft, was unsere Vergangenheit ist, spielt eine große Rolle und natürlich ist da noch die Vision vom Menschen, der sich in das verwandeln kann, was er sein will, wo wir wieder bei Cronenberg wären, den man ansonsten hier mit der Lupe suchen muss. Talking Heads, hin oder her, Hamptons vielschichtiges Script lädt ins Theater ein, doch das Kino ist für einen Film wie diesen eher der falsche Ort.

Wertung: 5/10


"Eine dunkle Begierde"
CA, DE, GB 2011
David Cronenberg
mit Michael Fassbender, Keira Knightley, Viggo Mortensen

Sonntag, 6. November 2011

SISTERS


Kino außer Rand und Band. Brian de Palmas Frühwerk ist ein beeindruckender Flächenbrand.

Grace Collier beobachtet wie ein Mann, in der Wohnung gegenüber, bestialisch ermordet wird. Als die Polizei nichts findet bzw. nichts finden will, macht sich Grace selbst auf den Täter zu finden. Die Suche führt sie zum Fall eines verschwundenen siamesischen Zwillingspaares.

Nicht im geringsten fällt es leicht das zu glauben, was da auf dem Bildschirm vor sich geht. Selbst wenn man Hitchcock in und auswendig kennt und man sogar die Handlung von "Sisters" (beinah) mühelos vorhersehen kann, man glaubt es doch nicht. "Obsession", de Palmas Durchbruch, mag zwar die stringentere Hitchcock-Hommage sein, aber sie ist auch gefährlich nah am Plagiat.

"Sisters" dagegen zerlegt Hitchcock in seine Einzelteile und ordnet sie überraschend neu an, schon allein was die Perspektive auf den "unschuldig Verfolgten" angeht. De Palma hat seinen Film mit Anspielungen und Zitaten übersät und bringt es doch fertig sie so für sich zu vereinnahmen, dass sie schon fast originell erscheinen. Man braucht nur an die erste Mordszene zu denken. Der Cutter Paul Hirsch unterlegte die Szene damals zu Demonstrationszwecken mit Musik aus „Psycho“, was De Palma so begeisterte, dass er mit viel Geld Bernard Herrmann ins Boot holte, den er vorher für tot gehalten hatte. Gerade Herrmanns Score sorgt für den stärksten Hitchcock-Touch, obwohl sich der Meister gekonnt selbst reflektiert. Die Musik von „Sisters“ wirkt manchmal wie eine Karikatur seiner alten Werke, weniger originell, aber dafür wild geremixt bis an die Grenze zur Penetranz.

Anstatt, wie in „Obsession“, die Handlung von "Vertigo" neuzuspinnen, bearbeitet "Sisters" eine Geschichte aus De Palmas eigener Feder. Wunderlicherweise nimmt sein Film bereits Eigenarten der Cronenberg-Filme zuvor, der 2 Jahre später sein Kinodebüt mit "Shivers" ablieferte und erst 1988 eine ähnliche, wenn auch weitaus taktvollere, Zwillingsgeschichte auf die Leinwand brachte. Man sieht: Nicht nur De Palma kann "kopieren", man kann auch De Palma "kopieren". Dieses Wechselspiel ist in der Postmoderne ohnehin geläufig, obwohl ich bezweifle, dass es wirklich so etwas wie eine Postmoderne gibt, da jeder Filmemacher jeder Epoche darauf aufbaut, was seine Vorgänger geschaffen haben, aber das ist eine andere Geschichte.

"Sisters" war ein Frühwerk De Palmas mit äußerst geringem Budget. Das sieht man dem Film auch teilweise an, aber es erstaunt wie mitreißend er dennoch ist. Der Stilwille fesselt und kittet die komplett Amoklaufende Dramaturgie, die in ihrer Unausgegorenheit schon wieder sympathisch wirkt, vom Trash-Faktor ganz zu schweigen. Die minutenlange Splitscreen-Seqzuenz mit ihren Überschneidungen war zwar nichts neues. De Palma holte sie praktisch aus der Mottenkiste hervor, trotzdem wurde es sein Markenzeichen. Spätestens mit „Carrie“ wurde die Technik wieder salonfähig.

De Palmas (postmoderne) Krakenarme reichen natürlich noch viel weiter. Im grenzdebilen aber faszinierenden Finale taucht der Film metertief in die Psychen seiner Figuren ein, vermischt Buñuel mit Polanski, „Rosemary's Baby“ trifft auf den „andalusischen Hund“. Die wahre Meisterschaft De Palmas liegt also nicht im Verschleiern seiner Referenzen, sondern in seiner Ehrlichkeit. Er huldigt seinen Vorbildern und schlachtet sie dennoch gnadenlos aus, verkürzt sie, denkt sie neu, so weit bis sie ihm gehören, bis sie dem Film dienen, der unterm Strich „ein Brian de Palma Film“ ist.

"Sisters" ist letztendlich ein einzigartiger Thriller, der ganz auf die Kraft des Kinos vertraut, der manchmal eine saubere Geschichte nur des Effekts wegen vernachlässigt. Allein darin erscheint die Essenz großer Frühwerke. Da ist ein Filmemacher, der etwas zu sagen hat, aber niemand hört auf ihn. Er baut sich ein kleines Podest um die Massen zu überragen. Was bliebe ihm anderes übrig als laut zu brüllen? Für die einen laut genug, damit sie ihn gerade hören können, andere dagegen müssen sich bei dem Lärm die Ohren zu halten.

