Wenn man bedenkt, dass „Cloud Atlas“
die bisher teuerste, deutsche Co-Produktion aller Zeiten ist, so war
ich verwundert darüber wie unbekannt der Film selbst in filmaffinen
Kreisen ist. Irgendwie läuft da etwas mit dem Marketing falsch. Man
sieht zwar hier und da ein Poster oder einen Trailer, aber sobald man
nur „Cloud Atlas“ sagt, weiß kaum einer worum es geht. Dabei hat
solch ein megalomanisches Projekt diese Aufmerksamkeit nicht nur
nötig, sondern auch verdient, denn wenn Deutschland mal nach
Hollywood schielt, dann kommt meistens nur Schrott wie die „Resident
Evil“-Reihe heraus. Die schwer fassbaren Stoffe, die überlangen
Drehbücher, die haushohen Ambitionen sucht man hier ja ziemlich
vergeblich.
So überraschte es auch nicht, dass
sich Tom Tykwer für so ein wünschenswertes Projekt empfahl. Nach
Filmen wie „The International“, „Das Parfüm“ und „Heaven“
konnte Tykwer sein Schuhwerk bereits auf dem großspurigen
Hollywood-Parkett einlaufen. Die Babelsberg-Connection brachte dann
auch die Wachowski-Geschwister und Tykwer zusammen, so hatte sich ein
ungewöhnliches Regie-Trio gefunden, deren einzige Gemeinsamkeit der
Hang zu aufwendigen Money-Shots zu sein schien.
An epischer Breite scheint es der recht
unbekannten Vorlage in erster Linie nicht zu mangeln. Die Geschichten
erstrecken sich über fünfhundert Jahre und sind überschwemmt mit
Figuren, Querverweisen und Dopplungen, denn wie die Tagline des Films
bereits verrät: „Alles ist verbunden.“ Genug Stoff für einen
dreistündigen Film. Fatal ist nur, dass man nach dem Film die Lust
verspürt das Buch zu lesen, nicht weil das Kinoerlebnis so anregend
war, sondern weil man sich fragt, ob das jetzt schon alles war.
Aus der bloßen Masse an Handlung macht
der Film nämlich herzlich wenig. Außer einer eigenartig gestrigen,
aber dafür maximal prominenten A-Besetzung, verführt recht wenig
zum Kauf der Kinokarte. Die großen Stars von Tom Hanks bis Halle
Berry tauchen in den vielen Geschichten immer wieder mal in kleineren
und größeren Rollen auf, die sich alle durch aufwendige Masken und
Kostümierungen unterscheiden. Den irritierenden Gipfel erreicht
dieser Karneval beim Asianfacing Keith Davids und Jim Sturgess, wobei
die Regie-Intentionen klar ersichtlich bleiben. Alles ist halt
miteinander verbunden.
Die Geschichte beginnt im Jahre 1846,
wo ein amerikanischer Anwalt (Jim Sturgess) aufgrund der Freundschaft
zu einem entflohenen Sklaven (David Gyasi) anfängt an der Sklaverei
zu zweifeln. 1936 liest ein junger Komponist (Ben Whishaw) die
Aufzeichnungen des amerikanischen Anwalts und fühlt sich dazu
inspiriert ein Stück zu schreiben, dass ihm aber sein Lehrmeister
(Jim Broadbent) versucht zu stehlen. All das beschreibt der Komponist
leidenschaftlich in den Briefen an seinen Liebhaber (James D'Arcy),
der in den 70er Jahren, als alter Mann, von einem Auftragskiller
(Hugo Weaving) erschossen wird, weil er versuchte die dunklen
Machenschaften eines Energiekonzerns aufzudecken. Zum Glück nimmt
sich eine furchtlose Reporterin (Halle Berry) der Geschichte an. Im
Jahr 2012 landet ein überschuldeter Verleger (Jim Broadbent) durch
die Fehde seines Bruders im Altersheim und plant mit ein paar
„Miteinsassen“ seinen Ausbruch. Das Neo-Seoul der Zukunft scheint
dagegen ein viel größeres Gefängnis zu sein. Dort wird eine Klonin
(Doona Bae) zum Messias der rebellischen Untergrundbewegung und
steigt sogar zur Prophetin empor, derer man sich noch in der weit
entfernten Zukunft erinnert. In einer Zeit, wo die Menschen wieder in
Stämmen leben und ein Schafshirte (Tom Hanks) eine Reisende (Halle
Berry) zum Berg des Teufels geleitet.