Wertung: 9/10


"Schwestern des Bösen"

US 1973

Brian de Palma

mit Jennifer Salt, Margot Kidder, William Finley

Samstag, 5. November 2011

THE DEAD ZONE


Fatale Hellsicht, Stephen Kings und David Cronenbergs Zusammenarbeit war zwar kurz, aber dafür auch äußerst effektiv.

Bevor ich mich nächste Woche mit Cronenbergs neuem Film beschäftige, stand noch "The Dead Zone" auf meiner Liste, ein Film, dem ich komischerweise lange aus dem Weg gegangen bin, wahrscheinlich, weil mich dieser Mainstreamspaziergang nicht besonders interessierte. Das war ein Fehler, denn man kann nicht behaupten, dass in „The Dead Zone“ nicht genügend Cronenberg stecken würde.

Johnny Smith überlebt nur knapp einen Autounfall und fällt für fünf Jahre ins Koma. Als er wieder erwacht hat sich alles verändert. Seine Freundin hat einen anderen geheiratet. Er ist seinen Job los und ihn plagen fürchterliche Kopfschmerzen. Als er die Hand einer Krankenschwester berührt, sieht er ihre Tochter in einem brennenden Haus festsitzen. Das Mädchen kann gerettet werden. Johnny hat nun die Gabe des „zweiten Gesichts“ oder ist es doch ein Fluch?

Körper und Geist sind untrennbar. Wenn man Cronenbergs Filme auf einen Satz herunterbrechen müsste, würde man wahrscheinlich zu dieser Aussage kommen. Ob nun der Geist das Fleisch manipuliert („The Brood“) oder das Fleisch den Geist („The Fly“), das ist egal, auch in „The Dead Zone“ stehen sie in einem Verhältnis.

Johnny, ergreifend gespielt von Christopher Walken, ist nach seinem Unfall ein gebrechlicher Mann, körperlich verkümmert und schwach, doch im Gegenzug beschenkte ihn das Schicksal mit medialen Fähigkeiten. Quit pro quo, Cronenbergs Figuren sind immer ausbalanciert, erst der Kampf beider Waagschalen bringt das Ungleichgewicht. Der Fluch hat sogar noch größere Auswirkungen. Je öfter Johnny von seiner neuen Kraft Gebrauch macht, desto mehr nähert er sich dem körperlichen Zerfall, bis zum Tod. Im Kern wird die Frage nach einem gewissenhaften Leben gestellt. Johnny kann sich entweder isolieren und weiterleben oder er kann seine Gabe verantwortungsvoll nutzen und zugrunde gehen, Einsamkeit oder Tod? Wofür würden sie sich entscheiden? Zu den größten Qualitäten des Films zählt eindeutig seine doch sehr nüchterne Inszenierung, die vor allem durch die klaren Bilder Mark Irwins zustande kommt. Der Film lässt einen sogar manchmal vergessen, es mit übernatürlichen Kräften zu tun zu haben, es scheint völlig normal. Umso mehr lässt er uns an der Tragödie Johnnys Anteil nehmen, der zu verstehen versucht, ob er es mit einer Gabe, einem Fluch oder einem kosmischen Witz zu tun hat.

Die Handlung verläuft eher episodenhaft, was erklärt, warum daraus später nochmal eine Fernsehserie wurde, allerdings weiß man auch lange Zeit nicht wohin die Reise überhaupt geht. Wie soll diese Geschichte nur enden? Mit dem Auftritt Martin Sheens wird das klarer. Sheen ist das zweite schauspielerische Highlight des Films, der die Manierismen eines schleimigen Politikers bis zur Mimikry beherrscht. Er ist laut, manipulativ und unausstehlich.

So ein bisschen, erinnert „The Dead Zone“ an ein Cronenberg'sches „Taxi Driver“. Johnny und Travis, beides Ausgestoßene, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen. „The Dead Zone“ spielt dazu noch mit Fragen des Superhelden-Mythos. Bei Scorsese wird daraus ein zweischneidiges Blutbad, bei Cronenberg ist es die letzte Hoffnung der Menschheit. Gewalt als Rettung ist im Genrekino Amerikas nicht neu, obwohl der Film diese Lösung auch gekonnt hinterfragt. Warum er zur Flinte greift, das wird eindringlich klar, Cronenbergs Inszenierung dagegen lässt einen zweifeln. So scheint es schon erschreckend, wie stringent Johnny seinem Plan nachgeht. Erst kurz vor dem Schuss, ein kleines Zögern und letztendlich kommt doch alles anders. Der Film wehrt sich gegen eine einfache Lösung. Travis überlebt in „Taxi Driver“ seinen Amoklauf und wird zum Helden stilisiert. Johnny stirbt und bleibt als hinterhältiger Attentäter im Bewusstsein. Das Happy End bleibt somit unvollständig, etwas fehlt und das ist auch gut so.

Wertung: 7/10


"The Dead Zone"

US, CA 1983

David Cronenberg

mit Christopher Walken, Brooke Adams, Martin Sheen