Das ist wirklich nur die kurze
Kurzzusammenfassung und zwischenzeitlich kommt man schon ins Grübeln,
ob drei Stunden hierfür wirklich ausreichen. Dem Film gelingt es
diese Frage halbwegs aus der Welt zu schaffen, denn vor Spannung wird
sich das Publikum nicht in den Kinosessel krallen. Die drei Stunden,
sie sind spürbar, trotz der Menge an Geschichten und es bleibt das
Gefühl nicht genug erzählt zu haben. Da wiederum einen sich das
Kino Tykwers und der Wachowskis nochmals, denn ihre Inszenierung
bleibt gerne an der Oberfläche hängen. Größe entsteht allerdings
nicht nur, wenn die Handlung groß ist oder die Figuren viele kluge
Dinge im Off-Kommentar sagen. Die Wachowskis und Tykwer türmen
lieber einen Haufen Silikon und Seide auf, gleiten mit der Kamera
durch CGI-Welten und garnieren ihre Show mit einem Haufen an
Glückskeksweisheiten.
„Cloud Atlas“ erinnert nicht von
ungefähr an einen gescheiterten „Tree of Life“. Er strebt nach
ähnlicher Größe, ergeht sich dabei aber lieber im Ausbuchstabieren
als im filmischen Erzählen. Statt zu erleben, betrachtet man nur.
Die Regie nötigt förmlich zum staunenden Begaffen der immensen
production values, doch wirklich lebendig werden weder die
kostümierten Figuren, noch die Kulissen. Noch nicht mal das
übergroße Neo-Seoul regt die Kinnlade zum Fallen an, da die
Wachowskis eher am Nachstellen von „Blade Runner“ interessiert
sind. Nichts erinnert mehr an die entsättigten und unterkühlten
Zukunftsvisionen früherer Filme der Regie-Geschwister. Tom Tykwers
Formalismus war dagegen schon immer etwas zurückhaltender und
sowieso europäischer. Selbst so eine große Produktion wie „The
International“ hatte immer noch etwas sehr intimes und ärmliches
an sich. Mit den großen Geschützen kann Tykwer anscheinend dafür
nicht ganz so gut umgehen.
So heben sich der dystopische
Größenwahn der Wachowskis und die versöhnliche Bilderbastelei
Tykwers gegenseitig auf und kreieren letztendlich ein lauwarmes
Möchtegernepos voller halber Sachen, kitschiger Dialoge und
postmodernem Recycling. Es ist beiweitem nicht die filmgewordene
Rebellion die inhaltlich laut anklingt. Das Streben nach Veränderung,
das Ausbrechen aus konservativen Strukturen, das bleibt uns „Cloud
Atlas“ weitesgehend schuldig. Einzig ein Moment im Film verzaubert.
In einer Montage, wo alle Geschichten in schnellen Schnitten
miteinander vermengt werden, zerstört der junge Komponist zusammen
mit seiner großen Liebe Porzellan in Ultra-Zeitlupe. Die Schönheit
der Zerstörung als Sinnbild von Aufbruch und Veränderung, doch
„Cloud Atlas“ schafft es nicht dieses Bild zu erhalten. Vieles
bleibt Tapete.
Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 4/10"Cloud Atlas"
DE, HK, SG, US 2012
Lana Wachowski, Tom Tykwer, Andy Wachowski
mit Tom Hanks, Halle Berry, Keith David